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Beilage zu Rr. 106 -es „Amts- und Anzeigeblattes". Eibenstock, den 8. September 1894. Der zweite Mann. Criminal > Erzählung von Ewald August König. (Schluß., Und wenn er nun seine Zustimmung zu diesem Bunde verweigerte, was konnte und durfte dann noch geschehen, um sein Herz zu erweichen und die Ein willigung zu erlangen? Bielleicht wäre es doch besser gewesen, wenn Fried rich selbst mit männlicher Offenheit das erste Wort gesprochen hätte, schon darin, daß dies nicht geschehen und die Verlobung hinter seinem Rücken bereits erfolgt war, konnte Hallstädt einen Grund zur Verweigerung seiner Zustimmung finden. Schwankend zwischen Fürchten und Hoffen, suchte Friedrich gewaltsam seine Erregung zu bcmcisteru, mochte die Entscheidung auch seine Hoffnungen vernichten, sie sollte ihn stark und ruhig finden, wie es dem Mann geziemt. Aber er schrak doch sichtlich zusammen, als eine Hand sich jetzt auf seine Schulter legte und er um schattend in das Antlitz Hallstadts blickte. „Hier ist meine Hand und init ihr mein Segen zu diesem Bunde," sagte der alte Herr, „ich habe mich recht herzlich gefreut, denn ich wüßte keinen Mann, dem ich lieber die Zukunft meines Kindes anvertrauen würde." Im ersten Augenblick fand Friedrich keine Worte, auf dieses herzliche Entgegenkommen war er nicht vor bereitet. Hand in Hand standen die beiden Männer eine geraume Weile einander gegenüber, nur die Blicke sprachen, und diese stumme Sprache sagte mehr, als Worte es vermochten. „Daß nur die innigste Liebe mich zu dieser kühnen Werbung bewogen hat, brauche ich nicht zu sagen," brach Friedrich das Schweigen und seine zitternde Stimme bekundete tiesinnere Erregung. „Sie wissen, "ich bin völlig mittellos —" „Lassen wir das," unterbrach Hallstädt ihn ab wehrend; „solche Erörterungen würden diesen schönen Augenblick entweihen. Was ich von dem Gatten meiner Tochter verlange, besitzen Sie in vollem Maße und alles Uebrige ist Nebensache. Ich weiß, Sic werden mein Kind glücklich machen und Theodore verdient es, glücklich zu werden. "Nur einen Wunsch möchte ich noch aussprechen >uw ich denke, es wird Ihnen nicht schwer fallen, ihn zu erfüllen." „Fordern Sic Alles —" „Ich wünsche nichts weiter, als in der Nähe Theo dores den Rest meines Lebens verbringen zu dürfen. Ich stehe allein, das Schicksal hat mich schwer geprüft, die Erinnerung au seinen furchtbarsten Schlag würde mich erdrücken, wenn ich in der Einsamkeit mit ihr mich beschäftigen müßte!" „Ihr Wunsch ist auch der Meinige," sagte Friedrich, „wir wollen darüber berathcn, wie er am Besten ver wirklicht werden kann. Wollen Sie dort wohnen bleiben, wo Sie jetzt Ihre Hcimath haben, so muß ich ver suchen, ob ich mich nicht dahin versetzen lassen kann —" „Das wäre mit zu große» Schwierigkeiten und mancherlei Unannehmlichkeiten für Sie verknüpft," er widerte Hallstädt kopfschüttelnd; „ich kann wohnen, wo ich will und bei meinem Kinde finde ich überall eine Heimath. Wir könncn's ja später noch berathcn, einige Tage bleiben wir wohl beisammen, da finden wir also Zeit genug, über dies und Anderes zu reden. Und nun kommen Sie, Theodore erwartet Sie, sie wünschte nur einige Minuten allein zu bleiben, um sich ganz in das Glück hineinzufinden, das so unerwartet sie betroffen hat." Arm in Arm schritten die beiden Herren hinaus ; wer ihnen in die leuchtenden Augen schaute, der konnte sie beneiden um das Glück, das rein und ungetrübt in ihnen sich spiegelte. Am Morgen nach diesem Abend brachte der Portier des „Schweizerhofes" in gewohnter Weise den Gästen die mit der Post cingetroffenen Briefe. Varnah hatte sich nach dem Frühstück in sein Zimmer zurückgezogen, um einige Anfragen seines Stellvertreters zu beantworten; er wollte hier die Rückkehr des Freundes erwarten, um mit ihm über die Heimreise zu berathcn. Gustavs Mission war beendet, sobald die Nachrichten des VersichernngS-Agentcn eintrafen; die Sehnsucht nach der Geliebten zog ihn zur Heimath zurück. WaS sollte er hier noch? Der Prozeß gegen Elisa beth und ihren Bruder ging auch ohne ihn seinen gewohnten Gang, das Ende desselben konnte er ohne hin nicht abwarten. Das Schiff von Brunnen mußte gleich eintreffen, Gustav wollte seine Arbeit beeilen, um bei der An kunft des Freundes zur Verfügung zu stehen. In dieser Arbeit wurde er durch den Eintritt des Portiers gestört; hastig öffnete er den Brief, den der Eintretende ihm überreichte. Das Schreiben enthielt die sehnlichst erwarteten Nachrichten. „Machen Sie sich darauf gefaßt, Kenntniß von einem Schurkenstreich zu erhalten, wie er wohl selten vorgckommen ist," schrieb der Agent. „Ich hätte Ihne» telegraphirt, aber da ich nicht wissen kann, in welchen Beziehungen die Gauner dort zu den Telegraphenbe amten stehen, so zog ich vor, eS zu unterlassen; Sie erhalten dadurch die Nachrichten einige Stunden später, aber um so ausführlicher. „Die Staatsanwaltschaft trug Anfangs einige Be denken, meinem Anträge Folge zu geben, aber auf Grund Ihres Briefes wurde die Oeffnuug des Grabes beschlossen. „Und nun rathen Sie, was wir gefunden haben! Einen mit Sand gefüllten Sack, einen ganz entsetzlich bemalten Haubcnkops, mit Blut befleckt und mit einem falschen Bart und dito Perrücke bekleidet, ferner die Ueberreste der Eingeweide irgend eines Vierfllßlers. Sie sehen, Alles war schlau berechnet; die Verwesung der Eingeweide berechtigte zur sofortigen Schließung des Sarges und zur raschen Beerdigung; wer durch den kleinen Schieber noch einen Blick auf die Leiche werfen wollte, der sah ein verzerrtes, blutiges Gesicht, und daran, den Sarg wieder öffnen zu lassen, dachte unter solchen Umständen voraussichtlich Niemand. „Begreifen Sie diesen frechen Betrug? Ich könnte aus der Haut fahren, so wüthend bin ich. Mir wird das Direktorium unserer Gesellschaft jetzt die prächtigsten Elogen machen, möglicherweise kann ich mit meinem eigenen Vermögen für die Schurkerei aufkommen. „Ich bitte Sie, versänmen Sie nichts, Herr Doktor; ich übertrage Ihnen im Namen der Gesellschaft den ganzen Prozeß. Die Bande muß sofort eingesteckt und Alles, was sie noch besitzt, mit Arrest belegt werden. „Die zehntausend Thaler werden hoffentlich noch nicht ganz vergeudet sein, suchen Sie zu retten, was nur irgend gerettet werden kann. Keine Schonung mit diesen Gaunern! Das hiesige Gericht wird eben falls ihre Verhaftung beantragen, aber der Amtsweg hat seine Längen, deshalb warten Sie nicht, greifen Sie vor, so rasch Sic können." Gedankenvoll faltete Gustav Varnay den Brief wieder zusammen. Der Inhalt desselben hatte ihn nicht überrascht, und darin, daß nun sofort gehandelt werden mußte, war er mit dem Schreiber einverstanden. Er