Volltext Seite (XML)
"DEKABRIST" In das Jahr 1917 hinein schreibt Mandelstam das Gedicht über den Dekabristen. Mit großer Nähe au den Details*. Mxsbcfxxtx (die fast beleidigend häuslich anmuten). Und fast das ganze Gedicht lang mit hart gehaltener Distanz zum Gegenstand. Kunstvoll und nüchtern - akmeistisch. Doch ganz anders als etwa die gleichzeitigen akme- istischen Gedichte Gumiljows. Hier spürt man, wie im Halbschlaf genau, Gerüche, Geräusche, ohne zunächst zu verstehen, was ge schehen ist. Was geschieht? Jene Adligen, deren demokratische Verschwörung zur Beseitigung des Zarismus 1825 mißglückt war, wurden zu schweren Strafen ver urteilt. Die nicht hingerichtet wurden, mußtan auf lange Jahre bis lebenslang zu Strafarbeit und Verbannung nach Sibirien. Dort hatten sie ohne ihre Titel und Vermögen zu überdauern, beinahe kann man sagen, in einer so nicht angestrebten Gleichheit und Brüderlich keit mit Kriminellen, oder doch immerhin mit dem Vierten Stand. Sie - Leute aus den reichsten und vornehmsten Familien Rußlands, aus der einzigen Schicht damals, die gebildet genug war, sich gesellschaftliche Veränderungen solchen Ausmaßes vorzustellen, nachdem sie Erfahrungen mit der Napoleonischen "Revolutionsarmee" gemacht hatten. Das Volk, um das es hätte gehen sollen, die rus sischen Bauern, verharrte fromm, loyal und ungebildet. Die Deka bristen, Offiziere oder Dichter oder Offiziere und Dichter, hatten verspielt. So isoliert hatten sie eigentlich keine Ghance gehabt. Die reaktionären Verhältnisse wurden immer unerträglicher, aber das würde noch fast ein Jahrhundert so gehen. So sitzen sie das, warten nicht wissend worauf, warten kaum mehr, verlieren Hoffnung und Zorn* Jahr für Jahr mit den dumpfen Axtschlägen im weglosen russi schen Wald. Da bleiben nur Worte, wieder und wieder dieselben. Die blanke Utopie, nicht durch Verwirklichung verzerrt. So spielen sie Schach, als ginge es um die Geschicke der Völker. Das Jahr 1848 dringt als Gerücht zu ihnen, in der Vergangenheitsform, während an den Orten des Geschehens schon wieder alles vorbei ist. Bricht sich und sei es noch so undeutlich gewesen, hier klingt es hell und tapfer. Ungarn! Frankreich! Gar Deutschland! Die Menschen erheben sich, fordern die Gleichxheit ein, egal, ob jemand sie ihnen ver sprochen hatte. Der Kampfwagen der Siegesgöttin vom Brandenburger Tor bäumt sich auf, um loszurasen, den Are de Trioumphe zu durch fahren. Ganz Europa faßt einen gemeinsamen Gedanken. (In Rußland sind es nur die Petraschewzen, mehr ein intellektueller Klub als eine revolutionäre Vereinigung; gefährlich genug, auch die fliegen sofort au£) Kaum aber, daß der Spuk vorbei ist* xxaiysixri (in Frankreich), analysiert ihn Marx seinerseits als die Farce auf 1789, in Budapest marschieren deutsche Truppen ein, in Deutschland scheint alles weiterzugehen wie bisher und schlimmer. Der Traum vom Volksaufstand ist schneller ausgeträumt als ausdiskutiert. Jedoch in diesen hellsichtigen historischen Moment, als alles offen ist, weit in den Schlund der Geschichte hinein, faällt das Gedicht von dem Dekabristen. Dieser eine wird, wie mit der Kamera, hervor gehoben. Er hört den Berichten umso skeptischer zu, je euphori scher sie klingen mögen. Alle Erfahrung hier (in Sibirien) lehrt ihn, x daß politische Hoffnung nur an den Kräften zehrt. Doch kann er seine Ohren nicht ganz den Stichworten verschließen. "Der heid nische Senat" - für ein demokratisches Parlament existiert kein Begriff, nur eine Umschreibung(die versucht, Distanz des Sprechers auszudrücken, ähnlich wie es der Autor des Gedichts versucht - zu versuchen scheint). Dann hält der Dekabrist sich über mehrere Strophen auch das vom Halse, gestattet sich nur, es als indirekte Rede zu reflektieren. Aber die blauen Flämmchen auf dem Punschl Aber die Ungebärdigkeit der Gitarre, auf der man Lieder klimpert, vielleicht im Heineschen Toni Aber die Gemeinschaft der Gefährten! Sei's drum, ohne Hoffnung kann man nicht leben; kaum überleben. Worauf Hoffnung? Nicht, daß xxxx gleich oder eines Tqges alles ge löst worden sein könnte, aber ...