Suche löschen...
Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk des Amtsgerichts Eibenstock und dessen Umgebung : 06.07.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-07-06
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id426614763-189707069
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id426614763-18970706
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-426614763-18970706
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk des Amtsgerichts ...
-
Jahr
1897
-
Monat
1897-07
- Tag 1897-07-06
-
Monat
1897-07
-
Jahr
1897
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
daran zu erinnern, daß Bürgerliche« Gesetzbuch, Handelsgesetz buch, Grundbuchordnung, Bbrsenzesetz, HandwerkSorganilation, Reform der Invaliden- und der Unfallversicherung usw. einer einzigen Session de« Reichstage« zur Erledigung zugewiesen worden sind. Und zum Schluß, al« der Reichstag sich bereits anschickle, auseinander zu gehen, wurde ihm noch da« »Son fekliontgesetz" vorgelegt. Richtig ist aber auch, daß da« Er- werb«leben durch die fortwährenden Neuerungen und Eingriffe in die Arbeitsorganisation mehr al« statthaft in seiner ruhigen Entwickelung behindert worden ist. E« wäre vielleicht ange bracht, wenn die Kommission für Arbeiterstatistik sich eine längere Ruhefrist gönnen wollte. — Oesterreich-Ungarn. Der Kampf der deutschen Gemeinde-Vertretung in Oesterreich gegen da» Bade nische Regime gewinnt nicht nur in Böhmen immer weitere« Terrain, er greift auch schon auf andere Provinzen über und rückt dem Zentrum der Monarchie nahe. Wie nun die Wiener Blätter melden, beschlossen die Gemeinde-Vertretungen von Grottau, Aussig, karbitz, Gablonz und Krem« (Nieder- Oesterreich) die Einstellung der Arbeiten in dem übertragenen Wirkungskreise. — Tschechische Blätter melden mit auffälliger Uebereinstimmung, daß aus den besonderen Wunsch de« Kaiser« Franz Joseph die Regierung einen ernsten Versuch unter nehmen werde, um zwischen Deutschen und Tschechen eine Vereinbarung über die Badenische Sprachenverord nung herbeizuführen. Die Regierung werde sich zwar nicht direkt in die Verhandlungen einmischen, sie aber auf alle Weise zu fördern suchen; der Oberstmarschall Böhmen«, Fürst Lobkowitz, werde die Sache in die Hand nehmen. — Türkei und Griechenland. Die Verzögerung in den Friedensverhandlungen wird auf Eifersüchteleien in den türkischen Ministerkrcisen zurückgesührt, die möglicher weise einen Ministerwechsel verursachen könnten. Trotzdem steht ein baldiger Abschluß der Verhandlungen in Aussicht. — Edhem Pascha, der türkische Oberbefehlshaber in Thes salien, soll dem Kriegsminister angezeigt haben, daß er da- Oberkommando niedcrlege, da er bei den vorgeschlage- ncn Abmachungen nicht in der Lage sei, für die Aufrecht erhaltung der Disziplin in seiner Armee zu bürgen. Locale und sächsische Nachrichten. — Dresden, 3. Juli. Heute früh um 7 Uhr fuhr auf dem Hauptbahnhof der von Bodenbach einlaufende Zug infolge des Versagen« der Bremsvorrichtung auf den Tha randter Borortzug auf. Sechs Personen sind hierbei leicht verletzt worden, der Materialschaden ist gering. — Dresden. Einen seltenen Erfolg halte ein Inserat, oar am 4. Mai d. I. in einem Dresdner Blatte erschienen war und in welchem ein „edcldenkender Herr oder Dame" gesucht wurde, der einer »alleinstehenden fleißigen und rüstigen Geschäftsfrau 200 M. gegen Sicherheit und