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streifte. „Du konntest Deinen Hausstand gründen, und ich glaube, bis heute hast Du noch keine Ver anlassung gefunden, diesen Schritt zu bereuen. Aber da sind wir schon in Amsteg — hier müssen wir einen kurzen Aufenthalt nehmen, damit sich die Pferde auf den beschwerlichen Weg vorbereiten können." Der Wagen hielt vor dem Posthause; die Gesell schaft stieg aus, Gruner sorgte für Erfrischungen. Hallstadt schien sich während der Fahrt mit Gries heim vortrefflich unterhalten zu haben; Theodore konnte sich der Bemerkung nicht enthalten, sic habe ihren Vater selten in solcher heiteren Stimmung gesehen. Diese heitere Stimmung bemächtigte sich auf der Weiterfahrt der ganzen Gesellschaft; Gruner war un erschöpflich in humoristischen Bemerkungen und im Erzählen interessanter Geschichten. Das aber hinderte ihn nicht, Theodore auf alles Schöne und Interessante während der Fahrt aufmerk sam zu machen, ihr die Bohrung des Gotthardtunnels in anschaulicher Weise zu schildern und ihre Fragen bezüglich dieser Bahn in der eingehendsten Weise zu beantworten. Auf der Teufelsbrücke ließ er den Kutscher halten; er hob Theodore aus dem Wagen und führte sie zu dem imposante» Wasserfall, er zeigte ihr die alte Brücke und erzählte ihr von den blutigen Kämpfen, die im letzten Jahre des vorigen Jahrhunderts zwischen Oester reichern, Russen und Franzosen hier gekämpft worden waren, und Theodore hörte ihm mit wachsendem In teresse zu, sie hatte in diesem Augenblick vergessen, wer der Mann war, der an ihrer Seite stand. Bald darauf langte man in Andermatt an. Hier wollte man übernachten. Gleich nach dem Abendessen zogen Theodore und Hallstadt sich in ihre Zimmer zurück, Gruner forderte eine Flasche Champagner und zündete eine Zigarre an. „Jetzt möchte ich endlich fragen, was diese Tour, die wir heute morgen keineswegs beabsichtigten, be zwecken soll?" nahm Griesheim mit gedämpfter Stimme das Wort, während er einen forschenden Blick auf die Gesellschaft warf, die am nächsten Tische saß und sich sehr lebhaft mit Mineralien beschäftigte, die sie kurz vorher eingekauft zu haben schien. „Liegt ihr kein bestimmter Zweck zu Grunde —" „Mich wnndert's, daß Du ihn noch nicht crrathcn hast," unterbrach Gruner seinen Schwager spöttisch. „Hallstadt ist ein reicher Mann und Theodore seine einzige Erbin; auch wirst Du zugeben, daß ich alt genug bin, um den eigenen Herd zu gründen." „Ich dachte cs mir," sagte Elisabeth; „aber ohne meine Hilfe wirst Du das verlockende Ziel nicht er reichen." „Bah, wer weiß, ob es nicht besser wäre —" „Keine Sottisen, Willy!" sagte die junge Frau in scharfem Tone. „Durch mich ist diese Bekanntschaft eingeleitet und heute neu befestigt worden; ich allein kann Dir die Brücke bauen, die zum Ziele führt." „Und meine liebenswürdige Schwester wird diese Arbeit gewiß gern übernehmen." „Es kommt auf die Bedingungen an." „Welche stellst Du?" Elisabeth nippte au ihrem Glase und warf jetzt anch einen prüfenden, mißtrauischen Blick auf die anderen Gäste, die über den Werth eines Rauchtopas von seltener Größe und Schönheit in Wortwechsel gcrathen waren. „Wenn es Dir wirklich gelingt, Herz und Hand dieser Bankierstochter zu erobern, dann wirst Du ein sehr reicher Mann und wir verlieren Dich," sagte sie; „somit wäre auf Deiner Seite allein der Vortheil. ES ist also nicht unbillig, wenn ich für nieine Hilfe einen Antheil an der Mitgift beanspruche. Wie ur- theilst Du darüber, Friedrich?" „Ich finde die Forderung