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Salven. Ein lange Reihe Gefallener zengt von der schrecklichen Wirkung des Chasscpotgewehres. Die Lücken, welche die Gefallenen öffnen, schließen sich sofort wieder, und über die wimmernden Blcssir- ten, über die Leichen, durch die Blutlachen schreiten die Nachstürmenden. Nur dicht an den Feind, dann ist die Entscheidung bald da, ist der Gedanke aller. — Aber die schwerste Prüsungsstunde für die Garden ist noch nicht gekonimen. Noch schreiten sie vorwärts, — da, plötzlich blasen die Signale „Halt!" Halt in diesem Feuer, Halt im Kugelhagel, Halt im freien Felde vor dem festungsähnlichen Dorfe, das der Feind mit aller Kraft vertheidigt? Der Commandcur des Gardccorps, Prinz August von Württemberg, sprengt, vom Zuruf der Truppen begrüßt, die Front der 4. Garde-Jnfanteriebrigadc entlang bis an den Ausgang von St. Marie. Von hier aus ist der ganze Kampfplatz zu überschauen. Der Prinz kann die Verluste einigermaßen über sehen, welche seine Garden erlitten. Mit jeder Salve des Feindes sinken neue Opfer in den Sand. Aber von Roncourt her vernimmt man Rollen des Gewchrseuers: die Sachsen müssen ini Gefecht stehen. Bevor sic nicht ihren Druck wuchtig genug aus des Feindes Flanke aus üben können, muß niit dem weiteren Vor dringen auf St. Privat inncgchaltcn wer den. Die Garde muß im Feuer des Feindes halten, sie muß, zu Boden sich werfend, dem Tod ins Antlitz schauen, der sie in tausend Gestalten umschwirrt. Aber diese schwere Stunde, diese marternde Pause will die Garde nicht unbenützt vor übergehen lassen. Auf dem Bauche krie chend nähern sich die Plänkler dem Höhen rand von St. Privat und richten ihr Feuer gegen das Dorf. Schon stutzt der Feind. Die Zündnadeln können jetzt auf 400 Schritte wirken — nur die Sachsen hervor! Die Sachsen! Dann kann es wieder vor wärts gehen! Schon schweigt die Artille rie des Feindes zum Theil. Während dieser peinlichen Lage der Garde hatte der Kronprinz von Sachsen sich mit dem XII. Korps Roncourts be mächtigt. Der Marschall Canrobert hatte dasselbe nach kurzem Gefechte geräumt. Endlich erfolgt der ersehnte Befehl zuni Vorrücken gegen St. Privat für die Garde, denn die Sachsen stürmen von Norden her gegen das Dorf vor. Schon nach 6 Uhr wurde auf der ganzen Gescchtslinic die Einwirkung des Gardecorps und der Sachsen gegen den rechten Flügel bemerkbar, die feindlichen Linien zeigten große Bewegung. Unter heftigem Feuer seiner Artillerie war das sächsische Corps, die 45. Infanterie-Bri gade, gegen St. Privat vorgegangen; der Kronprinz von Sachsen führte die ersten Bataillone in dasFcuer, General vcmCraus- haar stellte sich an die Spitze seiner Bri gade. Da bei dem mörderischen Feuer des Feindes, der auch hier ein freies Schußfeld hatte, die Angreifenden von ihrer Feuerwaffe keinen Gebrauch machen können, ziehen diese braven Truppen es vor, im Sturmschritt mit der blanken Waffe vorzugehen. Die Franzosen Vertheidigen mit heldcnmllthiger Entschlossenheit unter Aufopferung vieler Mannschaft das brennende Dorf. Mit Bajonnett und Kolben wehren die Sachsen den Angriff ab; eine Kugel tödtct General CrauShaar; sein Schwiegersohn, der Hauptmann von Pape, war kurz vorher schon gefallen. Noch schlägt man sich mit furchtbarer Er bitterung im nördlichen Theile des Dorfes, als schon von der anderen Seite die Schüsse der Preußen auf blitzen. Während die Sachsen in die Dorfgasscn dringe», war das Gardecorps bis auf 300 Schritte an St. Privat avancirt. Jetzt entspann sich zunächst ein wüthendes Feuergcsecht. Einmal noch