Zinsen" leihen würde. Unter den nach Verlauf von sechs Wochen nicht abgcholten Offerten, welche von der Zeitung» Expedition geöffnet wurden, sand sich nun auch ein Offertenbrief, der sich auf obige» Inserat bezog und den Poststempel Dresden, den 7. Mai, trug. In dem Couvert lag nun ein mit Blei stift beschriebener halber Briefbogen, auf dem zu lesen ist: „Hier da» Gewünschte, auf "Namensnennung, Zin« und Rück zahlung wird verzichtet." Und in dem halben Briefbogen befanden sich weiter zwei Hundertmarkscheine. Sonst enthielt der Brief keine Angabe, wer der Absender ist. — Plauen i. V., 3 Juli. Wie schon kurz gemeldet wurde, hat gestern Se. Mas. der König durch eine Depu tation, bestehend au» dem Vertreter der Stadt Plauen Herrn Oberbürgermeister I)>. Dittrich, dem Vorsitzenden des Kreis- lurnrathe» für Sachsen Herrn Direktor Bier-DreSdcn und in Behinderung de« Vorsitzenden de» HauptauSschusscS für Plauen, Herrn Booz, dessen Stellvertreter Herrn Bürgerschullehrer Kraner, die Einladung cntgegengenommen zu dem am 18. und 19. Juli in Plauen stattfindendcn KreiSturnscst. Seine Majestät wird dieser Einladung Folge leisten u. am 18. Juli in unserer Stadt eintreffen. Diese Nachricht wird in den Kreisen der sächsischen Turnerschaft mit Heller Freude ausge nommen werden. — Wie verlautet, ist vom König!. Ministerium nach einer persönlichen Fürsprache seilen de» Herrn Ober bürgermeister» vr. Dittrich gestattet worden, daß für da« KreiSturnscst au« den Beständen de» Heere» 4000 Decken nach Plauen geliehen werden. Sic sollen zur Einrichtung der Masscnlager für hier unterzubringende Turner dienen. Wäre dem Gesuche, wie e« vorerst schien, nicht stattgcgcben worden, so würde ein Kostenaufwand von 5 bi« 6000 M. entstanden sein. Eine große Sorge, besonder« für den WohnungS- AuSschuß, ist infolge dieser Entscheidung beseitigt. — Meißen, 1. Juli. Schon wieder wurde die Ein wohnerschaft von Meißen durch ein schwere« Verbrechen in Aufregung versetzt. Gestern Abend nach 7 Uhr hat der 17jährige Schneiderlehrling Paul Anke, gebürtig au» Dres den, den Ibjährigcn Schneidcrlehrling Reinhard Hengst, ge bürtig au« Wiesenthal, mit dem zusammen er bei dem Meister krause hier auf der Neugasse lernte, zu ermorden versucht, nachdem er am selben "Nachmittage seinem Meister Werth papiere, Gold- und Schmucksachen im Gesammtbetrage von etwa 14,(XX) Mark au« der verschlossen Wohnstube entwendet, und ist dann flüchtig geworden. Heute früh in der zehnten Stunde sand man jedoch den Leichnam de« Flüchtigen im Mühlgraben, wo er an den Fellen einer Gerberei hängen ge blieben war. Der jugendliche Verbrecher Hal sich nach der Thal keinen Rath gewußt und ist in« Wasser gegangen. Den Mord halte Anke vermulhlich deshalb geplant, um die Thal auf Hengst schieben zu können. Zu diesem Zwecke hatte Anke von Hengst vor einigen Tagen einen Zettel schreiben lassen, in dem Hengst bekannte. Alle« im Hause de« Meister« Vor gekommene gethan zu hoben, und daß er mit den Werthen in die Elbe gegangen sei. Hengst hatte von diesem Zettel nicht« gesagt, da er sich wegen eine» von ihm begangenen Diebstahl« vor Anke fürchtete. Anke verübte die Thal in der gemeinschaftlichen Schlaskammer der beiden Lehrlinge. Er stach zunächst Hengst, der nur auf einem Auge sieht, mit einem Messer in den Hal«, und al« ihm Henst da« Messer entwand, griff er ihm nach Mund und Augen. Al« Hengst sich ausraffte, schlug er ihn mit einem Spazierstock über den Kopf. E« gelang schließlich Hengst, zu entfliehen. Der Mör der folgte ihm nach und Hal sich anscheinend bi« in die Nacht versteckt gehalten, worauf er sich in den Mühlgraben stürzte. Beim Ausfinden klebten ihm noch die entwendeten Briefmarken an der Hand. Die Verletzungen de« Hengst sind schwer, aber nicht lebensgefährlich. Die dem Schneider meister krauße entwendeten Werlhe sind inzwischen gefunden worden. Der Dieb hatte sie vor Begehung re» Mordanfalle« in einem eigen» dazu angefertigten Säckchen zwischen Diele und Dach versteckt. - Seit 1. Juli werden im sächsischen Binnenverkehr ven jeder Station nach den bi« einschließlich 20 Tariskilo- meter weit gelegenen Stationen die Preise der einfachen Fahrkarten für Schnell- und Personenzüge, der gewöhn lichen Rückfahrkarten und der ErgänzungSkarien zum größeren Thcile ermäßigt. Die bisherigen Mindeslfahrprcise für einfache Fahrt in II. und III. Classe von 30 und 20 Pf. werden aus 15 und 10 Pf. und für Hin- und Rückfahrt von 40 und 30 Pf. aus 20 und 15 Pf. herabgesetzt. Der nächst höhere Fahrpreis stellt sich künftig immer noch billiger al« jetzt und zwar bei einfacher Fahrt auf 25 und 15 Pf. und bei Hin- und Rückfahrt auf 30 und 20 Pf. — Sondcrzügc nach Wien. Wie wir unseren Lesern bereit« mittheilien, wird die Sächsische Staat«eisenbahn- Verwaltung im Vereine mit der Oesterretchischen Nordwestbahn Freitag, den 16. Juli und Dienstag, den 20. Juli d«. I«. je einen Sonderzug zu bedeutend ermäßigten Preisen von Leipzig und Dresden nach Wien über Tetschen mit Anschluß nach Budapest verkehren lassen. Die Abfahrt er folgt von Leipzig, DreSd. Bhf. Nachm. 2 Uhr 40 Min., von Dre«den-Altst. 5 Uhr 30 Min. und die Ankunft in Wien (Nordwestbahnhof) anderen Tag« früh 7 Uhr 14 Min. Die Weiterfahrt von Wien nach Budapest hat mit fahrplanmäßigen Zügen zu geschehen. Die Fahrkarten erhalten eine 30tägigc Gültigkeitsdauer und kosten von Leipzig nach Wien in II. Kl. 31,:,- M. und in III. Kl. 18,-» M., nach Budapest 51,-- M. in II. Kl. und 29,-- M. in III. Kl., von Dresden-Altstadt nach Wien in II, Kl. 23,-° M. und in III. Kl. 12,«° M., nach Budapest in II. Kl. 43,»« M. und in III. Kl. 23,°° M. In Erfurt, Weimar, Halle a. S., Braunschweig und Magde burg, sowie in Chemnitz, Pirna und Schandau werden eben falls direkte SonderzugSkarten auSgcgeben. Außerdem werden in Bremen und Hannover, sowie auf allen sächsischen Stationen Anschluß-Rückfahrkarten zu ermäßigten Preisen nach Leipzig beztl. DreSden-Altst. verabfolgt. Alle« Nähere hierüber sowie über die sonstigen Bestimmungen ist aus der jetzt erschienenen Uebersicht zu ersehen, welche aus Verlangen bei den größeren sächsischen Staatsbahnstationen, sowie bei den Ausgabestellen sür zusammenstellbare Fahrscheinhefte in Leipzig, Dresdner Bahnhof, und in DreSden-Altst., Carolastr. 16, unentgeltlich abgegeben wird. Brieflichen Bestellungen sind zur Frankirung 3 Psg. in Marke beizulegen. — Eger, 2. Juli. In Asch und in Wildslein sind an die Stelle der deutschen Grundbuchführer Tschechen ge treten; die deutschen Bewerber wurden übergangen. — Da» Oberlandesgericht in Prag hat entschieden, daß ein Tscheche auch bei einem deutschen Gerichte einem deutschen Kläger tschechisch antworten könne, selbst wenn der Tscheche ganz gut deutsch versieht. Um über seine Sache verhandeln zu können, wird also in der Folge ein deutscher