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Vor der Wahl. Nur wenige Tage trennen un« noch von dem Wahltag am l 5. Juni. Dieser Tag entscheidet über die Zusammensetzung de« neuen Reichstag». Er entscheidet aber noch über weit mehr: über die Machtstellung de» Deutschen Reiche» und die sichere friedliche Fortentwickelung unse re« deuschen Baterlandes nach innen und außen! Der Wahlkampf vom 15. Juni d. I. ist so ernst und schwer, wie noch keiner zuvor. Der bisherige Reichstag stand unter dem Banne de» eng herzigsten Fraktionszwanges, und hat auch bei Ver werfung der Militärdorlage die ihren Grund anschauungen nach entgegengesetztesten Parteien vor übergehend in der Verneinung zusammengeführt. Die Militärvorlage steht durchaus im Vor dergründe der gegenwärtigen Wahlbewegung. Die reichstreue deutsche Gesinnung des Wäh lers ist daran zu erkennen, ob er für die Militärvorlage (in der Fassung Huene) stimmt, oder dagegen. Wer einem Reichstagskandidaten seine Stimme giebt, der sich gegen die Militär vorlage erklärt, der scheidet sich selbst aus den Reihen deulschgesinnter Männer, der verweigert dem Vaterlande das Noth- wendigste, die Mittel seiner Wehrkraft, seiner Widerstandsfähigkeit gegen die uns überlegene Waffenmacht des Auslandes. Er ver weigert dem Deutschen Reiche die verstärkte Bürg schaft für Aufrechterhaltung des europäi schen Friedens, der seit 22 Jahren den sichersten Rückhalt an der vom Ausland gefürchteten deutschen HecreSmacht gefunden hat. Sowie diese Furcht schwin det und der Uebcrzeugung Platz macht, daß die Stärke des deutschen Heeres derjenigen Frankreichs nicht mehr gewachsen sei, ist unser Friede aufs Höchste gefährdet! Aber auch der innere Frieden des Reiches würde freventlich aufs Spiel gesetzt, wenn der am 15. Juni zu wählende Reichstag keine Mehrheit für die Militärvorlage ergäbe. Unser Kaiser, wie die zum Deutschen Reiche verbündeten Regierungen und namentlich auch unseres allverehrten Königs Maje stät haben überall und allezeit mit vollem Nachdruck ausgesprochen, daß die Verstärkung unserer Wehrkraft die Grundbedingung für die Sicherstellung des Reiches sei. Auf de» Schlachtfeldern Frank reichs sind vor 22 Jahren Kaiser und Reich erstan den. Mit dem theuren Blute unserer Söhne und Brüder ist das köstliche Gut der deutschen Einheit und Freiheit, die Herrlichkeit unseres Vaterlandes und der heilvolle Friede, den wir seither genossen haben, erkauft worden. Dahingegangen ist der ruhm reiche edle deutsche Kaiser, der damals unsere Heere führte. Für immer verstummt ist der schweigsame Schlachtendenker. Von seinem hohen Amte zurück getreten ist der eiserne erste Kanzler deS Reiches, der unvergleichliche Staatsmann. Aber in unserem König verehren wir dankbar einen der ruhmgekrönte» Feld herren aus dem heiligen Kriege, eine der treuesten, festesten Stützen des Reiches in guten und bösen Tagen. Erheben wir uns an Seinem Beispiel, zol len wir Ihm die unauslöschliche Dankbarkeit, die wir Alle Ihm schulden, in der Weise, die Sein landes- väterliche« deutsches Herz am meisten erfreuen wird, dadurch, daß Sein Sachsenland auch am 15-, Juni d. I., wie am 21. Februar 1887, unter dem einmüthigen Zusammenwirken aller Ordnungsparteien, mit überwiegen der Mehrheit solche Abgeordneten wählt, die dem Vaterland bewilligen, was ihm noth th ut. Vor dieser einen großen Frage tritt jede andere zurück: das Interesse der Partei, des Standes und der Klasse. Vor ihr soll und muß zurücktreten vor Allem jedes eigensüchtige Stre ben. Die nationalliberale Partei des König reichs Sachsen hat sich, wie unsere gesammte Partei von jeher, streng auf diesen Standpunkt ge stellt, der Losung getreu: Das Vaterland, nicht die Varteil Sie