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- 3 - Ein Beispiel: Rudolf Loch, der in seiner 1978 beim Reclam- Verlag erschienen Biographie Ulrike als "farblose Brauen gestalt" bezeichnet, hat keinerlei Verwendung für ihn. Mich hat der Brief beeindruckt, mich hat er angeregt, schon huntertmal Interpretiertes noch einmal zu durchden ken, mich einer Frau zu nähern, deren scheinbar maskulin praktisches Denken den meist männlichen Kleist-Biographen soviel Schwierigkeiten gemacht hat. Dabei bin ich mir völlig im Klaren darüber, daß meine Betrachtungen nichts beweisen werden, wie auch, ich ver füge über keine zusätzlichen Quellen; ich versuche dennoch eine Tür zu durchschreiten, die durch Frauen, z.B. Christa Wolf, die ich später noch zitieren möchte, bereits geöffnet worden ist und die mir als Mann Einblick gewährt in einen Raum, dessen Betreten die Preisgabe von Vorurteilen zur Folge haben muß. Ulrike von Kleist war zuerst Ulrike von Keist. Bekannt geworden ist sie uns als die Schwester des Dichters Heinrich von Kleist. Das führt zu RelationsverSchiebungen - uns erscheint sie zu*- erst die Schwester des Dichters zu sein. Dabei hätte, wäre uns der Brief einer Unbekannten an einen General Clarke erhalten geblieben und wäre er so couragiert verfaßt, wie der oben zitierte, dieser Brief als Zeit dokument Bedeutung erlangt, weil er Zeugnis ablegt von dem Mut und der Klugheit einer Frau. Vieleicht meinte das auch Heinrich von Kleist, als er ihr am 21. November 1811, dem Tage seines Todes, schrieb: "Du hast an mir getan, ich sage nicht, was in den Kräften einer Schwester (Frau, F.H,), sondern in den Kräften eines Menschen stand, um mich zu retten: die Wahrheit ist, daß mir auf Erden nicht zu helfen war. " Das Gewicht dieses testamentarischen Satzes wird, so denke ich, besonders deutlich, wenn ich ihm folgende Frage entgegen stelle: