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Friedrich kehrte zurück. Er war mit der Arbeits jacke angethan und trug unter dem Arme ein ziem lich starkes, etwa achtzehn Zoll breites und zur Ueber- brückung des Fahrweges genügend langes Brett herbei. Nachdem er die Pforte aufgeschlossen, legte er das Brett auf die etwas erhöhten und daher ziemlich trockenen Ränder des Weges, ging hinüber und zog an der dortigen Stelle zwei oder drei Zaunplanken auS den Pfählen und kehrt» dann zurück. „Nun erlauben Sie mir Ihre Hand, Fräulein, und ich bringe Sie unversehrt hinüber." Johanna überschritt mit Friedrichs Beistände in Sicherheit den schwankenden Steg und ich folgte. „Habe Dank, guter Friedrich! Du wußtest in der Thal den besten Rath." „Sie sind sehr gütig, Fräulein. Sehen Sie, dort schon ist ein Kiesweg. Die höchstens zwanzig Schritte durch das allerdings noch feuchte Gras werden Ihnen nichts lhun. Ich lasse die Planken und das Brett liegen, Herr Justitiar, und verschließe auch nicht die Pforte. Es wird schwerlich hier Jemand vorübergehen, und ich bleibe auch im Gemüsegarten. Sie können also auf demselben Wege zurückkehren." „Gut, Meister Friedrich." Der ehemalige Begrübnißplatz war jetzt von spielen den Kinder» belebt, deren lautes Jubeln seltsam mit der Bestimmung dieser Stätte kontrastirtc; unv dieser Umstand gab uns Anlaß zu Bemerkungen, von denen ich die Johannas als ebenso dem Verstände wie dem Gefühle gerecht werdend, anerkennen mußte. — „Ach," seufzte ich heimlich, „das sind nur Nach klänge aus der noch schuldlosen Zeit, die unwieder bringlich dahin ist, auch wenn es gelingt, den gefalle nen Engel vor dem tiefen Sturze zu bewahren!" Zwischen den verwitterten Denksteinen und mor schen Grabkreuzen dahin wandelnd, hin und wieder deren halbverwischte Inschriften zu entziffern suchend, gelangten wir endlich auch in die Nähe der Kapelle. Vor dem Eingänge derselben schweifte ihr Blick forschend am Boden umher; ich war überzeugt, daß sic nach ihren eigenen Fußspuren suche, die aber hier nicht vorhanden waren. „Wollen wir eintrete», Kousin?" Ich war es zufrieden. Die Kapelle bot denselben Anblick dar, wie am heutigen Vormittag; aber das Rufen und Lachen der draußen spielenden Kinderschaar erweckte zwischen diesen wüsten Mauern einen wirren Widerhall. — Johanna ließ beim Eintreten de» Blick rings umher schweifen und heftete ihn dann — init cigenthümlichem Ausdruck, wie es mir vorkam — auf die von allen vier Seiten mit Stufen umgebene Steinplatte, welche ehe mals den Altar getragen. Mein Blick folgte dem ihrigen, ich konnte aber jetzt so wenig wie am Vor mittag irgend etwas entdecken, was besonderer Auf merksamkeit Werth gewesen wäre. „Wie viel gläubige Gebete aus kummervollem Herzen sind hier an der Bahre geliebter Tovten unter heißen Thränen zum Himmel emporgesandt worden!" sprach Johanna nach einer Pause im Tone innerer Bewegung. „Möchte das dunkle Jenseits keine Hoffnung getäuscht haben!" „Und wie viele niit geheimer Schuld beladene Herzen mögen hier mit Zittern der Vergeltung ge dacht haben!" setzte ich hinzu. „Möchte die Mahnung nimmer vergeblich gewesen sein!" Johanna schwieg. Die Hände gefaltet, den Kopf gesenkt, hatte sie das Aussehen einer Betenden, bis plötzlich ihre zarte Gestalt wie im Fieberschauer er bebte. „Was ist Ihnen, Kousine?" „O, nichts. Die Lust in diesem verödeten Raume wirkt kältend. Lassen Sie uns gehen." Wir traten den Rückweg an. Der Eindruck, den Johanna in dem düster» Raume in der Kapelle empfangen, wich rasch vor den« Son nenlichte und dem bunten Trubel