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Im Ucbrigen lebte sie ihrer ebenso geräuschlosen, wie gedeihlichen häuslichen Thätigkeit nach wie vor; in ihrem Wesen schien sich nichts verändert zu haben, nur dem scharfen, mütterlichen Auge der guten Tante, die aber ihre Besorgniß still in sich verschloß, entging nicht das allmähliche, für uns Andern lange Zeit nicht merkbare Schwinden der Rökhe, des Frohsinns und der Gesundheit auf den Wai»gen ihres Lieblings. An einem Spätnachmittage — eS war etwa drei Wochen »ach der gefänglichen Einbringung der Ge- schwister — traf ich Johanna allein im Garten meiner Verwandten an. Zu meinem nicht geringen Erstaunen brachte sie selbst die Rede auf den Gift mord, indem sie mich bat, ihr meine Ueberzeugung hinsichtlich der Schuld oder Nichtschuld beider An geklagten, und meine Meinung über den AuSgang des Prozesses kundzugeben. Ich erwiderte, daß ich als Inquirent mich wohl hüten müsse, vor völlig abgeschlossener Untersuchung mir irgend ein feste Meinung zu bilden, da solche, einmal vorgefaßt, nur zu leicht zur Parteilichkeit ver führe; fügte indeß zu dem Zwecke ihrer Beruhigung hinzu, daß bis jetzt außer den durch die am Orte des Verbrechens vor vielen Zeugen geführte Unter suchung allgemein bekannt gewordenen Thatsachen sich keine neuen besonderen Belastungsmomente gegen die Geschwister ergeben hätten. Nachdem sie auf diese Antwort ein kurzes Schwei gen beobachtet, fragte sie in etwas zögernder Weise und ohne mich anzusehen: „Würden Sic mir eine vielleicht seltsam erscheinende Bitte gewähren, Gustav, wenn ich Ihnen dieselbe recht dringend a»S Herz lege?" „Welche Frage, Hannchcn!" „Wollen Sie mir eine kurze Unterredung ohne Zeugen mit Elisabeth Werner gestatten?" „Ohne Zeugen? Das ist unmöglich, Hannche». Ich müßte dabei zugegen sein." „Darf ich dann wenigstens an Elisabeth schreiben?" „Gewiß, doch müßte ich Ihren Brief lesen." „Halten Sie an dieser Bedingung auch danu noch fest, wenn ich betheuere, daß meine Unterredung over mein Schreiben nichts mit ihrer Untersuchung zu schaffen hat?" „Ich kann nicht anders, Hannchcn, ohne mich der gröbsten Pflichtverletzung schuldig zu machen." „Auch wenn ich Ihnen sage, daß ..." — die Worte kamen fast unhörbar und stotternd über ihre Lippen, — „auch wenn ich Ihnen sage, daß meine Ruhe, — ach, mehr noch — von Ihrer Gewährung abhängt?" „Sie erschrecken mich, Hannchen! ... Aber, sehen Sie — wenn der Onkel oder die Tante, oder meine leiblichen Eltern ein solches Verlangen an mich stellten, und wenn mein Leben dabei auf dem Spiel stände, ich dürste und würde nicht anders handeln. Die strenge und durchaus gerechtfertigte Vorschrift iu diesem Falle —" „ES ist gut," siel sie mir iu ihren« gewöhnlichen Tone in die Rede. „Sprechen wir nicht weiter davon." „Nicht also, Hannchen!" bat ich und ergriff ihre widerstrebenden Hände. „Sie haben eine Andeutung gemacht, die mich um so mehr erschreckt, je weniger ich sie begreifen kann. O, schenken Sie mir Vertrauen; betrachte«« Sie mich als Ihren besten Freund, als ihren leiblichen Bruder! Theilen Sie mir mit, was Sie zu jenen« Verlange«« veranlaßt, und ich schwöre Ihnen —" „Nein, nein!" unterbrach sie mich abermals und entzog ihre Hände den meinigen. „Es handelt sich uin eine Kinderei, mn eil« Nichts . . Verzeihen Sie mir, Kousin, daß ich dem thörichtcn Gelüste, Ihr richter liches Gewisse«« ein wenig auf die Probe zu stellen, nicht besser widerstand. Doch freut cs mich, daß Sie die schwere Probe so wacker bestanden." . Ich glaubte bei den letzte«« Worte«« einen leichten Anflug von Spott in ihrer Miene zu lesen. Das kränkte mich tief; denn fürwahr, eS war mir schwer genug angekommen, ihr eine in so dringender Weise kundgegebcne Bitte zu versagen. * „Ihr Unwille trifft mich unverdient, Kousine. Wüßten Sie, wie schmerzlich eS für mich ist." Johanna fiel mir ins Wort, indem sie erwiderte: „Sie irren sich, Kousin, und thun mir Unrecht, wenn Sie glauben, daß ich Sie iin Ernste zu einer Pflichtverletzung verleiten wollte. Und zum Beweise, daß ich Ihnen nicht zürne, möchte ich Sic mit einer neuen Bitte belästigen." „O, sprechen Sic, Hannchcn!" „Meine Bitte lautet, daß Sie Niemand, die gütigen Pflegceltern nicht ausgenommen, von dieser Sache er zählen. Man würde mir den kindischen Angriff auf Ihre Gewissenhaftigkeit mehr verübeln, als er in Wahrheit verdient. Ich darf Ihres Schweigens ver sichert sein?" „Gewiß, Kousine." „Also sprechen wir nicht mehr davon." Johanna lenkte das Gespräch auf eine«« anderen, sehr gleichgültigen Gegenstand und verließ mich nach kurzer Zeit unter dem Vergeben häuslicher Geschäfte. In meinem Gcmülh hatte Johannas Benehmen eine«« Mißklang hervorgerufen, der längere Zeit fort tönte. Ich mußte mir ja sagen, daß sic entweder bei ihren Bitten oder bei ihrer nachherigen Versicherung eine Verstellung geübt, deren ich sic nimmer für fähig gehalten. Ich konnte und mochte nicht glauben, daß ersterer Fall hier zutreffe, denn alsdann wäre ihr Benehmen höchst unzart, unweiblich gewesen; ich «nußte also den letzteren Fall annehmcn. Welcher Art mußte das zwischen ihr und Elisa beth Werner obwaltende Gcheimniß sein, daß es ihre Ruhe bedrohte und sie cs selbst den Pflegeeltern an- zuvertrauen sich scheute? Stand es zu dem Giftmorde iu Beziehung, dessen bloße Erwähnung ihr sonst so ruhiges Wesen ii« krankhafte Erregung zu bringen vermochte? Hatte sie gar etwas von der Angeklag te«« zu fürchten? Obwohl zwischen den beiden letzten Fragen keine Verbindung möglich zu sein schien, so mußte ich sie doch beide bejahen. Dadurch warf ich einen Schatten auf Johannas reines Walten, und ich zürnte mir selbst deswegen. Zwei später cintreffende Umstände konnten nicinen Argwohn — wenn ich das, was ich fühlte nnd widerwillig dachte, mit diesem Ausdruck belege» darf — nur vermehren. Ich muß hier zunächst bemerken, daß in demjenigen Thcilc des Gartens, welcher vom Wohnhause und der Straße an« entfernteste«« gelegen war, und in welchen« Friedrich seine mit Himbeer- und anderen Sträuchern eiugefaßien Gemüsebeete angelegt hatte, der Gerichts thurm ii« seiner oberen Hälfte gesehen werden konnte, und daß das zu der Elisabeth eiugerämnten Zelle ge hörende Fenster, wie auch die beide«« meines Privat- Arbeitszimmcrs, sich auf der hierher gerichtete«« Seite des Thurmes befanden. Wie oft hatten wir uns von dieser Stelle aus fröhlich durch Zeichen begrüßt. Als ich eine halbe Stnnde nach jenem Gespräche in Begleitung des Onkels, der sich inzwischen zu mir gesellt, zufällig ii« diesen Theil des Gartens kain, ge wahrte ich Johanna, die, obwohl sie mit dem neben ihr über ein Beet gebeugten Friedrich sprach, den Blick unverwandt aus dei« Thurm und, wie es mich bedünkle, auf das den Glanz der untergehendcn Sonne widerspiegelnde Fenster der Zelle ihrer Freunvin ge richtet hielt. Obgleich meine Augen, der Richtung der ihrigen folgend, in diesem Fensier, dessen unterer Theil zumal mit Holzkohlen geblendet war, nichts Verdächtiges entdecken konnten, so brachte ich doch meine Wahrnehmung in Verbindung mit jenem selt samen Verlangen Johannas. Als sie unsere Annäherung bemerkte, kam sie uns in scheinbar völliger Unbefangenheit entgegen und nahm an unserem Gespräche theil. Aber