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Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk des Amtsgerichts Eibenstock und dessen Umgebung : 30.04.1895
- Erscheinungsdatum
- 1895-04-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id426614763-189504302
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id426614763-18950430
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-426614763-18950430
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk des Amtsgerichts ...
-
Jahr
1895
-
Monat
1895-04
- Tag 1895-04-30
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Monat
1895-04
-
Jahr
1895
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feindungcn ist er der Einzige, der die Pekinger StaatSwci«- heit au« der Noch de« Augenblick« wieder wird herausbringen können. Locale und sächsische Nachrichten. — Eibenstock, 29. April. Wie unfern Lesern bereit« bekannt, ist Hr. Amtsrichter Kautzsch Hierselbst untcrm I. Mai d. I«. von Sr. Mas. dem König zum AmtSgerichtSrath und Borstand bc« Amtsgericht« Glauchau ernannt worden. Aus Anlaß de« Scheiden« de« genannten Herr» au« unserer Stadt sand gestern im Saale der „Union" ein zahlreich be suchte« Ab schicdSessen statt, bei welchem Hr. OberregierungS- rath Amtshauptmann Frhr. v. Wirsing den Toast aus Se. Mas. den König ausbrachte. Hr. Bürgermstr. Oi. Körner hielt die Ansprache auf den scheidenden Hrn. Amtsrichter, Hr. Oberförster Lehmann brachte da« Wohl auf die Frau Amtsrichter aus. Im Weitere» sprachen noch unter Andern Hr. Assessor I)r. Lcuthold im Namen der GcrichlSbeamten, Hr. Kausm. und Stadtverordnetcnvorsteher Wilh. Dörffel im Namen der Bürgerschaft und Hr. Gemeindcvorstand Haupt im Namen der Bewohner von Schönheide. Au« allen den gesagten Worten klang heraus, wie ungern man Hrn. Amts richter Kautzsch aus seiner hiesigen Stellung scheide» sieht. Seinen Untergebenen ein humaner und fürsorglicher Vorge setzter, jedem Auskunft- und Hülfcsuchcnden ein wohlwollender Helfer und Berathcr hat er sich bei Allen, die ihn kennen lernten, ein ehrende« Andenken geschaffen und geben wir diesen Gefühlen mit den Worten Ausdruck, daß e« Hrn. Amtsrichter Kautzsch mit seiner werthen Familie allcrzeit recht wohl er gehe» und derselbe noch ost in freundlicher Erinnerung an Eibenstock zurückdenken möge. — Eibenstock. Als Ziel der diesjährigen Gauturn fahrt des ObcrerzgebirgSgaueS ist, wie bekannt, HundS- hübel gewählt worden und wird dieselbe am 30. Juni ab gehalten werden. — Gestern, Sonntag, Nachmittag entgleiste auf der Linie Chemnitz-Aue-Adorf, in der "Nähe von Aue, der letzte Wagen des um 5 Uhr 53 Min. von Chemnitz hier ein treffenden Personenzuges. Glücklicherweise ist ein Unfall nicht dadurch herbeigeführt worden. — Eibenstock. (Eingesandt). Ein überaus wichtiger Gesetzentwurf wird demnächst im deutschen Reichstage zur Be- rathung vorgelcgt werden. Derselbe bezweckt, den Detail- Reisenden den Besuch und die Belästigung von Privaten zu erschweren. Wie hochwichtig dieser Entwurf ist und wie scgenbringcnd er wäre, wenn derselbe Gesetz würde, weiß wohl jeder Dctaillist und jeder Gcwerbtrcibende hinreichend aus Erfahrung. Wie schädigend wirkt es auf den Gcwcrbestand, wenn die Herren Reisenden, welche bei den besseren Ein wohnern, von denen sie ihr Geld sicher bekommen, ihre Ein kehr halten und ihnen ihre Muster in allen mögliche» Artikeln, welche