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wobei ich mir natürlich Vorbehalte, außerordentliche Revisionen zu jeder beliebigen Tages- und Nacht zeit vorzunehmcn. Sic haben auch verstanden, Herr „Zu Befehl, Herr Justitiar!" Melzer packte sofort die in der Zelle vorhandenen Bücher zusammen. „Nun hören auch Sie, mein Fräulein!" wandte ich mich zu der noch immer am Tische stehenden Ge fangene» in strengem Tone. „Zu meinem Bedauern erkenne ich, daß Sie die Milde, hinsichtlich deren ich bis zur äußersten Grenze meiner Pflicht gegangen bin, nicht zu würdigen wissen." „Anstatt die mancherlei Gegenstände, welche Ihnen auf rechtswidrigem Wege zugekommen, dem Aufsichts beamten auSzuliesern, verheimlichen Sie dieselben und machen davon nicht allein, wie in der vergangenen Nacht, einen überhaupt verbotenen, sondern, wie Sie in Ihrer früheren Zelle gethan, einen geradezu ver brecherischen Gebrauch. Wenn ich es heute noch bei einer mündlichen Rüge bewenden lasse, so geschieht es in der Erwartung, daß Sic in Zukunft ein ordnungs mäßiges Benehmen beobachten werden. Sollten «ie diese Erwartung täuschen, so würden Sic nicht allein aller Ihrer gewährten Vergünstigungen verlustig gehen und die schärfsten Maßregeln gegen die Wiederholung solcher Verstöße zu gewärtigen haben, sondern ich würde auch mit den vorschriftsmäßigen Disziplinar strafen gegen Sie Vorgehen und jedes gesetzliche Zwangsmittel anwendcn, um Sie zur Angabe Ihrer unerlaubten Verbindungen zu veranlassen und die betreffenden Personen, wer sie auch sein möge», zur verdienten Bestrafung zu ziehen. Mögen Sic in Ihrem eigenen Interesse diese meine letzte Warnung beherzigen!" Ohne eine etwaige Erwiderung abzuwarten, verließ ich mit kurzem Gruße die Zelle, gefolgt von Melzer mit den Büchern und Journalen, welche ich zur ge legenen Zeit einer genauen Durchsicht unterwerfen wollte, um etwaige, auf diesem Wege gemachte schrift liche Mittheilungen zu entdecken. Ich hatte das Hineinsteckcn des Papiers in das Schloß der unteren Gitterthür unerwähnt gelassen, weil ich annehmen mußte, daß Elisabeth, welche un möglich in der Nacht die Zelle hatte verlassen können, jener Handlung fremd sei. Melzer so wenig wie ich vermochten die Frage zu lösen, von wem und in welcher Weise dieselbe ermöglicht worden; wir mußten uns mit vagen Bermuthungen und der Bestimmung einer schon morgen vom Schlosser zu bewerkstelligenden Vorkehrung gegen eine Wieder holung begnügen. Die Glocken der Stadtkirche riefen zum Haupt gottesdienste. Der damalige Pfarrer von Z. war ein von echter Religiosität durchglühter, aber auch mit tiefem Wissen begabter Greis, daher ich seine Sonntags-Predigten während meiner Anwesenheit im Orte noch nie versäumt hatte. Heute jedoch hatte ich keinen offenen Sinn für seine beredten Worte mit gebracht ; aber eS litt mich auch jetzt nicht länger inner halb der mir doch schon so heimisch gewordenen Wohn ung. Es trieb mich hinaus ins Freie, als könnte der frische Hauch der herbstlichen Luft den brennenden Schmerz meines Herzens lindern und die Klarheit des weitgespannten Himmels auch mein trübes Denken klären. Ich begab mich zunächst nach dem Schauplatze meiner nächtlichen Wahrnehmungen. Kein Mensch war auf dem ehemaligen Begräb- nißplatze zu erblicken, als ich der alten Kapelle zu schritt. Ich konnte in derselben nichts entdecken, was mir irgendwie Auskunft über den Zweck der heim lichen Zusammenkunft hätte geben können. Weder die durch die Tritte der während einer Reihe von Jahr hunderten hierhergekommenen Andächtigen ausgehöhl- ten Sandsteinflicßen des Fußbodens, noch die noch vorhandenen, ein mit einer Steinplatte bedecktes Viereck bildenden