versucht der Feind einen Stoß mit der Cavallerie zu führen; es sind Spahis, ihre weißen Mäntel flattern durch den Dampf des Geschützes; aber die Garden schmettern ihre Kugeln zwischen die Reiter, welche auseinander stieben und hinter St. Privat verschwinden. Von nun an stürzt alles gegen die Anhöhe, die Wuth des Ge fechtes hat jeden erfaßt; im wilden Anlauf werfen die Garden den Feind über die Gräben zurück; ihm nach stürmend dringen sie zugleich niit den Franzosen in St. Privat ein. Ringsum Krachen, Tod und Ver derben. Der tapfere, zähe und geübte Feind vertheidigt sich von Haus zu Haus, jedes Gebäude muß erobert werden. Die Kirche brennt, ihre Fenster, Thüren, die Lcichensteine auf dem Friedhöfe — alles ist zer schmettert, vernichtet, und selbst die Baumblätter sind brandig und verkohlt durch Feuer und Dampf. Immer dichter werden die in das Dors stürmenden Waffen der Garde. Die Leichen und Verwundeten hänfen sich, man schlägt sich in den Fluren der Häuser, am Kirch hos, in der weiten Halle des Wirthshauses. Da knattern von Norden her zwei, drei regelmäßige Salven — die Sachsen sind cs! Ihr Feuer wirkt gewaltig. Noch ein wilder Stoß, dann stürmt alles feuernd und stechend hinaus zum Dorsc. Preußen und Sachsen vereinen sich in der Mitte des brennenden St. Privat, und mit donnerndem Hurrah, unter schnell abgegebenen Salven dringen alle den, Feinde nach, der in grauen haftem Knäuel die Straße nach Woippy zu gewinnen sucht. Die Masse drängt wild durcheinander. Ver worrenheit in größter, schrecklichster Weise; Reiter, Infanterie, Wagen in wirrem Gemisch — so wälzte sich die Menge auf Metz zu. Beaumont-Sedan—Nouart- Le Vourgrt—Villiers-Brie! Hell strahlte schon der Lorbecrkranz, den Kron prinz Albert als Feldherr sich errungen, als cs immer weiter ging auf dem Boden Frankreichs, immer weiter zu neuen, glänzende» Siegen, und jeder Sieg aus der Etappe Beaumont—Sedan —Nouarr—Le Bourgct— Villiers-Brie fügte dem Nuhmeskranze des Kron prinzen neue, goldene Blätter zu, während seine soldatische Heldenbrust sich füllte von dem stolzen Schmuck der hohen Auszeichnungen aller Art, die ihm von den höchsten Machthabern wohlverdient verliehen wurden. Sollen wir im Einzelnen auch von den Waffen- thaten berichten, die dem Tage von St. Privat gefolgt sind? Sicher nicht, denn die oben genannten Namen, sie sprechen beredter als tausend Kapitel es könnten; jeder einzelne derselben stellt ein goldenes Kapitel in der Soldatenlansbahn unseres Königs dar. Frieden! Die Macht Frankreichs war gebrochen! Kaiser Napoleon gefangen, seine Armeen gefangen, zertrümmert! und auch das von Ganibetta „aus der Erde gestampfte Volkshecr" war der Heiligkeit der Sache unterlege», um die Deutschlands Söhne fochten. Frieden! Als die Präliminarien zu demselben unterzeichnet waren, befehligte Kronprinz Albert zwei große Paraden vor dem — Deutschen Kaiser! Und dann erließ er in seiner Eigenschaft als Oberbefehls haber der Maasarmcc einen Tagesbefehl, in dem er in begeisterten Worten seinen Soldaten, seinen „Kameraden", seine Anerkennung aussprach und an dessen Schluffe es heißt: „Die äußeren Bande, welche uns bisher vereinigt, werden bald gelöst, aber eng verbunden bleibe ich mit Euch in ehrenden, Gcdächtniß an unsere braven gefallenen Brüder, in dankbarer Erinnerung an Euch und Eure Thatcn, in dem stolzen Bewußtsein, an Eurer Spitze und durch Euch mit gewirkt zu haben an dem Siegeszuge des deutschen Heeres." Anfang März reiste der Kronprinz nach Dresden, um seine erlauchte Gemahlin zu holen und sie nach Frankreich nach