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sprach in der offensten Weise mit mir über ihre Ver hältnisse. ES war die alte Geschichte von Armuth und Un glück; der Tod hatte unbarmherzig einen im blühenden Lebensalter stehenden tüchtigen Mann aus dem Kreise der Seinen gerissen. Da galt eS, sich durch eigener Hände Arbeit zu ernähren. Nelly war damals noch ein Kind, ein Umstand, der die Lage der Wittwe sehr erschwerte. Und die alte Frau mit dem runzeligen Antlitz und dem gebeugten Rücken erzählte mir, wie sie sich abgearbeitet und gequält habe, wie oft sie der Verzweiflung nahe gewesen sei. Dan» war Nelly herangewachsen und seit der Zeit hatte alle Roth ein Ende. Sie stand ihrer Mutter getreulich bei und opferte sich für sie auf. Nelly war stets eine gute Tochter gewesen. ES wurde Zeit für mich zu gehen. Ich hatte mich schon zu lange aufgehalten. Ich erhob mich, um mich zu verabschieden. Da klopfte eS an die Thür — ein, zweimal. Der Besucher hatte offenbar Eile. Nelly sprang auf. Sie erröthete. Wußte sie etwa, wer da vor der Thür wartete? „Guten Tag, Nelly! Hast Du Dich sehr nach mir gesehnt?" ES war eine tiefe, männliche Stimme: sie kam mir so merkwürdig bekannt vor. Wer trat so ungenirt ins Zimmer, wer drückte der Alten so herzlich die Hand, wer legte völlig un befangen, als sei eS das natürlichste Ding von der Welt, seinen Arm um Nellys schlanke Taille? Wer anders, als der Adjutant, dieser Morrison, dieser AllerweltSmensch! Er hatte mich nicht sogleich gesehen. Doch jetzt gewahrte er mich, und ich muß gestehen, mir ist selten ein so verwundertes Gesicht begegnet. Eine Minute lang standen wir einander schwei gend gegenüber. Nelly hatte Morrisons Arm, auf den sie ihre Hand soeben gelegt, losgelassen, sie blickte uns mit großen Augen an. Auch die Mutter schwieg. Sie fand gewiß, daß Alles in Ordnung sei. „Mr. Moore," begann der Adjutant mit leiser Stimme, „Sie hier?" Aber er wurde von mir unterbrochen: „Ja, Mr. Morrison, ich bin hier! Störe ich etwa? Bin ich Ihnen im Wege?" « Ich hätte vielleicht noch mehr gesagt, wenn Nelly mir nicht zuvorgekommen wäre. Sie trat schnell . zwischen uns und sagte mit dem ganzen Takt eines zartfühlenden jungen Mädchens: „Mr. Moore, erlauben Sie, daß ich Ihnen in Mr. Morrison meinen Verlobten verstelle." Und jetzt war mir Alles klar. Das Bild, das hübsche Bild! Da stand ja das Original leibhaftig vor mir. Und ich mußte gestehen, das Original war tausend mal anziehender als das Bild. Mit wenigen Worten theilte nun Nelly ihrem Verlobten mit, auf welche Weise ich hierher gekommen war. Sie übertrieb tüchtig — nach ihrem Berichte hatte ich eine wahre Heldenthat verübt! Und doch war eS nur ein wildes Pferd. Du großer Gott, es ist oft weit schwieriger, einen Menschen zu zähmen, der von Sinnen ist, als ein Thier. Morrison trat an mich heran. Ohne ei» Wort z» sagen, reichte er mir die Hand und ich drückte sie ihm herzhaft. In diesem Augenblick fühlten wir Beide, daß der alte Groll geschwunden war. Die Vergangenheit war ausgelöscht. Nelly strahlte. Ihr Verlobter erzählte ihr, woher wir uns kannten. Unserer Feindschaft erwähnte er nicht weiter. Nelly versicherte, sie freue sich herzlich darüber, daß wir Kameraden seien. Kameraden! Gemeinsame Sache — der Brief — Ich bat Morrison, mir eine kurze Unterredung unter vier Augen zu gewähren, worauf sich das junge Mädchen sofort zurückzog. Was ich sagte, versteht sich von selbst. Henry Morrison ging, ohne sich zu besinnen, auf meinen Vorschlag ein. Er selber