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lassen. Es war damals eine schöne Zeit in deutschen Landen. Unter jubelndem Beisall waren die „Räuber" in Mannheim in Scene gegangen, aber der Herzog glaubte da» Recht zu habe», dem deutschen Volke seine Dichter bestimme» zu können. Nicht daß den Fürsten etwa die unleugbaren Schwächen des Schillerschen Dramas zu seinem Verbote bestimmten, die Wahrheiten de» Stückes waren es, die vor seinem Auge keine Gnade sanden. 18. September. Am 18. September 1885 war es, daß wieder ein Stück der orientalischen Frage, dieser ewigen Beunruhigung Europas, gelöst wurde. An diesem Tage brach in Philippopel, der Hauptstadt von Ostrumelien, jene Revolution aus, welche die Beseitigung der künstlichen Schranken anstrebte, wie solche aus dem Berliner Congreß zwischen Bulgarien und Ostrumelien errichtet worden waren. Der energische deutsche Fürst, der in Bulgarien regier:«, stellte sich an die Spitze dieser Revolution und es kam in Folge dessen zu dem Kampfe mit Serbien, in welchem der deutsche Offizier so schöne Proben seine» militär ischen Könnens ablegte. Nis Jpsen. Erzählung aus dem Seemannsleben von Gustav Lange. (11. Fortsetzung.) Auf dem vergilbten und ausdruckslosen Gesichte des Don Henriquez lag heute eine Wolke und die Adlernase hielt nicht den Strich des Hochmuths fest, in dem der Ritter sic sonst zu tragen pflegte. Das aufgetragene Frühstück war fürstlich und keiner der holländischen Seeoffiziere verließ nach auf gehobener Tafel unbefriedigt seinen Sitz. Als der Abschied mit Ehrerbietung von der einen Seite, mit besonderer Herablassung von der anderen Seite ge nommen war, und die Holländer der Thür zuschritten, ergriff Don Henriquez Jpsens Hand und führte ihn zurück in ein Seitenkabinett, wo JngneS schwarz ge kleidet in einem Fenster lehnte. „Mein Freund", sagte der stolze Don, so mild, wie seine Kommandostimme sich nur herablassen konnte, „was Du an meinem Hause gethan, bezahlt kein Gold und kein Edelstein aus Brasiliens Diamant feldern. Hast Du einen Wunsch, mein Sohn, so sprich ihn aus, und bei Portugals Krone schwöre ich, ihn zu erfüllen." Donna JngneS zitterte augenscheinlich zusammen, und warf fragende Feuerblicke auf den Jüngling. „Was könnte ein niedrig Geborener mehr wünschen, als ich empfing?" antwortete der Leutnant bescheiden und den Blick finster zu Boden senkend. „Pflicht ist nicht Lohnes Werth und Güte und Liebe gaben mir mehr, als meine Verwegenheit je hätte fordern dürfen. Angras Andenken wird mir folgen zu beiden Polen und in jeden Winkel der Erde, wohin mich das Schicksal verschlägt." Der Gouverneur schien einen Augenblick unent schlossen, dann trat er rasch näher und legte seine Haud auf Jpsens Schulter. „Du bist kein Holländer, ich vernahm dies aus des Kapitäns Munde; eS könnte Dir gleich sein, welcher Macht Du dientest, da Du der Heimath doch entfremdet bist; mein Bischof ist ein gelehrter Herr, gehe zu ihm, er wird Dich rein waschen von der Ketzerei Eurer Länder, dann bleibe zu Angra; Don Mello gilt genug, soweit Portugals Fahnen wehen, um seinen Schützling hoch zu stellen und fest zu machen und Du sollst einen Pfleger an mir finden, der Deinen Vater überbietet." Hohe Gluth stieg auf Jpsens Gesicht, er beugte seine Stirn auf des Portugiesen Hand. „Herr!" sagte er halblaut mit Rührung, „Eure Güte macht mich zum ersten Male stolz im Leben. Denkt Euch an meiner Stelle und sprecht; würdet Ihr den Glauben lassen, in dem Eure Eltern glück lich waren, von dem Ihr bisher Seligkeit hofftet, nicht um irdisches Gut, denn darum kann hier keine Rede sein, würdet Ihr den Glauben lassen um Freund schaft und Liebe willen?" Der Portugiese warf einen durchdringenden