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Eine genauere Nachforschung belehrte mich, daß das Abstreifen der Ketten-Schlußringe denn doch nicht so leicht und auch schwerlich ohne Beihilfe von statten gegangen; den es befanden sich frische Blutflecke an denselben. Irgend ein Werkzeug oder fremder Gegen stand fand sich nicht vor; auch wurde außer der Kleidung keine hier vorhandene Zache vermißt. Melzer berichtete, daß keiner der hier oben be findlichen Gefangenen in der Nacht irgend ein Ge räusch gehört haben wollte. An Ruhe war in dieser Nacht nicht mehr zu denken. Ich kleidete mich vollständig an und begab mich in das Amtslokal, wo ich bereits den Steckbrief und die an die betreffenden auswärtigen Behörden zu er lassenden Anzeigen entworfen hatte, als die gerufene» Beamten anlangten. Auch der Polizei Kommissar stellte sich ein. Als der Tag anbrach, durchstreiften die Gendarmen bereits die Umgebung nach der Entflohenen, befanden sich die für einige größere Zeitungen bestimmten Ab schriften des von mir erlassenen Steckbriefes sainmt den Anzeigen für die Behörden ans der Post, und eilten berittene, mit dem möglichst genauen Signale ment Elisabeths versehene Boten nach de» umliegen den kleineren Ortschaften, um überall zur Wachsamkeit auf die Flüchtige aufzusordern, aus deren Ergreifung ich aus eigener Machtvollkommenheit und für eigene Rechnung eine Belohnung von fünfzig Thalern gesetzt hatte. Außerdem wurde eine öffentliche Anfsorderung erlassen, damit diejenigen Schlosser der Stadt und Umgegend sich meldeten, welche in den letzten drei Monaten für irgend Jemand Schlüssel angefertigt, ohne daß sie die dazu gehörigen Schlösser in den Händen gehabt. Damit war Alles gethan, was von meiner Seite für jetzt in dieser Sache geschehen konnte. Ich befand eö für gut, Theodor die Entweichung seiner Schwester mitzutheilen. Er vernahm die Nachricht mit sichtlichem Schrecken. „Die Unselige!" rief er aus. „Durch dieses thörichtc Wagniß bekennt sic ihre Schuld." Dieser Ausruf enthielt unbezweifelbare Wahrheit, daher ich denselben bei dieser Gelegenheit ganz natür lich fand. Es trieb mich, Theodor zu fragen, ob sei« Vater außer ihm noch einen anderen, vielleicht illegitimen Sohn besessen habe. Er erwiderte, daß er vor Jahren allerdings aus dem Munde eines inzwischen verstor benen näheren Bekannte» seines Vaters von dem Vorhandensein eines ältere» illegitimen Bruders ge hört, der ihm selbst sogar sehr ähnlich sein solle; da aber weder seine damals noch lebende Mutter, noch andere nahe Bekannte seines Vaters aus vessen jüngerem Alter die geringste Kunde von einem solchen Sprößling des letzteren besaßen — diesen selbst habe er aus naheliegenden Gründe» niemals darum befragt — so habe er bis heute jene Angabe als eine un wahre betrachtet. „Darf ich fragen, Herr Justitiar, warum Sie diese Frage stellen?" „Ich sah vor kurzem in der That eine» Mail«, der Ihnen zum Verwechseln ähnlich war. Solche Aehnlichkciten finden sich indes selten zwischen notorisch einander ganz fremden Leuten . . . Gute» Morgen, Herr Werner!" Nicht die Absicht, etwas über meinen begünstigten "Nebenbuhler als solchen in Erfahrung zu bringen, hatte mich jetzt zu jener Frage veranlaßt, sondern der sich mir trotz meiner Abweisung während des heutigen Morgens immer wieder von neuem auf drängende Gedanke, daß jene heimliche Zusammenkunft Johannas mit dem, meinem Jnquisiten so ähnlichen Manne in der alten Kapelle in engem Zusammen. Hang mit Elisabeths, nur durch Beihilfe von außen ermöglichter Flucht stehen müsse. Theodors Antwort, obwohl eigentlich verneinend lautend, ließ mich nicht zweifeln, daß die in Unter suchung befindlichen Geschwister noch einen Bruder hatten; von welchem jener vielleicht