K.Hensel DIE KÖPFE (Ein Blumenmärchen) Sie hat ihn hinter sich gelassen: LODWIG, der ihr gesagt hatte: Geh in deine Zeit, Inge! Da ist sie aus der Tür ge treten voller Dumpfheit, die von dem Schlag herrührte: Geh - und ist gegangen abgefahren verrückt. Auf der Straße begann sogleich der Schnee an ihr zu pappen, eine der vielen klebrigen Massen, 1 die sie im Leben bedrängten, kalter gummiartdiger Schnee, der sie herumzog. Als sie sich umgeschaut hatte, war das Fenster, hinter dem Lodwig sich vergrub, in lila Bläue getaucht und flimmerte wie Benzin. Manchmal kam ihr noch seine Frage in den Sinn, ^arum liebst du mich. Sie stapfte durch den schillernden Matsch. Geh! hatte er gesagt. In jenem Tonfall, in dem man sagt: Schluß jetzt. Ein für allemal.aus. Alles war ihr verschönt gewesen zur DAMALIGEN Zeit, wie sie es schon am Nöldnerplatz nannte. Ihr ausgekühlter Kopf faß te das unendliche Wort. Bisher hatte sie es wohl schon hun dert mal gehört - in den Umkosungen von Lodwigs Lippen und Händen. Ein Geh, in dem sie blieb, glücksvoll und taub. Jetzt stieß sie gegen das Geräusch. Chrysanthemen. Mitten im Winter. Nie hatte sie es zu denken vermocht, was mitun- der Nachts in ihr Zimmer drang wie Abgas, ein süßes schweres Abgas vom nahen Kraftwerk, dachte sie. Oft lag sie berauscht davon nackt auf ihrem Bett, griff unter dem blumigen Einfluß an sich entlang, bis das Blut in ihr aufschoß wie eine Knospe. Einmal wär sie beinah getötet worden von ihren Kindern. Als sie Kohlen holen wollte aus dem Keller, traf sie das Geschoß in den Rücken. Die Kinder lachten ( wie immer, so wie sie es beim Murmelspiel auf der Straße taten) und warfen sich aus gelassen die restlichen überreifen Blumenköpfe um die Ohren. Oben in der Wohnung las Inge blaß und verletzt die angefaul ten violetten Blätter aus ihrem Kleid.