Kläger an einem deut schen Gericht einen Dolmetscher bezahlen oder einen tschechi schen Advokaten annehmen müssen, wenn der Verklagte ein Tscheche ist. Auf der Wanderschaft. Original Erzählung au» der sozialen Bewegung der Gegenwart. Von Th. Schmidt. (I. Fortt«,ung>. Hätte der „Schlesier" in diesem Augenblicke seinen Reisegefährten gesehen, er würde ihn wohl kaum wieder er kannt haben. Da« sonst freundliche Antlitz de« jungen Man ne» war verschwunden, ein harter Zug umgab seinen Mund, die Stirn war in düstere Falten gelegt und da» sonst io ruhige, blaue Auge schoß einen Blitz unauslöschlichen Hasse« über das Grab hinweg nach der Richtung der Stadt, vor der sich zwei hohe rauchende Fabrikichornstcine erhoben. Schweigend legte der „Westsälinger" da« Schriftstück wieder in da» Buch, pflückte von dem sauber gepflegtem Grabe eine Blume, fügte sie demselben hinzu und murmelte dabei: „ Sollte ich je vergessen, was ich soeben hier geschworen habe, so soll diese Blume von Eurem Grabe mich wieder an den Schwur erinnern." Mit Blicken inniger Liebe betrachtete der Westsälinger hierauf da» Kreuz und den Hügel noch einen Moment, dann schob er sein Ränzel wieder aus den Rücken bedeckte sein Haupt und verließ den Kirchhof. Er schien jetzt keine besondere Eile mehr zu haben, lang sam schritt er der Stadt zu und seine Blicke wanderten da bei prüfend von einem Gegenstand zum andern. Manche« hatte sich verändert in den fünfzehn Jahren, die er in der Fremde weilte, aber c« war doch noch Viele« genau so, wie er e« in seiner Jugend gekannt hatte. Die spitzen Pappeln rauschten noch an der staubigen Landstraße wie ehedem, der breite Wiesenbach, ressen klare« Quellwasser er al» Knabe so oft geschlürft oder über die entblößten Füße hatte rieseln lassen, eilte noch eben so schnell über da« steinige Bett wie früher, und dort da» gebückte, greise, alte Mütterchen vor ihm, welche» keuchend und stöhnend eine Schiebkarre, beladen mit Packeten und Körben, vor sich herschob — die Boten-Lene — auch sie verrichtete noch immer ihren beschwerlichen Dienst zwischen dem Orte und der zehn Kilometer entfernten größeren Stadt. Nur ihr Rücken hatte sich unter der Last der Jahre noch mehr gebeugt und in da» faltenreiche Antlitz schienen Kummer und Sorge noch eine Anzahl Furchen mehr einge- grabcn zu haben. „Grüß Gott, Mütterchen!" rief Fritz Wolter« — so hieß der Schlossergescll — der alten Frau zu, al« er sic ein geholt hatte. „Na, nun gebt mal her, ich sehe, daß Ihr Euch da eine Last ausgebürdet habt, die viel zu schwer für Euren alten Rücken ist. Ich gehe in die Stadt und da will ich die Karre gern bi« vor Eure Hau«thür schieben." Da« Mütterchen setzte die Last langsam nieder u. blickte mit seinen Hellen, blauen Augen verwundert und mit einer scheuen, zweifelnden Geberdc zu dem großen, stattlichen Handwerk«burschen auf. Seitdem vor kurzem in dortiger Gegend von einem fremden Stromer ein Lustmord verübt worden war, mied man die Gesellschaft der „armen Reisen den" und begegnete jedem Fremden mit dem größten Miß trauen. Aber au« Fritz Wolter« Gesicht mußte wohl ein Etwa» herausschauen, da» sofort Vertrauen erweckte. Di« Boten-Lene trat zur Seite und sagte erfreut: „Ich danke Euch, Gesell! Wenn e« Euch keine Beschwerde mach«, so würdet Ihr mir durch Eure Hülfe einen großen Gefallen thun. Ja, Handwerk-bursch, der Tragriemen drückt mich heute recht schwer," seufzte