Altarstufen, die wie jene wohl seit Jahren keine Reinigung erfahren und daher mit einer Schicht halbverhärteten Staubes bedeckt waren, den der Wind durch die leeren Fensteröffnungen hineingeweht, hätten auf die Anwesenheit von Menschen in der vcrwichencn Nacht schließen lassen. Bis auf die Altarstufen, den Steinsockel eines jetzt nicht mehr vorhandenen Heiligen- Standbildes und die Ueberreste einer hölzernen Treppe, die zu einem ebenfalls nicht mehr vorhandenen Chore geführt haben mochte, war innerhalb dieser Mauern, wie gesagt, nichts mehr zu sehen. Ich umging die Kapelle mehrmals von allen Seiten und in immer größerer Entfernung, um aus den frischen Fußspuren den Weg zu ermitteln, welchen der Fremde genommen; aber ich fand keine solche vor; sie mußten ebenso sorgfältig wie geschickt ausgetilgt worden sein. Dagegen war cs mir leicht, an besonder- aufge weichten Stellen des KieSbodens aus dem Wege, den Johanna beim Kommen und Gehen verfolgt, deren kleine Fußstapfen hcrauszufinden. Zornig tilgte ich dieselben mittels meiner eigenen Füße aus, ohne mir selbst einen Grund dafür anzugcben. Der noch jetzt an dieser Stelle halbflüssige Schlamm des Fahrweges hatte solche Spuren nicht bewahren können. Die Brust voll bitterer Gefühle, verließ ich die friedlich im Sonnenschein liegende Ruhestätte längst dahiugc- gangener Generationen. Der Drang nach heftiger körperlicher Bewegung, die mit der meines Innern harmonirte, führte mich zu dem Hause des sich auch init dein Pferdeverleihen befassenden reichsgrüflichcn Stallmeisters. Ich ließ mir ein Pferd satteln, und bald jagte ich, dein wilde» Jäger gleich, über Stock und Stein umher. Meine Empfindungen und Gedanken waren sehr geeignet, die Stelle des wüthenden Heeres zu vertreten. Doch äußerte der längere scharfe Ritt durch die frische Herbstluft wenigstens in einer Beziehung eine wohl- thätige Wirkung: als ich zur Mittagszeit in das Haus meiner Verwandten trat, verspürte ich trotz Allem und Allem, und halb und halb zu meinem Aerger, eine ziemlich lebhafte Eßlust. Daß die gute Tante meines durch den Ritt her gestellten blühenden Aussehens herzlich sich freute und durch den gutmüthigen Spott des Onkels ob ihrer gestrigen schlimmen Ahnungen gern sich ein wenig be schämen ließ, versteht sich von selbst. — „Ach," dachte ich, „wenn die Beiden wüßten, daß jene Ahnungen leider in traurige Erfüllung gegangen!" — Johanna sah ich erst, als ich mit dem Onkel dem Rufe zum Essen folgte. Ich wagte kaum, als ich sic stumm begrüßte, den Blick auf ihr Antlitz zu richten; denn ich fürchtete, in ihren bleichen, übernächtigen Zügen die Angst des bösen Gewissens oder, was noch schlimmer, die An zeichen der nach dem Taumel der Leidenschaft einge tretenen Abspannung zu finden. Aber es bedurfte nur eines halben Blickes, um mich von dem Ungrundc meiner Befürchtung zu überzeugen. Johannas Wangen waren nicht blasser, als ich sie gestern befunden; das heißt, es schimmerte noch immer eine matte Röthc durch die zarte, weiße Haut. Ein weicher Ernst war über ihre Züge gebreitet; freundlich blickten ihre klaren tiefblauen Augen. Ich erschrak fast, als ich ihre wieder so herzlich klingende Anrede vernahm: „Es freut mich, Kousin, aus Ihrem Aussehen schließen zu können, daß Ihnen trotz des bösen Wetters eine gute Nacht geworden." „O — o ja, Kousine!" stotterte ich. „Es war eine — ganz angenehme Nacht!" (Fortsetzung solgt.) Das Frühaufstehen. Zu jeder Frühlings- und Badekur gehört das Frühaufstehcn in erster Linie; das Beste aber ist, Jeder gewöhnt sich an dasselbe besonders in der jetz igen Zeit des Höhepunktes in der Natur. Am frühen Morgen feiert sie jeden Tag ihre Auferstehung