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Archibald Forster einst Benjamin Hood geschenkt, das nahm er wieder. DaS hatte er genommen in der Nacht zwischen dem ersten und zweiten März, in der Nacht zwischen Dienstag und Mittwoch. Sein getreuer Diener, der Neger Sam, hatte blindlings dem Worte seines Herrn gehorcht, fitr seine Riesenkräfte war das Ganze ein Kinderspiel gewesen, das Werk weniger Sekunden — Und sein Gewissen? Das Gewissen eines Negers! Mit Lebensgefahr hatte ich mich nach Fivc-Points hineingewagt, hatte alle Ecken und Winkel durchsucht, war so glücklich gewesen, den rechten Mann zu treffen, und hatte — das Feld räumen müssen. Wie aber konnte ich wissen, daß ich ihn in der verrufenen Schänke treffen würde? Ach, ein Detektiv kennt diese übel berüchtigten Stätten, und ihre Stammgäste kann er an den Fingern herzählen. Forster war kein strenger Herr — schon manche liebe Nacht habe ich Sam in diesem verrufenen Hause ge troffen — das Negerblut fordert sein Recht! Jetzt handelte es sich nur darum, des Negers habhaft zu werden und ihn zum Geständniß zu bringen, denn Beweise für seine Schuld hatte ich nicht. Die Sache schien mir ganz sonnenklar zu sein — es galt jetzt nur, einen Plan zu entwerfen, der zum Ziele führen konnte, Schritt für Schritt vorzurücken, bis jeder Zweifel ausgeschlossen war, bis ich die hand greifliche Wahrheit von mir hatte, um mich daun wie der Habicht auf meine Beute zu stürzen. Und dies Alles mußte bald geschehen, in einem gewissen Zeit raum ; eine Woche war ja die höchste Frist, über die ich zu verfügen hatte. Anny Forster und Benjamin Hood hatten in der ersten Zeit nach ihrer Vermählung ein völlig zurück gezogenes Leben geführt, sie schienen ihr Glück in aller Stille genießen zu wollen. Als jedoch einige Monate verflossen waren, zeigten sic sich wieder in der soge nannten „Welt". Anny schien mit gleicher Lust an allen Vergnügungen theilzunehmen wie früher. Der einzige Unterschied war, daß die Königin der eleganten Salons jetzt nicht mehr Anny Forster, sondern Anny Hood hieß. In diesem Augenblick stieg ein Gedanke in meiner Seele auf. Eine Frau, die den Mann verläßt, der sie liebt und dem sie aus freien Stücken ihre Hand gegeben, hat in meinen Augen keinen Anspruch auf Achtung und Vertrauen. Sollte sic etwa ihre Hand mit im Spiele haben? Aber der Grund? die Ursache? Etwas Klarheit würde ich wohl auf jeden Fall bei den Besuchen erhalten, die ich heute bei Anny Hood und Archibald Forster abstatten mußte, — und wenn cs mir gelang, Licht in die dunkle Sache zu bringen, welche Entdeckungen würde ich da machen! Häufig hatten sich in der New - Yorker feinen Welt geheimnißvolle Ereignisse zugetragen; aber dieser Mord war doch etwas so Entsetzliches, daß mir da vor graute, daran zu rühren. Die Uhr schlug zehn. Es war Zeit, sich zum Chef zu begeben und über den Verlauf der letzten 'Nacht Bericht abzustatten. Er erwartete mich sicher voller Ungeduld. Und möglicherweise hatte er auch etwas zu melden. Vielleicht mußte ich auch ein wachsames Auge auf den Adjutanten haben. Der junge Mann hatte mir niemals so recht gefallen; er war so hitzig, so unbesonnen. Aber die Jugend will ja nun einmal auStoben. V. Ich betrat das Vorzimmer, in welchem der Ad jutant sich aufzuhalten pflegte. Heute war der junge Mann jedoch nicht wie gewöhnlich auf seinem Posten. Ein anderer Sicherhcitsbcamtcr kam mir entgegen. Ich beruhigte mich bei dem Gedanken, daß Morrison wahrscheinlich für den Augenblick fortgesandt sei. „Sie werden erwartet, Mr. Moore. Der Chef hat bereits zwanzigmal nach Ihnen gefragt." Ich trat ein. Der Chef saß an einem Schreibtisch. Vor ihm lagen die