während des Restes dieses Tages, sowohl dein« Abendessen wie vorher, entging niir nicht, daß sie vermied, mich anzurcden, oder den Blick auf mich zu richten, und Johanna verließ auch heute früher als gewöhnlich unseren traulichen Kreis. Der zweite, schon erwähnte Umstand, trat am folgenden Morgen ein. — Ich hatte mich eben vom Frühstück erhoben und war im Begriff, mich in «nein Prival-Arbeilszimmer zu begeben, als der alte Melzer — mein treuer Burgwart, wie ich den ehrlichen, ehe maligen Krieger von l8l3—181b im Scherz zu nennen pflegte — in militärischer Haltung eintrat, welches ein Zeichen war, daß er mir eine amtliche Meldung zu machen halte. Er gab mir denn auch folgendes kund: Als er ain heutigen Morgen wie gewöhnlich die besetzten Gefängnißzellcn revidirte, entdeckte er in der von Elisabeth Werner bewohnten eine freilich auf dei« erste«« Blick kaum sichtbare Fuge in der Fensterblend ung; als er diese jedoch näher untersuchte, fand er, daß eine Bohle, sichtbar mit Anwendung von Gewalt und eines geeigneten Werkzeuges, dermaßen aus ihrer Befestigung gebracht worden, daß mit leichter Mühe eil« handbreiter, freier Raum zwischen dieser Bohle und der darüber befindlichen hcrgestellt werden kannte. Eine weitere Nachforschung in der Zelle ergab, daß auch Versuche, obwohl vergebliche, gemacht worden, dei« Tisch, den Stuhl und das eiserne Bettgestell, welche Gegenstände theils im Fußboden, theils in der Wand befestigt waren, von ihrem Platze zu bringen, wahrscheinlich, um mittels derselben zu dem oberen Theil des Fensters gelangen zu können. Uebcr dieses Vorkommniß befragt, verweigerte die Arrestantin jede Auskunft. Die sofort voi« der mitanwcsenden Frau Melzer vorgcnommene Durchsuchung der Zelle, respektive der Betten, Kleider rc. nach dem gebrauchte«« Werkzeuge war erfolglos. (Fortsetzung folgt.) Hypnotismus und Suggestion. Der Hörsaal des Hofrathes Freiherr» v. Krafft- Ebing in Wien war kürzlich der Schauplatz wissen schaftlicher Experimente, welche die hochinteressanten Fragen des Hypnotismus und der Suggestion znm Gegenstand hatten. Zunächst sagte ver Vortragende: „Es handelt sich um Experimente vom höchsten psycho logischen Interesse und zwar handelt eS sich darum, ob cs durch künstliche Griffe möglich sei, diebetreffende Person in einen beliebigen Zeitabschnitt ihres Lebens zurückzuversetzen — eine Leistung, die Erstaunen er regen muß. Entweder ist dasjenige, was Sie, meine Herren, bald sehen werden, die größte Komödie, oder aber ist das ein Griff in das unbewußte Leben. Im letzteren Falle wäre durch diese Experimente bewiesen, daß nichts Durchlebtes dein Gedächtnisse verloren gehe. Die Versuchsperson wird ii« einen psychischen Ausnahmezustand versetzt, der durch hypnotische Sug gestion hervorgerufen wird. Die Dame, die sich hier für die Experimente zur Verfügung gestellt hat, ist 33 Jahre alt und von durchschnittlichem Bildungs grade. Jin Jahre 1888 hat ein Graf, in deffen Hause sich die Dame aushält, zufällig ihre Anlage für hypnotische Experimente entdeckt und mehrere Ver suche mit ihr unternommen. Professor Krafft Ebing läßt nun die init dein Grafen Eintretcnde auf einem Sopha Platz nehmen und streicht ihr mit der Rech ten über die Augen. Im 'Nu ist sie hypnolisirt und sitzt unbeweglich mit geschlossenen Augen da. Professor: „schlafen sie, Fräulein?" — „Nein." — „Warum nicht?" — „Weil ich sonst nicht reden könnte." — „Ich werde Ihnen befehlen, was Sie sein müssen — ich will es und das werden Sie sein. Wenn ich bis Drei gezählt und Ihre Augen berührt habe, dann werden Sie erwachen." Krafft-Ebing bringt das Medium hierauf