zum Leben von Neuem. Der Morgen gleicht der Jugenvfrische, während Abends durch die Sonnenwärme vic Vege tation abgematlet erscheint. Zu keiner Zeit duftet Garten, Wiese und Wald so angenehm, wie des Morgens bei der Erquickung durch den Thau. Die Luft stärkt und erfrischt Morgens am meisten, so daß hauptsächlich der muntere Vogelchor überströmt von Lebenslust und der wahre Naturfreund nicht begreift, wie andere Menschen gerade die schönste Zeit des TageS im verweichlichenden Bette und engen Schlaf stuben mit schlechter Luft verbringen können. Auf Veit Menschen ist der Einfluß der Morgen luft ebenso stärkend und erfrischend wie auf die ganze Natur, und zwar sowohl auf Körper wie auf Geist, weshalb besonders in früheren Zeiten das Frühauf stehen als Grundbedingung zur Erhaltung der Ge sundheit galt. Natürlich gehört dazu auch Zeitig schlafengehen. Die wohlthätige Einrichtung davon Hal jedenfalls auch einen tieferen innerlichen Grund: die Volksanschauung ist jedenfalls aus der Erfahrung entstanden, und die Beobachtung an sich selbst ist der beste Arzt. Das 'Natürlichste ist stets das Richtigste; am besten würde es sein, wie bei den Landlcuten viel gebräuchlich, man ginge mit der Sonne schlafen und stünde mit ihr auf, wie die Vögel, die auch verhält- nißmäßig das höchste Alter erreichen. Die Sonne am Himmel stört allen Schlaf. Bezeichnend hierüber ist, wie sich der Reisende Bayard Taylor über den Mangel der Nacht im hohen Norden zur Sommerszeit ausdrückt. Er sagt: „Ich bin dieses nie endenden Tageslichtes herzlich müde. Wir werden durch den Verlust der Nacht ganz ver wirrt und verlieren die Wahrnehmung der Zeit. Man ist nie schläfrig, nur müde, und nach einem Schlafe bei Sonnenschein erwacht man abgespannter, als man es vorher war." Die Wahrnehmung kann auch jeder bei uns machen. Wer in den Tag hin ein schläft, steht abgespannt auf, natürlich, wenn er nicht etwa die Nacht gewacht hat. „Der Vormitternachtsschlaf ist der beste," sagt eine Redensart aus der Erfahrung entstanden, und Erfahrung macht klug. So gut, wie e« auf Erden keine absolute Finstcrniß gicbt, hört auch der Einfluß der Sonne nicht vollständig auf, und der der unter gehenden ist ein anderer, wie der der aufsteigcnden, das lehrt die genaue Beobachtung des Pulse« und das Erwachen des Frühlingstriebes bei den Thicren nach der Sonnenwende, trotz der größten Kälte. Mit der Erfrischung des Körpers geht die des Geiste« Hand in Hand, sie schafft Arbeitslust und Arbeits kraft leiblich und geistig, und ist in richtiger Folge eine Grundbedingung von Gesundheit und Wohlstand, was in Volkssprichwörtern zum Ausspruch kommt: „Zeitig ins Bett und zeitig heraus, bringt Gesund heit, Reichthum und Weisheit ins Haus", „Morgen stunde hat Gold im Munde", birgt darum eine Wahrheit in sich. Vielen wird allerdings mit diescin Sprichwvrt vergebens gepredigt, und das sind be sonders diejenigen, welche Genuß im Studium finden und denen hierzu die Abend- und ersten Nachtstunden als die geeignetsten dünke». Das zu Rüste gehende Geräusch des Tages, die Ruhe der Nacht zeitigt aller dings eine größere Ruhe und Sammlung des Geistes, während unigekehrt bei Vielen das beginnende Ge räusch des TageS diese Sammlung nicht aufkommen läßt. Vermischte Nachrichten. — Zur Warnung theilt die „Berliner Zeitung" folgenden Vorfall mit: Ein hiesiger Kaufmann, der einem ungetreuen Lehrlinge wider besseres Wissen ein gutes Zeugniß ausgestellt hat, auf Grund dessen dieser bei einem Bankier Anstellung erhielt, bald je doch 6000 Mark veruntreute, wurde zum vollen Ersatz dieser Summe verurtheilt. Die Warnung mögen sich auch Hausfrauen zu Herzen nehmen, die ihren Dienst boten