Morgenblätter. Seine Stirn war gefurcht, seine Augen blickten finster, und seine Hand zitterte, als er die Zeitung umwandte, alles Zeichen, die auf Erregung oder heftigen Zorn schließen ließen. Ich verneigte mich. Er blickte einen Augenblick von der Zeitung auf und nickte mir zu. Dann setzte er seine Lektüre fort. Ich war auf einen anderen Empfang gefaßt ge wesen. Er hatte mich ja so ungeduldig erwartet, und jetzt, wo ich da war, behandelte er mich so — Ich stand regungslos Pa, und in mir kochte cs vor Wnth. Er forderte mich nicht einmal auf, Platz zu nehmen. Endlich legte der Chef die Zeitung hin und er hob sich. Ein schmerzlicher, sorgenvoller Ausdruck lag auf seinem Antlitz, wider Willen mußte ich Mitleid niit ihm haben. Und als er mit kummervoller Stimine zu sprechen begann, vergaß ich allen Groll. „Moore", sagte er, „ich habe lange auf Sie ge wartet. Setzen Sie sich. Nehmen Sic hier auf dem Sofa Platz. Ich freue mich, daß Sie endlich da sind. ES sind freilich erst wenige Stunden ver flossen, seit ich Sie zuletzt gesehen, aber Sie haben inzwischen sicher über die Sache nachgedacht. Viel leicht haben Sie Ihre Nachforschungen schon begon nen? Sagen Sie mir, bitte, jetzt, wie Sie über diese traurige Begebenheit denken. Wir verstehen einander ja, cs giebt nur eine Möglichkeit. Er muß ja der Schuldige sein! Heute wird sein Name in aller Munde sein! Aber er ist kein gewöhnlicher Mann, kein gemeiner Verbrecher. Wie wird es uns gelingen, die Spur zu finden, die Beweise zu schaffen? Und seit nun auch dies noch geschehen, um das Unglück voll zu machen" — er seufzte tief auf und sah mich forschend an — „seit auch dies noch geschehen —" Was meinte er nur damit? „Sprechen Sie, Moore," fuhr mein Chef fort. „Sie wissen, daß ich mein ganzes Vertrauen in Sie fetze. Wie denken Sie über die Sache." Ich berichtete die Ereignisse der verflossenen Nacht. Mein Chef hörte mir schweigend zu. Er blickte auf die Zeitung, die vor ihm lag. Nur als ich erzählte, wie ich von dem 'Neger getrennt worden und wie es mir trotz meiner Bemühungen nicht gelungen war, seiner habhaft zu werden, blickte er einen Augenblick von der Zeitung auf und sah mich mit einem eigen- thümlichen Ausdruck an, der mir nicht verständlich war. Schließlich faßte ich meinen Bericht noch einmal kurz zusammen. Archibald Forster hatte den ihm zugefügten Schimpf gerächt. Entweder hatte der Neger allein den Mord ausgeführt, oder auch sein Herr war ihn, behilflich gewesen. Nach vollzogenem Morde hatte der Neger sich durch einen Trunk stärken wollen. Benjamin Hood war unter irgend einem Vorwand nach Five-Points gelockt worden. Mög licherweise hatte Anny Hood ebenfalls eine Rolle in der Tragödie gespielt. Wer konnte das wissen? Bor allen Dingen handelte es sich darum, des Negers habhaft zu werde». Er mußte zum Geständniß ge bracht werden. Warum nicht auch Archibald Forster verhaften? Nein, er nahm eine Stellung ein, welche dies erschwerte. Außerdem hatte es keinen Zweck. Im Gegentheil! Er mußte bewacht werden, man mußte in Erfahrung zu bringen suchen, wo er sich während der letzten Nacht aufgehalten hatte rc. Die Sache war eben so dunkel, wie sie einfach schien. Nur eine einzige Spur war vorhanden und diese mußte zum Ziele führen. Bei Benjamin Hoods Kompagnon mußte ich ebenfalls einen Besuch abstatten. Er sollte mir sagen, wo der Ermordete den gestrige» Tag verbracht hatte, um welche Zeit sie auseinander gegangen waren und ob Hood seiner Ansicht nach etwas Besonderes vorgehabt hatte. Die wichtigste Person aber war ohne Zweifel der Neger. Ich schwieg. Der Chef reichte mir die Zeitung, welche vor ihm lag. „Moore, lesen Sie dies und urtheilen Sie selber!" Es