zum Haushalte gehören u. s. w., verlegen und die besten Kunden den ortsangescsscncn Geschäftsleuten weggenom men werden. Leiber giebt es ja nur zu viel Hausväter und Mütter, welche sich durch das aalglatte, gewandte Auftreten dieser Herren geschmeichelt fühlen und durch das eindringliche Röthigen zu der allerdings sehr unrichtigen Annahme ge langen, daß man von auswärt« billiger und besser kaufe. E« sollten daher von Seiten der Dctaillistcn und Gewerb- trcibcndcn alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, dahin zu wirken, daß dieser Entwurf „Gesetz" würde und dürste es da her rathsam sein, wenn die Bcthciligten in unserer Stadt, gleich denen vieler anderer Städte, eine Petition an den deutschen Reichstag mit der Bitte um Annahme dieses Ge setzes richtete». Der Erfolg dürste nicht auSblcibcn. Es werden daher alle diejenigen Interessenten, welche sich einer Petition in diesem Sinne anschlicße» wollen, gebeten, sich heute Dienstag Abend 9 Uhr zu einer Besprechung in Flem- mig's Restauration 1 Treppe hoch cinzufinden. — Plauen. Vor kurzer Zeit waren Vertreter fran zösischer Häuser hier, welche sächsische Schifschcn-Stick- maschinen gekauft haben sollen. Es sind verschiedene Maschinen, wovon jetzt viel Angebot ist, abgebrochen, cingcpackt und versandt worden, — aber wohin, darüber verlautet nicht«, denn die Sache wird ziemlich geheim gehalten. Auch aus der Schweiz sind Reflcctantcn für Schiffchen-Maschinen in hiesiger Gegend gewesen und haben solche gelaust. Die gewiß gute Absicht des Fabrikanten-Berein«, den Export hiesiger Maschinen zu verhindern, ist also für die Dauer nicht aus führbar gewesen. Außer den zwei alten Schifschenmaschincn- Fabrikcn sind noch drei neue entstanden, die sännntlich ver kaufen wolle» und in der Wahl de« Absatzgebietes sich keine Beschränkung auscrlegen lassen. — Wenn man jetzt sicht, wie noch immer neue Schisfli-Maschincn durch die Stadt trans- portirt werden, während doch schon Hunderte ohne Beschäftig ung sind, kann man sich des Bedauerns über Diejenigen, welche so blindlings zur Anschaffung solcher Maschinen ge schritten sind und nun verzweifeln, nicht enthalten. Der Industrie und Branche haben sie eben damit den schlechtesten Dienst gcthan. — Falken st ein. Wer in den letzten Tagen unsere vor dem Kirchenportale gepflanzte BiSmarck-E iche betrachtet, wird sich höchlichst gewundert haben, wenn er in der kurzen Zeit das schwache Bäumchen zur schlanken, stolzen, doppelt so hohen Pflanze cmporgewachsen sah. Wir wollen ihm da» Geheimniß verrathcn. Ein Freund unserer Bismarcksache wendete sich an die Fürstlich BiSmarck'schc Oberförstern zu FriedrichSruh, schilderte unser schwächliches Bismarckbäumchen und bat um Uebersendung einer BismarckEiche au« dem Sachscnwaldc. Am Vorabend vor Königs Geburtstag kam nun sorgfältig verpackt per Eilgut diese ziemlich 5 m hohe, herrlich gewachsene Eiche, wurde noch am Abend eingesetzt und so haben wir jetzt eine ächte Bismarck Eiche au« dem Sachsenwalde von FriedrichSruh. Möge sie in unserem vogtländischcn Boden so starke Wurzeln schlagen, wie die Liebe zu ihm, unserm Altreichskanzler, in unserm Herzen gegründet ist. — Großzschocher, 26. April. Eine Anzahl alter sächsischer und österreichischer Silbermünzen wurde gestern im hiesigen Walde von Arbeitern, welche Ncupflanzungcn anlegten, gesunden. Da diese Münzen nur von