Volltext Seite (XML)
berichtet. So erfuhr man, daß eS in Annaberg fast nur noch tschechische Schneidergesellen giebt; auch die Mehrzahl der dortigen Dienstmädchen sind Tschech innen. Die deutschen Schneidergesellen von dort ziehen nach Leipzig und Berlin, weil sie nicht zu den billigen Arbeitslöhnen arbeiten wollen, zu denen sich die Tscheche» anbieten. Oie jungen Mädchen aber aus den umliegenden Dörfern wenden sich mit Vor liebe den Fabriken und namentlich der Posamentirerei zu, so daß es ohne den Zuzug junger tschechischer Mab- chen schwerlich noch weibliche Dienstboten in Annaberg gäbe. Auch in Dresden giebt eS viel tschechische Schuhmacher- und Schneidcrgcbiilfen, sowie selbstän dige Handwerker dieser Gattung, desgleichen bei vielen Herrschaften „böhmische", d. h. tschechische Köchinnen. Die Gründe dieser Auswanderung der Tschechen aus ihrer Hcimath sind theils der außerordentlich große Kinderreichthum der tschechischen Ehen, theils die dortigen ungünstigen ErwerbSvcrhältnissc. Als Hand werksgesellen, als Fabrikarbeiter und Tagelöhner, so wie als Dienstboten stehen sich die Tschechen in Sachsen bei Weitem besser als daheim. Daher gehen sie „ins Reich", d. h. sie kommen zu uns und arbeiten, da sie zu Hause einen weit geringeren Lebensunter halt gewöhnt sind, zu niedrigeren Löhnen. Amtliche Mittlikiluiigrn aus den Sitzungen -cs StaStraths zu Eibenstock. Sitzung vom 16. Mär; l893. Anwesend: 5 RathSmitglicder. Vorsitzender: Bür germeister IIr. Körner. 1) Man nimmt Kenntuiß u. von der Verordnung de« Kgl. Ministeriums des Innern, welches unter Bezugnahme da rauf, daß das Plenum der Brandversicher ungskammcr der Stadtgemeinde Eibenstock zu den Kosten der Durchführung des Be bauungsplans für den abgebrannten Stadt- theil Crottensee 2000 M. aus der Kasse der Brandversicherungsanstalt bewilligt hat. eine ausreichende Veranlassung zur Bewilligung eines weiteren Beitrags aus den Mitteln der Landes - BrandversicherungSanstalk oder der Staatskasse nicht anerkennt, 1). von der Zuschrift des Kirchenvorstands, wo nach der Erlaß der Kirchcnkassenbciträge für die Besitzveränderungen in Folge des 92er Brandes gleichmäßig mit den städtischen Ortskassenbeiträzen genehmigt wird, c. von der an den Bauunternehmer Hermann Wolfs hier aus Anlaß des Abbruchs der Böschungsmauer an der Rautenkranzerstraße erlassenen Verfügung. 2) Der vom Herrn Wasserbauinspektor Schiegc in Schwarzenberg ausgearbeitete Schleußenplan für den Crottensee wird an den Bauausschuß zur bald möglichsten Berichtserstattung verwiesen. 3) Die Erhebung der BcsitzveränderungSabgaben, der sogen. OrtSkassenbeiträgc, in Eibenstock soll statu tarisch festgelegt werden. Das vom Vorsitzenden hierüber vorgelcgte Regulativ wird genehmigt. Danach beträgt die Abgabe auf je 100 Mk. der Erwerbs- oder Werthsummc: 20 Pf. an die Stadtkasse zur Schuldentilgung, 10 Pf. an die Armenkasse, ö Pf. an die Feuerlöschkasse, 1b Pf. an die Schulkasse und 10 Pf. an die Kirchenkasse, inSgesammt 60 Pf. gegen 26"/, Pf. wie seither. Die Stadtverordneten sowie der Kirchcnvorstand sind um ihre Zustimmung hierzu zu ersuchen. 4) Es ist angeregt worden, die Bestimmungen über den Brodverkauf für den ganzen Bezirk einheit lich zu regeln. Die Kgl. Amtshauptmannschaft Schwarzenberg hat nach Gehör des Bezirksaus schusses ein solches Regulativ ausgestellt und zur Mitgenehmigung und Mitvollziehung anher mit- getheilt. Der Rath genehmigt auch dieses Regu lativ; eS sollen jedoch die Stadtverordneten noch gutachtlich gehört werden. b) Auf Anrathen des Kgl. Hrn. BezirkSarzteS wird ein Gesundheitsausschuß niedergesetzt, der sich aus 1 RathSmitglied, als welches der Vorsitzende bez. dessen Stellvertreter gewählt werden, 2 Stadtver ordneten, dem GerichtSarzte und dem Apotheker zusammensetzen soll. Die Stadtverordneten sind um Zustimmung hierzu und um Zuwahl zu er suchen. 