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weg Söhne von Rittergutsbesitzern. Daß in dem Hannoverschen Fall gerade Offiziere und fast nur Offiziere al« Zeugen und Opfer der Spielgauner erscheinen, ist eine bloße Zufälligkeit, denn e« ist aller Welt bekannt, daß die Spielwuth alle Schichten de« Volke« gleichmäßig ergriffen hat. Mußte doch die preußische Staat«lotterie wiederholt die Zahl ihrer Loose vermehren und werden doch in Preußen die dort verbotenen Loose der Hamburger, braunschweig ischen und sächsischen Landeslotterie massenhaft ver trieben. Aber auch dem Hazardspicl in seinen ver schiedensten Formen wird in Privatzirkeln stark ge huldigt und e« hält schwer zu sagen, ob die kleineren Orte darin den Hauptstädten mit ihren feinen Klub« keine ebenbürtige Konkurrenz machen. Pessimisten wollen in diesen und ähnlichen Er scheinungen die Anzeichen für die beginnende Auflös ung der bürgerlichen Gesellschaft sehen. Indessen — e« fehlt ihnen der historische Vergleich mit den Zu ständen früherer Zeiten. Wir leben in einer Zeit der Oeffentlichkeit und der Kritik, die alles Schlimme vor ihr Forum ziehen und dadurch bessern. Wenn also auch heutzutage mehr schlimme Dinge bekannt werden al« früher, so läßt sich darau« noch nicht so ohne Weiteres folgern, daß sich die schlimmen Dinge vermehrt haben. DaS soll aber durchaus kein Schönpflästerchcn auf Eiterwunden sein. Selbstzucht thut unserm Volke noth und de» Kreisen nicht zum wenigsten, denen gegenüber die Kritik einen strengen Maßstab anzu legen geneigt ist: den Kreisen, welchen durch Geburt und Tradition eine bessere Lebensstellung al« Millionen ihrer Mitmenschen angewiesen ist. Sie sollten pein lich darauf halten, durch soliden Lebenswandel als leuchtende Beispiele zu dienen, statt daß sie — wie es der Hannoversche Prozeß dutzendfach dargethan hat — in einer Nacht Summen verthun, durch die so mancher strebsame Familienvater sich und den Seinen dauernd eine sorgenfreie Existenz schaffen könnte. Hoffentlich hat der Prozeß das Gute, daß er reinigend wirkt und dadurch einem Ucbel Einbalt gebietet, das unser ganzes Gesellschaftsgebäude mit Zersetzung be droht. HagesgeschLchle. — Deutschland. Wie verlautet, uimmt der Kaiser den lebhaftesten persönlichen Ankheil an den schwebenden Handelsvertrags-Verhandlungen mit Rußland. Wiederholt hat er sich hierüber Vor trag halten lassen, neuerdings vom Reichskanzler selbst. Der Stand der Angelegenheit ist indessen seit dem Abschluß der sogenannten ersten Lesung der beider seitigen Tarife unverändert und es ist nicht anzu nehmen, daß er sich binnen Kurzem ändern wird. In den hiesigen RegierungSkreiscn hat man sich schon vor Beginn der neuen Unterhandlungen keine allzu großen Hoffnungen gemacht und gegenwärtig ist die Stimm ung womöglich noch mehr herabgegangen. Man hat diesseits nicht nur die Möglichkeit des völligen Scheitern der Verhandlungen ins Auge gefaßt, sondern sich be reits längst darauf eingerichtet. Von dem Augenblick deS abermaligen Abbruch« an Weeden für diejenigen russischen Artikel, die bisher zollfrei »ach Deutschland eingeführt werden konnten, ebenfalls hohe Kampfzölle angesctzt werden. ES ist dies keineswegs eine bloße Drohung, sondern ein ernster Vorsatz, der unter allen Umständen zur Ausführung gebracht werden soll. Ruß land hat dagegen bereits seit dem 1. August alle Zvll- kampfmaßregeln gegenüber Deutschland so vollständig zur Anwendung gebracht, daß ihm in dieser Hinsicht nicht« mehr zu thun übrig bleibt. — Als eine Folge de« neuen, am I. Oktober in Kraft getretenen Militärgesetzes ist cs wohl zu be trachten, daß die vorgeschriebene Mindestkörper- größe der für die Infanterie auszuhebenden Re kruten von l,»7 Mtr. auf 1,»4 Mtr. herabgesetzt worden ist. Auch für den Train hat die gleiche Herabsetzung Geltung, während es für die übrigen Waffengattungen bei den bisherigen Maßen verblieben ist. - — Berlin. Der.Reichsanzeiger" meldet: Der Generaldirektorder Weltausstellung in Chicago sandte anläßlich de« Schluffes der Ausstellung dem