da« Mütterchen. „Gott lohn e« Euchl" „Habt Ihr denn nicht einen Sohn, der Euch auf die allen Tage vor Nolh und Sorgen schützt?" fragte Fritz Wolter«, seinen Knotenstock auf die karre legend und diese glcich darauf vor sich herschiebend. Einen Sohn, o ja, den habe ich, aber der ist mißrathen, er ist ein Nichtsnutz geworden, der Frau und Kinder, drei süße, liebe Kinder, versichere ich Euch, Hunger leiden läßt," preßte die alte Frau mühsam au« der schwerathmenden Brust. Eine Weile blieb Wolter« stumm ob dieser traurigen Klage und seine Gedanken eilten um zwanzig Jahre zurück in die Vergangenheit. Bor seinem inneren Auge stand da« Bild eine« hübschen, dunkeläugigen, brünncten Knaben«, ihr einziger Sohn, für den da« alte Mütterchen von früh bi» spät schaffte und darbte, war er doch ihr Stolz, ihre einzige Hoffnung. Willy Sommer war zwar ein zanksüchtiger und rechthaberischer Spielgefährte, aber trotzdem hatte doch Jeder den hübschen, ungemein begabten Knaben gern. Sich unwissend stellend, fragte Fritz Wolter», wie e« denn gekommen sei, daß ihr Sohn auf Abwege gerielh. Die Boten-Lene seufzte wieder und schien nur ungern auf da« traurige Thema von ihrem mißrathenen Sohn einzugehcn, da Fritz Wolter« aber seine Bitte thcilnehmend wiederholte, so schüttete sie zuletzt ihr Herz gegen den in so liebenswürdiger Weise ihr seine Hülfe bietenden Fremden au« und erzählte etwa Folgende«: „Ich hatte bloß diesen einen Jungen, al« mein Mann, der Bergmann Sommer, im Bergwerke bei O. verunglückte," begann die Boten-Lene langsam neben Fritz Wolters herschrei tend, „und nach dem Tode meine« seligen Mannes ging es uns recht schlecht. Aber ich verlor nicht den Muth; ich fing mit Botengängen nach O. an und verdiente damit soviel, daß ich und mein Kind vor der größten Noch geschützt war. Der Junge wuchs heran und machte mir viel Freude; der Pfarrer und die Lehrer lobten ihn wegen seiner klugen Ant worten im Unterricht und die Nachbaren lachten über seine witzigen und übcrmülhigcn Streiche. Alle waren darin einig, daß der Junge Lehrer werden müsse, wozu er auch Luft halte, aber e» fehlte mir an Geld für seine Ausbildung. Al» er confirmirt wurde, ließ mich der Pfarrer rufen und sagte mir, er wüßte für Willy eine Freistelle auf einer Anstalt, wo junge Leute zum Lehrer ausgebildet würden, und ob ich damit ein verstanden sei, daß der Junge Lehrer würde. Ich sagte mit Freuden zu und Willy kam auf die Anstalt. Nach einer Reihe von Jahren machte er sein Examen al» Lehrer. Er bestand Alle« gut, nur waren die Lehrer mit seinem Betragen nicht recht zufrieden; er solle häufig ungehorsam sein und mit den Andern auf dem Seminar bei jeder Gelegenheit Streit anfangcn, so hörte ich. Da» gefiel mir nicht und ich redete ihm einmal ernstlich in» Gewissen. Aber statt Besser ung zu geloben, lachte er höhnisch auf und meinte, die Lehrer und die anderen Kameraden seien alle Dummköpfe, und er redete auch von Sklaven und Ketten, die sie alle nicht fühlten. Was er damit meinte, sollte ich erst nach Jahren verstehen. Er war ein schmucker, junger Mann, hielt viel aus seine Kleidung und — wie da» so ist, wenn ein junger Mensch hübsch aussieht — alle Mädchen vergafften sich in ihn, trotz dem er al« Lehrer nur ein kleine« Gehalt hatte. Er war in einer Fabrikstadt in Westfalen angcstellt, wo e« ihm sehr gefiel. Eine« Tage» kam er in den Ferien zu Besuch nach hier und ich freute