mlißte nun auch im Namen der Versicherungs- Gesellschaft auf die konfiszirten Gelder Arrest legen und das sollte heute noch geschehen; sobald er mit Friedrich gesprochen hatte, Wollteer den Brief dem Untersuchungs richter vorlegen. Eben hatte er die unterbrochene Arbeit wieder auf genommen, als die Thür abermals geöffnet wurde und Friedrich cintrat. Ihm genügte ein Blick in das strahlende Antlitz des Freundes, um ihn erkennen zu lassen, was vor gefallen war. Rasch erhob er sich, beide Hände dem Freunde entgegenstreckend. „Du hast Dein Ziel erreicht?" fragte er. „Ich bin der glücklichste Mensch unter der Sonne," erwiderte Friedrich. „Dann gratulire ich Dir von ganzem Hetzen! Ich sagte es Dir ja voraus, daß Du bei Hallstädt nicht auf die Schwierigkeiten stoßen würdest, die Du zu finden befürchtetest; er hat Dir gewiß seine Zustimm ung bedingungslos gegeben!" „Bereitwilliger und freudiger, als ich es erwarten konnte," nickte Friedrich. „Sie sind Beide mit mir hcrübergekommen, meine Braut und ihr Vater; ich hoffe, Du wirst meine Einladung zu einem kleinen Frühstück nicht ablchnen." „Das wäre ja eine Beleidigung. Aber die Ein ladung kommt mir zu einer ungelegenen Stunde; ich habe noch eine Arbeit zu erledigen und außerdem so eben diesen Brief erhalten, mit dem ich zum Unter suchungsrichter gehen muß. LieS nur die Zeilen; Du wirst aus ihnen ersehen, daß mich meine Vcrmuth- ungcn nicht irre geführt haben." Friedrich kam der Aufforderung nach; ein Ruf der Entrüstung entfuhr seinen Lippen. „Das ist stark!" sagte er. „Man sollte nicht glauben, daß ein solcher Betrug möglich wäre. Du wolltest die Frau gestern ja besuchen?" „Das ist auch geschehen und bei dieser Gelegen heit kam's zum vollständigen Bruch. Sie verlangte von mir, daß ich sie retten solle, ich habe kein Blatt vor den Mund genommen und ihr alle Sünden vor geworfen. Und nun möchte ich, offen gestanden, die Frau dennoch retten; könnte sie durch die Flucht sich dem Arme der Gerechtigkeit entziehen, ich wollte ihr gern den Weg ebnen; eS ist ein schauriges LooS, ein junges Leben im Zuchthaus vertrauern zu müssen." „Konnte sic eS nicht voraussehen, ehe sie die ver brecherischen Handlungen beging? Und kann es noch einem Zweifel unterliegen, daß sie an diesen Hand lungen sich betheiligte?" Gustav Varnah wanderte einige Male ans und nieder, dann blieb er vor dem Freunde stehen. „Wer ihre Vergangenheit kennt, der muß sic ver- urtheilen," sagte er, „und dennoch kann ich dem Ge fühle des Mitleids nicht wehren, das sich in meinem Herzen regt." „Die betrogene Gesellschaft hat Dir die Wahrung ihrer Interessen anvertraut!" „Der ganze Nachlaß Griesheims ist konfiszirt, eine bedeutende Geldsumme befindet sich in den Händen des Gerichts. Ja so. Du weißt das noch nicht; der Untersuchungsrichter hat mir gestern die betreffenden Mitthcilungcn gemacht. In dein Nachlaß haben sich sämmtliche Wcrthpapiere Paulas vorgefunden." „So wäre das ganze verloren geglaubte Vermögen gerettet?" „Nicht nur das, an diesem Funde zerschellen auch alle boshaften Verleumdungen, deren jene Frau sich bedient hat, um uns zu trennen." „Und dieser Verleumdungen wegen darfst Du keine Nachsicht üben!" erwiderte Friedrich. „Im Prinzip hast Du Recht, aber könntest Du eine Frau, die Du vor Jahren geliebt hast, in den Abgrund hinunterstoßen, in dem sie rettungslos