-77- Michael dachte mit zärtlicher Wehmut an diese Tante Katharina, die den Sohn ihrer frühverstorbenen Schwester wortlos in ihre kleine Stube zog, als er abgerissen und verzweifelt von den Luft waffenhelfern nach Hause kam. "Laß’ mal, der Vater ist ja tot, und das ist besser so", sagte sie und fuhr dem hageren Jungen mit ungewohnter Geste übers Haar. "Der dachte eben, er kann den großen Mann spielen. Das bekommt niemanden." Sie schleppte Waschwasser herbei und zog ihm die dreckigen Sachen vom Leibe, wie sie es getan hatte, wenn er als Junge bei ihr die Ferien verlebte und vom Spielen so schmutzig war, daß die Nachbarn die Hände über den Kopf zusammenschlugen. "Der Michael ist der Schlimmste von allen", klagten sie der Tante. Aber die lachte darüber, nahm die große Badebürste und schrubbte ihn von oben bis unten ab. Wenn er dann krebsrot und müde in ihrem Bette lag und sie ihr Lager auf dem Sofa zurechtmachte, war sie glücklich. Und so sah sie es als glückliche Fügung des Schick sals an, daß Michael nach dem Kriege zu ihr zog. Sie wurde ihm zur Mutter. Nur - ihre Kraft reichte nicht mehr, seine Erfolge zu erleben. Sie brachte ihn über die schwerste Zeit hinweg, dann ging sie still, weil sie ihre Pflicht erfüllt hatte. Und in eben dieser Zeit, als er das Abitur bestanden hatte und studieren wollte, geschah es, daß er zum ersten Male zu zwei feln begann. Er hatte einen Freund, der zwar ein paar Jahre älter war als er, aber sie hatten die Kriegsjahre fest zusammengehalten, bis Heinz eingezogen wurde. Michael hatte den Älteren glühend be neidet und die Zeit herbeigesehnt, da er es ihm gleichtun konnte. Der Vater unterstützte ihn noch in seinen patriotischen Gefühlen,