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Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk des Amtsgerichts Eibenstock und dessen Umgebung : 09.03.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-03-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id426614763-189703098
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id426614763-18970309
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-426614763-18970309
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk des Amtsgerichts ...
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Jahr
1897
-
Monat
1897-03
- Tag 1897-03-09
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Monat
1897-03
-
Jahr
1897
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— England. Etwa hundert Mitglieder de» Unter häuser, darunter einige frühere Minister, sandten dem Könige Georg von Griechenland eine Depesche, in welcher sie sich anerkennend über die der Zivilisation auf Kreta erwiesenen Dienste au«zusprechen und ihren Wünschen für da« Wohler gehen Griechenland» Ausdruck geben. — Nach einer Depesche der »Voss. Zig." ist in London da« Kabinet ganz unerwartet zu einer Sitzung zusammen getreten, die zwei Stunden dauerte. Im europäischen Einvernehmen soll plötzlich eine Spaltung cingetreten sein. Dem Vernehmen nach wollte England jede Bethciligung an Zwangsmitteln gegen Griechenland ablehnen und sogar da« europäische Concert verlassen, fall« die Mächte nicht den Vorschlag Salisbury« annehmen, daß die türkische Polizei Kreta sofort räumen soll. — Wie Griechenland will auch die Türkei von einem Nachgeben den Mächten gegenüber nicht« wissen. Der türkische Ministerrath hat sich dahin entschieden, eine aus weichende Antwort auf die Note der Mächte zu geben. E« verlaute, daß die Pforte im Prinzip die Autonomie für Kreta annehme, aber e« ablehne, Einzelheiten über dieselbe zu er örtern, bevor die griechischen Truppen die Insel geräumt haben. — Die »Time«" melden au« Athen: In Folge der unzureichenden Blokirung der Südküste Kreta« sind durch die griechische KönigSyacht .Sphakteria" und andere Schiffe Leben-mittel dort gelandet worden, ohne daß ein Dazwischen treten erfolgte. Die Vorräthe werden durch griechische Sol daten über die Berge den Truppen zugeführt. Die letzteren sind nunmehr für drei Monate verproviantirt. — Au« Athen schreibt man der »Franks. Ztg.': »Im heutigen .Skrib" steht folgender Aufruf an die Kauf leute Athen«: »Die unterzeichneten Kaufleute Athen« er klären wegen der Stellung, welche Deutschland« Flotte, Deutschland« Politik und Presse un« und den Wünschen de« Valerlande« gegenüber einnimmt, jede Handelsbeziehung mit diesem Lande einzustellen und beschwören unsere, im freien und geknechteten Griechenland lebenden StammeSgenossen im Namen unsere« mißhandelten Valerlande« unserem Beispiele zu folgen, überzeugt, daß die Deutschen aus diese Weise am empfindlichsten zu treffen sind." Locale und sächsische Nachrichten. — Eibenstock, 8. März. Heute Nacht nach l Uhr erklang Feuerruf in unserer Stadt. E« brannte in der Scheune de« Oekonom Emil Eichler in der Hinteren Rehme. Durch schnell herbeigecilte Hilfe konnte da« Feuer noch rechtzeitig unterdrückt werden. Kurze Zeit nachdem die« geschehen war, zeigten sich Flammen aus dem Boden de« Wohnhauses. Auch hier wurden dieselben schnell wieder gelöscht. Ueber die Ent stehungsursache dieser beiden Brandsälie