lag etwas Unheilverkündendes in seiner Miene. Ich laS: „Abermals ein Mord! In der verflossenen Nacht fand ein heftiger Auftritt in dem bekannten „Sternen krug" statt. Infolge irgend einer Veranlassung ge- riethen einige Reger — bekanntlich wird dieser Ort hauptsächlich von Farbigen besucht — in Streit, der sofort in eine allgemeine Schlägerei auSartcte. Schutz leute waren natürlich weder auf dem Schauplatze noch in der Nähe vorhanden. Hellte in aller Frühe fand man ein Opfer des Streites in einer entlegenen Straße in der Nähe des Kruges todt dalicgen. Er hatte einen Messerstich im Halse und einen zweiten durchs Herz. Es war ein herkulischer Neger, nach Ausfage des Wirthes der Urheber des Streites. Vielleicht ist cS für unsere Leser von Interesse, daß der Ermordete ein Diener Archibald Forsters war. Frau Anny Hood war bekanntlich vor ihrer Ehe mit Benjamin Hood die Gemahlin Dir. Archibald Forsters. Vorläufig sind wir nicht im Stande, nähe res mitzutheilen." Das Blatt entfiel meiner Hand. Ich sah meinen Chef an. Ich wollte sprechen, die Zunge versagte mir. Ich war nicht im Stande, ein Wort über meine Lippen zu bringen. Der Schlag traf mich so unvorbereitet. Ich hatte meine ganze Hoffnung auf den Neger gesetzt. Etwas hätte er doch sicher zu melden gehabt. Und nun war mir dieser Weg abgeschnitten. Archibald Forster war offenbar vom Glück begünstigt. Jetzt gab es Niemand mehr, der ihn vcrrathen konnte. Wie er in dieser Stunde wohl triuinphirte! Ich nahm die Zeitung abermals zur Hand. Ich hatte den Bericht über Benjamin Hoods Mord noch nicht gelesen. ES war ein langer Artikel. Der Platz, an welchem der Mord begangen war, war genau angegeben und beschrieben, dann folgte Hoods ausführliche Lebens beschreibung. Archibald Forsters Name wurde in wenig ehrenvoller Weise erwähnt. Er war im all gemeinen nicht sehr beliebt. Seit seiner Ehescheidung hatte man sich von ihm zurückgezogen. Eine Frau und noch dazu eine schöne Frau will man gern ver theidigen, ihr verzeiht man leicht einen Fehltritt; man wirft die Schuld lieber auf den Mann. Anny hatte ihren Mann niemals geliebt, ihre Eltern hatte» sie zu der Ehe gezwungen. Forster war ein gewöhn licher Abenteurer, der nach jahrelanger Abwesenheit plötzlich wieder in seiner Vaterstadt aufgetaucht war rc. Der Artikel brachte nichts Neues in dieser Sache. '„Haben Sie es gelesen?" Ich gab dem Chef die Zeitung zurück. (Fortsetzung folgt.) Vermischte Nachrichten. — Jack, der Aufschlitzer? In Rotterdam nahm, wie bereits mitgetheilt, die Polizei einen Men schen, Namens de Jong, in Haft, dem zwei Morde an seinen zwei Ehefrauen zur Last gelegt wurden. Im Besitze des Frauenmörders wurden medizinische Instrumente gefunden, von der Art jener, deren sich Jack der Aufschlitzer zweifellos bei der Verstümmelung der Frauenleichen bedient haben muß. Die Polizei glaubt Anhaltspunkte zu der Annahme zu besitzen, daß de Jong mit Jack dem Aufschlitzer identisch ist, zumal erwiesen ist, daß de Jong während der Frauen morde in Whitechapel in London weilte. Die hollän dische Polizei übermittelte die Ergebnisse der Unter suchung den Londoner Behörden, welche mehrere De tektivs nach Holland entsandten. — Alls Amsterdam berichtet man darüber unterm ü. Oktober. Die An gelegenheit des Frauenmörders de Jong, die nach wie vor die öffentliche Meinung inner- und außerhalb Hollands in hohem Grade interessirt, wird täglich geheim« ißvoller, um so mehr, als der Verhaftete seit einiger Zeit das System angenommen zu haben scheint, dem Untersuchungsrichter nichts weiter mit- zutheilcn und sich in ein vollständiges Stillschweigen zu hüllen. Die Sache hat in den letzten Tagen in sofern eine