hat demgemäß in allen Wahlkreisen Sachsens ein Zusammengehen mit den Ordnungsparteien ver sucht, und überall mit Erfolg, so daß in allen sächsischen Wahlkreisen gemeinsame Kandidaten der Ord- nungSparteien aufgestellt sind. Wir vertrauen zu unseren Gesinnungsgenossen, daß sie überall nicht nur selbst mit Wort und That für diese gemeinsamen Kandi daten eintrcten, sondern auch, daß sie mit aller Kraft in ihren Kreisen die Wähler belehren, wieviel für unser Vaterland am 15. Juni auf dem Spiele steht, um wie Große» und Entscheidende» e» sich da handelt. Arbeiten wir alle werkthätig und unermüdlich an dieser Belehrung und Aufklärung, an der Zurecht weisung der Verführten, an der Aufrichtung der Muthlosen und Verbitterten, an der Aufrüttelung der Trägen und Saumseligen zur vaterländischen Pflichter füllung, so wird un« der Sieg nicht fehlen! Hagesgeschichte. — Deutschland. Der russische Thronfolger wird nach einer offiziellen Meldung an den öster reichischen Herbstmanövern, denen auch Kaiser Wilhelm beiwohnen wird, theilnehmen. — Wie au« Düsseldorf mitgetheilt wird, kam im rheinischen Provinzialausschuß ein Schreiben de« Oberhofmarschallamte« zur Vorlage, in dem mitgetheilt wird, der Kaiser lasse bitten, von einer feiten« de« Provinzialverbande« beabsichtigten Festlichkeit anläßlich der rheinische» Kaisermanöver Abstand zu nehmen, da er «bei den augenblicklich daniederliegenden wirthschastlichen Verhältnissen de« Lande« jede ent behrliche Ausgabe vermieden wissen wolle." — Vom Großherzoge von Baden wird abermals eine bedeutsame Kundgebung für die Mili tärvorlage berichtet. Aus Anlaß de« am 4. d«. zu Offenburg stattgehabten VerbandStage« der Militär vereine und der Enthüllung de» Kriegerdenkmals hielt derselbe eine Rede und hemerkte in der Einleit ung, er sei jüngst in Heidelberg vielfach mißverstanden worden. Der Großherzog sagte dann, der gerade Weg sei der beste ; daher solle sich jeder fragen, was bei der bevorstehenden Wahl erreicht werden solle? Eine Verständigung über eine genügende Verstärkung des deutschen Heere« angesichts der stärkeren Gegner. Da wolle er mittheilen, was einst vor langen Jahren der Feldherr Erzherzog Karl von Oesterreich über den Krieg sagte: „Der Krieg seiba« größte Uebel, welches einem Staate widerfahren könne; er müsse daher die Hauptsorge eine« Regenten sein, alle immer möglichen Kräfte gleich beim Ausbruch deS Krieges aufzubieten und alles anzuwenden, damit derselbe so kurz als möglich sei und bald auf möglichst günstige Weise entschieden werde. Ein so großer Zweck könne nur durch große Anstrengungen erreicht werden." Der Großherzog fuhr dann fort: „Nun wohlan, meine Freunde, gehen Sie den geraden Weg der Ehre und wählen Sie nur solche Männer, welche die Kraft und Macht deS Deutschen Reiches höher halten als den Parteigeist und welche in der Militärvorlage den Weg erkennen, das Deutsche Reich vor Demüthigungen zu bewahren." — Wie aus Friedrichsruh verlautet, wird Fürst Bismarck auch in diesem Jahre wieder eine Bade kur in Kissingen gebrauchen. Er gedenkt sich um die Mitte des nächsten Monats dorthin zu hegeben. — In da« Kapitel des Wahlschwindels gehören die mancherlei Zahlenkünstc, die jetzt in verschiede nen Flugschriften angewandt werden, um je nach Be darf einmal die Regierungsforderungen recht hoch er scheinen zu lassen und eS dann wieder so darzustellen, als ob die Mehrheit Richter-Lieber beinahe ebensoviel „angeboten" hätte, als gefordert war. In einem von der „Freis. Ztg." vertriebenen Flugblatte gegen den Bund der Landwirthc wird die Zahl der verlangten Vermehrung des stehenden Heeres mit 90,000 Mann angegeben. Ein anderes Flugblatt mit demselben Fabrikstempel, das zur Aufstachelung der