Singel Zu der Zeit, als die Chaussee noch der Mühlenweg war, lebte in der Mühlenheide in der Windmühle mit den drei Mühlenflügeln ein alter Esel, Der hatte ein fröhliches Herz - seine Leibspeise, blauköpfige Disteln, gab es ringsum genug; für den Winter trocknete er sich welche - was brauchte er mehr? Bei Frostwetter ging er auf den gefrorenen Teich tanzen, wenn die Sommersonne schien, stand er mit erhobenem Haupt vor seiner Mühle und sang. Dabei erinnerte er sich an alte Zeiten und an die vielen Kornsäcke, die er geschleppt hatte. Eines Tages, als er wieder einmal so recht aus Herzensgrund sein ”J - a, J - a” ertönen ließ, stand vor ihm ein kleines Mädchen, das hob freundlich die Hand und streichelte seine warme, weiche Esels schnauze* “Bist du ein Pferd?” fragte es. Das Mädchen war niemand anderes als Marlis Müller aus der 3 b, Wilhelmstadt, welche gerade mit einem flotten Wandertagslied auf den Lippen in der Ferne dahinzog. Das Pferd hatten sie im Unterricht noch nicht so gründlich behandelt. Der Esel äehüttelte verwundert den Kopf. Er - ein Pferd? "Aber, was bist du sonst?" Der Esel schwieg. Er verstand zwar die Menschensprache, aber unterhalten konnte er sich nur mit seinesgleichen. Marlis überlegte nicht lange. q tSingel* werde ich dich nennen, weil du so schön singst. "J-a!" antwortete der frischgetaufte Singel und nickte. Etwas an dem kleinen Mädchen war ihm lieb und vertraut, er tat die Lippen auseinander und knabberte an dem blauen Tüchlein vor seiner Nase. Er wunderte sich nur, daß es nicht stachelte. Oje! Man soll an einer neuen Freundin nie gleich herumknabbern - das Halstuch war frisch gebügelt! Marlis sprang einen Schritt zurück. Singel, über ihren Schreck erschrocken, tat ebenfalls einen Satz rückwärts.