keine sichere Kunde hatte, wohl aber Elisabeth, und den Johanna durch ihre Freundin kenne» gelernt. Dieser Mann konnte durch vielerlei Gründe genöthigt sein, sich in dieser Gegend nicht öffentlich zu zeigen. Wie sein Halbbruder ein angenehmes Aeußere besitzend, mochte er auch geistreich und von verführerischem Wesen sein. So war cs erklärlich, daß ein hier fremder Mann unbemerkt von Johannas nächster Umgebung deren Neigung gewinnen konnte. Die beiden hatten sich auch zur Befreiung der Schwester und Freundin verbunden; darauf deutete ja schon die von Johanna in da- Heft des Unterhaltungsblattes geschriebene zuversichtliche Verheißung hin, daß der Tag der Erlösung für Elisabeth bald erscheinen werde. Aber man wird nicht allein die flüchtige Giftmischerin er greifen, sondern auch deren Helfershelfer ermitteln und sie ohne Ansehen der Person der verdienten Strafe überliefern! Der Onkel und die Tante werden sich ohne Kampf lossagen von einer Unwürdigen, die Wohlthaten so übel vergilt, indem sic sich einem Landstreicher in die Arme wirft und mit einer notor ischen Giftmischerin Gemeinschaft hält, eine Gemein schaft, durch die sie sich die Gunst des Buhlen erkauft! So ließe» Zorn und Schmerz mich zu mir selber sprechen. Inzwischen war es völlig Tag geworden, und nachdem ich mit dem Schlosser, dem die ösfentlichen Arbeiten seines Handwerkes übertragen waren, eine Besprechung hinsichtlich der nöthig gewordenen Acnde- rung sämmtlicher Verschlüsse im Gerichtsthurm ge habt, war es Zeit, mich auf meinen schweren Weg zu machen, Ich mußte dem RcichSgrafen persönlich die Entweichung eines der «»geklagten Geschwister melden, gegen die er wegen der Ermordung seines tüchtigen ehemalichen Oekonomie - Direktors eine so tiefe und gerechte Erbitterung hegte. Ich war auf die härteste» Vorwürfe von Sr. Erlaucht gefaßt und bangte jetzt selber um den armen Melzer. Als ich im Begriff war, in den Wagen zu steigen, der mich nach dein Schlosse am See bringen sollte, trat denn auch Frau Melzer mit weinenden Augen zu mir. ' „Unsere Entlassung ist uns leider gewiß," sagte sie unter Schluchzen. „Aber wenn Sie, Herr Justi tiar, eine Fürbitte für uns eiulcgen wollten, so erhiel ten wir doch vielleicht eine kleine Pension." Ich versprach natürlich, mein möglichstes zu thun. Mein Weg führte am Hause meiner Verwandten vorüber. Ich ließ den Wagen halten und trat ein; denn ich war begierig auf Johannas Verhalten, die, wie die Andern in diesem Hause, bereits durch den Gärtuerburschen, der am frühen Morgen, wie ge wöhnlich, in meine Wohnung gekommen, Elisabeths Entweichung erfahren haben mußte. Johanna selbst öffnete mir die Hausthür. „Ist es wahr?" fragte sie sogleich. „Hat die Unglückliche nicht widerstehen könne»?!" „Sie meinen Ihre Freundin, die Vatermörderin?" erwiderte ich in sicherlich nicht freundlichem Tone. „Warum hätte sie den Beistand ihrer Verbündeten nicht annehmen sollen, um einige Tage oder Stunden der Freiheit zu genieße», die sonst in diesem Leben niemals für sie gekommen wären? Sie verdient weniger Tadel und Züchtigung, als ihre perfiden Helfershelfer!" Johanna sah mich mit einem Blick an, so voll ticsschmerzlichen Vorwurfs, daß ich ihn nie wieder vergessen konnte. Durch eine Handbewegung deutete sie an, daß der Onkel und die Tante sich im Familien zimmer befänden, und stieg, ohne ein Wort zu sprechen, die Treppe zu der oberen Etage hinan, wo sich ihr Zimmer befand. „Heuchelei!" sagte ich mit Achselzucken zu mir selbst. „Angst vor der Entdeckung! Mich täuscht sie nicht mehr!" Der Onkel und noch mehr die Tante waren über das Ereigniß um Johannas willen betrübt, deren durch dasselbe hervorgerufene Erregung ihnen Bc- sorgniß einflößte. Jin übrigen waren auch sie der Meinung, daß