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kreisen ein anderer Wind weht, al« zu Lebzeiten Kaiser Wilhelm». Zur Feier de» 90. Geburtstage» von letzterem erhielt der Oberbürgermeister von Berlin, Herr von Forckenbeck, keine Einladung, und zwar seiner politischen Partcistellung wegen. Unter Kaiser Friedrich dagegen sind freisinnige Männer schon mehr- ' fach ausgezeichnet worden. Auch ist e» eine leicht I erkennbare Thatsache, daß freisinnige Blätter jetzt in I Beziehungen zu den Hofkrcisen stehen und dadurch in den Stand gesetzt sind, ihre Leser über intimere Vorgänge am Hoflager genau zu unterrichten. Da» war früher, d. h. unter Kaiser Wilhelm, nicht der Fall. Da hielt sich der Hof von den Führern der politischen Opposition zurück. Der Schluß liegt nahe, daß auch die Stellung de» Reichskanzler« sich seither wesentlich verändert hat und mit einer gewissen Spannung sieht man dem Wiederzusammentritt de« Reichstage» und besonder« einer neuen Rede des Fürsten Bismarck entgegen, in welcher er sich über die veränderten Verhältnisse äußern wird. Daß der Reichskanzler trotzdem am Hofe immer noch die ein flußreiche Person ist, welche er unter Kaiser Wilhelm war, unterliegt keinem Zweifel. Der Umstand, daß er schon wiederholt von der Kaiserin nach den Kon ferenzen mit dem Kaiser zur Tafel geladen wurde, spricht dafür. Sollten tiefergehende Aenderungen nach und nach eintreten, so werden sich dieselben aus nahmslos auf die innere Politik beziehen; dem Kanzler wird auf seinem eigensten Gebiete, dem der äußeren Politik, nach wie vor freie Hand gelassen werden. Da» Abschiedsdiner, welches der Kanzler dem scheidenden Herrn v. Puttkamer gab und an welchem alle preußischen Minister und die Staatssekretäre theilnahmen, ist ebenfalls bezeichnend. Solche Ab- schiedSfeier war bei früheren Ministerweckseln nicht üblich. Die „Nordd. Allgem. Ztg.", da» Organ de» Reichskanzlers, bringt in ihrer Abendausgabe vom Montag an erster Stelle einen Artikel, welcher gegen die „Freisinnige Ztg." gerichtet ist und Herrn v. Putt- kamcr sehr energisch vertheidigt. Auch dieser Umstand ist bezeichnend. In dem Artikel wird gesagt, daß v. Puttkamer sich nie „an sein Portefeuille geklammert habe," daß er im Gcgentheil schon beim Thronwechsel die Absicht hatte, aus dem Amte zu scheiden und sich nur auf Verlangen der übrigen Minister bereit er klärte, zu bleiben, bis ter Gesundheitszustand des Kaisers sich gebessert hätte. ES ist die Meinung verbreitet, daß, wenn der Kaiser gesund und im Vollbesitz seiner Kräfte wäre, die Aenderung des System« der inneren Verwaltung sich schneller vollziehen würde. Andererseits wird be hauptet, daß Fürst Bismarck sich nur mit Rü-ksicht auf die Krankheit de» Kaiser« bestimmen lasse, noch im Amte zu bleiben, um nicht die ganze StaatSma- schincrie in Unordnung gerathen zu lassen. Wer ver mag zu sagen, welche von beiden Lesarten die richtige sei?! Einstweilen wird der Posten des Herrn v. Putt kamer unbesetzt bleiben. Wahrscheinlich wird ein Minister erst ernannt werden, nachdem im Herbst die preußischen Landtagswahlen vollzogen sind, von deren Ausfall also unendlich viel für die Zukunft Preußens, ja Deutschlands abhängt. Denn die innere Politik Preußens wird nie ohne Einfluß bleiben auf die innere Ausgestaltung Deutschlands. Mancherlei Wünsche, Hoffnungen und Befürchtungen knüpfen sich an die nächste Zukunft. Eine Hoffnung aber überragt alle anderen: Wie die Würfel auch fallen, mögen darunter nie der deutsche Einheitsgedanke, die deutsche Großmachtsstellung, die friedliche innere Ent wickelung unseres großen Vaterlandes zu leiden haben! Tagesgeschichte. — Deutschland. DaS am 12. Juni über da« Befinden de« Kaisers ausgegebene Bulletin lautet: Bei Sr. Majestät dem Kaiser und König haben die Schlingbeschwerden zugenommen, so daß die Er nährung schwierig wird. In Folge