berechtigt," erwiderte Griesheim, „aber von dem Projekt halte ich nichts." „Weshalb nicht?" fragte Gruner. „Weil ich voraussehe, daß es in die Brüche gehen wird. Hallstadt gefällt mir nicht und seine Tochter ist eine Heuchlerin." „Dn bist rasch fertig mit Deinem Urthcil," spot tete Elisabeth; „ich für meine Person glaube, daß Theodore ziemlich beschränkt ist. Sie glaubt mir aufs Wort, und gelingt es Willy, ihr Interesse für seine Person einzuflößen, wozu ich ja auch das meinige bei tragen werde, dann darf er mit Sicherheit auf den Erfolg rechnen." „Ich rechne schon jetzt auf ihn," sagte Gruner achselzuckend, „und der alte Herr wird gegen meine Person nichts einwendcn können." „Und auf meine Bedingungen gehst Du ein?" fragte seine Schwester. „Wenn ich eS nicht thäte?" „Dann würde ich Dir Hindernisse in den Weg legen, die Du nicht überwinden könntest." „Bah, daraus erwüchse auch kein Vortheil für Dich!" „Ich glaube da« doch, ich würde in diesem Falle Hallstädt in meine Salons einführen." „Das kann ohnedies geschehen," sagte Griesheim. „Wenn ich die Pläne meines Bruders nicht durch kreuzen will, darf ich daS nicht wagen." „So denke ich auch," versetzte Gruner; „in unsere Geheimnisse darf er nicht eingeweiht werden, wenn ich nicht von vornherein Alles verloren geben soll. Ich werde Dir Deinen Antheil geben, Elisabeth; da für aber verlange ich, daß Du in dieser Angelegenheit mir mit Rath und That zur Seite stehst." „Beides soll Dir nicht fehlen." „Und an dem Mißtrauen Hallstädts wie an der Klugheit seiner Tochter wird Euer Plan scheitern," sagte Griesheim, mit der Hand über den blonden Voll bart streichend. „Denkt doch nicht, daß dieses Mäd chen Euch Alles glaubt ; ich vermuthe weit eher, daß sie uns nur deshalb so freundlich und scheinbar entgegenkommt, um im Interesse ihrer Freundin zu spioniren." Ein spöttisches Lächeln umzuckte die Lippen Elisa beths. „Was würde sie damit erreichen?" fragte sie. „Wir haben uns gegen jeden Angriff, der von jener Seite kommen könnte, sichergestellt und deshalb keine Spionage zu fürchten. Uebrigens tragen die Aeußer- ungen Theodores den Stempel der Wahrheit; ich glaube gern, daß ihre Freundin in gereiztem Tone geantwortet hat, und es würde mich keineswegs über raschen, wenn diese Verlobung schon gelöst wäre. Varnay hat seiner Braut keineswegs gesagt, daß er vor Jahren mit mir verlobt gewesen ist; sie muß nun an seiner Aufrichtigkeit zweifeln, und macht sie ihm Vorwürfe deshalb, so kann dies in derselben Stunde zum Bruch führen." „Und ich wiederhole, was ich schon so oft gesagt habe, inan hätte besser die ganze Geschichte ruhen lassen sollen," erwiderte Griesheim unwillig. „Hall städt und Tochter würden vielleicht nie etwas davon erfahren haben. Hallstädt hat inir zugesagt, uns in Luzern besuchen zu wollen, ich verfolgte dabei andere Zwecke, nun ärgert's mich, daß ich ihn so dringend eingeladen habe." „Wer weiß, wie die Dinge sich noch wenden," sagte Elisabeth, „ich werde die Augen offen halten und unsere Interessen wahren." Damit war das Gespräch beendet, sie verließen jetzt auch den Speisesaal und zogen sich in ihr Zimmer zurück. Der nächste Morgen fand die Reisegesellschaft wieder versammelt. Die Sonne schien so hell, wie ani Tage zuvor, dennoch zuckte der Kutscher auf die Frage Hallstädts, was er von dem Wetter halte, bedenklich die Achseln. Gruner ging mit einem Scherz über die Bedenken hinweg, die Wolken, die sich in der Ferne ain Hori zonte zeigten, konnten nach seiner Behauptung- den Ausflug