- 105' - hat sie mich angesehen. Wieder blieb ein Hauch zurück, kaum wahrnehmbar für einen Fremden, doch deutlich spürbar für jenen, der sich vier Monate danach sehnte« Ein Hauch von Wildrosen und Sommerwiesen. Sie hat mich angesehen, aber es lag nichts in ihrem Blick, das ich kenne. Sie ist fremd geworden und doch sie geblieben. Vielleicht macht das die Umgebung hier oder das schwarze Kostüm? Nein - ihre Augen sind fremd. Michael^ setzte sich wieder auf seine Bank. Der Verteidiger drehte sich zu ihm herum und sagte: ”Sie müssen mehr aus sich herausgehen, Herr Freege, damit die Richterin nicht jedes Wort aus Ihnen herausquetschen muß. Nach der Pause kommt die Vernehmung zur Sache. Erzählen Sie alles so, wie Sie es mir gesagt haben, ja?" Michael nickte zerstreut. Er sah, wie die ehemaligen Arbeits kollegen, die im Zuschauerraum saßen, die Köpfe zusammen steckten und ab und zu verstohlen einen Blicg auf ihn ris kierten. Nur Zimmermann schaute offen zu ihm herüber und nickte ihm aufmunternd zu. "Man wird hier ausgestellt wie im Zoo", beschwerte sich Michael zum Rechtsanwalt gewandt. "Die sind doch alle nur aus Neugierde hier." Der Verteidiger lächelte. Er kannte diese Sorge seiner Mandanten. Schlimmer als die Verhandlung war für die meisten Angeklagten die Anwesenheit ihrer Angehörigen oder der ehemaligen Kollegen. "Warum haben Sie eigentlich Ihre Angehörigen nicht benachrichti gen lassen? Man könnte das jetzt noch tun. Sie bekommen nach der Urteilsverkündung eine Sondersprechgenehmigung." "Ich habe keine Angehörigen", sagte Michael. Sein Gesichtsaus druck wurde verschlossen