Volltext Seite (XML)
Oft genug entdeckte ich Blutspuren auf der Toilettenbrille, fand ich gebrauchte Injektionsnadeln. Abends hörte ich ihn stöhnend über den Kor ridor gehen - ein leises, seuselndes Jammern, das ich anfangs für sich im oi Dachstuhl verfangenen Wind hielt. Er lief immer den Korridor entlang, wenn er litt, vor und zurück, vor und zurück, das eine Ziel war die Tür zum Treppenflur, das andere die zur Toilette, über deren Holzrahmen ein kleines, batteriegespeistes Lämpchen angebracht war, das mattrotes Licht abwarf. Am jeweiligen Ende angelangt, berührte er die Klinken und schaute auf die Uhr, lief und jammerte, lief und jammerte. Zuweilen vernahm ich Straßenlärm aus seinem Zimmer, den er sich von einem •I Kassettenrecorder vorspielte, wenn es Nacht war und dÄunkel und still. Oder ich hörte Szenen des Streits, die er aufgenommen hatte, um sie sich wieder und wieder anzuhören. Bestimmte Einsätze spulte er mehrmals zurück und ließ sie in verschiedener Lautstärke und Geschwindigkeit ablaufen. Aber nicht nur Straßenlärm und Streitszenen hielt er auf diese Art fest, sondern alles, was zu seiner äußeren Realität gehörte: das Rauschen der Toilettenspülung, das Knarren der Tür, das Pfeifen des Teekessels oder das schlurfende Geräusch seiner Schritte. Das montierte er dann zu einer wirren Aufeinanderfolge von Geräuschen, Tönen und Worten um. So pfiff der Teekessel in dem Augenblick, in dem die Toilettenspülung einsetzen müßte, knarrte mitten im Straßenverkehr eine Tür, oder es wurde plötzlich zwischen den Schritten ein 'Wort oder ein Halbsatz gesprochen, der keinen Sinn ergab, etwa so: Schrittgeräusch (schlurfend), Schrittgeräusch (schlurfend), Schrittgeräusch (eilig), Worte (Streit), Schrittgeräusch (schlurfend), Schrittgeräusch (schleppend), 1 Wort (Ende), Straßenlärm (Autos, Straßenbahn, Brems-, Hup-, Klingplge- räusche), Schrittgeräusch (schleppend), Worte (Versöhnung, dann wieder Streit), Pfeifen des Teekessels und so weiter. Er erfreute sich an dem Gedanken, eine Wirklichkeit durcheinandergebracht zu haben, an der er keinen Anteil mehr hatte, die ohne ihn ablief.