einer ge ringen Schicht Erde bedeckt waren und sic fast alle im vorigen Jahrhunderte geprägt sind, so nimmt man an, daß sie im Befreiungskriege verloren gegangen sind. Bon numismatischem Weiche dürfte höchsten« die eine Münze sein, die aus der Rückseite drei Kronen und zwischen denselben ein Kreuz zeigt. Die übrigen dürften nur den Silberwerth besitzen. — Frohburg, 2b. April. In Escheseld wurde gestern ein beträchtlicher Münzcnfund gemacht. Beim Ausschach ten eine« zum Besitzthum de« Gutsbesitzer« Etzold gehörigen Keller» entdeckt man einen Tops, der 42 Goldmünzen in der Größe eine» Einmarkstücke», 30 Silbermünzen in der Größe eine« Fünfmarkstücke« und gegen 200 kleiner Silbermünzen enthielt. Die Münzen stammen der Prägung nach au« dem 17. und 18. Jahrhundert. — Die in Ebmath stationirten Grenzausseher Eschke und Nötzold, beide seitens der Vichschmuggler al« besonders schneidig bekannt und gefürchtet, haben am Montag in den erste» Morgenstunden abermals zwei Kühe erbeutet. Die Thiere wurden den Schmugglern aus bayerischem Gebiete abgejagt, und erhalten die genannten Grenzaufseher eine er hebliche Gratification, bringt ja doch dieser Fang der bayerischen Staatskasse mindestens 500 Mark ein. — Von R. Fritzsche'S Kursbuch für Sachsen, das übrige Mitteldeutschland, Böhmen und die hauptsächlichsten Anschlußbahnen in Nord- und Süddeutschland, sowie Schle sien ».ist die Sommerausgabe erschienen. Dieselbe ent hält die vom l. Mai ab giltigcn Fahrpläne der Eisenbahnen, Fahrposten und der Sächsisch-Böhmischen Dampfschiffe und außer einer überaus klaren Eiscnbahnkarte de« dichten säch sischen Netzes eine solche für Mitteleuropa. Der Inhalt dieses für jeden Reisenden werthvollcn Kursbuches hat sich in einer verhältnißmäßig kurzen Zeit von ehemals 80 auf gegenwärtig 166 Seiten erweitert, trotzdem ist der Preis noch derselbe geblieben und beträgt nur 40 Pf. pro Exemplar. Besonders werthvoll ist da« Merkchen dadurch, daß übersichtliche Zu sammenstellungen der direkten Wagen, der direkten Eisenbahn- Verbindungen zwischen allen größeren Städten und Bade orten, sowie Rundreise- :c. Fahrkarten und Fahrkartenpreisc Aufnahme darin gesunden haben. Amtliche Mittheilungen aus der Sitzung des Stadtraths vom 4. April 1895. Vorsitzender: Bürgermeister vr. Körner. Anwesend: 4 Rathsmitglieder. 1) Der Rath tritt den Entschließungen der Einschätzungs- Kommission auf die Anlagenrcklamationcn allenthalben bei. 2) Von der obsiegenden Entscheidung in der Administrativ- Justizsachc des Ortsarmen-VerbandeS Eibenstock gegen Lichtenau nimmt man Kenntniß, ebenso 3) von der Bestätigung des Hcbammenstatuts. Der Rath beschließt hierzu, die Beiträge von den Hebammen vom I. Juli 1894 ab nachzuerheben. 4) Von den Ucbersichtcn der Stadt- und Sparkasse aus den Monat März wird Kenntniß genommen. 5) Der Geburtstag Sr. Majestät des Königs soll, wie bis her üblich, gefeiert werden. 6) Die Vorschläge des Wasserleitungsausschusses über Ver gebung der Wasscrleitungsarbeitcn und wegen Verwendung von Hydranten neuerer Art werden vom Rath allenthalben zum Beschluß erhoben. 7) Das mit den Grundstücksbesitzern wegen Uebcrnahme der LeitungSscrvitut getroffene Abkommen findet unter der Voraussetzung Genehmigung, daß al« herrschende Grund stücke die im Besitze der Stadt befindlichen HauSgrund- stücke und alle sonst an die Wasserleitung anzuschließenden Hausgrundslücke in der Stadt gelten sollen. 