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„Verdammter Schurke!" rief Müller. „Aber laß ihn nur laufen, Wilhelm, der entgeht dem Galgen nicht! Kinder, heut' ist ein Tag, den ich roth im Kalender anstreiche, und es soll mich wundern, wenn nicht »och etwas passirt!" „Onkel, jetzt ist die Reihe des Fragens an mir," sagte Anna. „Wenn sich nun ein Mann sande, dem ich zum höchsten Dank verpflichtet bin, der mich aus voller Seele liebt, und dem ich von Herzen zugethan bin, wenn dieser Mann vor Dich hinträte und sagte: „Gieb mir Deine Pflegetochter zur Frau!" — was würdest Du antworten?" „Wenn ich ihn kenne und die Ueberzcugnng habe, daß er Dich glücklich machen wird, so sage ich „Ja" mit tausend Freuden." „Dann bin ich so frei," sagte Wilhelm. „Ich bitte, lieber Onkel, gieb uns Deinen Segen." „Da habt Ihr Euch!" rief Müller und legte segnend ihre Hände ineinander. „Ich wußte cs ja, Kinder, daß sich heute noch etwas ereignen mußte. Tom, nimm den Schlüssel, spring hinunter und bringe Ehampagner!" Anna lief auf Bertha zu und schlang ihre Arme um deren Hals. „Verzeihst Du mir?" sagte sie. „Was hätte ich Dir zu vergeben?" fragte Bertha verwundert. „Mein räthselhaftes Betragen," entgegnete Anna erröthend. „Ich glaubte, in Deinem Benehmen eine Neigung für Wilhelm zu erkennen und war daher eifersüchtig." „Tu Närrchen," schalte Bertha, „das war nur eine Vorahnung von verwandtschaftlicher Zuneigung. Hättest Du wie immer mich ins Vertrauen gezogen, so wäre uns manche trübe Stunde erspart geblieben." Tom stellte die Champagnerflaschen auf den Tisch und schnalzte mit der Zunge, dann ließ er den Stöpsel fliegen und rief: „Puff!" „Heute geht Alles Puff!" rief der glückliche Haus herr. „Da steht ein Brautpaar und jetzt ist die Verlobung!" Er füllte die Gläser und auch Tom bekam das seinige ; ehe er jedoch trank, lachte er verschmitzt und sagte heimlich zu seinem Herrn: „Tom ist kein Esel! — Weißer Buchhalter stiehlt doch — deutsche Miß ihr Herz." Was wollen die Antisemiten? (E i n g e s a n d t.) Der Antisemitismus, von dem jetzt so viel die Rede ist, ohne daß über seine Ursachen und Ziele noch vielfach Klarheit herrscht, weil keine Bewegung so verkannt und verleumdet wird, wie er, ist, wie jede neue Bewegung im öffentlichen Leben, die nothwcn- dige Reaction gegen öffentliche Nothstände. An zwei Nebeln krankt unsere Zeit, an der wirthschaftlichcn und socialen Nothlage und an der Judennoth. Wir werden sehen, daß beide Nebel aufs engste Zu sammenhängen, und daß eine Partei, die das eine heben will, sich gegen das andere nicht blind stellen darf. Die antisemitische Bewegung ist aus dieser Erkennt- niß hervorgegangcn. Weil nun aber bisher fast immer nur von der Judenfeindltchkeit die Antisemiten und nie von ihren wirthschaftlichcn Zielen die Rede ge wesen ist, so wollen wir heute zuerst gerade von diesen sprechen. Wer eine Krankheit heilen will, muß zuerst die Ursache ergründen. Das hat man sich nicht immer klar gemacht. Es giebt noch heute Leute, die ernst haft glauben, die Socialdemokraten wären an der ganzen socialen Frage schuld, man könne diese aus der Welt schaffen, wenn man jene durch Polizei und Ausnahmegesetze so lange gewaltsam unterdrückte, bis sie die Geschichte satt bekämen. Die Antisemiten denken darüber anders. Sie erkennen an, daß es heute in den Groß- und Fabrikstädten ein zahlreiches, erschreckend schnell anschwellendes Proletariat giebt, und sie finden c« begreiflich, daß dies Proletariat über die Segnungen unserer gesellschaftlichen und staatlichen Einrichtungen ungefähr so denkt, wie eS thut. Aber wer ist denn Proletarier, woran erkennt nian ihn? Hat cs nicht stets Unternehmer und Arbeiter gegeben? Gewiß, cs ist aber nicht jeder Ar beiter ein