nicht zu Wasser machen. Er war auch heute wieder der liebenswürdige Gesellschafter, der keine Einsilbigkeit und am wenigsten eine Verstimmung aufkommen ließ. Er hatte für Alles Sorge getragen, einige Flaschen Wein und ein vor treffliches Frühstück befanden sich im Wagen, und man war ihm sehr dankbar für diese Fürsorge, deren Wohl- that man doppelt empfand, als die Wolken sich mehr und mehr zusammenballten und jetzt ein kleiner, kalter Regen unablässig niederrieselte. Der Wagen mußte geschlossen werden, Mäntel und Tücher leisteten jetzt treffliche Dienste. Die Kälte wurde immer empfindlicher, der nasse Nebel immer dichter, aber Gruner verlor anch jetzt die heitere Laune noch nicht und seine Heiterkeit half auch den Anderen über die ärgerliche Stimmung hin weg, die solche Witterung in der Regel hervorzurufen pflegt. Mau speiste im Furkahause und fuhr im Schnee gestöber zum Rhonegletscher hinunter. Natürlich kam die gigantische Pracht des Gletschers hinter dem wallenden 'Nebelschleier nicht zur Geltung, man mußte wieder umkehren und war herzlich froh, als im Thale von der Andermatt die Sonne wieder die Heimkchrenden begrüßte. Ein Spaziergang zur Teufelsbrücke wurde von Gruner vorgeschlagen und nur von den beiden Damen angenommen, Griesheim und Hallstädt blieben im Gasthanse zurück; sie zogen vor, bei einer Flasche Vino d'Asti eine Partie Piket zu spielen. Gruner führte Theodore, er und Elisabeth unter hielten daS Mädchen in einer so fesselnden und inter essanten Weise, daß jede Müdigkeit ihr fern blieb, trotz dem der Weg ein ziemlich weiter war. Sie kehrten erst kurz vor dem Abendessen zurück und fanden die Beiden in Hallstädts Zimmer noch immer beim Kartenspiel. Das Spiel mußte jetzt abgebrochen werden. Hall städt legte die Karten hin und Griesheim verließ ihn mit der Erklärung, daß er zu jeder Zeit bereit sei, Revanche zu geben. „Das hätte vermieden werden müssen!" zürnte Gruner, als er sich mit seinem Schwager allein be fand ; „die Verabredung, die wir gestern Abend trafen, scheinst Du schon vergessen zu haben." „Was mußte vermieden werden?" fragte Gries heim kühl. „DaS Kartenspiel! Du hast natürlich gewonnen?" „Bah, eine Kleinigkeit, zehn Partien zu fünf Franken — ist nicht der Rede Werth." „Mir kannst Du den ganzen Spaß verderben." Griesheim warf das Haupt zurück, ein trotziger Zug umzuckte seine Mundwinkel. „Du wirst nicht verlangen, daß ich so große Rück sichten auf Dich nehmen soll," sagte er in barschem Tone; „um Deine Projekte kann ich mich nicht küm mern, es sind Privatzwecke, von denen ich nichts habe." „Willst Dn feindlich mir entgegentreten?" fuhr Gruner auf. „Nein, das liegt nicht in meiner Absicht, aber ich will mir auch die Hände nicht binden lassen. Ver folgen wir in dieser Angelegenheit unsere eigenen Wege, das ist nach nieiner Ansicht das Beste." Griesheim wandte mit diesen Worten seinein Schwa ger den Rücken und ging in den Speisesaal, in dem Hallstädt und die Damen schon an der Tafel Platz genommen hatten. Auch heute zogen Vater und Tochter, Ermüdung vorschlltzend, sofort nach dem Abendessen sich zurück. Ihre Zimmer lagen nebeneinander, die Thür, die sie miteinander verband, war offen. Theodore trat in das Gemach ihres Vaters, der langsam auf und nieder wanderte. „Hast Du Entdeckungen gemacht?" fragte sie leise. Er war stehen geblieben, über sein hageres Gesicht glitt ein dunkler Schatten. „Eine, die mir genügt," erwiderte er; „sie liefert mir de» Beweis, daß die Mittheilungen Deiner Freundin sich auf Thatsachen