mich unbändig, hatte er doch in mehreren Jahren seine Heimath nicht ausgesucht, so daß ich schon glaubte, er schäme sich seiner Mutter. Ach, er hatte guten Grund, mich aufzusuchrn! Er hatte Schulden und ich sollte sie bezahlen. Ich gab Alle« wa» ich halte, hin, verkaufte meine Ziege und Alle« wa» ich im Hause entbehren konnte. Kaum daß er sich Zeit nahm, mir zu danken, reiste er schon wieder ab, und ich hörte lange nicht« von ihm. Mir ahnte nicht« Gute«! Sein Wesen halte mir garnicht gefallen. Besonder« schwer preßte e« mir da« Herz, daß er gegen mich, seine alte Mutter, die ihn so unendlich liebte, die so viel für ihn gethan hatte und die täg lich und stündlich an ihn dachte, io fremd that und kein liebe» Wort sprach, er, der doch die Kinder in der Schule lehren mußte: „Du sollst Vater und Mutter ehren, auf daß Dir'« wohl gehe." Nach langer Zeit schrieb er mir ganz kurz, daß er sich verlobt habe und die Hochzeit schon nach einigen Wochen stattfinden werde. Wer da« Mädchen, wer die Eltern desselben waren, verschwieg er mir, er hielt e« nicht der Mühe werth, mir da« mitzutheilen. Zu der Zeit war ich bettlägerig krank, ich konnte nicht hin und mich überzeugen, wie c» mit ihm und seiner Braut stand. Al« ich wieder genesen, da waren sic bereit« Mann und Frau. Später hörte ich denn, daß seine Frau zwar ehrlicher Leute Kind, aber arm wie eine Kirchenmaus sei. Da« schadete nun gerade nicht», wenn sie nur tüchtig im Hause-war. Leider war sic da« aber nicht. Die ersten Jahre schien alle« gut zu gehen im Haushalte, mein Sohn schrieb mir wenigsten« nicht um Geld, aber dann kam plötzlich ein Brief von ihm, dieseSmal ein sehr langer Brief, in dem er schrieb, daß ich ihm umgehend dreihundert Mark schicken müsse, sonst sei er verloren, da er au« einer Kasse, die er für die Lehrer führte, diesen Betrag genommen und sür sich verwendet habe. Er entschuldigte sich damit, daß er ein viel zu kleine« Einkommen habe, daß die Kinder zu schnell aus einander gcsolgt seien und er gezwungen wor den sei, Schulden zu machen. Wa» ich bei dieser "Nachricht empfand, wie viel Thräncn ich in der nächsten Zeit geweint und Seufzer zu Gott hinausgesandt habe, kann ich Euch nicht sagen. In meiner Angst lief ich zu meinem Nachbar, der Geld auslieh, verpfändete ihm meine ganze Habseligkeit und bekam dafür erst nach vielen Bitten da« ganze Geld; ich schickte e« sogleich ab, und e« schien nun alle« wieder in« Geleise gebracht zu sein. Ach, ich sollte noch viel schwerer heimgesucht werden! E« mochten wohl drei Monate ver gangen sein, da saß ich eine« Abend« im Herbst in meinem Stübchen bei der Lampe und la« in der Bibel. Draußen stürmte und regnete e« unaushörlich. Da höre ich plötzlich Jemand aus der Hau«diele nach meinem Namen fragen und zugleich da« Wimmern eine« kleinen Kinde«. Ich reiße die Thür auf und vor mir steht ein Mann mit aufgedunsenem Gesicht und langem, wildem Bart und hinter demselben sehe ich eine blaffe junge Frau, an deren Kleid sich zwei Kinder von vielleicht vier und drei Jahren zitternd und frierend an gehängt haben; ein dritte« Kind verbarg die Frau unter einem Tuche an ihrer Brust und ihre Thränen fielen dem Säug ling in« Gesicht. Ich war ganz starr vor Schrecken, sah ich doch bald, daß dieser Mann mein heißgeliebter Sohn, da« bleiche Weib seine Frau und die zitternden kleinen seine kin-
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)