verlautet noch nichts. — Eibenstock, 8. März. Gestern Nachmittag hatte der »Reich-treue Verein" Hierselbst im Saale de« Deutschen Hause« einen Vortrag über »Die innere politische Lage" angesetzt. Sprecher war der Generaljecretär der national liberalen Partei im Königreich Sachsen, Hr. Breithaupt au« Leipzig. In schöner, fließender Sprache gab der Herr Redner in andcrthalbstündigem Vortrage ein Bild über die Entwickelung de« Deutschen Reiche» seit seiner Gründung und insonderheit über die Thätigkeit de« Reichstage«. Wegen Kürze der Zeit können wir einen erschöpfenden Bericht über den Vortrag heute nicht geben, werden aber in einer der nächsten Nummern darauf zurückkommen. — Eibenstock, 8. März. Nach ziemlich langer Pause trat am Freitag Abend die Riege »Gut Heil" de« hie sigen Turnverein« wieder einmal mit einer festlichen Veran staltung vor ihre in großer Zahl erschienenen Gäste. Die Feier de« 8. Stiftungrseste« im entsprechend dekorirten Saale de« „Feldschlößchen" bot den Mitgliedern willkommene Ge legenheit, auf'« Neue Zeugniß ihrer turnerischen Leistungs fähigkeit abzulegen und sich zu den früheren Freunden neue zu erwerben. Nach der einleitenden Ouvertüre und einer kurzen Begrüßung der Gäste durch den Vergnügungsvorsteher folgte al» erste Darbietung ein wirkungsvolle« turnerische« Willkommenbild bei bengalischer Beleuchtung, dem sich Turnen am Barren anschloß, wobei man recht beachtliche Leistungen wahrnehmen konnte. Den ungetheiltesten Beifall fand aber unzweifelhaft der laklige Schwank »Othello'« Erfolg", bei welchem eine jede Rolle meisterhaft gespielt wurde und all seitiger stürmischer Applau« die Mitwirkenden lohnte. Der von 12 Mitgliedern exakt zur Ausführung gelangte Stabrcigen bildete einen vortheilhaften Abschluß de« Programm«. Daß der nun folgende Ball sich bi« zum frühen Morgen au«dehnte und mit seinen Überraschungen während der Pause zur wesent lichen Erhöhung der Feststimmung mit beitrug, braucht wohl nicht erst besonder« gesagt zu werden. Im Hinblick auf den guten Verlauf de« Feste« erscheint un« daher der Wunsch berechtigt, daß obengenannte Riege auch fernerhin in Einig keit und turnerischem Streben erstarken und sich weiter ent wickeln möge. Gut Heil! — Dresden. Ihre Majestäten der König und die Königin verweilten am Dienstag über eine Stunde im Hotel Royal in Mentone, um von hier au« da» auf- und niederwogende KarncvalStreiben zu beobachten. Mit regem Interesse und großem Vergnügen verfolgte da« hohe Paar da« flotte, fröhliche Leben, welche« den heißblütigen, leichtlebigen Südländer so recht charaktcrisirt. Zwei in selbigem Hotel wohnende Dresdner Damen benutzten die günstige Gelegen heit, ihrer hochverehrten LandeSmutter kostbare Blumen zu überreichen, die mit sichtlicher Freude huldvollst entgegenge nommen wurden, wobei Ihre Majestät in Ihrer bezaubernden leutseligen Weise sich längere Zeit mit beiden Damen unter hielt. Auch Se. Majestät der König beehrte einen au« Ge- sundheitSrücksichten in Mentone weilenden Dresdner Kauf mann mit zweimaliger Ansprache, sreundliche Theilnahme an dessen Befinden bekundend. Ihre Majestäten erfreuen sich de« besten Wohlsein« und unternehmen täglich von Kap Marlin au« Ausflüge zu Wagen und zu Fuß. — Dresden. Da« bereit« erwähnte Gebet, welche« am Sonntag Oculi, den 21. März bei der kirchlichen Gedenkfeier de« lOO. Geburtstage« de« hochseligen Kaiser Wilhelm l. in