Blick auf den Jüngling, dann entgegnete er langsam, aber ernster noch: „Wußte ich doch nicht, daß Euer Glaube seine Schwärmer hat. So reise denn glücklich und wenn Du einmal, was die Heiligen verhüten mögen, Noth leidest, verstoßen oder verkannt bist, dann denke an die Azoren, denke, daß im Atlantischen Ozean eine neue Heimath Dir blüht, ein Asyl Dir offen steht, so lange Don MelloS Augen sich nicht geschlossen." Eine tiefe Rührung schien den stolzen Don be- meistern zu wollen, deren er sich schämte, deshalb entwich er nach einem flüchtigen Händedruck aus dem Gemach. Wie ein verurtheilter Sünder stand Jpsen wie festgewurzelt auf der Stelle, wo ihn der Gouverneur verlassen halte; er wagte die Augen nicht aufzuschlagen, wagte kaum zu athmen, denn mit zerfleischtem Herzen hatte er den Anthcil wohl gemerkt, den Donna JngneS durch Gebärde und Blick an dem Gespräche genommen. Wie er fortkommen sollte von diesem Platze, wußte er nicht; Donna JngneS half ihm dazu. Mit großen Schritten näherte sie sich ihm. Er fühlte ihre Hände auf seinen Schultern, die durch das Nankinkleid brannten, als wollten sie Feuermale ihm eindrücken. „Harter, herzloser Mann!" rief sie mit vibriren- der Stimme. „Nichts kann Dich rühren, nichts Deine nordische EiSseele schmelzen. Kalt zerreißest Du ein Band, das Gott selbst geknüpft hatte in seiner heilig sten Schöpferstunde. Geb' denn, scheide auf ewig; prahle unter Deinen rauhen Gefährten damit, daß ein portugiesischer Grand sich herabließ, Dich zu bitten; verhöhne im Arme Deines eiskalten Mädchens die Portugiesin, die ihre Sittsamkeit in Liebe verlor, die bot, wa» kein Weib anbietet und in ewiger Scham von heute an die Sünde ihrer enthüllten Leidenschaft in einem dichten Schleier büßt, den niemals ein Männcrauge durchdringen soll. Der Triumph darüber sei der Lohn für Deine Wohlthat; Du bist unmensch lich genug, solchen Lohn für den höchsten zu halten." Stürmisch wollte sie das Zimmer verlassen; da flüsterte NiS in schmerzlicher Verwirrung: „Nein! Nein! Gott des Himmels, habe ich denn eine solche Beschimpfung verdient?" JngneS' Fuß stand gefesselt, wie durch ein Zauber wort umgewandelt, wandte sie sich ihm zu. „Nein!" ries sie außer sich, „NiS, Du bist ein edler, ein göttlicher Mensch! Groß und liebenswürdig bist Du in Deiner Strenge und Härte. Lieben werde ich Dich, lieben, wenn Du auch Unheil über mein Haupt hcraufbeschworen und mein Leben in der Blüthe geknickt. O, eS muß etwas Höhere« geben, als die Befriedigung der Leidenschaft, als den Rausch der Sinne! In diesem Augenblick ahne ich e», und werde es nun ewig fühlen in Entsagung." Sie umschlang ihn mit Heftigkeit; er fühlte eine Sekunde lang ihren hochwallenden Busen an seiner Brust, fühlte ihre warmen süßen Lippen an seinem Munde. „Sei glücklich!" stammelte sie, dann war sie ver schwunden. - — — — — —— — — — — Wie NiS aus dem Kastell, wie er an Bord des „Kranich" gekommen war, wußte er nicht. Im hinter sten Winkel der Kajütte erweckte ihn des Kapitän Barez Stimme, als sie schon längst auf offener See trieben und ein frischer Südwest die Segel ausblieS. „Ist es ernst mit Deiner Krankheit?" fragte be sorgt der Kapitän. „Dein Zustand flößt mir Besorg- niß ein, ich muß den Schiffsdoktor herabkommen lassen, der mag Dich untersuchen." „Laß mich nur, Vater", antwortete Nis. „Die Luft auf den heißen Klippen und die träge Schwelgerei hat mir den Kopf beladen; einige Tage auf dem Meere und ich werde wieder der Alte sein." „Gut denn", entgegnete der Kapitän, „die Katho likin mag Dir warm gemacht haben. Ich merkte so etwas, und der stolze Herr fragte nicht umsonst so genau nach Dir. Du bist auch da bestanden wie ein Ehrenmann, denn zum