Beamten bestimmt ist, behauptet sogar, die neue Militärvorlage wolle das Friedensheer um mehr als 100,000 Mann verstärken. In Wahrheit verlangt die neue Vorlage nach dem Antrag Huene 59,000 Gemeine und 11,000 Unteroffiziere, zusammen nur 70,000 mehr. Die falschen Zahlen 90,000 und mehr als 100,000 hat Herr E. Richter aufgebracht. Er rechnet nämlich die Vermehrung der Verpflegungstage, die durch die Ab kürzung der Rekrutenvakanz entsteht, in Menschen um, was natürlich ganz unzulässig ist. Ein Versuch der entgegengesetzen Art, nämlich das „Angebot" Richters künstlich in die Höhe zu schrauben, findet sich u. A. in einem Flugblatt für den Schildknappen I)r. Hermes an die Wähler des Kreises Jaucr-Bolken- hain-Landeshut. Hier lautet das Exempel: Der An trag Huene will 53,500 Rekruten mehr, die freisinnige Partei bietet dagegen 17,500 Ersatzreservisten plus 25,000 Rekruten zum Ersatz des dritten Jahrganges, macht 42,500 oder nur 11,000 Rekruten weniger. Hier steckt die Täuschung darin, daß 17,500 Ersatz reservisten, die übrigens gar nicht zum Friedensheere gehören, 17,500 voll dienenden Rekruten gleich gesetzt werden, als ob eS keinen Unterschied für die Schlag fertigkeit deS HeereS mache, ob die Ausbildungszeit deS einzelnen Streiters nach Jahren oder nur nach Wochen zählt; als ob ferner die den regelmäßigen Dienstbetrieb so sehr störenden Ersatzreserveübungen nach Einführung der abgekürzten Dienstzeit noch bei behalten werden könnten! DaS ist genau dieselbe, die Qualität der Truppen unterschätzende „Zahlen- wuth", gegen die sich die Worte des Reichskanzler« vom November 1891 richteten. Wenn der Unter schied so gering ist, warum hat die freisinnige Partei nicht für den Antrag Huene gestimmt? Freilich wird der Pferdefuß sofort sichtbar in der Kostenrechnung. DaS Flugblatt rühmt, daß es die um Richter um 40 Millionen Mark billiger gemacht hätten, wonach also ein Mehr oder Weniger von nur 11,000 Re kruten einen Unterschied von sage und schreibe 40 Millionen Mark, also von rund 3636 Mk. auf den Kopf, machen würde. Die Ersatzreservisten sind aller dings theure Mannschaften, aber nur deshalb, weil sie ihren Zweck nicht erfüllen und in den Rahmen eine« in kürzerer Zett gut zu schulenden Heere« nicht mehr paffen. — Berlin, 6. Juni. Ueber da» Befinden de« Prinzen Friedrich August von Sachsen werden seit gestern Vormittag ärztliche Berichte nicht mehr au»gegeben. Der Prinz, der, wie berichtet, erst am Sonnabend beim Ausstehen sich krank fühlte und deSbalb auch nicht an der Frühjahrsparade der Pots damer Garnison theilnahm, wird vorerst noch eine Zeit lang da« Zimmer hüten, doch bringt er schon den ganzen Tag außerhalb de« Bette« zu. Seine Gemächer befinden sich im Flügel der Schloßapotheke. E» ist übrigens da« zweite Mal, daß Prinz Friedrich August an den Masern leidet. DaS erste Mal machte er die Krankheit im Jahre 1888 durch und überwand sie damals ebenso leicht wie jetzt. — Wien, 5. Juni. Bon den Distanzgehern, welche am Montag früh Berlin verließen, ist al« erster gestern Nachmittag 4 Uhr 45 Minuten der sächsische Schriftsetzer Peitz (Gera) am FloridSdorfer Start eingetroffen; al« zweiter traf um 6 Uhr der Ingenieur Elsässer (Magdeburg) ein. Elsässer erhielt infolge eine« Uebereinkommens zwischen den beiden den ersten Preis, weil der als erster angekommcne Buchdrucker sich eines Vergehens gegen die Marsch ordnung schuldig gemacht hatte. Al» dritter ist heute Nachmittag 3 Uhr der Wiener Ingenieur Neuhau« eingetroffen. Locale und fLchstsch« Stachrichten. — Falkenstein, 5. Juni. Ein schwerer Un glücksfall hat sich in der Nacht vom Freitag zum Sonnabend in unserer Nähe zugetragen. Als der RathSkellerwirth Karl Göbel, der Cigarrenfabrikant