8) Von den Grundzügcn der Verordnung, die Gemeinde- stcnerverhältnisse, nimmt man Kenntniß; cS soll bei et waiger Neuausstellung de« Anlagenregulativ« hieraus Rück sicht genommen werden. 9) Von dem Reste der Anleihe sollen der Kirchengemeiude 5000 Mark dargeliehen werden. Außerdem kommen noch 16 innere Verwaltungsan gelegenheiten zum Vortrag und zur Beschlußfassung, die des allgemeinen Interesses entbehren, bez. zur Veröffentlichung nicht geeignet sind. Aus vergangener Zeit — für unsere Zeit. 28. April. lNachdruck verboten.) Am 28. April l853 starb der deutsche Dichter Ludwig Tieck, ein hervorragendes Mitglied der sogenannten romantischen Schule, der Wieder« beleber alter Sagen und Märchen. Die „Haimondslinder", die „Schild bürger", der „getreue Eckart", das „Rothkäppchen", die „Genoveva", „Melusine" und A. m. sind von ihm bald in Poesie, bald in Prosa in der ansprechendsten Weise behandelt worden. Den Gipfel der romantisch phantastischen Dichtung bildet der „Oktavian", in welchem Märchen und Zauber, Gesang und Dialog, Ironie und Satire mit einem solchen Glanze der Darstellung, mit einer solchen Pracht der Sprache auftreten, daß es in der Thal sinnverwirrend wäre, wenn man nicht bald entdeckte, daß sten Dichtung hat. Seine Uebersetzung Shakespeares ist heute noch die vollendetste deutsche Uebersetzung. Die Hauptepoche seiner literarischen Thätigkeit fällt, nachdem er in London seine Shakespeare-Forschungen beendet hatte, in seinen Aufenthalt in Dresden und Berlin, wohin er von König Friedrich Wilhelm IV. berufen worden. 29. April. Am 29. April 1824 ist der deutsche Dichter E. Brachvogel geboren, der sich aus kümmerlichen Verhältnissen und unter den Wechselfällen des Lebens zu einer angesehenen Stellung unter den hervorragenden Männern der deutschen Literatur empor zu arbeiten wußte. Sein dramatisches Meisterwerk „Narziß" errang einen großen, unbestrittenen Erfolg und wird noch immer viel gegeben, indeß reichten seine späteren Dramen nicht an dieses Werk heran, nur die „Harfenschule" und der „Sohn deS Wucherers" fanden lebhafteren Anklang. Dagegen entfaltete er auf dem Gebiete des Romans eine ebenso fruchtbare, als anerkannte Tätig keit; seine Romane, meist der Geschichte und Literaturgeschichte den Stoff entnehmend, wurden und werden viel gelesen. Er starb 54 Jahre alt. 30. April. Seinen 60. Geburtstag feiert am 30. April der 1835 geborene deutsche Maler Franz von Defregger. Ein Schüler des großen Meisters Piloty, hatten bereits seine ersten Werke „Joseph Speckbacher und sein Sohn" und der „Ringkampf" einen großen Erfolg, der sich in den näch sten Jahren mehr und mehr durch die meisterhaft vollendeten Genre bilder, deren Motive Defregger dem Leben seiner Hcimath entnahm und die vielfach mit feinem Humor gewürzt sind, befestigte. Neben diesen Bildern, unter denen besonders der „Salontyroler", der „Ball auf der Alm", der „Liebesbrief" zu nennen sind, schuf er auf historischem Gebiete ergreifende Gemälde, wie „daS letzte Aufgebot", „Andreas Hofer" und A. m. Defregger ist Professor an der Münchener Akademie. Keimgefunden. Historische Erzählung von Wilhelm Appell. Trotzdem der Februar noch nicht zu Ende, gab es im Jahre 1809 im südlichen Theile Tirol« bereit« die wonne vollste Frühlingszeit. ES war am späten Nachmittage, und in wolkenloser Klarheit breitete