121 Sie antwortete: "Jetzt kommen die Plädoyers dran." "Hache die zu Ende. Ich komme." Es klang fast wie ein Trost, dieses: Ich komme. Obwohl sie wußte, welche Vorwürfe sie erwarteten, welche harten Worte, ihr war leichter zumute. Nun muß ich nicht mehr alles allein ertragen, nicht mehr alle Verantwortung haben, dachte sie. Und dann lehnte sie sich gegen den Fensterrahmen und weinte. + Das Plädoyer des Staatsanwaltes neigte sich dem Ende zu. "...beantrage ich unter Berücksichtigung aller Umstände eine Gefängnisstrafe von einem Jahr. Die Untersuchungshaft ist dem Angeklagten auf die zu erkennende Strafe anzurechnen." Der Staatsanwalt setzte sich, nahm seine Brille ab und putzte sie. Das gab seinem Gesicht etwas Hilfloses. Michael zuckte nicht einmal zusammen, als er das Strafmaß hörte. Er hatte sich so oft diesen Moment vorgestellt und Beherrschung geübt, daß ihm diese jetzt gelang. Nur nicht schwach zeigen, sie sollen mich nicht schwach sehen. Wen er mit diesen ’sie' meinte, wußte er nicht einmal genau. Gräupner war gegangen, und die anderen ... Eva wagte nicht, nach der Anklagebank zu blicken. Sie sagte: "Herr Verteidiger, bitte Ihr Plädoyer." Der Verteidiger, sichtlich erfreut über den verhältnismäßig milden Antrag, versuchte hauptsächlich, den Standpunkt des Staatsanwalts zu erhärten.