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6 44 (auch den Menschen) beherrschenden Idee, Das konnte nicht so bleiben. Die Geschichte rang sich dazu durch, an dieser Stelle nicht stehenzubleiben. (Aus einem Gedicht von Mandelatarn 1914: "Europa der Cäsaren! Seit auf Bouaparte/Den Feder kiel gerichtet Metternich,/Verändert erstmale nun in hundert Jah ren sich/ Vor meinen Augen die geheimnisvolle Kartei") Erst lang sam, dann lawinenartig immer schneller, geriet alles ins Wanken, die Objekte, die Bezugssysteme und die Subjekte, Geschwindigkeit. Technik. Eine neue Romantik mit Rausch und Furcht davor. Nackte Widersprüche inmitten alles Vermittlung. Großstädte. Menschenmassen. Industrie. Arbeiterbewegung. Klassenkampf. Weltkriegsgefahr. Krieg, Revolution. Nicht zufällig gleichzeitig anate neue, auch nichtreli giöse Ideologien. Teilchenphysik. Relativitätstheorie. Und wo sich alles zueinander neu relativiert, in neue, ungekannte Verunsicherun gen, neue Beziehungen stürzt, können auch Kunst und Literatur nicht länger auf dem Parnaß und in chn Akademien verharren. Nicht ein?, nein, etliche neuartige Strömungen bildeten sich rasch nacheinander und parallel in Europa heraus, die heftig einander und noch hefti ger alles Bisherige bekämpften. Die vom ökonomisch und geistig 3o± bürgerlich geprägten Publikum abgelehAt werden müssen, ohne selbst bewußt im Dienste des Marxismus oder gar der Arbeiterbewegung zu stehen. Alle diese Richtungen - Impressionismus, Fauvismus, Expres sionismus, Jugendstil, Futuristen, Konstruktivisten, bis zu den Surrealisten usw. - verkörperten aber Aspekte der Alternative, der Moderne, die gerade durch ihre Vielheit so intensiv (radikal und umfassend) wurde, und die Erneuerung des Lebens in der modernen Welt begleitete und weitertrieb. Auch den Akmeiamus (dessen Her ausbildung in seinen Gründern auch von der fruchtbaren Wucht der Stadt Paris gestreift wurde, die in der Kunst jener Jahre für Europa stehen konnte) zahle ich zu diesen Richtungen. Seine Wirkung auf die Literaturgeschichte i t als Strömung womöglich nicht so offen sichtlich gewesen wi* die anderer, weil er mit seinen Manifesten auch zu theoretisch einsetzte in dieser Seit, die sogleich aufs schärfste von Praxis überlagert wursten, der aber in der literarischen Realität über seine wichtigsten Vertreter Allmählich Einfluß gewann, sogar über die Grenzen der russischen Literatur hinaus. Die Gründer des Akagismus mögen geglaubt haben, sich ihre nötigen Theorien aus- gedacht z naben,etwa aus Unduldsamkeit gegen die Übersättigung durch den mystisch, unzeitgemäß gewordenen Symbolismus, der endlich voll ständig umgekippt werden müßte, doch ist die Gleichzeitigkeit seines Entstehens (mit all seinen Vorzügen und Beschränktheiten) mit der Umwertung aller Werte, die der erfolgreichen Revolution von n 1917 vorausgehen und folgen mußte», in aller Ernsthaftigkeit, keineswegs Zufall, Mandelatam schrieb 1922 (in "Das Ende des Romans"): "Nun aber sind die Europäer aus ihren Biographien geschleudert ■worden wie Kugeln aus Billardlöchern, und die Gesetze ihres Han delns werden, wie der Zusammenprall der Kugeln auf dem Billard feld, nur von dem einen Prinzip bestimmt: der Einfallswinkel ist gleich dem Ausfallswinkel." Und (in "Menschen-Weizen", 1922): Und so kam es, daß der Stillstand des politischen Lebens Europas als eines selbständigen Prozesses von Katastrophen, der im im perialistischen Krieg seinen Höhepunkt erreicht hatte, zusammen fiel mit dem Ende des organischen Wachstums der nationalen Ideen, mit dem allgemeinen Auseinanderfallen der 'Nationalitäten* in einfaches ;.!e ns chen-Korn, in Weizen, und wir müssen nun der Stimme dieses Menschen- eizens lauschen, der Stimme der Masse, wie man ihn jetzt in seiner Sprachohnmaoht nennt, um zu begreifen, was mit uns geschieht und was uns der kommende Tag bringt." Neben allen anderen war auch diese Strömung dazu notwendig, die eine Logik de3 Staunens, der Ehrfurcht vor der v.'el , der As oziativität d