dessen fühlte sich Se. Majestät schwächer als bisher. — Die „National- Zeitung„ schreibt: Vor vierzehn Tagen erörterten die Aerzte die Frage, wie die Krankheit Sr. Maj. de» Kaiser« sich gestalten würde, da da« Grundübel nicht stillsteht. Man verständigte sich, daß das Grundleiden zunächst sich nicht nach hinten auf die Speiseröhre, sondern nach vorn sich auSbreiten werde. Es wachsen jetzt jedoch au« der durch die Tracheotomie geschlosse nen Luftröhrenöffnung Wucherungen hervor, welche sich dann fingerbreit wie ein Ring um die Wund ränder legen. Leider scheint die Krankheit auch nach hinten übergegriffen zu haben und ist Besorgniß vor handen, daß die Wand der Speiseröhre asfizirt ist. — Wie die „Post" über da» Befinden Sr. Maj. de» Kaiser» erfährt, ist dasselbe leider kein günstiges. Da» au-gegebene Bulletin läßt keinen Zweifel mehr übrig, daß wir vor einer neuen Krisi» stehen, die noch viel ernster auszufassen ist, al« die in Charlottenburg. ES scheint jetzt doch die Speiseröhre in Mitleiden schaft gezogen zu sein, da die Ernährung, wie da« Bulletin besagt, „Schwierigkeiten" bereitet. Ob gegen diese „Schwierigkeiten" die Anwendung einer Schlund sonde zu erwarten ist, mittel» der die Nährstoffe dem Magen direkt zugeführt werden, ist au» dem Bulletin nicht ersichtlich. — Weiler wird unterm 12. d. au« Potsdam gemeldet: Se. Maj. der Kaiser hat im Laufe des Tage» in genügender Menge Nahrung zu sich genommen und fühlte sich am Nachmittage etwa» ge stärkt. Dem Kaiser wird die Nahrung mittelst Schlund sonde eingeflößt. DaS Fieber steigt. Die Aerzte bleiben beisammen. — Straßburg i. E. Die „Landerzeitung" für Elsaß-Lothringen meldet: Der in verschiedenen Blättern enthaltenen Nachricht einer Verletzung der französischen Grenze in der Nähe von Amanweiler durch deutsche Soldaten scheint insofern etwa» Thatsächliche» zu Grunde zu liegen, al» einige Zöglinge der Kriegsschule von Metz die Grenze au« Versehen und Unkenntniß um wenige Meter überschritten haben. Wie wir hören, wird die Angelegenheit von der zuständigen Militärbehörde untersucht werden. Sollte sich ein schülerhaftes Ver halten Einzelner Herausstellen, so dürfte eine Bestraf ung erfolgen, gleichviel ob der an und für sich unbe deutende Vorfall seitens der französischen Regierung zum Gegenstände einer Reklamation gemacht wird oder nicht; denn für alle Militärpersonen bestehen gemessene Befehle, welche denselben die Respektirung der französischen Grenze unbedingt zur Pflicht machen. — Oesterreich. Der czechischen Gemeinde vertretung von Königinhof, welche wiederholt durch ihr deutschfeindliches Vorgehen in sehr un liebsamer Weise von sich reden gemacht hat, ist abermals eine empfindliche Zurechtweisung zu Theil geworden. Die Bezirkshauptmannschaft in Königinhof hatte näm lich vor Kurzem dem dortigen deutschen Turnverein die Bewilligung zu Aufmärschen und öffentlichen Veran staltungen in ter Stadt crtbeilt und gleichzeitig die Gemeindevertretung zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung in solchen Fällen angewiesen. Der Stadtrath erhob gegen diese Verfügung bei der Statt halterei Widerspruch, welche letzteren abwieS und in ihrer Entscheidung dem Königinhofer Stadtrathe zum Vorwurfe machte, daß derselbe jeden von ten Turnern projectirten öffentlichen Aufzug oder jede von ihnen beabsichtigte öffentliche Feier in Königinhof als ten denziöse und demonstrative Handlungsweise ansehe und dadurch den Deutschen jede öffentliche VereinS- thätigkeit erschwere, ja sogar verhindere. Die Statt halterei legte, wie „Narodni Listh" berichten, der Königinhofer Sladtvertretung ferner zur Last, daß sie den Deutschen das ihnen gesetzlich verbürgte Vereins recht verkürze und fordere die Gemeindevertretung auf, sich auszusprechen, ob sie gemäß ihrer au« der Gemeindeordnung entspringenden Verpflichtung für die Sicherheit