Proletarier. Um den Unterschied zu erkennen, wollen wir das Verhältniß zwischen Meister und Gesellen betrachten, soweit das Handwerk noch lebens kräftig, das heißt nicht durch Großbetriebe verdrängt ist. Auch Meister und Gesell stehen in dem Verhältniß von Unternehmer und Arbeiter zu einander, es kann auch wohl einmal zu Lohnstreitigkeitcn zwischen ihnen kommen. Sie stehen aber einander nicht als zwei fremde scharf gesonderte Klassen gegenüber, weil der Meister selbst einst Gesell war und der Gesell wiederum begründete Hoffnung bat, dereinst es bis zuni Meister zu bringen. Denn so lange in einem Gewerbe der handwerksmäßige Kleinbetrieb herrscht, giebt eS in ihm so viele selbstständige Brodstcllen, daß jeder Arbeiter hoffen kann, sich eine davon zu erringen. Mit dem Hereinbrcchcn der Großbetriebe aber verschwinden die kleinen selbstständigen Brodstcllen, die Aussicht, eine selbstständige Existenz zu erringen, wird für den Ge sellen immer geringer, umsomehr, als zur Eröffnung eines neuen großen Betriebes Mittel gehören, die er sich niemals durch seine Arbeit erwerben kann. Mit der weiteren Ausbildung der Großbetriebe kom men wir in jedem Gewerbe an einen Punkt, wo die Kleinbetriebe völlig verschwinden. Dann ist es für den Arbeiter unmöglich, sich in seinem Gewerbe selbst ständig zu machen, dann ist er Proletarier, dann fühlt er sich als solcher, verurtheilt, ewig für Andere zu arbeiten, ohne Hoffnung, eS durch Fleiß und Geschick lichkeit je zu etwas besserem zu bringen. Ob er Tage löhner oder Arbeitsmann, ob er gelernter Handwerker oder gar akademisch gebildeter Techniker ist, thut dabei nicht viel zur Sache: das Proletariat, mit Allen,, was an Unzufriedenheit und Grimm drum und dran hängt, beginnt überall dort, wo dem Arbeiter die Hoffnung abgeschnitten ist, es dereinst zur Selbststän digkeit zu bringen. ES giebt also nur ein Mittel, das Anwachsen des Proletariats und seiner in der Socialdemokratie ver körperten Unzufriedenheit zu bekämpfen, es heißt „Schutz des Mittelstandes", Erhaltung der kleinen selbstständigen Brodstcllen und der sie auS- füllenden bescheidenen, aber zufriedenen Handwerker und kleinen Gewerbetreibenden. Und das wollen die Antisemiten. Nun giebt es ja allerhand schöne Schlagworte, die da sagen, dem Großbetrieb gehöre die Zukunft, und das sogar als einen großartigen Cultur- fortschritt preisen. Nun wahrlich, wenn die Zukunft unserer Cultur so aussieht, daß sie unser Volk in zwei unversöhnlich sich hassende Klassen auseinandcrrcißt, ein ungeheures Proletariat auf der eine» Seite, das nichts mehr hofft, aber auch nichts mehr verlieren kann und deshalb für alle deutschen Ideale nur noch ein Achselzucken hat, und eine Handvoll Coinmerzien- räthe und Millionäre auf der andern Seite, zwischen beiden aber eine gähnende Kluft, in der kein frischer, fröhlicher Mittelstand mehr sich regt, — wenn das die vielgepriesenen Segnungen der modernen Cultur sind, so rufen wir Antisemiten: Fort damit! Es ist unsere heilige Pflicht, diesem Cultur-Lindwurm den Fuß auf den Nacken zu setzen und ihn zu zertreten. Es ist eine Pflicht nationaler Selbsterhaltung; denn ein Volk, das nur noch aus einer Proletarier-Heerde und ein paar hundert Millionären besteht, ist nicht mehr lebensfähig. Aber es giebt ja doch kein Mittel, den Siegeslauf der Großindustrie aufzuhalten und den Handwerker zu schützen, wirft uns mit überlegenem Lächeln der Man chestermann ein. Ja, wenn man nach dem schönen Grundsatz „isisser tuire, iuisskr aller" die Hände in den Schoß legen und ruhig zusehen will, wie der wirthschaftliche Starke den Schwachen auffrißt, dann giebt es freilich keine Hilfe. Es liegt aber eine heil lose Heuchelei iu der Art, wie die Manchcstcrleute ihren Grundsatz