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DER SPIEGEL DER HERR ANTHROP hat nach und nach die alte Wohnung re noviert, die Arbeit ist ihnjnichtleichtgefallen. Viel Plun der hat er in den Müll gegeben, doch die schönen und wert vollen Stücke hat er^wischen den neuangeschafften Möbeln so geschickt arrangiert, daß beiddgut zur Geltung kommen der Herr Anthrop ist sehr stolz auf sein Werk. Die Zimmer prangen in^neuen Glanz, nur der Korridor erscheint noch verhältnismäßig kahl. Ihn ziert allein ein großer Spie gel*. direkt gegenüber der Eingangstür, durch die nun alle möglichen Bekannten kommen, zum Einzug zu gratulieren, d. h. um die Blicke in der neuen Wohnung spazierenzuführen. Offen oder durch die Blume sagt man seine Ansichten zur neuen Ein richtung, und diese Ansichten nimmt der Herr Anthrop, der zuvor nur auf wenige Freunde hatte zählen dürfen, natürlich zu Anfang sehr ernst, jetzt, da er sich förmlich umschwärmt sieht. Uber eines kann er sich nicht genug wundern: Daß die Meinungen der Besucher, häufig bereits beim Eintritt geäußert, so kraß auseinandergehen. Und seltsam - die Mei nungen hängen ab vom Leibesumfang ihrer Besitzer: Die Dicken nörgeln herum, es passe nicht eines zum andern, so und so müsse er’s besser machen, und überhaupt scheine ihnen alles zu eng. Das Urteil der Leute, die etwa von Herrn Anthrops Statur sind, lautet: Hier läßt sich’s wohnen. Besonders magere Besucher zeigen sich begeistert. Und er beobachtet, daß der Spiegel bei dieser Meinungsbil dung eine wichtige Rolle spielt. Der hat nämlich die ver trackte, auf einem Produktionsfehler beruhende Eigenschaft, seine Spiegelbilder wenig, aber gleichmäßig in die Breite zu ziehen, was für die Dicken natürlich nicht schmeichelhaft für die Normalgewichtigen aber durchaus erträglich und für die Schmalen sogar äußerst ermutigend ist: Endlich sehen sie sich einmal so, wie sie sein wollen: breitschultrig und kräftig, ganz nach rechtem Maß. Und alle beurteilen also die Wohnung danach, wie sie selbst sich in ihren eigenen Augen darin ausnehmen... Der Herr Anthrop, als ihm diese Erkenntnis eines Morgens kommt, schmunzelt, beschließt, den Spiegel ruhig,einstwei- W'4- len hängenzulasoen, nimmt seinen Hut und gehtyzum Dienst in seine - Redaktion.