Compiögne zu begleiten. Hier hielt derselbe in seiner Eigenschaft als Obercommandcur aller noch in Frankreich stehenden Truppen längere Zeit Hof, während in dem stolzen Scinebabel der Bürgerkrieg wllthete. Hier feierte er auch seinen 43. Geburtstag. Die Kronprinzessin kehrte dann am 17. Juni über Brüssel nach Dresden zurück, nachdem er erst and 7. desselben Monats vom Oberkommando durch Kaiser Wilhelm entbunden worden war. An der Spitze seiner Truppen hielt er unter den, brausenden Jubel in der Residenzstadt seinen Einzug. Die ehrendsten militärischen Auszeichnungen wur den ihm von allen Seiten zu theil. Die Officiere seiner Armee überreichten ihm einen prächtigen Mar schallsstab, die Städte des Landes wetteiferten in Ehrenbezeigungen und der Kaiser wollte seine Ver dienste noch durch eine Dotation von 300000 Thalern ehren. Kronprinz Albert lehnte dieselbe jedoch ent schieden ab. Der Aönig. Als am 29. Oktober 1873 die Glocken über Land und Stadt die Trauerkunde verbreiteten, daß König Johann die Augen aus immer geschlossen habe, bestieg Kronprinz Albert den Thron seiner Bäter als König. Als solcher ward er eine der treue sten Stützen des deutschen Kaiserthroncs. Wo immer das Interesse des Reiches cs erforderte, trat König Albert von Sachsen aus den Plan. Enge Freundschaft ver bindet ihn mit Deutschlands Kaiser, allen anderen deutschen Fürsten, sowie dem gan zen Volke ein leuchtendes Beispiel, echter, wahrer, unerschütterlicher Reichstreue. Zwei Jahrzehnte trägt nun König Albert die Krone seiner Väter. In die sen, Zeiträume sind viele wichtige und hochbedcutsamc Fortschritte auf dem Ge biete des Staatslebens in Sachsen zu ver zeichnen gewesen und der anregende, be lebende Einfluß des Königs Albert hat sich allerwege geltend ge,nacht. Doch heute, wo es gilt den Tag zu feiern, an dem er vor 50 Jahre» in die Armee eintrat, haben wir es nur mit dem Soldaten in unser», König zu thun. Und wie von der ersten Stunde an, in der er die Uniform anlegte, so schlägt heute noch seinHerz warm für seine Soldaten, für seine „Kameraden". Uner müdlich beobachtet und fördert er noch heute das Fortschreiten seiner Truppen. Wie gar mancher unserer Soldaten einen Gnadenbewcis seines Königs auszuwcisen hat, so ist er für alle der wahre Vater. Und wenn er, sei es auf dem Manöver felde, sei es in der Parade ihnen seinen „Guten Morgen" bietet, da erschallts aus den begeisterten Herzen der Tausende: „Hurrah! Majestät!" Hurrah! Majestät! — rufen aber auch wir am heutigen Tage und! fügen aus dankbarem, treuem Herzen hinzu: „Gott segne, schütze unsern König Albert! Der Grotzonkel. Das kurze Lebensbild unseres Königs als Sol dat vermögen wir nicht zu schließen, ohne ihn auch noch als — Großonkel unseren Lesern z» zeigen. Was aber die Feder nicht vermag, das thut in glän zendster Weise unser Bild „Heil Wettin". Welch rei zendes, zu Herzen sprechendes Familiengemälde: Der Feldmarschall Prinz Georg, der Bruder des Königs, hält in seinem Arm den jüngsten Sprossen des Wet tiner Hauses, seinen Enkel, und wie das Herz der glücklichen Eltern in Liebe strahlt, das Auge des Großvaters mit freudigem Blicke aus dem Erstge borenen seines Sohnes Friedrich August ruht, wie Sachsens Königin in Zärtlichkeit sich mit dem kleinen Prinzen beschäftigt, so steht ihr erlauchter Gemahl in der köstlichen Familiengruppe, ernst und sinnend. Was sein Herz spricht, das immer ganz dem Sachsenlande gehörte? Gott segne Sachsenland! Lerlag und Redaktion S. Werner. — Druck von Bär L Hermann, sämmtiich in Leipzig. Sachsens Glück und Hoffnung.