wußte nicht das Geringste. Mr. Forster sah er so gut wie gar nicht. Sein Dienst nahm ihn völlig in Anspruch und aus dem alten Thomas war nichts herauszubringen. Eine Zeitlang wollte er die Sache jedoch noch mit ansehen. Nelly Leigh kehrte zurück. Wir nahmen Abschied von einander. Sie bat mich, Morrison bald einmal zu begleiten. Ich ging — und Morrison blieb. Als ich aber wieder auf die Straße kam, zog ich ein Couvert aus der Tasche und gleich Schneeflocken tanzten die weißen Papierstückchen im Winde. XIII. ES ist Abend geworden. Ich gehe in meinem Zimmer auf und nieder. Ich warte auf einen Be such, der bald kommen muß. Tiefe Ftnsterniß herrscht draußen wie drinnen. Ich habe kein Licht angezündet. Wäre doch dieser Besuch erst überstanden. Die Aufklärungen, die Percy Barter mir geben wollte. — Pah! das kleine Messer in meiner Tasche war tausendmal mehr werth. Und gerade des Messers wegen wünsche ich, daß Percy BarkerS Besuch erst vorüber wäre. Wenn .er sich nur nicht lange aufhalten wollte, ich habe heute Abend noch sehr viel auszurichten. Was für eine Persönlichkeit warij Mr. Percy Barker im Grunde? Hatte der Zufall ihn so hoch steigen lassen oder wär er in der besten^Bedeutung des Wortes u sslkmulle mun? Und in großen Umrissen zieht die Lebensgeschichte des amerikanischen Millionärs an mir vorüber, — die Bilder verweilen einen Augenblick und verschwin den dann wieder im Dunkeln. Eine wunderbare Lebensgeschichte! Wer weiß, was wahr ist, was erdichtet ist? Niemand außer Percy Barker selber ist im Stande, diese Frage zu beantworten. Es war zu der Zeit, als das Goldfieber im Lande raste. Nach Kalifornien! Nach Kalifornien! fort nach dem gelobten Land! Und das Fieber, das ent setzliche Fieber steckte Tausende, ja Millionen von Menschen an, mit glänzenden Augen und umnebelten Sinnen gaben sie der dämonischen Macht wider standslos nach, es war ein langer wogender Zug, ohne Anfang, ohne Ende, ein Zug von fieberkranken, wahnbefangenen Menschen, — man entsetzte sich bei dem unheimlichen Anblick, man wandte sich schaudernd ab, — oder auch, -man schloß sich dem Zuge an. — Und unter der unabsehbaren Schaar befand sich auch Percy Barker. Er war zu jener Zeit noch sehr jung, und er war arm. Er dachte wie alle Anderen, — wenn sie überhaupt dachten —: „Mit einem einzigen Hieb deiner Hacke, mit einem Spatenstich kannst du im Besitz unermeßlicher Reichthümer ge langen, weshalb zögern? Weshalb Andere den Vor sprung'gewinnen lassen?" Ein unermeßlicher Reich- thum — das stärste Gehirn konnte bei diesem Ge danken ein Schwindel ergreifen. Percy Barker wurde Goldgräber. San Francisco war sein Ziel. — (Fortsetzung folgt.) Erzgebirgische Gewerbe und Industrie- Ausstellung zu Freiberg 18S4. Der seitherige Erfolg der unter Aufwand einer riesenhaften Reklame lind eines nicht geringen Theiles echt amerikanischen „Humbugs" ins Leben gerufenen Weltausstellung zu Chicago scheint wieder einmal jenen pessimistisch Gesinnten Recht geben zu wollen, die allen Ausstellungen mißtrauisch, ja feindlich gegen überstehen und die, wenn sie auch die realen Erfolge einer derartigen Veranstaltung nicht mit einer vor nehmen Handbewegung Hinwegzuweisen vermögen, doch jeder derselben ein gewichtiges „Aber!" . . . entgegen zustellen wissen. Aber es scheint nur so! Denn wenn auch die Weltausstellungen mit ihrem ungeheuren und schwerfällig arbeitenden Apparat sich überlebt haben mögen; — wenn auch bei Fabrikanten und Unternehmern eine gewisse Ausstellungsmüdigkeit Platz zu