-39- sich nie getäuscht. An diesem Abend wartete sie vergeblich. Was weiß ein Mann von den Gedanken einer Frau, die am Fenster steht und wartet! Von der Furcht, daß ihm etwas passiert sein könnte bis zum Haß, daß er sie vergessen hatte, reichte sie Skala ihrer Gefühle. Und die Angstm,daß alles aus sein könnte zwischen ihnen stand wie ein Gespenst im dunklen Zimmer. Da kamen ihr Äußerungen von ihm in den Sinn - Gesprächsfetzen nur, die sie zusammentrug: ... du bist ja nur noch Richterin, keine Frau mehr ... ich möchte dich immer so haben, so heiter, so jung ... Dann kam die Nacht, eine lange einsame Nacht, in der sie sich nach der Hand sehnte, die durch ein Streicheln alle ihre wirren Gedanken hinweggewischt hätte. Ach ihr Träume, wie seid ihr kühn! Was alles könnte man tun - Gutes und Böses. Man könnte lieben und hassen, fühlt sich stark und fähig, etwas zu vollbringen, was man sonst nie fertigbrächte. Doch kaum kommt der/taubengraue Morgen, kaum dringen die ersten schüchternen Laute an das Ohr, stürzen Pläne zusammen wie eine morsche Ruine. Die verwegenen Gedanken schwirren davon, aufgescheuchten Fledermäusen gleich. Was bleibt übrig von solch einer Nacht? Mit einer müden Handbewegung strich Eva über ihre Stirn. Sie verscheuchte die Nachtgedanken und wurde nun unwillkürlich doch von den Worten des Verteidigers erreicht. "...Stellen Sie sich vor, meine Damen und Herren Richter, daß eine unbedingte Verurteilung für den Angeklagten eine Härte wäre, die Sie mit Ihrem Urteilsspruch doch sicher nicht erreichen wollen. Es steht fest, daß der Angeklagte fahrlässig gehandelt hat und daß er für den hohen Sachschaden wird aufkommen mife sen. Durch eine Strafhaft würde er jedoch für längere Zeit aus dem