häufig wider besseres Wissen gute Zeugnisse ausstellen, nur „um weiter keinen Aerger zu haben." — Gemiethete Verwandte. Aus Bukarest wird geschrieben: Unter den nationalen Industriezwei gen der rumänischen Hauptstadt verdient besonders die edle Profession erwähnt zu werden, welche die Verpflichtung übernimmt, allen Leuten, denen Eltern, Geschwister oder Verwandte fehlen, dieselben zu er setzen. Personen, die sich zu verehelichen wünschen und weder Vater noch Mutter haben, oder welche wirkliche Ellern besitzen, die aber ihre Zustimmung zur Ehe verweigern, haben nicht» anderes zu thun, als sich an den Eingang zum Standesamt zu stellen. Dort finden sie zu mäßigen Preisen „Herren" und „Damen", die gern die Stellen von Vätern, Brüdern, Müttern, Tanten oder Schwestern übernehmen. Für 20 Lei (16 M.) ist ein ganz anständiger Vater, für 15 Lei ein erträglicher Bruder und um den gleichen Preis eine nach der neuesten Mode gekleidete Mutier zu haben. Für den Preis von 50—150 Lei übernehmen diese „Herren Eltern" sogar die Herbeischaffung aller zur Verehelichung nölhigen Akten. Es kann sich aber zufällg ereignen, daß eine beim Standesamt be gonnene Hochzeit auf dem Polizeibureau endigt, wenn der Standesbeamte feststellt, daß die Eltern zu häufig mit zu verheirathenden Kindern erscheinen. Wollte man eine amtliche Statistik aufstellen, so würde man ohne Zweifel koustatiren können, daß einige Damen wenigstens 50 Mal in einem Jahre die Mutterrollen übernommen haben. Die Staatsanwaltschaft widmet jetzt diesen Verwandten auf Zeit ihre besondere Auf merksamkeit und hat beschlossen, Alle, die ihre Vater oder Mutterschaft miethweise vergeben, dem Straf richter zu überweisen. — Im Hemd wurde im Thiergarten in Berlin ein junger Mann auf einer Bank liegend gefunden. Er gab an, der Sohn eines höheren Beamten zu sein und in der Wormserstraße zu wohnen. Der junge Taugenichts war während der Nacht, von einer Kneipe rei kommend, in den Thiergarten geralhen, auf eine Bank niedergesunken und bald in tiefen Schlaf ver fallen. Diesen Zustand haben Leichenfledderer geschickt benutzt und ihn bis auf'« Hemd entkleidet. In einer Droschke setzte der Gefledderte den Weg nach der elterlichen Wohnung in recht gedrückter Stimmung fort. Wird sich der Papa gefreut haben, den wohl- gerathenen Sohn wiederzusehen! — Eine lustige Geschichte erzählt man sich in Verbindung mit den Prüfungen, die gegen wärtig an der Edinburger Universität abgehalten werden. Ein flotter Student wurde in der Physiologie vorgenommcn. Der Professor ergründet bald, wie weit es mit seiner Wissenschaft in diesem Fach bestellt ist, und fragt ihn plötzlich, ob er seine Visitenkarte da have. Der nichts ahnende Jüngling ist überrascht, er weiß aber, daß der Examinator da» gemüthlichste HauS ist, und der Gedanke blitzt in ihm auf, derselbe nehme wohl ein besonderes Interesse an ihm. Er beeilte sich daher, die Frage zu bejahen, und zieht die Karte hervor. „Danke, und nun," bat der Pro- seffor mit sanfter Stimme, „seien Sie so gut und schreiben Sie mir auf da» Ding Alles auf, waS Sie von Physiologie wissen." — Ihre Antwort. Er: „O, mein Fräulein, wollen Sie mich denn gar nicht erhören? Ich ver zehre mich ja vollständig vor Liebe zu Ihnen!" — Sie: „Gesegnete Mahlzeit!" — Wer ist zufriedener, der Besitzer einer Million oder der Mann mit sieben Töchtern? — Offenbar der Letztere; denn er hat genug, während Jener noch mehr Haden möchte. — Verplappert. A: „Du bist recht mager geworben!" — B.: „Habe neulich eine Entfettungskur durchgemacht!" — A.: „Wie lange?" — B.: „Drei Monate... und auch noch 50 Mk. Geldstrafe dazu!" Druck und yerla, von «. hannedohn in «idrnftock.