da» allgemeine Kirchengebet einzuschalten ist, lautet folgendermaßen: „Und weil in diesen Tagen ein Jahr hundert sich erfüllt seit der Geburt unsere« unvergeßlichen ersten Kaiser«, den Du im neuen Deutschen Reiche un« zum Haupte gesetzt hattest, so bitten wir Dich: laß sein lheure« Andenken an unserem Volke gesegnet sein, für da« er gear beitet und gebetet, gestritten und gelitten. Du hattest Große» an ihm und durch ihn an unserem Volke gethan, zu reichem Segen hattest Du ihn un« gesetzt und zu einem hohen Vor bilde lauterer Demuth, unermüdeter Treue in Deinem und in seine« Volke« Dienst und gläubigen Bekenntnisse« zu Dir und Deinem Evangelium. Hilf, daß sein Gedächlniß in dieser Zeit schwerer Wirren unserem Volke diene zur Einkehr und Umkehr von allen falschen Wegen, zur Besinnung aus da«, wa« ihm Noth ist und zu seinem Frieden dient, damit e« ein Volk werde nach Deinem Wohlgefallen und Glauben und Treue, Kraft und Einigkeit sein Schmuck und seine Ehre sei." — Leipzig, b. März. Da« Wahrzeichen de« bekannt lich dem Untergang geweihten Schlosse« Plcißenburg soll Aufnahme im Museum für die Geschichte Leipzig» finden. E» ist ein aus der westlichen Hofseite recht« vom Thorau«- gange über Mannshöhe eingcmauerter steinerner Kopf, jetzt durch Schmutz und Ucberbleibscl von Tünche fast unkennbar. Er soll den Kops de« Schloßhauptmann« Johann Vopeliu« vorstellen, welcher im Jahre 1631 die Weißenburg an die Kaiserlichen unter Tilly und 1632 an General Holk übergab, während da« Schloß noch gut verwahrt und besetzt war. Er wurde, ein 72 jähriger Mann, durch ein Kriegsgericht zum Tode verurtheilt und am 3. Februar 1633 enthauptet. — Plauen i. B., März. Die drei Alt-Leipziger Turnvereine, der Chemnitzer Turnverein und der Allgemeine Turnverein zu Dresden, also die größten und bedeutendsten Turnvereine von Sachsen mit zusammen über 5000 Mit gliedern, haben nach reiflicher Erwägung beschlossen, sich in Plauen nicht an dem sogenannten Gauwelilurnen zu bethei ligen, sondern gemeinsam ein große» Schauturnen da selbst zu veranstalten. Diese» soll Freiübungen mit Musik begleitung, allgemeine« Riegcnturnen von mindesten« 60 Riegen nach einem einheitlichen Plane und Turnspiele in mehreren Gruppen umfassen und ein gute« Bild unsere« deutschen Turn betriebe» geben, während das schweizerische SettionSturnen, da« im »Gauwetlturnen" nachgeahmt wird, nur ein Zerrbild davon ist. Außerdem wollen die Vorlurnerschaften an einem Abende de« Feste« aus dem Podium der Festhalle noch ge meinsame Vorführungen veranstalten unv besonder» ihre besten Turner bei einem geregelten Kürturnen am Reck vereinigen. Jedenfalls ist ein Turnen, wie e« die genannten Vereine planen, ein Schauturnen, bei dem die besten Kräfte der größten Vereine Mitwirken, bi« jetzt noch auf keinem deutschen Krei«- turnsesle geboten worden. E« wird sicher dazu beitragen, die Anziehungskraft te» Festes zu erhöhen und besonder» den kleineren Vereinen Sachsen» mancher Lehrreiche und Neue bieten. Die technischen Vorarbeiten sind den Turnwarten und drei Leipziger Vereinen übertragen worden. — Meißen, k>. März. Gestern wurden durch die hie sige Schutzmannschast der Dienstknecht Breitensel» au» Zehren und der Schiffer Schilling au» Neudörfchen ver haftet, da beide dringend verdächtig sind, den Mord an dem Rentier Pfordte verübt zu haben. Die Verhafteten wurden mit dem 6 Uhr-Zuge unter starker