6) Als Leichenwäscherin wird die seitherige Stellver treterin Voigtmann gewählt. 7) ES soll im Verein mit Schönheide bei der Kgl. General-Direktion erneut um eine FrühzugSver- bindung nach Aue nachgesucht werden. 8) In der Stadtverordnetensitzung vom 2. März war mitgetheilt worden, daß der Brunnen gegenüber dem Stölzel'schen Hause im Crottensee verschlämmt sei. Die hierauf angestellten Erörterungen haben indeß ergeben, daß der Bottig nur reines Wasser unv crhstallklarcS EiS enthalten hat. Außerdem kommen noch 6 innere Verwaltungsan gelegenheilen, 1 SchulinspektionS-, 2 Steuer-, 1 Spar kassen-, 1 Armen- unv 2 Bausachen, sowie 1 Hunde steuerermäßigungsgesuch zum Vortrag und zur Be schlußfassung. Aus »ergangener Zeit — für unsere Zeit. 28. März. (Nachdruck vklboten.) Am 28. März NK9 stiftete der Kurfürst Maximilian Jo ses I II. von Baiern die Akademie der Wissenschaften zu München. Diese Stiftung des die Wissenschaft und Kunst, Industrie und Landwirthschaft fördernden, verständigen Fürsten war von be sonderer Wichtigkeit, weil in der Etistungsurkunde eine beson dere, für die damalige Zeit hochwichtige Bestimmung enthalten war. Die Druckschriften der Akademie sollten nämlich nicht der Zensur unterliegen. Um die Bedeutung dieser Bestimm, ung ganz würdigen zu können, muß man bedenke», daß in damaliger Zeit, die i» Gesinnung und Sitte so himmelweit verschieden von unseren heutigen Anschauungen, die Wahrheit auszusprechen so ziemlich unmöglich war. Run gab es wenigsten« eine Stätte, die sich, wenn auch nur tbeoretisch und wissen schaftlich, frei äußern durste, die unabhängig, namentlich von geistlichem Einfluß, durch Wort und Schrift immerhin manches für die Aufklärung der Massen thun konnte. 29. März. Ab und zu und auch wieder in neuerer Zeit hört nian etwas von der großen Antillen,Insel Haiti, aber man hört stets dasselbe: Revolutionen, Sturz eines Machthabers der Re publik, Einrichtungen und Diktatur eines andern Machthabers. Aus dieser sernen, ehemals spanischen Insel streiten sich be ständig zwei Elemente um die Herrschaft, das Negertbum und das Mulattenthum und innerhalb einer jeden dieser beiden Gewalten herrscht auch noch Kamps und Unsriede. Es sind sünsundsiebenzig Jahre seit dem Tode eines der zahlreichen Präsidenten auf Haiti vergangen, unter dessen Regime sich die Insel noch verhältnißmäßiger Ruhe und Ordnung erfreute. Dieser Mann war der Mulatte Alexander Pstion, der am 29. März 1818 gestorben ist. Zehn Jahre lang hat seine Herr schaft gedauert (von 1808—1818) und so lange er lebte, wagte man nicht so leicht, wieder ein Revolutiönchen anzuzetteln. Seit seinem Tode ist der Wirrwarr wieder eingetreten und in Permanenz erklärt bis heutigen Tages. Der Fels des Verfluchten. Historische Erzählung von W. Grothe. (22. Fortsetzung.) „Wann hätte ich das gesagt?" fragte die regie rende Großfürstin dagegen. „Hier soeben zu der Zarewna, Eurer Schwester," versetzte Nikolai. „Ich habe versprochen, daß ich ihn nicht morden lassen würde; der Gerechtigkeit freien Lauf lassen, ist nicht Mord, das ist meine Pflicht." Mit diese» Wor ten entfaltete sie das Blatt, nahte dem Tische und schrieb ihren Namen mit großen Zügen unter das Schriftstück. „Und nun wieder aus zu Pferd!" fuhr sie fort, indem sie dem jungen Manne daS TodcSurtheil über reichte. „Bringe eS nach WoSdwischansko, daß die Todesangst der