Elisabeth durch ihre Entweichung ihre Schuld offenbart habe. Mein Aufenthalt währte nur wenige Minute»; ohne Johanna wiedergesehcn zu haben setzte ich meinen Weg fort. Seine Erlaucht empfing mich sogleich und hörte mit unerwarteter Ruhe meinen Bericht an, der auch die zur Wiederergreisung der Entwichenen und Er mittelung ihrer Helfershelfer ergriffenen Maßregeln umfaßte. Nach Beendigung desselben griff der Reichs graf zur Dose und sagte dann: „Sehe es Ihnen an, mein lieber Justitiar, daß Sie sich von dieser Geschichte sehr alterire» lassen. Aber mit Unrecht. Das Frauenzimmer wird uns nicht für immer entwischt sein; man wird es bald wieder dingfest gemacht haben, und Sie haben dann leichte Arbeit. Will hoffen, daß dieser Zwischenfall mich nicht des Vergnügens berauben wird, Sie Morgen Abend hier zu sehen." Uebcrrascht von solcher Freundlichkeit, erwiderte ich einige passende oder vielleicht unpassende Worte und entledigte mich dann meines der Frau Melzer ge gebenen Versprechens, indem ich mich auf die lang jährige gewissenhafte Amtsführung des redlichen Mannes berief und dessen Zerknirschung und Ver zweiflung schilderte. Seine Erlaucht hörte mich mit gütiger Miene an, gebot mir dann, ein wenig zu warten, begab sich in das Nebenzimmer und kehrte alsbald mit einem versiegelten Billet zurück. «Fortsetzung folgt.) Etwas Geschichtliches von Johanngeorgenstadt. Johanngeorgenstadt, r> 124 Einwohner 750 m hoch (Marktplatz), ist von böhmischen Exulanten (haupt sächlich Plattenern, denen sich auch viele aus Bär ringen, Abertham, GottcSgab nnd Graslitz «»schlossen), die wegen ihrer evangelischen Glaubcnstreue flüchten mußten, 1654 mit Erlaubniß des Kurfürsten Johann Georg I. gegründet worden. Die Mehrzahl der Flüchtenden verließ ihre Plattener Heimath in einer unheimlichen Dczcmbcrnacht 1653, nachdem sich schon 2 Jahre vorher mehrere Personen auf dem Fasten berge angesiedelt hatten. Da die wenigen und kleinen Häuser auf dem Fastenberge (in dem einen — David Schürers Haus — sollen 23 Ehepaare gewohnt haben) nicht zureichten, die Exulanten alle aufzunehmen, so wohnten anfangs viele in Jugel, ja eS hielten sich sogar bei den Köhlern und Holzhauern im Walde manche auf. Am 1. Mai 1654 wurde mit der An lage der Stadt begonnen, am 10. Mai die Thür- schwelle zu dem ersten Hause am Markte gelegt. Dem Anbau stellten sich große Schwierigkeiten in der ersten Zeit entgegen (Geld- und Wassermangel, strenge Winter), so daß 8 Jahre lang mehrere Häuser «sogar am Markte) der Fenster entbehren mußte». Doch waren Ende Juli 1654 bereits 40 Häuser ziemlich vollendet und Anfang Juni 165'.) standen schon 150. 1654 wurde der 1. Pfarrer, Polykarp Weber aus Schwarzen berg, angestellt, der bis zur Vollendung der unter großen Aufopferungen und Anstrengungen erbauten Kirche (Grnndstein am l. Mai 1655 gelegt, Ein weihung am 15. Februar >657) in einer Stnbe des Hammergnts Wittigsthal, in welcher noch heute die Malereien an der Decke zu sehen sind, den Gottes dienst abhielt. Die Kurfürsten Johann Georg I. und Johann Georg II. bewahrten den Bürgern ihre Huld und verliehen der neuen Stadt mancherlei Privilegien. Der erste Lehrer mußte 12 Jahre „mit seinen Schul lindern zu Hause ziehen", da erst 1666 ein äußerst dürftiges Schnlhaus gebaut wurde; seit 1688 wirkten schon mehrere Lehrer. Rathhausbau 1664—69. Der Kirchthurmbau konnte wegen Geldmangels erst >687 begonnen, 1713 äußerlich und 1715 innerlich vollendet werden (Thürmcrwohnung). Die Hauptnahrung brachte im Anfang der Bergbau, der besonders um das Jahr 1670 nnd in der Mitte des vorigen Jahr hunderts in großer Blüthe stand. Bon 1662—1856 war hier ein Bergamt, an welchen! 