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"In der Kunst hört das Häßliche, Abstoßende natürlich nicht auf, häßlich zu sein; aber einen häßlichen, abstoßenden Inhalt kann es nicht geben, wenn es sicn um ein wirkliches Kunstwerk handelt - hörst du - wirkliches Kunstwerk!! - ; es kann ihn nicht geben, weil der Inhalt nicht aus der bloßen Widerspiegelung des Objekts besteht, sondern auch die Wertung und das Urteil einschließt. Die Schönheit des Inhalts liegt in diesem Palle in der Richtigkeit des Urteils, in der Wahrheit." Ich kroch in mich zusammen. Heiliger Strohsa^ck, was will die! "Sagst ja aufeinmal gar nichts mehr, mein Lieber!" Offenbar glaubte sie, mich beeindruckt zu haben, und kostete ihr Überlegenheitsgefühl weidlich aus, lehnte sich in den Sessel zurück, spielte mit ihrem Pferdeschwänz, zog die Haarfransen ein paar Mal durch die Lippen zum Mundwinkel. Plötzlich sprang sie auf und ging im Zimmer hin und her - kerzen- grade. "Alles gar nicht so einfach! Um nur ein paar Mittel zu nennen, stilistische Mittel: Wortwitz! Doppelsinn einer Rede, Wortspiel!, komischer Vergleich, komische Konfrontation, Entstellung fremd sprachiger Wörter, Gebrauch lexischer Archaismen, unlogische Verknüpfung, Namensgebung ..." Sie hielt - wie man schreibt, bloß nie sagt - "einen Augenblick inne", ribbelte zwischen Daumen und Zeigefinger irgendwas Imagi näres, Seidenglattes, sagte: "Dies...! Dieses 1.. na... na ... Gewisse ...!" Hörbar zog sie durch die Nase Luft ein. "Jawohl - das Gewisse, was meint: Verfügungsgewalt, Gewißheit der Mittel, volle Palette und Gespür für Nuancen. Kaum ein Fehlgriff bei Heine, selbst krasseste Dissonanzen, radikale, marktschreierische Angriffe auf Rang und Namen, sind Musik, ein komponiert in verblüffenden Konnex - Marsailleaise in Schumanns Träumerei." Sie tippte aug ein Bild an der ..and. " ü as - siehst du - das meine ich: Bamberger Reiter! Das ist die Krone! Und wer sie trägt, wer sie zu tragen hat - siehst du, nur jemand, der imstande ist, den Pegasus mit einem Finger zu zügeln." 'Wer vor dem Pferd gestanden und mit dem Finger die Längsrille abgetastet hat, krankes Gestein von der Brust bis zum Hintern', dachte ich , 'bedauert, daß der Bildhauer seinerzeit noch kein Mikroskop hatte, um dem Steinblock die verfluchte Weichschicht anzusehen'.