beiden Hochverräther nicht umsonst verlängert werde." Sie reichte ihm dann die Hand zum Kusse. Nach einer Minute sprengte der junge Mann auf frischem Rosse in die Nacht hinaus, nach WoSdwischansko, wo ein reges Leben herrschte und wo man seiner Zurückkunft harrte. Die regierende Großfürstin trat eben zum Fenster und öffnete cs. Die balsamische Sommernachtslufl drang belebend in das Zimmer, und sie sog sie mit langen, durstigen Zügen ein. „Es mußte sein," sagte sie nach einer Pause, „ich konnte nicht ander«, wollte ich ruhig herrschen — der Kampf muß ausgcfochten werden, ob der Ueber- muth und die Willkür herrschen sollen, oder ob sich Rußland des inner» Friedens erfreue. Ich fühle, eS ist ein schweres Amt, zu herrschen —" hier hielt sie in ihrem Selbstgespräche inne. „Halt, Sophia," fuhr sie lächelnd fort, „Du heuchelst selbst vor Dir schon. ES ist schön zu herrschen, und ich wollte lieber lodt sein, als nicht Regentin. ChowanSky oder Sophia. Konnte mir da ein Ausweg bleiben?" Sie läutete, die Gürtelmagd trat in das Zimmer. „WaS befiehlt Deine Hoheit?" fragte sie und blieb in harrender Stellung an der Thür stehen. „Wie befindet sich die Großfürstin Zarewna Ka- thinka?" fragte Sophia. „Ich denke gut," erwiderte die treue Zofe; „sie wird baldigst schlafen. DaS wird ein trauriges Er wachen sein, wenn sie erfährt, daß der Fürst todt ist." Die Regentin schaute die Gürtelmagd mit scharf beobachtenden Blicken an. „Woher weißt Du?" — fragte sie, den Satz nicht vollende»?. „Ich hoffe, daß Du nicht gehorcht hast." Die Gürtelmagd schüttelte unwillig den Kopf. „DaS brauche ich doch bei Dir nicht, Herrin," ver setzte sie; „kenne ich Dich doch und weiß, daß Sophia Niemand neben sich duldet, seitdem sie unsere Regen tin geworden ist." „Und ich wollte vor mir heucheln," dachte Sophia. Dann befahl sic der treuen Dienerin, sie zu ent kleiden. Eine Stunde darauf wachte Niemand mehr in dem Dreifaltigkeitskloster de« heiligen Sergei. Der Schlaf hatte sich mit seinem bunten Träumenstrauß aus die Augen Aller herabgesenkt. Da lag auf ihrem Bette die schöne Sophia und ihre Züge lächelten und ihre Brust hob sich mächtig, sie träumte, der ganze Erdkreis bringe ihr seine Huldigungen dar. Auch Kathinka lächelte im Schlafe. Sie sah sich an der Seite des schönen Jury, wie sie vor dem Altar stand und der Metropolit da» Band um ihre Hand schlang, und wie alles glückwünschend nahte. Sie aber lehnte sich an die Brust des Geliebten und flüsterte: „Mein Jury, mein Gemahl." Nicht alle Hoffnungen, Wünsche, Träume erfüllen sich; unser Glück besteht in der Einbildung, welche im prismatischen Lichte un« die eigenen Gedanken vor die Seele führt und die Wirklichkeit unseren Augen verhüllt. XVI. Da« Ende der Fürsten. Mit heißer Ungeduld hatten Galitzin und Gregor MiloslawSki die Rückkehr Nikolais erwartet, während die Fürsten Chilkow und Lykow durch ihre militärische Thätigkeit ganz in Anspruch genommen wurden. Da sie einen Ueberfall von selten der gereizten Strelzi befürchten mußten, hatten sie die Posten gegen Mos kau weit hinaus vorgeschoben. Dazu befestigten sie da« Dorf WoSdwischansko, so gut dies möglich war. Am Morgen zeigte eS sich zu einem Fort verwandelt, welches dem Anstürme wohl Widerstand leisten konnte, zumal wenn derselbe in Eile ohne Hilfe von Artillerie auSgeführt werde. Daß die Strelzi diese aber nicht mit sich führen würden, glaubten die Fürsten vorau«- setzen zu können. Auch verstärkte sich das zarische Heer noch in der Nacht höchst bedeutend, so daß Chil kow am Morgen über eintausend fünfhundert Mann gebot, ja man meldete, daß ein auf Galitzin« Befehl