16 Bergmeister nach einander angestellt waren. Auch Viehzucht wurde erfolgreich betrieben, da das Vieh die Wald ungen mit abgrasen durste. Engelschall (1723) be richtet hierüber: „Ein gutes Stück der Nahrung hie sigen Ortes ist die Viehzucht, indem in Waldungen das schöne Gras wüchset und das Vieh mehr stehen lässct, als cs auf dem platteu Lande findet, daher» auch die Butter sowohl guten Geschmackes als auch flugs annehmlich auSsiehet." Das weibliche Geschlecht beschäftigte sich hauptsächlich mit Spitzcnklöppeln. Seit Anfang dieses Jahrhunderts ist Johanngeorgen stadt der Sitz der Kunsttischlerei, die jetzt noch in 3 Ehatouillenfabrikcn, einer Streichzither- und einer Regulatorgehäusefabrik betrieben wird. Seit ca. 40 Jahren wird auch Cigarrcnfabrikation hier betrieben. Die Handschuhfabrikation, die jetzt den Hauptnahrungs zweig bildet, besteht seit 1868 und entwickelte sich aus der schon ca. 30 Jahre vorher hier betriebenen Hand- schuhnäherci. Johanngeorgenstadt hatte im 7jährigcn Kriege, namentlich in den Jahren 1756 nnd >759, durch Einguartirungen viel zu leiden, ebenso in den Jahren 1778 und >813. 1778 richtete insbesondere das Regiment des Oberstlieutenants Otto, welches von Böhmen aus plündernd in Sachsen einficl, hier einquartirt werden mußte und 4000 Thaler Brand schatzung forderte, großen Schaden an. Die Ein- guartirung allein kostete 1400 Thaler. Außerdem wurde» viele Häuser geplünvcrt, darunter am ärgsten die Post. Auch von mancherlei Krankheiten wurde Johann georgenstadt heimgesucht, so in den Jahren 1771 und 1772 von dem sog. Hungertyphus, welcher im Jahre >772 allein 673 Personen das Leben kostete. Zn Anfang dieses Jahrhunderts wütheten die Blattern hier fürchterlich, denen namentlich (1800) viele Kinder erlagen. Am 19. August 1867, jene»! unvergeßlichen Schreckenstage für Johanngeorgenstadt, wurde fast die ganze Stadt ein Raub der Flammen. 'Nur wenige Häuser im oberen Stadttheile und in der Jugeler Gasse blieben verschont. Alle öffentlichen Gebäude, darunter das alte Heiligthum der Exulanten, die Kirche, sanken in Trümmer. Im Herbste 1869 wurde mit dem Bau der neuen Kirche begonnen und derselbe bis Ende Juli 1872 vollendet. Am 27. August 1872 wurde die Weihe des neuen Gottes hauses vollzogen. DaS neue Rathhaus wurde in den Jahren 1868—1870 erbaut. Die Stadt zählte schon 10 Jahre nach ihrer Gründung ca. 2000 Einwohner, deren Zahl sich bis zu Anfang dieses Jahrhunderts wenig änderte und bis 1842 auf 2400 angewachsen war. 1860 betrug die Einwohnerzahl 3743, 1875 hatte Johanngeorgenstadt schon 4209 Einwohner. Die rännitiche Beschränktheit unserer modernen Wohnun gen, macht sich am unangenehmsten fühlbar bei irgend weicher Aenderung oder Ausbesserung auch nur eines Zimmers. Muß man ein Zimmer, wie z. B. bei gewöhnlichem Anstrich des Fußbodens, tagelang leer stehen lassen, so veranlaßt dies große Ungemüthlichkeit, die durch den penetranten Geruch des gewöhnlichen OehlsarbeanstrichS oder OellackeS wahrlich nicht vermindert wird. Unter diesen Umständen wird mancher unserer Leser dankbar sein, wenn wir ihn aus eine Erfindung auf merksam machen, durch welche diese Unannehmlichkeit ver mieden swird. Der seit einer langen Reihe von Jahre» von Franz Christoph in Berlin fabrizirte und prallisch be währte Fußboden-Glanzlack trocknet nicht nur während des Streichens, sondern ist auch absolut geruchlos. Man kann also jedes damit bestrichene Zimmer sofort wieder benutzen, ohne durch irgend welchen Geruch oder Klebrigkeit deS Bodens belästigt zu werden. Zu haben ist diese- Fabrikat in jeder größeren Stadt Deutschlands, doch ist genau aus den Namen Franz Chri stoph zu achten, da diese, wie jede praktische Erfindung, bald geringwerthig nachgeahmt und versälscht wird. Druck un» Verla- van L tzannetzatzn in »itenftack.