der fröhlichen Kin der. Sie plauderte mit einigen derselben, die in unsere Nähe kamen und von ihr gekannt waren. Unser Aufenthalt auf dem ehemaligen Begrübniß- platze hatte etwa eine Stunde gewährt. Die Anstal ten zum Überschreiten des morastigen Fahrweges fanden wir unversehrt vor, und ich führte Johanna jetzt an meiner Hand ebenso sicher hinüber wie vor hin Friedrich. Dieser kani uns im Garten entgegen. „Meine Mutter hat die Herrschaften bereits ge sucht; der Kaffee erwartet Sie . . . Nun, Fräulein, ist Ihnen der Spaziergang gut bekommen, und haben Sie sich keine nassen Füßchen zugezogen?" „Der Spaziergang hat mir Vergnügen gemacht, Friedrich; und dank Deiner Fürsorge kehre ich mit trockenen Füßen zurück, wovon Dich, wenn Du die selben eines Blickes würdigen willst. Deine Augen überzeugen können ... Ist eS schon lange her, seit Deine gute Mutter uns gesucht?" „Nein, Fräulein, höchstens eine Viertelstunde." „So müssen wir eilen, Kousin, damit wir nicht gar zu sehr gescholten werden . . . Adieu, Friedrich, grüße mir Deine liebe Frau!" Johanna reichte ihm die Hand. „Großen Dank, Fräulein! Ich wünsche Ihnen recht viel Vergnügen beim Conccrt am heutigen Abend!" „Warum kommen Sie nicht auch zum Concert, Friedrich?" fragte ich, während Johanna vorausging. „Mein gutes Weibchen wird durch die zu erhoffen den Mutterfreuden an das Haus gefesselt," erwiderte der wackere Gärtner mit glückseligem Lächeln; „da kann ich sie doch unmöglich den Abend über allein lassen!" „Sie glücklicher Mann!" seufzte ich, drückte ihm die Hand und eilte der Vorangegangcnen nach. Wir fanden de» Onkel und die Tante lustwandeln in der Nähe des Hauses. „Verzeihung lieber Papa, bestes Mamachen, daß wir auf uns warten ließen!" schmeichelte Johanna und küßte Beiden die Hand. „Ich allein bin schuld daran!" „Das konnte ich mir denken," versetzte der Onkel. „Dem Justitiar wäre es wahrhaftig nicht eingefallen, auf dem wüsten Begrübnißplatz sein Vergnügen zu suchen." „Aber ich habe solches doch dort gefunden, Onkel," versicherte ich und erntete als Dank für diese Lüge eine» mütterlich-freundlichen Blick der guten Tante. „Wenn Dir der Spaziergang, wie es ja scheint, nur gut bekommen ist, liebes Kind, so hat bas War tenlassen nichts zu bedeuten", sagte Jene und streichelte zärtlich Johannas Locken. — „Doch nun kommt Alle zum Kaffee, damit die gute Christine heute auch noch ihre Sonntagsruhe genießen kann." Um fünf Uhr begann das Conccrt, welches eine aus der nahen preußischen Garnisonstadt L. herüber gekommene, durch ihre Leistungen rühmlichst bekannte Militärkapelle im großen Saale des Gasthofes gab. Das Programm war ein gewühltes. Alle Honora tioren von Z. und aus der ganzen Umgegend hatten sich cingefunden. Johanna, obwohl sie nur einfache, doch immerhin kleidsame Toilette gemacht, war der Gegenstand der Aufmerksamkeit der anwesenden jüngeren Männerwelt, und mancher mich treffende neidische Blick zwang mich zu bitterem Lächeln. Sie selbst schien diese Aus zeichnung nicht zu gewahren oder zu beachten. Schließ lich mit ganzer Seele gab sie sich dem Genüsse der Musik hin, der mir bei meiner Stimmung völlig ver loren ging, und gab in den Pausen ihre Freude über denselben kund, ohne das Gehörte, wie es auf den Nachbarplätzen seitens mancher jungen Daine geschah, einer ästhetischen Kritik zu unterwerfen. Nach dem Concert speisten wir mit einigen an wesenden Bekannten im Gasthofe zu Abend. Als ich mich am Hause meiner Verwandten von diesen verabschiedete, vernahm ich von Johannas Lippen die augenscheinlich an mich adressirte Versicherung — ich hatte nämlich die Einlaß-Billets für das Concert beschafft — daß sie dem heutigen Sonntage vieles Vergnügen verdanke, und ich hatte es in der Verstell ung schon so weit gebracht, um mit heiterer Miene auch meinerseits diese Versicherung zu ertheilen. Nach empfangener Meldung, daß im Gerichtsthurm während meiner Abwesenheit nichts Bcmerkenswerthes vorgefallen, in meinem stets von Fran Melzer wohl versorgten Arbeitszimmer angelangt, hegte ich im Ernste die Idee, von Mitternacht an die Kapelle zu beobachten, und beim ersten Zeichen, daß dort wieder eine heim liche Zusammenkunft stattfinde, in deren Nähe zu schleichen, um wenigstens meinen begünstigten Neben- huhler kennen zu lernen, wenn derselbe den Rückweg antrete. Vorläufig machte ich mich an die Revision der heute in Elisabeths Zelle konfiszirten Bücher und Zeitschriften, welche der Gefangenen von verschiedenen Seiten zugekommen waren; es galt, eine etwa mittels derselben geführte Korrespondenz zu entdecken, indem ich sie von vorn bis hinten durchblätterte. Ueber eine Stunde lang hatte ich dieser unter haltenden Beschäftigung obgelegen, ohne eine Entdeck ung gemacht zu haben, als ich endlich das letzte Stück zur Hand nahm. Es war das neueste Heft eines damals vielgelesenen Unterhaltungsblattes, welches auch bei meinen Verwandten Eingang gefunden hatte. Auch dieses hatte ich fast bis zu Ende durchblättert, als ich eine mit Bleistift «»gestrichene Stelle fand, während auf dem unteren Rand der betreffenden Seite einige Zeilen, ebenfalls mit Bleistift, geschrieben waren, in denen ich sofort die zierliche Handschrift meiner Kousine erkannte. „Ah, da haben wir die Bcscheerung!" rief ich aus und las sofort die angestrichene Stelle, welche, einer Novelle angehörend, etwa folgendermaßen lautete: „. . . Wenn unverdientes Unglück Dich verfolgt, wenn die Menschen Dich verkennen und lästern, wenn Deine besten Freunde sich ialt von Dir abwenden und die Bosheit ihren Stachel an Dir übt — o dann getröste Dich des gerechten Waltens jener überirdischen Macht, die Du Gott, Vorsehung oder anders nennen magst; sei gewiß, denn die Erfahrung lehrt es in Millionen Beispielen, daß Deine Unschuld offenbar wird und Du Vergeltung empfangen wirst für alle« unverdiente Leiden, und nicht erst im fernen Jenseits, sondern schon hier in diesem Leben, Dir zur Genug- thuung, Deinen Widersachern zur Beschämung und Strafe und der Menschheit zur Lehre ..." (Fortsetzung folgt.) Zehn beherzigenswerthe Gebote für Eltern und Erzieher. 1. Seid jederzeit eingedenk, daß das Kind ein Hciligthum und weder ein niedliches Spielzeug zum Verziehen, noch ein wehrlos in eure Hände gegebenes Opfer ist, um alle eure bösen Launen an ihm aus- zulassen. 2. In der Pflege an Geist und Gemüth des Kindes sind die fünf Hauptbedingungen, mit denen es zu behandeln ist: Liebe, Wahrhaftigkeit, Sittcnrein- heit, Schönheitssinn und möglichst viel Freiheit. Die beiden ersten sind das einzige Mittel, das Vertrauen des Kindes zu gewinnen, während die Sittenreinheit des Erziehers des Kindes Achtung, der Schönheits sinn — außer vielen höheren Genüssen — Ordnung nnv Reinlichkeit, die Freiheit aber Selbstständigkeit im Kinde erweckt. 3. Die Erziehung beansprucht zwar keineswegs die ganze Zeit des Erziehers, aber sie beansprucht einen ganzen Menschen. Wer keine Liebe zu Kindern hat; wer weder sittenrcin noch wahrheitsliebend ist; wer keinen Schönheitssinn hat, und wer gern den Despoten spielt, welcher seine Uebermacht fühlen läßt; ein solcher Mensch taugt nicht zum Erzieher und lasse deshalb seine Hände davon, selbst wenn cS seine eigenen Kinder betrifft. 