neu in Bildung begriffenes Regiment bis Mittag zu ihnen stoßen würde. „Wenn dann die aufrührerischen Strelzi noch nicht hier sind," meinte der tapfere Oberjägei meister, „so sollen die Rebellen an WoSdwischansko denken und bereuen, sich als Empörer bewiesen zu haben." Derselben Meinung war der Oberstallmeister Fürst Lykow. — — — — Die gefangenen ChowanSkys hatte man in ein Zimmer einguartiert, welches in dem Schlosse WoSd wischansko die meiste Sicherheit gewährte; denn eS lag in dem Thurm. Zugleich waren Wachen vor Fenster und Thür ausgestellt, so daß an ein Entweichen nicht gedacht werden konnte, wenn die Gefangenen auch nicht gefesselt und verwundet gewesen wären. Die Gemüthsstimmung, in der sich Vater und Sohn befanden, war durchaus nicht gleichartig; während Jury nicht daran glaubte, daß man den Ausspruch de» Kriegsgerichts durchführen werde, war der alte Iwan völlig anderer Ansicht. Er hatte jede Hoff nung aufgegeben und starrte vor sich hin in dumpfen Zorn, aus dem sich wie Blitze WuthauSbrüche lo«- rangen. Jury suchte den Vater zu trösten, indem er die Unklugheit hervorhob, welche die Feinde begehen wür den, wenn sie zu der Hinrichtung der Verurtheilten wirklich schreiten würden. Der Alte schüttelte dazu daS Haupt. „Nein," rief er und schlug mit den gefesselten Händen auf den Tisch; „das ist Thorheit. Wir sind verloren, Du und ich — ich kenne da«. Darum ein Leben geführt, welches mühevoll und glänzend war, um schließlich sich zu sagen, die eigene Thorheit hat dich unter das Beil gebracht. Die Kanaillen sind über uns Herr geworden, weil wir es nicht verdien ten. Hölle und Teufel." „Wir haben gehandelt, wie Jeder in unserer Lage gethan hätte," meinte Jury ; „und wenn unsere Feinde durch unseren Tod einen Weheruf durch ganz Ruß land erschallen zu lassen sich nicht scheuen, so wird Sophia einsehen —" Hier unterbrach ihn ein wildes Gelächter de alten Iwan. „Sophia, die Zarewna, sie wird einsehen, Wa ste thun muß. Sie kann nicht ander-!" schrie er. „Kopf ab den Empörern, den Rebellen. Sie wäscht ihre Hände wie Pilatus. DaS Gericht hat un« ver- urtheilt, hahaha! verurtheilt!" Ihm widersprach der Sohn. „Du vergißt, daß Sophia zu klug ist, um Andere herrschen zu lassen. DaS würde sie aber thun, wenn kein Gegengewicht für einen Galitzin, einen Chilkow existirte. Wir sind allein da« Gegengewicht." „Wir sind der Hemmschuh für ihre hochfliegen- dcn, ehrgeizigen Pläne," entgegnete der Alte. „Bei den Qualen der ganzen Hölle! ich ärgere mich über Deine kurzsichtige Dummheit. Hoffnung? Täusch ung! Sehen wir dem Tode entgegen und verfluchen da- Leben, da« keinen andern Zweck besessen hat, al- schließlich aus dem Block zu enden. Ich wollte, ich hätte eS vertrunken. He! Hollah!" Er stand auf und polterte gewaltig gegen die Thür. Nach einigen Minuten öffnete sie sich und ein Edelmann trat herein und fragte, ob die gefange nen Fürsten etwa« wünschten. „Natürlich, Du Narr!" ließ ihn Iwan ChowanSky heftig an. „Ich lasse den Schuft, den Galitzin fragen, ob wir zuerst verdursten sollen, ehe man „Kopf ab" spielt. Habt Ihr kein Geld, Wein zu kaufen, hier ist eine Sette, schwer genug, ein Oxhoft herbeizu schaffen. WaS stehst Du und starrst mich an? Hat Dein Spatzengehirn nicht verstanden, WaS ich Dir befohlen habe, Männchen?" Der junge Edelmann stieß die ihm vor die Füße geschleuderte Kette zurück. „Ich nehme kein Geschenk -- zumal von Re bellen," versetzte er. „Wein werde ich senden." Er verließ da« Zimmer, welches zum Gefängniß diente, und hinter ihm folgte ein wahrer Strom von Schimpfwörtern au« dem Munde de- Alten. (Fortsetzung solgt.)