-99- um den Richtern ihre Ehrerbietung zu zollen. Auch dieser Augenblick war anders, als er sich ihn in vielen Stunden vorge stellt hatte, während er die Zellenwände anstarrte. Er kam gar nicht dazu, nach ihrem Blicg zu suchen, auf ein Zeichen zu achten. Sie ging mit den Schöffen nahe an ihm vorbei und nur ein Hauch blieb zurück; ein Hauch der ihn früher entweder nachgiebig gestimmt hatte oder zu den größten Tollheiten gereizt. "Wir verhandeln heute in der Strafsache gegen Freege", sagte sie und setzte sich. Die anderen taten es ihr gleich. "Sie müssen aufstehen, wenn Sie sprechen", raunte der Anwalt seinem Mandanten zu. Auch das noch, dachte Michael, obwohl er es ohnehin wußte. Stehen muß ich vor ihr wie ein Bettler. Zorn wollte in ihm hochkommea, aber er beherrschte sich. Klein soll sie mich nicht sehen, dachte er. Und kein Zeichen verriet ihm, daß sie ihm verziehen hatte. Die Richterin verlas die Personalien des Angeklagten. "Stimmt alles so?" fragte sie. Was fragst du denn, du weißt es genauso wie ich, dachte er. Aber er sagte: "Ja, es stimmt." Eva bat die Zeugen, inzwischen im Zeugenzimmer Platz zu nehmenj bis sie gebraucht wurden. Gr-äupner verließ mit Eberlein den Saal. Während der Staatsanwalt die Anklageschrift verlas, forschte Michael in Evas Gesicht. Schmal war sie geworden in den vier Monaten und fahrig in den Bewegungen. Warum sah sie ihn nicht an? Das, was in den Akten stand, kannte sie gewiß