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fvILLONfc Gegrüßt seist du, Villon, Bruder der Dichter, verschlagenes Herz chen! Öffnen Sie, Villon, im Hamen des Gesetztes! Im Namen des Ge setzes der Identität, das besagt, daß ein Ding es selbst ist, mehr nicht, des Grundgesetzes des Äkmeismus. Und der öffnet, dieser Villon mit dem veränderlichen Gesicht, mit dem undeutlichen, verkaterten Gesicht, muß sich fragen lassen®, welcher er nun eigentlich ist sei. Und wer seien all die Spiegelungen, die die Räume füllen? Nein, keine Bande, nicht die Coquillards. Das sind die Verwandten. Die Dichter-Brüder. Zech, Brecht, Biermann und ein ganzer Rattenkönig neu-anarchistischer Romantiker. Gut. Und selbst in der Küche sitzt noch einer deö Blutsbrüdern und übersetzt sich ein europäisches Mit telalter aus dem Rolandslied. Mandelstam schreibt, ungeachtet des Lärms hier, einen gotischen Dom hin, zeilenweise und alle Risse (von oben, untflg^ ^fl A -|§Ud, West, Nord) zugleich. Das ist keine Abschrift aus . Die bloße Widerspiegelung verschwän de sofort - nach dem Gesetzt der Identität. Lächelnd schreibt er hin, was er sieht, inmitten von uns, Brüder. Über das Eingangsportal zu dieser, zu einer seiner Welten zeichnet er Spitzen und Bögen, verherrlichende Ironie, und zu beiden Seiten kleine Dachtraufen drachen, aus deren moosigen Mäulchen rinnt Regenwasser, und der eine heißt Francois de Montcorbier-Villon und der andere Ossip Emiljewitsch Mandelstam. Und warum sitzt er hier, bei Villon, dem Aus-dem-Gesetz- Gefallenen, dem gebildeten Rechtsbrecher, dem Mann mit klarem Kopf und zärtlichen, diebischen Händen? Was verbindet ihn mit jenem, außer, daß er auch ein Rasnotschinez ist, und daß sie beide als Profis der Dichter-Gilde gelten müssen? Mandelstam schreibt über das Bruderherz Villon, als sei dieser soeben seiner Feder entsprungen - noch denkt er sich Eigenschaft eg für ihn aus, scgfin-, wundert er sich, wohin ter unterwegs ist. Und »i& u Tasziniert ihn? ml villon sich frei in sei ner Gesellschaft bewegen kann, weil er auf alle Rechtssicherheiten verzichten muß, und ist doch Sohn seiner Zeit mit jedem Wort? Weil er mit allem Wissen um die Anordnung der Worte zu Kunsteffekten im mer wieder Dreistigkeiten sagt, und sei es nur, weil er die gewöhn lichsten Dinge sagt mit solchem Aufwand (da werden sie ungewöhn lich und frisch und beleidigen die Akademiker)? Weil er sich, viel leicht durch Kunstfertigkeit, vielleicht durch Rechtlosigkeit dazu getrieben, zu Schmäh-Versen auf Hochgestellte hat hinreißen lassen, in Gefängnisse und Bedrängnisse geriet, folgerichtig? Weil er sich gar - pfui, wie charakterlos? - durch Lobverse auf dieselben Persön lichkeiten vorm Galgen rettete, dies Spatzenbündelchen nacktes Leben? Weil er, wie jeder daraus erkennt, die geschmähten, gelobten Herr schaften damit umso häßlicher verhöhnte? Weil es ihm letzten Endes nichts genützt hat und er ohne Spur vor aller Augen verschollen ist, schließlich? Wieso bewegt das diesen russisch-jüdischen Kaufmanns sohn in den arglosen Jahren vor dem ersten Weltkrieg, ihn, der sich später in Rostow einen gebrauchtem Pelz kaufen wird, den er mit Stolz und Pflichtgefühl tragen wird, den "Pelz der Literatur"? Wieso eigentlich?