ver loren ist?" „Ist es Deine Schuld, daß dieser Abgrund vor ihren Füßen liegt? Ist sie nicht mit sehenden Augen ans ihn zugeschritten? Und kann man Dir den Vor wurf machen, daß Du sic hinuntcrgestoßcn habest?" „Ich bestreite das Alles nicht —" „So laß denn die Dinge ihren Gang gehen; der Antheil, den Du daran hast, bestand nur in der ge wissenhaften Erfüllung Deiner Pflichten." „Noch eins, der Zwillingsbruder GricshciniS ist bereits vor einem Jahre in Amerika gestorben, eine amtliche Urkunde seines Todes fand man ebenfalls in den hinterlassenen Papieren." „Dann war's kein Kunststück, die Rolle eines Bruders zu spielen," spottete Friedrich, „man brauchte ja nicht zu fürchten, daß dieser Bruder plötzlich auf tauchen und den Betrug enthüllen würde. Ist Deine Arbeit wirklich so eilig, daß sie nicht bis zum Nach mittag liegen bleiben könnte?" „Ich möchte sie gern so bald wie möglich erledigen." „Meine Braut erwartet Dich in ineinem Zimmer." „Dann werde ich sie freilich begrüßen müssen," sagte Gustav scherzend; „so komm denn, ich bin bereit, die Pflichten des Freundes zu erfüllen." Sie gingen hinaus, draußen ini Korridor blieb Friedrich an der Treppe stehen. „Ich will doch lieber persönlich mit dem Ober kellner wegen des Frühstücks sprechen," versetzte er, „geh' Du voraus, ich komme sogleich nach." Ohne ein Wort abzuwarten, stieg er rasch die Treppe hinunter. Einigermaßen befremdet setzte Gustav Varnay seinen Weg fort. Er klopfte an, keine Antwort erfolgte, und als er nun die Thür öffnete, hielten zwei Arme ihn plötzlich umschlungen. Er wußte nicht, wie ihm geschah, als er so unerwartet in die tiefblauen Augen der Geliebten blickte und ihre Lippen sich auf die seinigen preßten; er glaubte zu träumen, es war ihm unfaßbar, daß dieses Glück Wirklichkeit sein sollte. „Vergieb, wenn ein Wort in meinen Briefen Dich betrübt hat," sagte sie, „ich will Dir fortan vertrauen und nichts soll dieses Vertrauen erschüttern können." Er hielt ihre beiden Hände in den seinigen und sah ihr tief in die Augen. „Konntest Du denn wirklich an mir zweifeln?" fragte er. „Nein, aber Du hattest mir Deine frühere Ver lobung verschwiegen und dann — die Behauptungen jener Frau — ich weiß nicht, wie ich mich rechtfertigen soll, aber ich meine, ohne Eifersucht gäbe es keine Liebe. Ich hatte auf die Verfolgung der Betrüger verzichtet. Du aber wolltest davon nichts wissen; ich bat Dich, die Reise zu unterlassen. Du unternahmst sie dennoch. Ich glaubte daraus schließen zu müssen, daß meine Wünsche keinen Werth für Dich hatten." Lächelnd wiegte Gustav das Haupt, noch einmal zog er die Geliebte an sich und wieder umschlangen ihn ihre Arme. „Ich gedachte meiner Pflicht," sagte er; „ich mußte sie erfüllen, mein Gewissen forderte es, und so schmerz lich eS mir auch war, sah ich mich dennoch gezwungen. Dir die Erfüllung dieses Wunsches zu verweigern." „Wie die Dinge jetzt hier liegen, wirst Du wissen," fuhr Gustav fort, „und wa« Du noch nicht weißt, ist rasch erzählt. Griesheim ist damals nicht gestorben, man hat das Grab geöffnet und in dem Sarge nur eine mit Sand gefüllte Puppe gefunden. Es ist ferner durch amtliche Urkunde bewiesen, daß der Bruder Gries heims schon vor einem Jahre drüben gestorben ist, also war die zweite Trauung ebenfalls eine ruchlose Komödie, und somit ist das Schicksal der Frau Griesheim be-