Bedeckung nach Dresden übergeführt. Seiten» der königl. Staatsanwaltschaft sand heute eine Lokalbesichtigung statt. — Ueber die muthmaßlichen Mörder wird noch Folgende» bekannt: Der Dienstknecht Breitensel» saß bi» vor 8 Tagen im Gesängniß wegen eine« in Zehren begangenen Einbruch». Derselbe ist schlecht be leumundet. Der andere, Schilling au« Neudörschen, Hal auch bereit« längere Zeit hinter den Mauern einer Korrektion« anstatt zugebrachl, ist mithin auch kein Neuling unter den Gesetzesübertretern. Jedenfalls ist er al« der eigentliche Mörder zu betrachten, da sein Gesicht nicht unbedeutende Kratzwunden ausweist, die Tag« zuvor noch nicht an ihm bemerkt wurden. Bei dem Zurückgehen de« Stromspiegel» der Elbe fand man ein Beil am Meißener Elbuser, da« allem Anscheine nach bei dem Morde gebraucht worden ist. In Gegenwart de« Dre-dener StaatSanwalte« und verschiedener behördlicher Organe, sowie der beiden Verdächtigen sand gestern Nachmittag die Lokalbesichligung statt. Bei derselben mußte Breitensel« an den: Balkon hinausklettern, wa« derselbe auch gewandt au-fübrte. Schilling dagegen versicherte bei Gott, daß er an der Thal unschuldig sei, und wollte da» unheimliche Hau« nicht betreten. Sein Aeußere« stimmt mit den von dem Psordte'schcn Knaben gemachten Angaben vollständig überein. Wie der Knabe angegeben, trägt Schilling graue Hosen und eine einer Pelzmütze ähnliche Tuchmütze ohne Blende. Breitensel« und Schilling sind am Tage de« Morde« stark angetrunken gesehen und beobachtet worden. Ein von Zehren kommender Meißener Einwohner fand Schilling an demselben Tage schwer betrunken aus der Landstraße liegen und erhielt auf seine Warnung zur Antwort: »Wenn ich auch überfahren werde, — e« ist mir einerlei, — die Polizei sucht mich so wie so!" Breitensel« war am Tage de« Morde« im Besitz größerer Geldmittel, während Schilling am Tage vor dem Verbrechen noch von seinen armen ehrbaren Eltern Geld zu erpressen suchte. Im Laufe de« heutigen Tage« sind noch eine Reihe von Belastungsbeweisen beigebracht worden, die e« außer allem Zweifel lassen, daß die Polizei die richtigen Mörder gefaßt hat. Breitensel« soll die That insoweit eingc- standen haben, al« e« sich um Beihilfe zum Morde handelt. — Freiberg. Einer am Roßplatz wohnenden Familie wurde vor Kurzem ein Kind (Mädchen) geboren ohne jede Spur von Ohren, nur die Löcher sind vorhanden. Da« Kind hat einen sogen. Wolf-rachen. Vom Zahnfleisch de« oberen Kiefer« an geht im Munde obenhin bis zum Gaumen ein tiefer Spalt, der mit der Nasenhöhle zusammentrifft, so daß alle genossene Speise sofort zur Nase herauSIritt, wenn da« Kind die Nahrung nicht in aufrechter Stellung zu sich nimmt. Trotz der beschwerlichen Nährweisc scheint da» Kind am Leben zu bleiben, da e« heute schon 13 Wochen alt ist. — Colditz, 5. März. Die FastnachtSzeit mit den üb lichen Masken- und CoslümbäUcn bot u. A. hier und in der unmittelbaren 'Nähe zwei Feste, welche sich anderwärts selten wiederholen dürften. E« waren die« die vor einigen Tagen in der hiesigen und vorgestern Abend in der nahen Irren- Anstalt zu Zschadraß veranstalteten Costümfeste, wobei die Irrsinnigen, deren Zustand e« irgend zuließ, theilnahmen. Diese Feste, bei welchen die Theilnchmer die verschiedensten, Ihcilweise sehr geschmackvollen Costümc und sonstigen Anputz — die weiblichen Thcilnehmer halten sich die von ihnen ge- Iragenen Anzüge meist