vom „freien Spiel der Kräfte" an wenden: Wenn der Starke den Schwachen vernichtet, so finden sie das ganz in der Ordnung, cs ist eben der natürliche Lauf der Dinge, thun sich aber die Schwachen zusammen, um sich zu schützen; organisiren sie sich als wirthschaftliche Partei mit der Absicht, eine Gesetzgebung zu schaffen, bei der sie bestehen können, so schreit die ganze Manchesterschulc, das sei ein widernatürliches Beginnen, das beeinträchtige die freie wirthschaftliche Entwickelung! Der Mittelstand aber hat zu ernste Sorgen, um sich durch solche Taschenspielerstllckchen noch länger davon abhalten zu lassen, seinem Todfeinde ernstlich an den Kragen zu gehen. An Mitteln dazu fehlt cs nicht, wir wollen hier nur eins hervorheben: stärkere Heranziehung der Großindustrie zu deu Lasten, die der Gewcrbestand zu tragen hat. Man hat noch in allerncuestcr Zeit eine Ungerechtigkeit gegen den Handwerkerstand be gangen, die gesühnt werden muß. Die »euere Social gesetzgebung (Unfallversicherung, Jnvaliditäts- und Altersversicherung) war bestimmt, der Socialdemokratie die Waffe» zu entwinden, und diese wiederum ist uns durch die Großindustrie beschcert worden. So war also die Großindustrie der schuldige Theil, ihr hätte man auch die Lasten auflegcn sollen. Statt vessen hat man auch die Handwerker mit belastet und ihnen den Kampf ums Dasein noch mehr erschwert. Das aber heißt die sociale Frage verschärfen, statt zu lösen. Nun wohl. Das Reich braucht jetzt neue Geldmittel. Die Antisemiten verlangen, daß zu deren Aufbring ung vor Allem auch die Großindustrie her angezogen werde. Das wird natürlich ein große- Geschrei geben, der Industrie darf nichts geschehen, wird es heißen, sie ernährt ja die Arbeiter. Wenn ihr ihr ein Här chen krümmt, so werden Tausende brodlos. O, über die menschenfreundlichen Fabrikanten, die so zärtlich um das Wohl ihrer Arbeiter besorgt sind! Denken sie auch in den gepriesenen Zeiten des wirthschaftlichcn Aufschwunges, wo sie nicht genug Arbeiter vom Lande in ihre Fabriken ziehen können, um nur ja recht viel Waare bei der günstigen Conjunctur auf den Markt werfen zu können, — denken sie wohl daran, was aus diese» Hundcrttausenden nachher werden soll, wenn zur Zeit der mit unheimlicher Pünktlichkeit sich ein stellenden Krise der Absatz und die Production stockt? Fällt ihnen nicht ein. Sie haben ihre Arbeiter be zahlt, so lange sie sie beschäftigt haben, woher sie kamen, wo sie bleiben, was geht das sie an! Und daS nennen die Vertheidigcr der Großindustrie „für Arbeit sorgen!" Nun könnten freilich die in den Fabriken brodlos ge wordenen Arbeiter wieder zur Landarbeit zurückkchrcn. Erfahrungsmäßig aber thun sie eS so gut wie nie. Das Endergebnis ist stets, daß sie der Landwirthschaft dauernd entzogen bleiben, daß bei dieser Mangel an Arbeitskräften herrscht, daß die Landwirthe der west lichen Provinzen sich ihre Arbeiter aus den östlichen verschreiben, und die Landwirthe in den Ostprovinzen — ans dem AnSlande. Ja, selbst in Sachsen macht sich bereits auf dem Laude eine tschechische Einwander ung bemerkbar. So also wirkt die Großindustrie auf unser deutsches Volksthmn: statt eS zu nähren, ver zehrt sie unser Volk, und an den Grenzen dringt überall das Slawenthum herein. Darum fordern die Anti semiten in scharfem Gegensatz zum neuen Curse, daß der Großindustrie der Daumen auf'S Auge gedrückt werde, daß man ihr volksvernichtendes Treiben zum Stillstand, womöglich zum Zurückgeheu bringe. Am wenigsten aber werden sic dulden, daß man die Groß industrie gar auf Kosten der Landwirthschaft fördere. (Staatsb.