greife» scheint, — wenn auch die großen Ausstellungen Manches in ihrem Gefolge haben, das als unsittlich und beschämend empfunden werden muß; — es sei nur an das sinnlose Ueberbieten der Con currenten, an das Haschen nach Medaillen und Aus zeichnungen, an das Ueberwiegen äußeren Schimmers vor der inneren Solidität erinnert, — so darf doch gesagt werden, und zahlreiche, gewichtige Erfahrungen der letzten Jahre beweisen es zur Genüge, daß die Ausstellungen im kleineren Rahmen, insbesondere die Ausstellungen, die einen geographisch bestimmten LandeStheil zur Bethätigung heranziehen, die Rach- theile einer Ausstellung in verschwindend kleinem Maße empfinden lassen — wohl aber immer sich größerer Bortheile erfreuen durften. In unserer Aera der socialpolitischen Gesetzgebung, da die Frage der Hebung des Kleingewerbes und Handwerkes erbitterte Kämpfe hervorruft, sind die Ausstellungen ein gewiß nicht zu unterschätzendes Mo ment zur Erreichung dieses Zieles. Sie sind überall da nöthig, wo Leistungsfähigkeit und Sinn für das Schöne und Formvollendete den hochgesteigerten An forderungen der Zeit genügen sollen, wo der Fabrikant, der Handwerker, der Gewerbetreibende sich Rüstzeug schaffen wollen und müssen für den harten, unerbitt lichen Kampf des freien Wettbewerbes. Gar manche Erscheinung des öffentlichen Lebens unserer Zeit heischt ernste Beobachtung und mancher schädliche Auswuchs eines gewissenlosen GeschäftSgebahrens kann nur auf dem Wege der Selbsthilfe mit Erfolg bekämpft werden. Wie verbreitet, um nur Einiges anzuführen, ist leider die Anschauung, daß eine Waare nur dann etwas taugt, wenn sie „weit her" ist; wie oft auch decken die Consumenten ihren Bedarf an Artikeln irgend welcher Art bei weit entfernten Producenten, da sie von der vielleicht größeren Leistungsfähigkeit der ihnen nahe Wohnenden keine Kenntniß haben; - und wenn marktschreierische Reclame oft Maaren auf den Kauf markt schleudert, die selbst bei dem allerbilligsten Preise noch viel zu theuer bezahlt sind, — tragen nicht oft genug heimische Industrie und Gewerbe selbst die Schuld, daß durch allzu bescheidene Zurückhaltung oder Muthlosigkeit der Werth der soliden Arbeit herabgesetzt wird? So haben Industrie und Kleingewerbe ein natür liches Interesse an dem Zustandekommen einer Aus stellung, die über den engen Rahmen einer Stadt hinausgreifen und den großen Kreis des Erzgebirges heranziehen will; und eine Veranstaltung solcher Art, die zur Hebung der Industrie und des Handwerks thatkräftig beitragen will, verdient gewiß den Dank und die Unterstützung der hervorragend betheiligten Kreise. - Die altberühmte Bergstadt Freiberg, die nicht nur durch ihren Bergbau, sondern auch durch ihre seit altersher bestehende, bedeutend entwickelte Industrie eines guten Rufes weithin genießt, — sie rüstet gegen wärtig, wie in Nr. 137 d. Bl. bereits bekannt ge macht wurde, an einer Gewerbe- und Jndustrie-AuS stellung! Drum wacker und fröhlich an's gute Werk, damit auch hier zur Wahrheit werde das schöne Wort des Dichter«: „Tausend fleiß'ge Hände rege», Helsen sich in munter'm Bund, Und in feurigem Bewegen Werden alle Kräfte kund!" — Vermischte Nachrichten. — Eins der interessantesten und neue sten Schiffe ist ein Fahrzeug der englischen Flotte, welches bei den diesjährigen Seemanövern zum ersten Male verwendet wurde. ES dient dazu, eine Anzahl kleinerer Torpedoboote für ein Geschwader an Bord zu nehmen, sie mit TorpevoS, Kohlen und Mann schaften zu versehen, zum Gefechte sie ins Wasser zu