selbst angefertigt, — trugen, bot ein ganz überraschend, bunlbewegte« Bild, wobei besonder« bei den Einzclvorträgen, wenige Unterbrechungen durch besonder« Erregte ausgenommen, die musterhafteste Ordnung herrschte, so daß der Zuschauer kaum ahnen konnte, sich unter Irr sinnigen zu bewegen. Schon die Vorbereitungen zum Feste sollen, trotz der ost mühsamen Arbeiten, welche die Anfertig ung der Coslüme rc. erfordern, sehr günstig aus den allgemeinen Zustand der Verpflegten wirken. — Elsterberg. Die Ehefrau R. war mit Scheuern beschäftigt, al« sie plötzlich »niesen" mußte und alsbald Schmerzen im Leib verspürte. Nach ärztlichem Rath wurde sie nach dem Krankenhause Greiz übergesührt, wo sie am Dienstag verstorben ist. E» soll Darmverschlingung eingetreten sein. Kaus und Well. Novelle von Gustav Höcker. (ö. Fortsetzung:. Er war immer der festen Ucberzeugung gewesen, daß er für die Zukunft seiner Töchter am besten gesorgt habe, indem er ihnen eine feine Erziehung gab und nicht» vernachlässigte, wa» zur Bildung de« Herzen« und Le« Geiste» Lienen konnte. Sie hatten ihm nie Kummer bereitet, ihn nie durch Ungehorsam betrübt — warum hätte er ihnen Wünsche ver sagen und Einschränkungen auferlegen sollen? Und doch — welche« Loo« blühte ihnen, trotz aller Bildung und guten Gesittung, wenn dereinst seine sorgende Hand fehlen würde? Anfang» schob der alte Hofrath alle Schuld auf den Geist der modernen Zeit, mit ihrer Sucht nach Geld und Rcichthum. Er sah davon die junge Männerwelt angesteckt und erbitterte sich, daß der größte Theil derselben nur nach Geld hcirathete, oder, wenn die« nicht glückte, lieber ledig blieb, und erblickte darin den Feind seiner so redlich gemeinten Bestrebungen für die Zukunft seiner Töchter. Aber er war denn doch zu einsicht-voll, al« daß er sich an diese Ansicht für die Dauer hätte festklammern können. Jene materielle Zeitrichtung war ihm ja längst nicht« Neue«, inmitten jener Strömung waren seine Töchter ausgewachsen; sie waren selbst davon ergriffen und Valentine halte durch Abweisung ihrer Freier selbst den Beweis geliefert, daß da« schwächere Geschlecht in Berathung der großen Lebensfrage nicht weniger anspruchsvoll »erfährt, al« da« stärkere. So gelangte der Hofrath zu der Einsicht, daß er, nach Lage der Dinge, vielmehr die Pflicht gehabt hätte, den ver haßten Zeitgeist in seiner eigenen Familie zu bekämpfen, und daß ein einfacher, bescheidener, häuslicher Sinn die beste und einzige Waffe gegen denselben gewesen sein würde. Der Hofrath hatte sein reiche« Einkommen in einer verkehrten Erziehung, ja in einer verderblichen Verwöhnung seiner Töchter erschöpft, anstatt ihren Ansprüchen mit unerbitt licher Vatcrstrenge entgegenzutreten. Da« Kapital, welche« er ihnen hätte hinterlassen können, wenn er aus einen be scheidenen Hau«halt gedrungen und seine Töchter von kost spieligen Zerstreuungen und Modethorheiten zurückgehalten hätte, wäre sicher eine bessere Mitgift gewesen, al« alle die vornehmen Kenntnisse und Fertigkeiten, welche sie jener feinen Erziehung verdankten, denn ohne die Voraussetzung einer glänzenden Heirath war dieser geistige Fond« al« Existenz mittel für Beide nur schwer zu verwerthen, und um zur Er werbung ihre« Lebensunterhalte» davon Gebrauch zu machen, mußten sie bei ihrem stolzen Sinn gewiß erst durch eine harte Schule de« Schicksal« gehen. Do« waren die Gedanken, welche den alten Hosrath