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SELBSTVERSTÄHDIGUNG 27 Ist es möglich, solche wie die zu beschreibenden Vorgänge in die Me- tepher eines Duells zu verwickeln? Gehen nicht Emst und Banalität, historisch-politische Verflechtung und das wirklich Konkrete verloren? Jch will über eine Zeit schreiben, die ich nicht selbst erlebt habe und zu der ich keinen Abstand habe. Ich will über Mandelstam schreiben und darf nichts verallgemeinern und zurechtrücken. Ich schreibe und werde das Gefühl nicht los, daß das Duell in diesem & selben Moment stattfindet , da ich schreibe vom Zögern und zögere, und daß das Rad der Geschichte um keinen Millimeter weiter in die Bahn zu bringen ist, solange die Beschreibungen - und wäre es geringfügig - unexakt sind und auch nur ein ±± falscher Zungenschlag eine Unsicherheit überspielen soll. Ich schreibe, um eine Schuld abzutragen, deren mil deste Erscheinungsform noch ist, meinem Gegenspieler in mir Raum zu geben, wieder Duelle anzuzetteln, und deren Alltag ist, in den Zwei kämpfen überzulaufen und unterzugehen. Die Zeit sollte sich geändert haben? Die Epoche sollte schon eine andere sein? Könnte ich das völlig glauben, könnte ich das hier ohne Zweifel schreiben. Oder überhaupt nicht mehr. sich Die Rede ist also von der Zeit, in der^als ein so typischer wie un- typischer Vorgang wie dieses "Duell" abspielt, die zweite Hälfte der zwanziger Jahre, wo alles unerträglich unklar zu sein schien, bis ge gen Ende der dreißiger Jahre, wo dieser Zustand dem Aschein weit un erträglicherer Klarheit gewichen war. Nach Lenins Tod hatte man die KuP fallengelassen. Sie hatte zwar Er gebnisse gebracht, nämlich der ausgebluteten Union wirtschaftlieh wie der auf die Beine zu helfen, aber sie hatte sich darin auch erschöpft. Um wirtschaftlich, sozial und vor allem politisch dem Kommunismus näherzurücken die Chance zu haben, mußte das Land durch eine Periode des verhüllten Staatskapitalismus gebracht werden, j p^.., TL u* Cöi* yx+AvJjyte M4r* .-oJ- (_y: Mu - - h’-r t mt A<M * ii _J"Im Widerstreit der Fraktionen in der Partei, die die notwendig fehlenden Erfahrungen durch Theorien, Diskussionen, Intellekt zu ersetzen versuchten, war die Person Stalins ein Zufall, er als Figur aber geradezu eine Folgerichtigkeit. fleh weigere mich, zu akzeptieren, daß das nach ihm benannte Regime den sowjetischen und nachher allen unseren Völkern vorherbestimmt ge wesen wäre. Doch ich begreife, wie ungemein schwer es gewesen wäre damals, seine Heraufkunft zu verhindern. Welche Klar^icht, welche Be stimmtheit nötig gewesen wären. Und ich denke, indem ich das hin schreibe, daß doch immerhin Mandelstam es 1923 in "Humanismus und Gegenwart" schon exakt beschrieben hat.1 Aber wer rechnet mit der ge wöhnlichen menschlichen Schwäche^ Mittelmäßigkeit, die darum einen leichten Sieg hat. Und Stalins plumpe, aber wirkungsvolle Rhetorik ergreift eher die Massen als die Gegenrechnung, die erklärt, daß lan desweite Zwangswirtschaft die Produktivität auf lange Sicht auf den Hund bringt und das Land mehr auszehrt als Krieg, Revolution, Bürger krieg, und alle mühsam geschaffenen Strukturen höherer Ordnung zer stört. Sind die Menschen gar nicht mehr zugänglich für ökonomischen Fortschritt? Genügen ein paar Dutzend Schlagworte, kaum als Wissen schaft getarnt, zu neuem Opium fürs Volk? Ist es das Gefühl, dazuzuge hören, wenn das Größte und Schönste geschieht, Lu diesem Falle der . Aufbau des Kommunismus, um, wenn nicht dnsh Verstand, so die Vernunft»^«*/^ zu verlieren? Die Angst als Machtmittel kam später,+denke ich, als J die Macht etabliert war. Zumindest den vielen, die ihr zugejubelt hat- ten (und noch, nicht etwa nur scheinbar, voller Angst zujubelten). Y/arum gelingt es der Mittelmäßigkeit, ein extremes Regime zu errichten? (Gewiß nicht nur, weil sie von den Klugen übersehen wird.) Sie trifft in fast allen auf etwas, das bereit ist, mitzuklingen. Mitzumarschie ren. Das charakterlose Stück Pcbel in unserem Charakter. Und die Ehrenhaftesten noch geraten in Zweigel in ihrer Einsamkeit, schwanken, ob es nicht ehrenhafter sei, zu verraten, da man ja nichts als sich selbst i verriete ...