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- 25 - Im Kofferradio quälten sich drei mehrstimmig durch Ostseestrand und Harzerland, das war Rößler doch zu viel, und er stellte ab. "Ich hab Bierdurst," sagte Renel, balancierte über die Beine der Schlafenden und machte das Ehepaar mit dem Koffer auf den freien Platz aufmerksam* Der Mann brummte etwas und stürmte das Abteil.Aber unter Rößlers vorwurfsvollen Blicken fühlte er sich in seiner Ecke doch nicht ganz wohl, jedenfalls rief er nach draußen: "In zehn Minuten ist Wechsel*" Dann versuchte er zu schlafen, konnte nicht, weil er immerzu auf die Uhr sehen mußte, wann die zehn Minuten um seien, und als er aufstehen wollte, winkte Rößler ab und nickte der Frau zu und ging auf den Gang. Er konnte sich nicht vorstellen, so mit Brit hier zu stehen nach zehn Jahren Ehe, einfach bloß dazustehen, nebeneinander, zufällig nebenein ander. Die Jahre müssen die Liebe nicht töten. Wenn sein Vater von der Arbeit kommt, gibt es immer einen Guten-VTag-Kuß, einundzwanzig Jahre lang schon und doch keine Routine, ja, so wird es auch bei ihm sein. Sicher würde er nicht mehr Brits Hand halten hier auf dem Gang, nicht mehr mit ihren Fingern spielen. Yiellerht wird er auch nicht mehr Brit sagen, vielleicht nicht oder vielleicht doch. Aber er würde ihr etwas Nettes sagen, man kann keinen Tag leben, ohne einem Menscher etwas Nettes zu sagen. Man kann. Brits Eltern konnten es. Ein paar Monate nach der Hochzeit starb Brits Vater. Er war von der Arbeit gekommen und hatte kein Wort gesprochen und sich hingelegt, und auch die Mutter, pulloverstrickend im Sessel, hatte kein Wort gesagt. Es gab nichts zu sagen, die Zeit der Zänke schien vorbei, der Rest war Schweigen. Und in dieses Schweigen hinein zwischen zwei Pullovermaschen fiel ein unterdrücktes Stöhnen, und dann, vor dem geöffneten Sarg, vor dem vom letzten stillen Kampf entstelleten Ge-