sich der Himmel über das Passeicrthal. Tiefe» Schweigen herrschte ring« umher, und nicht ein Lüftchen regte die Wipfel der hohen Bäume. Plötzlich tauchte auf eng gewundenem Waldespfade, der oft über Fclsentrümmer und Schuttgeröll emporführtc, eine recht sonderbare Gesellschaft auf. Voran schritt, bekleidet mit einem grauen Gewände, ein Mann von einigen vierzig Jahren, dessen Hände durch eiserne Handschellen gefesselt waren. Sein Gesicht war auf gedunsen und von krankhafter Blässe. Au« seinen tiefliegen den, dunklen Augen leuchtete ein unheimliche« Feuer, da« jedoch mehr nach innen al» nach außen zu brennen schien. Seine drei ihm nachfolgenden Begleiter waren bayrische Soldaten, denen da« ungewohnte Bergsteigen ebenso unbehag lich al« ermüdend war. Al« sie auf einen kleine», freien Platz gelangten, blieben sie auSruhend stehen, wozu sich auch der gefesselte Mann nicht erst heißen ließ, da er ebenfalls ziemlich ermattet war. Nachdem die Soldaten sich durch einen tüchtigen Schluck Branntwein gestärkt, nahm der Aelteste derselben, seiner Auszeichnung nach ein Korporal, die Feldflasche und hielt sic dem Sträfling an den Mund, welcher das ihm gebotene Labsal dankbar ent gegennahm. "Nachdem sie sich gemeinschaftlich auf einem mit Moos überzogenen Fclsblockc niedergelassen, theilte der Sträfling über eindringliches Fragen de« Korporal« mit, daß er durch volle zwanzig Jahre in Mähren aus dem Spielberge gesessen, wohin man ihn nach seiner Verurtheilung gebracht, da man seiner Verwegenheit wegen ein Tiroler Gefängniß nicht für sicher genug gehalten. „ES handelte sich um eine schwere Thal — ich hatte unschuldiges Menschenblut vergossen! Es ist grausig, mit einem Ermordeten, der nicht weichen will, die dunkle Kerker zelle theilen zu müssen; Tag und Nacht grinste er mich mit seinen glanzlosen, starren Todtenaugen an!" Mit scheuen Blicken sah der Sträfling vor sich nieder, nachdem er geendet. Die Mordthat desselben ließ die Soldaten jedoch ganz kalt, und der Korporal rief unter rohem Lachen: „Unschuldig vergossene« Menschenblut! Menschenblut floß, während Du im Kerker warst, in Strömen, daß es ein ganze« Meer hätte zum Ucbcrlaufen bringen können!" Hierauf machte es dem Korporal Vergnügen, in seiner derben Art u. Weise ein großartiges Stück Weltgeschichte an dem Sträflinge vorüberzichcn zu lassen, der noch keine Ahnung davon hatte, was sich die letzten zwanzig Jahre über zugetragen. Von der Erstürmung der Bastille und dem Königsmorde an gefangen, ging e« fort bi« auf die blutigen Ereignisse der letzten Tage. Dem Sträflinge wurde davon ganz wirr im Kopfe und er meinte, mit offenen Augen bei helllichtem Tage einen phantastischen Traum zu träumen. Als er aber auch erfuhr, daß Tirol seit einigen Jahren nicht mehr österreichisch, sondern Bayern angehörc, da sprang er erschrocken empor und starrte den Sprecher an, als könne er da« Vernommene nicht fassen. Als er meinte, daß ver Korporal wohl nur Spaß mit ihn, treibe, rief ihm dieser zu: „Tragen wir die weißen Jacken der Kaiserlichen? Du mußt doch sehe», daß wir bayrische Soldaten sind!" Während der Sträfling seine Blicke über die im Sonnen schein vor ihm liegenden Berge und Thäler schweifen ließ, klang es immer in ihm wieder: „Tirol ist nicht mehr österreichisch, Tirol gehört zu Bayern!" Nachdem sie wohl eine Stunde geruht haben mochten, zogen sie wieder weiter. Als