der Deutschen sorgen wolle. Im ab lehnenden Falle werde die Auflösung der Gemeinde vertretung, sowie sonstige Maßregeln, wie Militär einquartierung in Aussicht gestellt. „Narodni Listy" berichten weiter, daß die Königinhofer Stadtvertretung gegen diese Entscheidung bei dem Ministerium de« Innern Berufung einlegte, welche« aber letztere eben falls verwarf und die Entscheidung der Statthaltcrei ihrem ganzen Inhalte nach bestätigte. — Frankreich. Eine Verletzung der französischen Grenze durch einen Trupp deutscher Soldaten giebt demjenigen Theile der französischen Presse, dem e« um fortgesetzte Rei bereien mit dem deutschen Nachbar zu thun ist, zu lebhaften Klagen und Beschwerden Anlaß, während andere Pariser Blätter verständigerweise die politische Harmlosigkeit des Vorfälle» hervorheben. Nach dem „ProgrüS dcl'Est", einem im Vogesen-Departement erscheinenden Blatte, wären etwa zwanzig deutsche Soldaten bei St. Ail (einem kleinen Orte im Arron dissement Brieh, in der Nähe der Schlachtfelder von Metz) über die Grenze gekommen. Sie hätten sich dem dort befindlichen Bahnwärterhäuschen genähert und die Gattin des Wärter«, eine Frau Mailfert, welche vor der Thür sich befand, um die Erlaubniß ersucht, au« ihrem Gärtchen spanischen Flieder, „die Blume Frankreichs", pflücken zu dürfen; sie wollten ihn zur Erinnerung nach Metz mitnehmcn. Als gute Französin verweigerte die Frau die Erlaubniß und drohte außerdem, französische Soldaten, die in nächster Nähe seien, herbeizurufen. Zugleich stieß sie in ihr Horn. Die Deutschen erwiderten, die französischen Soldaten seien in Verdun, viel zu weit, um ihren Hornruf zu hören; jedoch entfernten sie sich, „zwei ausgenommen, die zunächst noch zurückblieben um der Frau, trotz der Anwesenheit ihrer beiden kleinen Töch ter, eine unanständige Geste zu machen." AuS dieser Erzählung de« „ProgrüS" erhellt zur Genüge, daß der Vorfall kaum geeignet ist, ernstliche Reklamationen herbeizuführen. Da» französische Blatt hält e» aller dings für sehr bedenklich, daß die deutschen Soldaten e» gewagt hätten, um volle 50 Meter die Grenze zu überschreiten, denn so weit sei da» Bahnwärter häuschen von letzterer entfernt, aber wer au« eigener Anschauung weiß, wie viele Ecken und Winkel die Grenzlinie gerade in jener Gegend beschreibt, wird e» für sehr möglich halten, daß die Soldaten trotz der > 50 Meter noch im guten Glauben waren, auf deut- I schem Gebiete sich zu befinden. Der „Figaro" will s die Sache daher auch gar nicht tragisch nehmen, selbst für den Fall, daß die Leute gewußt hätten, sie seien bereit« aus französischem Boden. Man solle den Deutschen nur zeigen, daß die Franzosen nicht gleich mit Flintenschüssen ü la Kaufmann antworten, und daß zu den vielen „Blumen Frankreich»" auch da« Blümchen, „gesunder Sinn" gehöre. — Der bekannte Deutschenfresser Paul Derou- lede häutet sich. In seiner Wahlrede im Departe ment Charente, woselbst er al» boulangistischer Kandidat auftritt, sagte er: „Man giebt mich für einen Partei gänger de» Kriege» au». Ich war e«; aber seit Kai ser Wilhelms Tode, seit Deutschland von einem großherzigen Kaiser regiert ist, beweine ich zwar immer noch da» trauernde Elsaß-Lothringen, aber ich sage mir, daß diese LandeStheile unter der Herrschaft Deutschland« nicht unglücklicher sind, al« sic eS unter der Herrschaft der ReinachS, Ranc» und Clemenceau« (Führer der französischen Radikalen) wären." Local« und fSchstfche Nachrichten. — Eibenstock, 13. Juni. Gestern wurde bei Oberwildenthal im Walde der Leichnam eine« Erhängten aufgcfunden. Derselbe trug einen gold enen Ring am Finger und hatte al» Baarschaft nur noch 1 Pfennig bei sich. Wie c» heißt, ist der Ver storbene ein Handschuhmacher au» Johanngeorgenstadt. Der Grund der TodeSart ist uns zur Zeit nicht be kannt. — Heute Vormittag wurde von einer hiesigen Privatperson