stützen." „Und welche Entdeckung ist es?" „Kannst Dn schweigen?" „Muß ich es nicht, wenn ich meinen Zweck er reichen will?" „Ja, freilich, und eS wäre auch gefährlich, über meine Entdeckung zu plaudern, so lauge überführende Beweise fehlen. Griesheim spielt mit gefälschten Karten." (Fortsetzung folgt.) Die Heimath. Die Heimath! Ach, welch ein Strahlenkranz von Poesie liegt auf diesem einen Wort, das für Jeden seine holde Bedeutung hat und behält von der Wiege bis zum Grabe. — Mag uns daS Leben hinauf ge führt haben zu der höchsten Staffel der sozialen Leiter, oder hinab in jene dunklen Tiefen des Menschenda seins, wo nur die Armuth, das Elend mit unerbitt licher Grausamkeit sein Szepter führt. — Die Liebe zu dem Plätzchen, wo unsere Wiege gestanden, über der lieb Mütterchens Augen gewacht und des Vaters Blick sich sinnend geneigt, lebt treu und lebendig in jedes Menschen Herzen, und je weiter die räumliche Entfernung ist, die uns von dieser Stätte trennt, je glühender umgiebt unsere Sehnsucht sie mit der Glorie des Schönen, des Lieblichen. — Und — cs giebt ja auch nichts Heiligeres für uns auf Erden, als das Mutterhcrz — die nimmer und nimmer rastende Mutterliebe, die mit uns duldet und trägt, die alles Leid, das uns wiederfährt, doppelt empfindet und ver steht. In der Heimath haben wir unsere ersten Freundschaften geknüpft, und — vielleicht auch den ersten Licbestraum geträumt. Ja die Heimath! — Und wenn sic uns auch nichts mehr bieten kann, kein liebes treues Mensckenhcrz mehr und keine Mauer, die die Räume umschließt, in denen wir zuerst mit Kindcslallcn nach dem bunten Tand gegriffen, mit welchen: die Elternliebe unser junges Herz erfreut, und wo wir dann den Idealen entgegeugestrebt, die jede junge Seele sich einmal schafft, sondern nur noch draußen — auf dem stillen Friedhof — eine Reihe grünüberwucherter Hügel, unter denen unsere Lieben einem besseren Leben entgegenschlummern, nach der Heimath zieht es uns doch, und es ist, als wenn un sichtbare Fäden uns immer, immer noch mit der Heimath verknüpfen, selbst wenn der Schnee des Alters auf unserem Haupte liegt, die Gestalt sich beugt und viel, viel Furchen — das Leid und der Kummer gruben sie so tief, — unser Antlitz durch ziehen. Ich möchte heim, noch einmal heim, ehe Gott mich abruft, sagt der zitternde Greis, und wenn die alte Frau, um deren Sterbebette Kinder und Enkel kinder tief bewegt stehen, den letzten Augenblicken ent- gegencilt, dann flüstert sie wohl, im Blicke schon die Verklärung eine« besseren Seins: Grüßt mir auch die Heimath, Kinder, wenn Euer Lebensweg Euch einmal nach dem lieben Städtchen führt, wo ich geboren und erzogen wurde, ach, ich hätte es auch wohl gern noch einmal gesehen. — Ja, in der Heimath wurzelt unser Sein, und wenn wir draußen m der Fremde, wohin uns das Schicksal verschlagen, viel liebe Freunde er worben, sie alle sind vergessen, wenn plötzlich zwischen ihnen ein Gesicht sich zeigt, das der Heimath ent stammt, vielleicht ein Gesicht, an dem wir selbst noch daheim gleichgültig vorüber gegangen. „Wie geht es in der Heimath?" — DaS ist eine Frage, deren Beantwortung wir mit einem Interesse ohne Gleichen entgegensehen, und mit angespannter Aufmerksamkeit lauschen wir dem Bericht des Lands mannes, eS giebt ja nichts, was uns langweilen könnte in seiner Erzählung, denn der Schauplatz der selben ist ja — die Heimath! Ach, die Heimath, die liebe traute Heimath — Gott segne sie viel — viel tausendmal. Druck und «erlag von E. Hannebohn in Eibenstock