deutschen Reichskommissar ein Telegramm, worin mit warmen Worten ausgesprochen wird, daß man, ob wohl das Ende der Ausstellung unter dem Schatten einer großen Tragödie stehe, doch der Betheiligung Deutschlands mit höchster Genugthuung gedenke und dem Deutschen Reiche, sowie seinem erhabenen Herr scher für immer dankbar bleiben werde. — Schneidemühl. Der Wasserau-bruch an der neuen AuSbruchstelle hat sich vermindert. Der Brunnenmetster Beyer erklärte, zur Zeit sei eine Gefahr nicht vorhanden, die Thonschicht sei 35 Meter stark und nicht lädirt. Der Brunnen wird nunmehr vollständig geschlossen werden. Einige Häuser zeigen neue Riffe. Falls neue Erdrutsche eintreten, wie nicht ausgeschlossen ist, so wird der gefährdete Stadt- theil schwerlich zu retten sein. — Eine spätere Nach richt au« Schneidemühl unterm 4. November be sagt: An der AuSbruchstelle fließt heute viel Wasser au«, da« große Thonstücke mit sich führt. Gleichzeitig entströmt auch dem Ausflußrohr viel Wasser. Brunnen meister Beyer nimmt an, daß mehrere Wafferschichten im Thonlager vorhanden sind. Derselbe beabsichtigt, an der AuSbruchstelle ein sechSzöllige« Rohr in die Tiefe zu führen, um alle Wafferschichten abzzifangen. Die Lage ist bedenklicher geworden. — Schleusingen i. Thür. Am vorletzten Sonn tag wurden die Mannschaften de« Beurlaubtenstandes im Kreise Schleusingen durch Radfahrer mobil gemacht. Aus dem Bahnhofe Suhl tras Mittag« um 12 Uhr 50 Min. eine Militärperson mit 1500 Gestellungsbefehlen ein, welche für die in 51 Ort schaften des Kreises Schleusingen wohnhaften Mann schaften de» BeurlaubtenstanbeS bestimmt waren. Am Bahnhöfe nahmen 15 Radfahrer die Ordre« in Empfang und fuhren nach den Hauptpunkten ab. Von diesen gingen die Befehle durch Fußboten den einzelnen Orten und Mannschaften zu. Die Letzteren fanden sich trotz strömenden Regens sofort an den befummle» Plätzen ein. — In Paris soll kürzlich da« Wort gefallen sein: .Wir müssen unsere Revanche zunächst aus dem finanziellen Schlachtfelde nehmen!" Da die deutschen Finanzen denn doch gegen französische Angriffe allzu widerstandsfähig sein würden, so hat man sie vorläufig auf die Bundesgenossen Deutsch lands gerichtet. Italien soll durch die Herabrrückung deS Kurses seiner Rente möglichst geschwächt werden und schon ist auch die Pariser Börse gegen die ungar ische Goldrentc mobil gemacht worden. Es ist kein Zufall, daß sich inmitten deS jüngsten Kursrückganges allein die russischen Werthe fest behauptet haben. Glücklicherweise scheint man endlich an unseren leiten den Stellen die Bedeutung und den Zweck deS Pariser Kesseltreibens gegen die italienische Rente erkannt zu haben. Der Artikel der .Nordd. AUg. Ztg." über die Finanzverhältnisse Italiens legt davon Zeugniß ab. Hoffentlich wird man hi,r weiter in dieser Richt ung die Augen offen halten. Man hat dabei nicht allein die Interessen unserer Bundesgenossen, sondern auch vieler deutscher Steuerzahler wahrzunehmen, die im Vertrauen auf unser Bundesverhältniß zu Italien und Oesterreich Ungarn ihre russischen Papiere abge stoßen und dafür italienische und österreichisch-ungar ische eingekauft haben. In Frankreich hofft man daher auch, mit den Angriffen auf die italienische Rente zu gleich daS deutsche Nationalvermögen entsprechend zu schädigen. Die finanziell geschwächten Bundesgenossen glaubt man später auf dem eigentlichen Schlachtselve desto sicherer und leichter besiegen zu können. Aber diese Rechnung ist hoffentlich ohne den Wirth gemacht. Die Allmacht der Pariser Börse ist zugleich mit der französischen Vorherrschaft im Jahre >870 aus abseh bare Zeit hinaus zerstört worden. Loeale und sSchfische Nachrichten. — Schönheide. Unsere Gardinen- und Posa- menten-Jndustrie hat einen glänzenden Erfolg zu ver zeichnen, indem die von Herrn Kaufmann Viktor Oschatz hier ausgestellten Fabrikate auf der Chicagoer Weltausstellung prämiirt worden sind. — Leipzig. Seit einigen Tagen werden aus den hiesigen Stadltheilen Neuschönesclv und Neuseller- hausen zwei Personen vermißt, die 