4. Laßt es niemals ein Kind entgelten, wenn sein Wesen etwa eurem Sinn und Wunsch nicht ent spricht; denn wir können die Kinder nach unserem Sinne nicht formen und so wie sie eininal sind, so muß man sie liebhaben. Straft auch niemals ein Kind ini Zorn und hat es einen dummen Streich gemacht, so schaden ihm zwar etwas Schelte und selbst leichte Schläge dafür nichts, aber ihr schadet euch in eurer Autorität, wenn ihr euch znr Heftigkeit hin reißen laßt, denn wo die Selbstbeherrschung fehlt, ist cs auch mit dem richtigen Maßhaltcn bei der Be strafung vorbei. b. Bei dem Heranwachsenden Kinde habt immer seine zu gewinnende Freundschaft im Auge und stört niemals und in keiner Weise durch Rohheit oder Rauheit das innig zarte Verhältniß dieses keimenden Frcundschaftsbundes. Seid auch bei gut vollbrachtem Werk nicht allzu karg mit Lob, denn jede gute Arbeit ist ihres Lohnes werth, und nichts in der Welt spornt mehr an als hin und wieder ein anerkennendes Wort. Dagegen ist bei kleinen Leiden und Schmerzen des Kindes eher ein wenig Härte als zn große Weichheit und Aengstlichkeit am Platze; denn das Kind soll frühzeitig dergleichen ertragen lernen. 6. In der Körperpflege sind die fünf Hauptbe dingungen: kräftige Nahrung, viel frische Luft, Rein lichkeit, ausgiebige Bewegung, die durch keinen Zwang irgendwo behindert wird und viel Schlaf. 7. Die Nahrung — eine Mischung von Fleisch und Gemüse — sei abwechslungsreich aber ohne viel Gewürz. Die Hauptgetränke seien Milch, Kakao und Wasser, während die Genußmittel Kaffee, Thee, Bouillon, Bier und besonders Wein oder sogar Li- queure nur sehr ausnahmsweise zu gestatten sind; oft gereicht, schaden letztere unbedingt dem Organis mus. 8. Die Kleidung sei immer der Witterung, anstakt der Mode oder dem Kalender angemessen. Man lasse daher dem Kinde weder wollene Sachen kragen, wenn es heiß, noch ausgeschnittene dünne Kleidchen, wenn es kalt ist, vor Allem aber werde jeder unnöthige Aufsatz vermieden, welcher nur das freie Herumspielcn behindert. Auch darf kein Kleidungsstück eng anliegen, sowohl der stetigen Luftzufuhr als des Druckes wegen. Es gilt dies sowohl für die Fußbekleidung nebst Strumpfbändern, wie für Röcke und Halskragen. Bor Allem ist bei den Mädchen, in welchem Alter sie auch stehen mögen, entschieden das Schnürleibchen zu vermeiden; an seine Stelle ist am besten eine weite, bequeme Untertaille mit Knöpfen, auch über die Kin derjahre hinaus, zu setzen und an den Beinkleidern und Röcken zu befestigen; damit sie nicht etwa ein schneidet. Fehlt die feste Unterlage des Korsetts, so fällt damit auch ganz von selber die feste, enganschlie ßende Fischbcintaille mit Gurtband und Abnähern hinweg, welche jede freie Bewegung hindert. Durch die hierdurch verbesserte Athmung, Hautausdünstung und Verdauung wird am besten das Entstehen von Bleichsucht, 'Nervosität, Migräne und anderen Krank heiten verhindert und es wird dann endlich einmal wieder Mütter geben, welche ihre Kinder selbst stillen können. 9. Täglich Abwaschen des ganzen Körpers mit kaltem Wasser und wenigstens ein Bad wöchentlich ist für ein Kind eine Nothwendigkeit, während die hohen und Hellen Wohn- und Schlafräume täglich hinreichend gelüftet werden müssen. 10. Tägliche ausgiebige Bewegung in freier Luft (Spiele, Freiübungen u. s. w.) muß ebenso feststehend in der Tagesordnung sein wie die tägliche Anfertig ung der Schulaufgaben, und zwar in gleichem Maß stabe für Knaben und Mädchen. Druck un» Verla» von C. hannebotzn in vibenftock.