faulen Landleben von der Gnade eines WeibcS taugt solch ein ehrlicher See mann nicht. Vielleicht giebt es anderswo Ersatz und der alte Martin hat auch sein Herz an der rechten Stelle." Er rief dann hinauf zum Deck und ein Matrose brachte eine feine Kiste von Zedernholz herunter, an der der Mann schwer zu tragen schien. „DaS da ist für Dich", sagte Herr Barez. „Der Gouverneur hat eS nachgeschickt mit dem Lotsenboote, das uns durch die Bänke führte." „Oeffnet nur, Vater", entgegnete Nis gleichgiltig. Der Kapitän nahm den Schlüssel aus der ver siegelten Adresse und öffnete das Kistchen. „Blitz und Sturm!" rief er, „das ist keine böse Mitgift. Eine wohlgevutzte Gesellschaft von blanken Realen und doppelten Goldkronen, alle, wie eben aus der Münze herauSgekommcn. Und sieh da! Oben darauf ein rotheS Schmuckfutteral voll blendender Steine aus Brasiliens Minen. Eine feine Hand hat die Inschrift gezeichnet: „Für die holde Braut des edlen NiS Jpsen, am Hochzeitstage zu tragen!" (Schluß folgt.) Vermischte Nachrichten. — München. Zum diesjährigen Oktoberfest wird von Münchener Turnern ein Drachensteigen arrangirt werden, was von Seite des Magistrat« als ein erfreulicher Anfang korporativer Beheiligung be grüßt wurde. Die» hübsche Vergnügen, daß bisher nur von Knaben betrieben wurde, da Erwachsene doch nicht gut einen Drachen durch die Stadt tragen konnten, kann sich leicht zu einem neuen gesunden und amüsanten Sport ausbilden, da ein Münchner einen zusammenrollbaren Drachen konstruirt und patentirt hat, der in der Tasche überall hin mitge nommen werden kann und, ausgespannt, al» quadrat metergroße Fläche ohne Anstrengung die höchsten Regionen besteigt. — „Da« Volk will seinen Kaiser sehen, und der Kaiser sein Volk." Daß e» unser Kaiser nicht gern hat, wenn seine nächste Umgebung gänzlich abgesperrt und dem Publikum die Möglichkeit genommen wird, ihn zu sehen, geht au» folgender Mittbeilung der „KönigSb. Hart. Ztg." hervor: In dem Manövergelände de« 17. Armeecorps hatten sich am Sonnabend an verschiedenen Stellen viele Personen eingefunden, um den Kaiser zu sehen. Zu diesem Zwecke hatte sich auch auf jenem Berge, auf dem der Kaiser die Kritik nach Beendigung de» Manöver« abhiell, ein größere« Publikum angesammelt. Al» der Kaiser nun bemerkte, daß man dem Publikum den Aufenthalt in seiner Nähe nicht gestatten wollte, wehrte er diesem Beginnen und äußerte zu einem Stabsoffizier: „Da« Volk will seinen Kaiser sehen, und der Kaiser sein Volk." — Da» Brandunglllck in Rießen bei Guben, bei dem zwei Soldaten de« 4. Garde regiment» verbrannt sind, ist nach dem bisherigen Ergcbniß der Untersuchung durch Unvorsichtigkeit ter Soldaten selbst veranlaßt worden. Der Besitzer, bei dem die Soldaten in Quartier lagen, hat zwei neben einander befindliche Hofstellen. Auf der einen steht ein neue«, massive» Hau», auf der anderen noch ein alte» Strohgebäude, das Wohnräume, Stall und Heuboden unter einem Dach vereinigt. Den 10 Soldaten hatte der Besitzer diese« alte Hau» ange wiesen, und zwar sollten 8 Soldaten in den Wohn räumen und 2 auf dem Boden schlafen. Unbefugter Weise sind aber mehr Soldaten nach dem wärmeren Heuboden gegangen, obgleich der Quartierwirth sie ausdrücklich davor gewarnt hatte. Bei der Durch suchung der Brandstätte hat man zwei Taschenuhren gefunden. — Die von Berlin verbreitete telegraphische Nachricht, wonach der Besitzer das Gebäude selbst in Brand gesteckt und den Tod der Soldaten verschuldet haben sollte, bestätigt sich sonach also nicht. — Tauberbischofsheim. Wie reich der Segen an allen Sorten Obst diese« Jahr ist, geht wohl am deutlichsten au« der Thatsache hervor, daß bei den öffentlichen Obstversteigerungen