20jährige Emma Zander auS Halberstadt und der 17jährige Schreiber Iaperoce aus Breslau. Von beiden Ver mißten wird vermut hek, daß sie sich ein Leid angc- than haben. — AuS Leipzig schreibt man: Daß unter den Arbeitern hier immer noch genügende Mittel vorhan den sind, wenn e« gilt, der Partei neue Gelder zu zuführen, beweist der Umstand, daß in den letzten 14 Tagen an das sozialdemokratische Agitationskomitee für Leipzig und Umgegend aus den Kreisen hiesiger Sozialdemokraten die stattliche Summe von 2400 M. abgeliefert worden ist. — Oschatz. Am Donnerstag Morgen gegen '^8 Uhr wurde, wie daS .Leipz. Tgbl." berichtet, durch eine Explosion, vermuthlich durch Dynamit herbcigeführt, große Zerstörung im RestauralionS- lokale de« Gasthauses zum .Roß" angerichtet. Im Buffet wurden sämmtliche Slammgläser u. A. m. zertrümmert; von den in der Nähe befindlichen Tischen und Stühlen flogen die Beine fort und sämmtliche Fensterscheiben des Lokals sprangen in Stücke. Eine Verwandte des Wirthes, welche sich am Buffetschranke befand, trug nicht unerhebliche Brandwunden an den Armen und im Gesichte davon. Wie der ExplosionS- stoff in das Buffet gekommen, ist bisher vollkommen unerklärlich. Zwei Fremde und der Kellner, welche sich noch im Lokale befanden, kamen mit dem Schrecken davon. — Au« dem Vogt lande. Ta die billigen Biehpreise im Vogtlanbe und im benachbarten Bayern sich erhalten, weil da« Futter nach wie vor knapp ist, so ist auch der Preis de« Rind- und Schöp senfleisches fortgesetzt niedrig. Während da erstere in bester Qualität mit 50 Pf. pro Pfund ver kauft wird, kostet fette« bayerisches Schöpsenfleisch in OelSnitz daS Pfund gegenwärtig nur 25 bi» 30 Pf. — Nach Einstellung der Rekruten erscheint e« am Platze, wiederholt auf eie wichtigsten Bestimm ungen über die portofreien Sendungen an die aktiven Mannschaften, welche Begünstigungen sich bi» zum Feldwebel erstrecken, hinzuweisen. Die Adresse muß die genaue Bezeichnung der Kompagnie, Eskadron rc., sowie da« Regiment, resp. Bataillon, Batterie oder Abtheilung, den GarnisonSort und den Vermerk: .Soldatenbrief. Eigene Angelegenheit de« Empfänger«" enthalten. Da« Gewicht einer derartigen Soldaten- bries-Sendung darf nicht mehr al« 60 Gramm be tragen. Postanweisungen mit Beträgen bi« zu 15 M. kosten nur 10 Pf., Packele bi» zu 3 Icg auf alle Ent fernungen nur 20 Pf. Porto. Aus vergangener Zeit — für unsere Zeit. Am S. November 1813 wurde Napoleons I. Hauptquar tier nach Frankfurt a. M. verlegt. Das ganze rechte Rhein ufer war jetzt von den Franzosen geräumt; nur SO) Geschütze und 70,000 Mann hatte Napoleon von der ganzen großen Arniee, die er ausgeboten, nach Frankreich zurück gerettet. Und auch dieser Rest brach übermattet zusammen, sobald er mit den letzten Kräften den heimischen Boden erreicht hatte. Namentlich der Typhus wüthete furchtbar ini sranzösischen Heere. Napo leons Lage wurde unter diesen Umständen allmählich eine ver zweifelte, umsomehr als er auch die Undankbarkeit derer kennen lernen mußte, die er selbst einstmals emporgehoben. 6. November. Unter all' den Männern, die der Guillotine in Frank reich vor hundert Jahren zum Opfer fielen, erweckt zweifellos das geringste Mitgefühl der Herzog Louis Philipp von Orleans, bekannt unter dem Namen Egalitö, der am 8. November I7S3 hingerichtet wurde. Ein durch und durch sittenloser Mensch hatte er schon früher gegen die Regierung Ludwig XVI. Oppo sition gemacht, nicht aus Ueberzeugung, sondern um für sich im Trüben zu fischen. Er unterstützte, namentlich bei Beginn der Revolution, die Unruhen durch Geldmittel und trat 1789 als Haupt der revolutionären Partei in die Versammlung der Reichsstände ein. Darnach hielt er sich zu der radikalen Berg partei, trat dem Jakobiner-Klub bei und nannte sich Philipp Egalite. Mit Danton, Marat und Robespierre wurde er von der Stadt Paris in den Konvent gewählt und er besaß sogar die cynische Unverfrorenheit, für den Tod Ludwig VXl. zu stimmen. Das Alles aber konnte ihn nicht vor der Guillotine retten; denn schließlich wurde er doch Robespierre und Genossen verdächtig und da diese Leute thunlichst sicher zu gehen beliebten, opferten sie lieber das Haupt des Herzogs, als zunächst ihre eigenen. Der Grund zur Anklage war selbstverständlich: der Herzog sollte nach der Krone gestrebt haben. Aus diese hatte er allerdings stets gerechnet, aber nicht gerade zu jener Zeit darnach gestrebt. Sein Tod wurde von Niemandem betrauert. 