Franz Hofmann, der Handelsmann Ernst Taubner und der Redakteur Hans Künzel, von Werda nach hiesiger Stadt mittelst Wagens zurückkehren wollten, kam im Orte Neustadt und zwar auf der vor dem Dorfe gelegenen Anhöhe das einspännige Gefährt infolge schadhaft gewordenen SchleifzeugeS in eine rasche Gangart, und da« unruhig gewordene Pferd sauste in rasendem Galopp dahin. Unmittelbar vor dem Schwäbischen Gasthof in Neustadt brach der Wagen krachend zusammen, und die erstgenannten drei Personen (Göbel, Hofmann und Taubner) wurden auf die Straße geschleudert, während Künzel sich durch einen Sprung au« dem Wagen rettete. Hierbei erlitt Göbel einen Bruch der linken Kinnbacke und einen leichten Schädelbruch, sowie sonstige Hautabschürfungen, sodaß demselben Blut aus Ohren und Nase drang und er bewußtlos aufgehoben wurde; Taubner hat schwere Verletzungen am Hinterkopfc davongetragen; hierzu trat innere Verblutung ein, was andern Tages den Tod des jungen Mannes zur Folge hatte; Hof mann erlitt eine leichte Rippenbiegung und ziemlich erhebliche Verletzungen an der Hand und iw Gesicht, jedoch ist dessen Zustand nicht bedenklich. Die Ver unglückten wurden noch in derselben Nacht nach hier gebracht und in ärztliche Behandlung gegeben. — Bergen bei Adorf. Die junge Ehefrau eines hiesigen Einwohners bestrich jüngst die im Abheilen begriffenen Blattern ihres Söhnleins mit dem Zeige finger der rechten Hand, kam darauf mit dem Finger an ihre etwas aufgesprungene Nase und impfte sich dergestalt, daß sie eine hochgradige Entzündung der Nase, der rechten Wange und des rechten Auges da vontrug. Also Vorsicht! — Die „Dr. Nachr." schreiben: Ein „patriotischer deutscher Israelit", der uns auch seinen Namen nennt, schreibt un« au« Chemnitz. „Als Freund der Mili tärvorlage geht mein Vorschlag dahin, zur Deckung dieser eine Juden st euer einzuführen, die dem Deut schen Reiche die gewünschten 70 Millionen bringen würde. DaS deutsche Judcnthum hat seit den letzten 30 Jahren soviel irdische Güter erworben wie in keinem anderen Lande der Erde. Deutschland zählt allein über 500 jüdische Millionäre. Jeder von diesen könnte eine Judensteuer von 5000 Mk. tragen. Den niedrigsten Satz denke ich mir auf 100 Mk., wer ein größeres Einkommen hat, möge mehr bis eben 5000 Mk. zahlen. Berlin mit seinen 15,000 jüdischen Ge schäften und Unternehmungen würde vielleicht nach meiner Berechnung allein 25 Millionen aufbringen, u. s. w. Meine jüdischen Mitbürger können nur durch eine derartige radikale Maßregel vor vielleicht noch größerem Unheil bewahrt bleiben." Was kein Verstand der Verständigen sieht . . — Bei den Remontemärkten, welche während der letzten Wochen in verschiedenen Städten de« Königreichs Sachsen abgehalten worden sind und welche nunmehr ihren Abschluß gefunden haben, ist eine verhältnißmäßig große Anzahl von Pferden zum Verkauf angeboten worden. — So erfreulich diese« Angebot an sich ist, weil es den Beweis liefert, daß die Pferdebesitzer gern ihre Pferde an die Armee ab setzen wollen, so wenig angenehm wird für die Mehr zahl der Pserdebesitzer die Erfabrung gewesen sein, daß die Remonte - Ankauf« - Kommission von dem Ankauf vieler Pferde abgesehen hat. Zum Theil ist der Remonte-Ankaufs-Kommission daraus sogar ein Vorwurf gemacht worden, man hat behauptet, sie stelle zu hohe Anforderungen oder sie bevorzuge die anderwärts gezogenen Pferde. Beide Borwürfe sind vollkommen unzutreffend. Die Remonte - Ankaus«- Kommission bat die Weisung und den Wunsch, so viel Militärpserde al- möglich innerhalb deS Lande« zu kaufen und sie stellt zur Erreichung diese» Zwecke« keineSweg« zu hohe Anforderungen, sondern mindert solche sogar zum Theil herab. Zur Zeit ist die