- 126 - Mit allen anderen, aber nicht mit diesem Vorwurf, hatte Eva gerechnet. Sie sah zu Boden. Weil ich mich klüger dünkte, als alle anderen, dachte sie. Weil ich mir etwas einbildete, was gar nicht stimmte. Michaä. ist gar nicht so, wie ich ihn zu kennen glaubte. Kreisgerichtsdirektor Angert schob ihr einen Stuhl hin. "Setz’ dich erst einmal", sagte er. "Ich glaubte, keiner würde ihn so gut verstehen, wie ich", sagte sie. "Was heißt: du glaubtest? Bist du nicht mehr davon überzeugt?" Sie schwieg. "Du wolltest ihm helfen. Ist das objektiv?" fragte Angert. Sie stand auf. "Ihr könnt mich zur Verantwortung ziehen, wenn mein Urteil falsch ist." Kramer drückte sie auf den Stuhl zurück. "Das ist keine Art, wie du dich benimmst. - Was du da verbockt hast, dafür wirst du dich verantworten. Vor der Partei. Ob dein Urteil richtig ist oder nicht, spielt gar keine Rolle. Es geht hier um das Vertrauen zu den Genossen. Kur darum!" Angert war Menschenkenner. Oft genug in den vier Monaten hatte er die junge Richterin beobachtet, um zu wissen, daß sie ohne zwingenden Grund nicht so gehandelt hätte. Und wenn es auch nur ein Grund war, den sie sich einbildete. Ihm gelang es auch Eva zum Sprechen zu bringen. Kramer hörte zu, ohne sie zu unterbrechen. Als sie zu Ende gesprochen hatte, sagte er: "Und du meintest, keiner könnte so gut verstehen wie du, daß ein Mensch, der Mißtrauen gegen ein paar Funktionäre hat, weil sie ihn falsch behandelten, dieses Mißtrauen auch auf seinen Richter überträgt?"