in der letzten Zeit unausgesetzt beschäftigten und Reue und Sorge nagten an ihm mit gleicher Heftigkeit. Da war nicht« mehr gu> zu machen. Für jene lang bewahrten Jrrthümer gab er keine Sühne, der Fehler war gemacht und in das Blut seiner Kinder übergegangen, da» reiche Einkommen eine» arbeits reichen Leben» war zwecklos geopfert und der alte Mann stand — da« fühlte er wohl — zu nahe seinem irdischen Ziele, um an der Lage, die seine falsch angewendete väter liche Zärtlichkeit geschaffen, auch nur da« Geringste ändern zu können. Vor seinen Töchtern mußte er tief verbergen, wa« in ihm vorging, und unter seinen zahlreichen Freunden gab c» keinen, dem er sich anvertrauen konnte, — e» wäre einer Bitte um Hilfe gleichgekommen. Mehr noch al« seine er schütterte Gesundheit beugten ihn diese trostlosen Betrachtungen, beugte ihn die verzweifelnde Reue nieder. Alle seine Bekannten erschraken über die Veränderung, die mit ihm vorging. Sonst straff und aufrecht in seiner Haltung, schlich er jetzt gebückt durch die Straßen; chemal» ein anregender und lebhafter Gesellschafter, brütete er jetzt schweigend vor sich hin; weder die großen Fragen de« Tage«, an denen er früher stet« regen Antheil genommen, noch die Angelegenheiten seiner nächsten Freunde vermochten auch nur vorübergehend sein Interesse zu erwecken; ja so tief war er in sich versunken, so gänzlich von der Außenwelt abgekehrt, daß er für dieselbe gar kein Gedächlniß mehr hatte. Er konnte sich aus die Vorfälle de« vergangenen Tage« nicht mehr be sinnen, und viele Leute, mit denen er lange in persönlicher Berührung gestanden hatte, kannte er nicht mehr, wenn sie ihn auf der Straße grüßten. Niemand wohl empfand diese traurige Veränderung, die so rasch über den Hosrath gekommen war, schmerzlicher al« Ewald Klaußen. Wenn er seinen alten Gönner, seinem vä terlichen Freunde zuweilen begegnete und ehrerbietig seine Mütze zog, schnitt ihm der befremdete Blick, welcher ihn au» den umflorten Augen de« gebeugten Manne« traf, tief in die Seele. Al» er ihn einst anzureden und nach seinem Be finden zu fragen wagte, ging au« der Unsicherheit der Ant wort deutlich hervor, daß der alte Herr nicht wußte, wohin er den Fragenden thun sollte, und al« im Weitergehen Klaußen noch einen betrübten Blick auf den alten Hofrath zurückwarf, hatte dieser sich ebenfalls nach ihm umgewandt und sah ihm sinnend nach, wie einer Erscheinung, die ihn dunkel an einen alten Traum gemahnte. Ewald kannte diese Symptome nur zu gut, wenn er auch ihre eigentliche Ursache nicht ahnte. Genau so war sein Vater, der Schwäche de« Alter« erliegend, dem sichern Grabe zugeschlichen; genau so hatte auch dieser die Verbindung mit der Außenwelt verloren, genau so hatte sich allmählich der Zusammenhalt de« inneren Leben« mit den versagenden Sinnen gelockert, bi« die Seele, der letzteren nicht mehr bedürfend, zu ihrem Schöpfer zurückkehrte. Daher traf e« Ewald nicht unerwartet, al« sich eine» Morgen» die Kunde verbreitete, der alte Hofrath sei in der vergangenen Nacht gestorben. Ein mitleidiger Lungenschlag hatte den Qualen seine« umdüfterten Gemüth« ein Ende gemacht ... Im Laufe de« Tage« kam Frau Rupfinger zu Meister Lindemann und be stellte den Sarg. Ewald war nicht wenig betroffen, al« ihn der Meister kurz und bündig beauftragt», hinüber zu gehen und da« Maß dazu zu nehmen.
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