Wendung genommen, als sich der Glaube, de Jong und der berüchtigte Frauenmörder von Whitechapel seien eine und dieselbe Persönlichkeit, sowohl bei den maßgebenden Polizeibehörden, als auch in der Volksmeinung, immer mehr befestigt. Die Auffindung von chirurgischen Instrumenten bildet nicht den einzigen Anhaltspunkt für die Annahme, daß de Jong mit Jack dem Aufschlitzer identisch ist. In seiner Wohnung wurden auch medizinische Bücher gefunden, die aber alle nur von Frauenoperationen handeln. Die Polizei ließ die vorgefundenen Jnstru- niente chemisch untersuchen, weil natürlich die Fest stellung der Thatsache, ob sie gebraucht worden sind, von erheblicher Wichtigkeit ist. Die Untersuchung ergab nun das Vorhandensein von Blutspurcn, so daß an dem Gebrauche dieser Instrumente nicht zu zweifeln ist. Schließlich bildet das seltsame Zusammen treffen von de Jongs Aufenthalt in London mit dem Frauenmörder in Whitechapel einen weiteren An haltspunkt für die Identität de Jongs mit dem Auf schlitzer. Es konnte nachgewiesen werden, daß de Jong, der von 1889—1892 siebenmal in London weilte, sich immer zur Zeit eines Frstuenmordes in White chapel in der englischen Hauptstadt aushielt. 'Niemals kam ein Frauenmord in London vor, wenn er in Amsterdam weilte, und seitdem er London endgiltig verließ, hörten die Whitechapeler Frauenmordc über haupt auf. Unterdessen ist ein dritter Frauenmord zu Lasten des Verhafteten festgestellt worden. Die verschwundene Sarah Inet ist nämlich nicht die erste Frau dieses holländischen Blaubarts. C'r verheirathctc sich vielmehr schon am 21. März 1889 !« Rotterdam mit einem Mädchen, das ihm eine Mitgift von 6000 Gulden brachte, und trat mit ihr eine Hochzeitsreise nach Antwerpen an. Auch von dieser Hoch;-k'tSrcisc kehrte er allein zurück, und von seiner Gefährtin hat man bis zur Stunde niemals wieder "fivas gehört. Auf die Frage, was aus der Unglücklichen geworden, antwortete de Jong mit Stillschweigen — Weiter wird ans Amsterdam vom 6. Oktober gemeldet: Die Zweifel, daß de Jong mit Jack dem Aufschlin-r identisch ist, schwinden immer mehr; der holländische Polizei-Inspektor, welcher nach London entsendet w^rdc, berichtet hierher, daß mehrere Halbweltdamen, sowie Inhaber verrufener Häuser im Whitechapel-Viertel Hie Photographie de Jongs bestimmt erkannten. E"'0 ärztliche Kommission untersuchte dieser Tage den Geisi-ö- zustand des Verhafteten und konstatirte, daß de Song an hochgradiger Erotomanie (Liebeswahnsinn) -eidet; dies wurde durch den Bruder der Ermordeten Sarah Inet, sowie mehrere Bekannte de JongS bestätigt. Bisher verweigerte der Mörder jede Auskunft. ..Der Sichrer Hinkende Bote" ist wieder da. Jn (einem S4. Jahrgänge stehend, prasentirt er sich diesmal in einem farbigen Umschläge, ist also auch hier, wie allezeit und übsiall, mit der Hcit fortgeschritten. Der Inhalt zeichnet sich in dwem Jahre wieder besonders durch einen Reichthum an kleN"en Erzählungen auS, die immer die Spezialität des Hinkenden waren; er scheint aber jetzt noch ganz eigens Leute ausgetjieben zu haben, die in der Fabulirkunst des alten Hebel WB M Hause sind (vergl. „Wunderbare Rettung"), und so ist V» eine VolksthiimUchkeit erreicht, die in Deutschland ihreSglei-b-n sucht. Bon bekannteren Rainen sind der jüngst verstorbene E. Geres, Maximilian Schmidt, Hermine Billinger, A. v. tsiin- terfeld >c. vertreten: die „Weltbegebenhciten" sind, von tcht nationalem Geist durchhaucht wie immer, und dabei doch drei- sinnig-objektiv, auch sehr unterhaltend ausgefallen und köstlich illustrirt — kurz, man muß diesmal den Meister Hinkende» durchaus loben. Druck un» «erlag von L. Hannetotzn in Eibenstock.