7. November. Der vielen Gesetze und Verfügungen, welche der Konvent oder vielmehr Robespierre und Genossen, in der Zeit des po litischen Wahnsinns vor hundert Jahren erließen, zu gedenken, wäre an dieser Stelle kaum der Platz. Jndeß muß doch ein zelner empörender Szenen gedacht werden, weil sie die damalige Zeit in ihrem grotesken, halb furchtbaren, halb läthcrlichen Anstrich charakteriflren. Es waren da namentlich die Leute Dantons, die, um in den Augen des Volkes jede Furcht vor dem Höheren auszurotten, nicht nur die Kirche und Priester, sondern auch die Religion selbst dem frevelhaftesten Spotte Preis gaben. Sie hielten gotteslästerliche Umzüge, entweihten die kirchlichen Heiligthiimer und führten in den Kirchen und auf den Straßen theatralische Szenen zur Verhöhnung der Religion und des Kultus aiif. Sogar den Saal des Konvents machten sie zum Schauplatz ihrer Gotteslästerungen: am 7. Novem ber 1793 führten sie dort bei Gelegenheit einer ihrer Prozes sionen eine skandalöse Szene herbei, bei welcher der Bischof von Paris, Gobet, die ihm zugewiesene Rolle aus Angst über nahm. Dieser sagte sich nämlich feierlich von seinem Priester amte los und seinem Beispiel folgten die übrigen Priester im Konvent, unter ihnen auch der protestantische Pfarrer Julien. Man kann ihnen füglich das nicht allzusehr verdenken, da es sich um ihre Köpfe handelte; um so höher ist einem einzigen unter ihnen, Gregoire, der Muth anzurechnen, mit dem er der Todesgefahr Trotz zu bieten wagte. Dieser Mann erklärte nicht nur laut, daß er nach wie vor Katholik und Priester bleiben werde, sondern er erschien auch gerade jetzt öffentlich in seiner Priestertracht. Jndeß ist der tapfere Mann nicht hin gerichtet worden, er hat die Schreckenszeit überdauert, hat später noch eine Rolle gespielt, ist aber sein Lebelang eisriger Repu blikaner Pdlieben. Vermischte Nachrichten. — Kaum einen trüberen, unbehaglicheren Monat giebt e« im ganzen Jahre, al« den Novem ber. Kürzer und kürzer wird der Tag, länger und länger Abend und Nacht, und der schon sehr geschmälerte Tag erfährt noch eine sehr überflüssige, aber recht häufige weitere Beschränkung durch Regen oder Nebel. Grau in Grau gemalt stellt sich der November dar, und die Einwirkung diese« grämlichen MonaiS auf da« Gemüth bleibt nicht au«. Für nervöse und leicht erregbare Personen gehört der November zu den schlimmsten der zwölf Kinder de« Jahre«. Und wer e« im trüben Licht der Wohnräume nicht mehr au«- halten und sich in« Frei begiebt, der Hai erst recht Acrger und Verdruß, trübe Fluchen und schlammige Pfützen, wohin er tritt, piisch geht eS und patsch, und bevor die Wanderung so recht begonnen, werben die Schritte schon wieder heimwärt« gelenkt. Wenn der erste gelinde Frost sich doch einstellen wollte, denkt Mancher im Stillen; aber da« ist auch eine solche Sache, vor den herbeigewünschtcn Wintern haben wir seit ein paar Iahxen allen Respekt. Sie kamen ungerufen oder gerufen und gaben den Rufern mehr, al« jenen lieb war. Da« beste Rezept ist, man erträgt den November, di« er vorüber, und richtet seinen Blick lieber auf den Christmonat mit seinem holden Weihnacht-fest! Wie lange wird e« denn noch dauern, und die Weihnacht-Vorbereitungen nehmen ihren Anfang. — Zu der geplanten Vernichtung der Chicagoer Weltausstellung durch Feuer, eine nach europäischen Begriffen wahnwitzige Jvee, wird au» der ehemaligen Weltau«stellung«stadt ge schrieben: Wenn auch die Begeisterung für den Plan de« Architekten Burnham, die gesammten Au«slellung«- gebäude in einer Nacht nieberzubrennen, unter der Bevölkerung eine so große ist, so werden doch auch