lassen, während des Marsches sie wieder auszunehmen und die nöthigen Reparaturen bei ihnen an Maschi nen und Schiffskörpern ausznführen. Dieser Tor pedoträger „Vulkan" ist mit Werkzeugmaschinen aller Art, mit Schmieden und sogar mit einem kleinen Schmelzofen zur Herstellung von Gußstücken ausge rüstet. Die Besatzung besteht außer dem erforder lichen seemännischen Personal au« Handwerkern »nv Mechanikern. Dieses ausschließlich als „Zentrale einer mobilen Bertbeidigung" gebaute Fahrzeug, wel ches nebenbei 20 Knoten läuft, kann überdies größere Reparaturen für die übrigen Schiffe des Geschwaders ausführen und ist insofern von unschätzbarem Werthe, als eS eine Anzahl von Schiffen im Falle einer Havarie gänzlich davon entbinden kann, einen Hafen aufsuchen zu müssen. Der „Vulkan" ist in Poris-» mouth gebaut, hat eine Wasserverdrängung von 6620 t und ist ganz aus Stahl hergestellt. Sein Panzer schutz besteht nur aus einem Stahldeck, dessen Dicke zwischen 6 und 12 ei» schwankt, dagegen ist das ganze Schiff in 140 wasserdichte Abheilungen getheilt und besitzt eine große Schwimmfähigkeit. Die beiden drei- cylindrigen Maschinen entwickeln bis zu 12,000 Pferde kräfte bei „forcirtem" Zuge, welchen eine Geschwindig keit von 20 Knoten entspricht. Der Kohlenvorrath ist derartig, daß 12,000 Seemeilen bei einer Ge schwindigkeit von 10 Knoten zurückgelegt werden kön nen und beträgt rund 1000 t. Der „Vulkan" dient gleichzeitig als Torpedojäger, ist mit acht 4,r pfündigen und zwölf 3 pfündigen Schnellladekanonen ausgerüstet und führt 4 Torpedolanzirrohre und Torpedonetze zur Abwehr von Torpedoschüssen. Die mitgeführten Torpedoboote werden mittels zweier mächtiger Kräne von 12 in Ausladung und 20 t Tragfähigkeit zu Wasser gelassen. Die Kräne werden hydraulisch be wegt und können auf Grund ihrer weiten Ausladung die Torpedoboote selbst bei heruntergclassenen Torpc- donetzen aussetzen. Der „Vulkan" ist bis jetzt das einzige Schiff dieser Art; ein ähnliche» Fahrzeug, „La Foudre", befindet sich in Frankreich im Bau. Außer diesen beiden Fahrzeugen können nur die großen Panzerschiffe der italienischen Flotte wirkliche Torpe doboote an Bord nehmen. — Jungfrauen-Versteigerung. Der Stadt St. Goar flössen nach noch vorhandenen alte» Rech nungen aus der Versteigerung der Jungfrauen im 1b. bis ins 18. Jahrhundert jährlich 20 bi« 30 Thaler in ihre Kasse. Auf Ostermontag nämlich wurden alle Jungfrauen auf dem Rathhause an dis jungen Männer versteigert, was dann die Folge halte, daß die angesteigerte Jungfrau da» ganze Jahr hin durch nur mit ihrem Ersteigerer tanzen durfte. ES blieb daher sehr häufig nicht au», daß durch da« engere Beisammensein au« der lieblichen Tänzerin eine geliebte Gattin wurde. — Versäumter Anschluß. Gesängnißgeistlicher (zu einem neuen Sträfling): „Mein Sohn, was ist die Ursache Deine» Hierseins?" — Sträfling: „Ich habe den Anschluß an einen Zug versäumt, Hoch würden." — Gesängnißgeistlicher: „Und deswegen sind Sie hier? Wie ist da» möglich, mein Sohn?" — Sträfling: „Ich war Bankkassirer und habe den An schluß an den Expreßzug versäumt." — Eiliger Freier. Fräulein: „Nun, ich denke doch, ehe wir uns heirathen, müßten wir uns vorher noch näher kennen lernen." — Herr: „Wieso denn? Haben wir nicht dazu während unserer Ebe die beste Gelegenheit?" — Auch ein HeirathS-Gesuch. „Dame, jung, hübsch, geistreich, arm, wünscht Herrn mit den entgegengesetzten Eigenschaften behufs glücklicher Ehe kennen zu lernen." Druck und vertag von S. Hannebohn in Eibenstock.