auf der Wilventhaler Straße ein Mann aufgegriffen und hier zur Haft gebracht. Derselbe entpuppte sich al» ein steckbrieflich verfolgter Einwohner von Schönheide, welcher wegen Diebstahl» und Land streichen» bereits Vorstrafen erlitten hat. Eine Iden tität mit dem Mörder der Anna Marie Nötzoldt scheint hier jedoch nicht vorzuliegen. — Eibenstock. Wie wir unseren Lesern bereit» mittheilten, beabsichtigt die sächsische StaatSeisenbahn- verwaltung Sonntag, den 24. Juni d. I. den ersten diesjährigen Exirazug von Crimmitschau, Werdau und Zwickau nach dem Erzgebirge ab zulassen. Der Extrazug wird wieder wie im vergange nen Jahre bis Schwarzenberg und Johann georgenstadt geführt und kommen auch bis dahin ermäßigte Billetpreise zur Einhebung. Die Abfahrt erfolgt: in Crimmitschau 6 Uhr 48 Min. Vorm., in Werdau 7 Uhr 16 Min. Vorm. und in Zwickau 7 Uhr 45 Min. Vorm., während die Ankunft in Aue auf 9 Uhr, in Eibenstock und Schönheide gegen 10 Uhr, in Schwarzenberg ^10 Uhr und in Johanngeorgen stadt auf 11 Uhr Vorm. festgesetzt ist. Die Rückfahrt hat mit gewöhnlichen Personenzügen oder mit dem SonntagSextrazuge Nachm. 7 Uhr 35 Min. ab Schwar zenberg und 8 Uhr 17 Min. ab Aue zu erfolgen. — Dresden. Betreff» der automatischen Apparate zum Verkaufe von Cognac, über die schon von verschiedenen Seiten vollste Mißbillig ung ausgesprochen wurde, hat der Rath der Stadt Dresden folgende, der Zustimmung aller Volksfreunde sichere Bekanntmachung erlassen: „Seit Kurzem sind in hiesiger Stadt sogenannte „automatische Apparate" aufgestellt worden, au« welchen nach Einwurf eine» Geldstückes Cognac zum sofortigen Genüsse entnommen werden kann. Da die Ausübung de« Schankbetriebe» mittels dieser Apparate keinerlei Gewähr für die Erfüll ung der hinsichtlich des Ausschanks von Branntwein bestehenden gesetzlichen Anordnungen, insbesondere der jenigen der KZ 134, 135 und 136 der Armenordnung vom 22. Oktober 1840 bietet, so verbieten wir hiermit für den hiesigen Stadtbezirk die Aufstellung und Inbetriebsetzung solcher automatischen Apparate zum Verschank von Branntwein' und Spirituosen irgend welcher Art, unter Androhung einer Strafe von 100 Mark eventuell Haft für jeden Zuwider handlungsfall." — Chemnitz. Welche Muskelkraft sich auch da noch antreffen läßt, wo die ländliche Einfachheit in dem lärmenden Treiben und dem Rauch und Ruß der großen Industriestädte längst verloren gegangen ist, da« zeigte dieser Tage da« zu WohlthätigkeitS- zwecken veranstaltete öffentliche Auftreten de» au« hie sigen Bürgern bestehenden „Athletenklub«". Stau- nenSwerth war dabei namentlich die Leistung eine» hiesigen GastwirthS, namens Gerber, der auf einem Gerüste stehend ein lebendiges Pferd in die Höhe hob, so daß e« frei in der Luft schwebte. Die Hanteln, deren sich die „Athleten" bedienten, hatten ein Gewicht bi« zu 350 Kilogramm. — Zwickau. Die Maikäfer, die allge meine Landplage, sind gegenwärtig noch in erstaun licher Menge vertreten. Zahllose Waldbäume, na mentlich Eichen sind von diesen gefräßigen Insekten ihre« ganzen Blätterschmuck« beraubt und ragen kahl zum Himmel empor. Ein trauriger Anblick, wo ringsum Alle« grünt und blüht. Der Maikäfer braucht bekanntlich 4 Jahre — in Süddcutschland, wo der Main die Grenze bildet, nur 3 Jahre Zeit zu seiner Verwandlung vom Ei zur Larve und zum Käfer. Letzterer lebt nur zehn Tage lang, wenn er einmal seinen Flug begonnen hat. — Auerbach, 11. Juni. Heute Morgen etwa um '/.I Uhr ertönten die Alarmsignale der freiwilligen Feuerwehr. Die Art derselben — drei lange Stöße — ließen sofort erkennen, daß da« Feuer au«wärt« sei, und ein kurzer Umblick zeigte die weithin sichtbare, früher Schubert'sche Schneidemühle in Rodewisch (oberer Bahnhof Auerbach) vollständig in Flammen. In Thäligkeit waren vier Spritzen, und zwar die OrtSspritze von Rebe-grün und die Spritzen der frei-