durch Berührung mit den Hande«« in den normalen Zustand und fragt sie, ob sie sich ai« das Gespräch mir ihin erinnern könne. Sie ant wortete mit „'Nein". „Wie alt sind Sie, mein Fräu lein ?" fragt plötzlich Krafft-Ebing. „Dreiunddreißig Jahre." — Professor (mit Nachdruck): „Nein, Du bist sieben Jahre alt." — Auf das ungläubige Lächeln der Dame wiederholt der Professor lauter: „Jawohl, Du bist sieben Jahre alt", wobei er ihr immer starr in die Augen blickt. Anscheinend unter dem Eindrücke dieses Blickes und des ii« strengen« Tone gegebenen Befehles ändert sich mit einem Male das ganze Ge bühren der Dame. Sie nimmt die Haltung eines siebenjährigen Kindes an. Die nun ai« sie gestellten Fragen beantwortet sie ii« der unruhigen verspielte«« Art eines Kindes. Mil heiterem Lachen eilt sie auf den Professor zu, als er ihr einen Ball zeigt, und spielt damit, in die Hände klatschend. Professor: „Schau, die schöne Puppe!" — „Ach, wie schön!" ruft die zum Kinde gewordene Dame aus und scheint überglücklich über das Geschenk, daö sie in den Hän den wiegt, niederlegt rc. Sic steigt noch auf das Sopha und den Sessel, sie stellt mehrere Sessel auf einander, sic spielt „Kochen" in Gesellschaft der Pnppe und verzehrt einiges Zuckerbackwerk. — Professor: „Warst Du schon in Wien?" — Dame: „Ja, mit der Mutter!" — Schließlich macht die Dame noch eine Schriftprobe, die dem Alter von sieben Jahre«« entspricht. Plötzlich ruft der Professor: „Du bist ja fünfzehn Jahre alt! Erstaunt blickt das Medium empor und zeigt nun das Benehmen eines lüjähr- igcn Mädchens. Der Professor gratulirt ihr unter Ucberreichung eines Blumenstraußes zu ihrem 15. Geburtstage. Befragt, wann sie daö letzte Mal in Wie«« gewesen sei, erwidert sie: „Vor zwei Jahre««, bei der Ausstellung im Jahre >873." — Professor: „Lernst Du noch fleißig?" — Dame: „Dazu habe ich keine Zeit, ich muß in der Wirthschaft arbeiten." Auf die Frage, ob sie öfter in dei« Wald gehe, ant wortete die Dame: „Nein, die Witterung erlaubt es nicht?" — Professor: „Ja, warum denn nicht?" — Daine: „Es ist doch jetzt kalt draußen." (Sie hat am 15. Februar ihren Geburtstag.) Schließlich giebt sie eine ihrem Alter entsprechende Schriftprobe zum Besten. Professor: „Ich kann nicht mehr Du zu Ihnen sagen." — Daine: „Ja, warum denn nicht?" — Profeffor: „Aber, aber, Sie sind ja doch schon ein Fräulein von neunzehn Jahre««!" — „Aber nein", wehrt sie wieder lächelnd ab, „ich bin erst fünfzehn Jahre alt." — „'Nein, Sie sind li) Jahre alt," wie derholt init Nachdruck der Professor. 'Nun ändert sich wieder das Bild, die Dame zeigt in ihrem Be nehme«« ein ausgewachsenes Fräulein. Auf die Frage des Professors, ob sie bald hcirathen werde und ob sie Einen kennt, der sie liebe, errölhet sic und gesteht, baß sie einen solchen kenne. Die Schrifiprobe zeigt die dem Alter entsprechende größere Sicherheit und Hebung. 'Nach diesen mit Spannung aufgenonnnenen Experimente«« suggerirte Krafft-Ebing die Dame, daß sie 33 Jahre alt sei, und ertheilt ihr die vcischieden- sten Stellungen, in denen sie einer Bildsäule gleich verharrt. Durch neuerliches Hände-Auflegen erweckt der Vortragende die Dame aus dem hypnotischen Schlafe. — Der „Seance" folgte eine Disknssion über die stattgchabten Versuche. Im Allgemeinen waren die Fachmänner der Ansicht, daß ein Beweis für die Reproduktionsfähigkeit der hypnotischen Sug gestion nicht hergestellt und daß eine Täuschung nicht ausgeschlossen sei. Immerhin aber bietet der Fall des Interessanten genug, um die Sache noch näher wissenschaftlich zu untersuchen. Druck und vrrla- von ». hannrdotzn in Libenfwck.