- 20 - Am besten konnte er sich an das erinnern, was am längsten zurück lag. An all die Abende, die zunächst mit der letzten Straßenbahn endeten und dann mit der ersten früh und schließlich mit einem Mor genkuß. Er las ihr oft aus Büchern, er las immer schlecht, wenn er gut lesen wollte, doch sie lauschte, wie Kinder bei Märchen lauschen. Sie liebten sich und tanzten, auch wenn es im Zimmer schon kalt war. Rößler brauchte greine fremde Rolle mehr, fühlte sich größer als alle Romanhelden von Julian Sorel bis Bel ami. Die Kaffeemaschi ne m der Küche war ihr Wecker, und sie hörten, wie die Wirtin Brits Kommen vortäuschte, indem sie klingelte und laut im Korridor rief: "Nanu, Fräulein, schon so zeitig?" Denn ihr Mann, der zu dieser Zeit noch im Bett lag, hatte strenge Grundsätze. Rößler angelte mit den Zehen des rechten Fußes Brits Shorts vom Stuhl, ließ die Last am Kran übers Bett schweben, sie streckte ihr Bein in die Höhe, und der Kran manövrierte die Shorts über ihren Fuß. Strapaziöse Morgengymna stik, besonders für die Lachmuskeln. Dann sprang er in seinen Morgen mantel, füllte die Schüssel mit Wasser und mußte in den Korridor, wenn sie sich wusch. Den Grund für diese Verbannung sah er nicht recht ein, hatten sie xxb& nicht die ganze Nacht Haut an Haut gelq Und er protestierte: "Ich seh dich doch gern so, das ist dein schönstes KLeid." "Damit es für dich immer das schönste bleibt," sagte sie und schob ihn aus dem Zimmer. Da stand er nun draußen barfuß in Filzpantoffeln unter den lustig-spöttischen Blicken der Wirtin. "Na, Herr Rößler, hat sie ihre Lehrerin aus dem Unterrichtsraum ver wiesen?" Und sie zwinkerte ihm zu, zwinkerte mit ihrem ganzen runzligen Ge*» sicht und reichte ihm das Frühstückstablett. Mit dem wanderte er noch ein paarmal im Korridor auf und ab, bis Brit ihn rief. "Frühstücken!" sagte er, und manchmal mußten sie sich danach sehr be-