in der Main gegend Niemand etwa« Erhebliches für Pflaumen bieten will. So wurde bei einer Obstversteigerung bei Tauberbischofsheim, die vom Rentamt amtlich ab gehalten wurde, ein Baum gelber Pflaumen, der größte in der ganzen Gemarkung, für eine Mark losgeschlagen. Ta der Baum einen Ertrag von über sechs Zentnern Pflaumen lieferte, so kommt der ganze Zentner nicht höher als 1b Pfg. zu stehen. — Ein hübsches Reiterstückchen. Beiden Brigade-Manövern zwischen Winsen und Lüneburg gelang eS einer Dragoner-Patrouille aufs Glänzendste, die Stellung des Feindes auSzukundschaftcn, aber der Feind hat gleichfalls seine Augen offen gehabt und schneidet den recognoScirenden Reitern den Rückweg ab, indem er einen schmalen Fußweg, den jene passirt, mit einem UntcroffizierS-Posten besetzt. Nun erhebt sich für den Offizier, der die abgeschnittene Patrouille führt, die Frage, wie er seine Meldung nach rückwärts bringen soll; aber da weiß einer seiner Dragoner Rath. Er reitet in ein Bauerngehöft hinein, läßt Pferd und Säbel zurück und kommt als alles Bäuer lein kostümirt alsbald glücklich über den Steg durch den UntcrosfizierS-Posten hindurch, die an ihn gerich teten Fragen, ob er keine Dragoner in Helm mit grauen Ueberzügen gesehen habe, mit kopfschüttelndem „Nü" beantwortend. ES dauert nicht lange, da trifft er seine Schwadron, und der Rittmeister redet das Bäuerlein an, ob er keine Dragoner mit blanken Helmen gesehen habe. Der Bauer besinnt sich und meint dann langsam, ja, die habe er wohl gesehen, dann richtet er sich stramm auf, reißt die Bauern mütze herunter und rapportirt: „Und dann habe ich dem Herrn Rittmeister noch eine Meldung zu machen." Da erkennt der Rittmeister seinen Dragoner. — Verfrorene Unverfrorenheit. Unter dieser Spitzmarke schreibt man aus Berlin: Kommt da in den Zoologischen Garten ein offenbar wchl- situirteS Ehepaar; er brünett und hager, sie gleich falls brünett, aber von angenehm rundlichen Formen. Auf der Speiseterraffe wird Halt gemacht; bald schmückt eine Flasche Rheinwein den Tisch und nun wird mit einem Gemisch von Gier und sichtlichem Behagen die Speisekarte studirt. Beiderseitiges Nasen rümpfen, wiederholtes Schütteln des Kopfe«, ein kleiner Meinung-Wechsel — dann ist man endlich so weit; der Kellner empfängt mit devoter Miene die Befehle unv vergnügt zwinkert au« listigen Fettäuglein in Erwartung der kommenden Genüsse die Gattin dem Gotten zu. Aber eS ist doch empfindlich kalt in diesen frühen Herbsttagen; jeder Windstoß läßt die kleine Brünette erschauern und als der Kellner die Speisen aufträgt, überkommt sie ein äußerst praktischer Gedanke. „Ich esse von der Platte", erklärt sie zuvorkommend und mit behender Geberde wird der gewärmte Teller unter den Tisch befördert, wo er den Füßen der Dame als wärmender Stützpunkt dient. DaS Problem des gebeizten Garten» ist auf dem Wege des Wärmteller» gelöst; Behaglichkeit strömt durch die Füße der Holden in's Herz und sie sieht noch einmal so strahlend und wohlgenährt au» als zuvor. Wie schade, daß der geniale Gedanke so wenig Anerkennung findet! Al es an» Zahlen geht, will der Kellner durchaus den Teller mit bezahlt haben und der hinzugerufene Ge schäftsführer entscheidet in demselben Sinne. „Wir können keinem Gaste zumuthen, von dem Teller zu essen, der Ihnen al» Fußwärmer gedient hat. Kellner, bringen Sie Madame ein Stück Papier, daß sie ihren Teller darin einwickcln kann!" Dabei blieb eS, mit fünfzehn Groschen mußte Monsieur den Teller be zahlen, den Madame denn auch richtig mit nach Hause nahm. Unter allen Beobachtern de» kleinen Zwischenfall« herrschte nur eine Stimme der Aner kennung für die salomonische Entscheidung de« Ge schäftsführer«.