sie zu einer Waldlichtung ge langten, von welcher aus der Weg zum Tyale führte, befahl der Korporal, abermals zu halten, mit der Hand hinunter deutend, sprach er gelassen zu dem Sträfling: „Dort liegt Deine Hcimath, und unser Dienst hat somit ein Ende. Um uns eine Mühe zu ersparen, kannst du Dich selbst beim Vorsteher melden, da es ohnehin nur eine leere Förmlichkeit ist." Nach diesen Worten wurden dem Sträflinge die Ketten geöffnet, und gleich darauf stand dieser frei und fessellos in mitten der Berge seine« Vaterlande«. Nachdem der Korporal ihm die Freilassung betreffenden Papiere übergeben und ihn, bedeutet, daß er sich damit innerhalb einer Woche in Meran zu melden habe, fügte er vertraulich hinzu: „Wenn die Herren drunten geheime Dienste von Dir verlangen sollten, so sage frischweg zu, gewiß bringt cs Dir Glück!" Nach kurzem Abschiedsgruße entfernten sich die Soldaten, und gleich darauf befand sich der Sträfling allein inmitten der tiefen Einsamkeit. Die Sonne neigte sich bereits zum Scheiden, und die Gipfel der mächtigen Bergriesen begannen sich mit rosigem Schimmer zu umziehen; es dauerte nicht lange, so schien es, als seien sie in leuchtendem Purpur getaucht. Nach zwanzig Jahren sah er zum ersten Male wieder da« Alpenglühen! Auf einmal erklang melodisch vom Thale herauf das Abendläuten. Rasch eilte er zu einer Stelle hin, die ihm freie Ausschau ins Thal hinab gewährte. Da sah er drunten seine Hcimath liegen u. am äußersten Ende derselben sein Vater hau«. Ob die Seinen wohl noch leben mochten, die guten Eltern und Weib und Kind? Er war wieder daheim im theuren Vaterlande! Stromweisc stürzten ihm die Thränen au« den Augen, laut aufschluchzend warf er sich in da» Moos, und mit beiden Armen umfing er den Boden der geliebten Hcimath. Und während er so da lag, klang das Abendläuten ruhig weiter, und in immer überwältigenderer Pracht erglühten die hohen Alpenfirnen. — Das Abendläuten war längst verstummt, und auch da« Alpenglühen begann zu erblassen, al« der Sträfling sich erhob, mit der Hand die Augen trocknend. "Nachdem er wieder ruhiger geworden, war c« ihm unerklärlich, wie er einem solchen Sturme der Erregung zum Opfer fallen konnte. Vorüber war e« nun mit der überströmenden Freude, anstatt welcher tiefe Bitterkeit Einkehr bei ihm hielt. Wohl befand er sich wieder in seiner Hcimath, aber al« entlassener Sträf ling war er zurückgckehrt. Wer würde ihm wohl die Hand zum Gruße reichen und ein herzliches Wort de« Willkommens gönnen! Die Nachbarsleute und die ehemaligen Freunde und Bekannten hieß es nun meiden. Er meinte, daß er nach zwanzigjährigem Alleinsein in öder Kerkerzelle den Umgang mit Menschen entbehren gelernt haben werde. Mit einem Theile derselben mußte er aber doch verkehren und zwar mit seinen Angehörigen. Bei dem bloßen Gedanken an da« Wiedersehen mit ihnen überlief ihn ein leiser Schauer. Wie sollte er seinen ehrenhaften Eltern entgcgentreten, und wie seinem Weibe und seinem einzigen Kinde! Rasch schritt er dann dem Dorfe entgegen, von woher da« Abendläuten erklungen. Die Sonne war allmählich hinabgesunkcn, dafür aber der Mond am Himmel hinaus gestiegen, mit seinem bleichen Silberlichte Berg und Thal umziehend. Der Sträfling hatte eine ziemliche Strecke Wege« zurückgelegt, al« seine Schritte langsamer wurden und er in
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