-Ztg.) Vermischte Nachrichten. — Insterburg. Ein brutaler Raubanfall wurde auf der Chaussee in der Näbe der Stadt gegen den Klempner H. verübt. Derselbe wurde dort von zwei unbekannten Männern angcfallen und derartig mit Stöcken bearbeitet, daß er bald kraftlos niedersank. Auf seine Bitte, ihm doch wenigstens da« Leben zu lassen, da er Frau und Kinder habe, ließen die Unholde von ihm ab. H. blieb bewußtlos liegen. Als er nach einiger Zeit wieder zu sich kam, fand er zu seinem Entsetzen, daß die Unmenschen ihm nicht nur daS Portemonnaie mit etwa 10 Mk. In halt, sondern auch sämmtliche Kleider bis auf daS Hemd geraubt hatten. In diesem jammervollen Zu stand langte H. Nachts in Insterburg an. — Biel Aufsehen verursachten in sludent- " ischen Kreisen die Folgen einer Mensur. Der stuck, nwck. Sch. in Berlin hatte bei einer Paukerei vor 8 Tagen einen Schmiß erhalten, durch welchen ihm die linke Backe geschlitzt und der Backenknochen ange schlagen war. Der anwesende Paukarzt nähte die Wunde sofort zu, doch traten später bedeutende Blut ungen ein und das ganze Gesicht schwoll so an, daß der Verwundete sich nach der königlichen Klinik in der Ziegelstraße begeben mußte, wo jetzt an ihm eine schwierige Operation vorgenommen wurde. Doch ist es noch fraglich, ob es der ärztlichen Kunst gelingen wird, Sch. am Leben zu erhalten, da die Blutver giftung, um welche eS sich hierbei handelt, zu weit vorgeschritten ist. — Künstlerrache. Al» Carolus Duran noch kein vielbegehrter Bildnißmaler war, wie gegenwärtig, batte er da» Porträt einer Dame aus der Pariser Gesellschaft zu malen bekommen, die lange ihrer Schönheit wegen sehr gefeiert worden war, inzwischen aber den Rubikon der Fünfzig bereit» überschritten hatte, ohne da» zugestehen zu wollen. Sie war auf dem Bilde in großer Toilette und anmulhiger Stellung wiedcrgegeben — auf einen Armstuhl gestützt und sich in einem Spiegel beschauen», der ihr Konterfei zurück strahlte. Da» Porträt war sprechend ähnlich ausge fallen, allein eben deshalb erklärte die Dame, sie er kenne sich in dem Bilde nicht wieder, da» also in dem Atelier des Malers stehen blieb. Nun war Duran damals noch nicht in der Lage, 3000 Fr. — den ausgemachten Preis des Porträts — so ohne Weiteres fahren zu lassen, und so entwarf er denn einen Racheplan. Wenige Tage vor einer kurz danach im Louvre veranstalteten Privat-Gemäldc-AuSstellung wurde der betreffenden Dame im Vertrauen mitge- theilt, daß der Künstler das von ihr zurückgewiesene Bild dort ausstellen werde, jedoch mit einigen Zu- thaten, welche sie schwer kompromittirten. Sie begab sich sofort in das Atelier Duran», wo ihr Bild ebenso lebensähnlich wie früher, noch aus der Staffelei prangte. Aber da» Kopfhaar auf demselben war in zwischen merklich dünner geworden, und die Dame hielt jetzt zwei schwere Flechten falschen Haare« in der Hand. Auf dem Tische ihr zur Seite sah man mehrere Flacon« mit Etiketten, aus denen die Worte „Lilienmilch", „Schönheitswasser", „Elixir gegen Run zeln" u. s. w. deutlich zu lesen waren. „O, da« ist ja schändlich!" rief die Dame, vor Entrüstung bebend, au«. — „Aber, mein Gott, wa« wollen Sie denn und worüber beklagen Sie sich?" entgegnete der Maler gelassen. „Sie haben erklärt, die« sei nicht Ihr Porträt, und auch ich habe inzwischen eingesehen, baß Sie im Rechte sind. Da« Bild ist ein bloße» Phantasiestück, nnd al« solche« gedenke ich e« dem Publikum vorzusühren." — „Sie wollen also in der Thal die« Bild ausstellen?" — „Ja, allerdings, meine Gnädigste — aber nicht al« Porträt, sondern einfach al» Studie, welche im Katalog den Titel „Die Kokette von fünfzig Jahren" führen wird." Die Schöne wollte zuerst in Ohnmacht fallen, zahlte aber dann die 3000 Franken, nachdem der ungalante Maler in ihrer Gegenwart die kompromittirenden Attribute von dem Bilde entfernt hatte. Druck und Verl«, von r, hannedohn in Eibenstock.