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Beilage ;u Rr. 76 des „Amts- and Aiyeigeblattes" Eibcnstolk, de» 30. Juni 1894. Der zweite Mann. Crimmal - Erzähl»»» von Ewald August König. (S. Forlsctzung.) Nur eins, und zwar gerade das, was er zu wissen wünschte, erfuhr er nicht — der Agent verschwieg ihm seine Begegnung mit dem Rechtsanwalt Varnah. Sie saßen schon beim Dessert, als Grnner endlich wieder die Rede auf das frühere Thema brachte. „Ich bleibe dabei, man hat mich oder meine Schwester bei Ihnen verlenmdet," sagte er in scherzen dem Tone, „ich wüßte sonst nicht, wie dieses Miß trauen so plötzlich entstanden sein sollte." „Na, ich bin immer ärgerlich ans Sie gewesen, weil Sie Ihr Versprechen nicht erfüllt und mich an der Nase geführt hatten," erwiderte Schüller, „nnd nnn diese Ähnlichkeit — da soll der Kuckuck nicht mißtrauisch werden!" „Und da wollten Sie sich wohl überzeugen, als ich Sie heute Mittag vor meiner Wohnung antraf?" „Finden Sie das nicht begreiflich? Sehen muß ich Ihren Schwager noch einmal!" „Ich wiederhole Ihnen —" „Sagen Sie mir, was Sie wollen, mich hat diese Ähnlichkeit zu sehr frappirt!" „Nun denn, wenn Sie darauf bestehen, so werde ich Ihnen Gelegenheit geben, ihn zu sehen." „Wenn Sie mich einladen wollten —" „Das darf ich nicht. Sie würden Ihr Mißtrauen nicht verbergen können und meine Schwester kann keine Beleidigung ertragen. Ich mag nicht daran denke», was im Hinblicke auf den Jähzorn meines Schwagers daraus entstehen könnte, deshalb muß ich die Erfüllung des Wunsches verweigern. Sie wollen also morgen wieder von hier abreisen?" „ So lag es ursprünglich in meiner Absicht," nickte der Agent, „aber nach dieser Begegnung mit Ihrem Schivager werde icb hier bleiben, bis ich volle Gewiß heit habe!" Grnner zündete sich eine Cigarre an und blies einige "Ranchwölkchen vor sich. „Seien Sie einmal ganz aufrichtig," sagte er; „Sie sind mit Advokat Barnah zusammengetroffen?" „Wer behauptet das?" „Ich. Der Advokat hat heute Vormittag meine Schwester besucht, — nicht in feindlicher Absicht, er war schon in früheren Jahren mit ihr befreundet, aber ich traue ihm trotz seiner glatten Worte nicht; er übernahm nach dem Tode meines Schwagers die Ver tretung eines Gläubigers, und da hat's ihn sicher gewurmt, daß er trotz der Versicherungspolice nichts vorfand. Haben Sie die Reise mit ihm gemeinschaft lich gemacht?" „'Nein." „Sind Sie auch nicht mit ihm zusammengetroffen?" „Doch, aber erst heute Morgen auf dem Schiff." „Und er sollte nicht mit Ihnen über die Angelegen heiten geredet haben?" Schüller erinnerte sich des Versprechens, das er dem Advokaten gegeben hatte; er verneinte die Frage. Da er eS erst nach einigem Zögern that, so erkannte Gruner sofort die Lüge. „Wir haben uns über ganz andere Dinge unter halten," sagte er; „auf der Reise findet man ja so manchen Anknüpfungspunkt, da hat man keine Zeit, an vergangene Dinge zu denkeu." Gruner gab sich den Anschein, als ob er durch diese Antwort befriedigt sei. Er führte jetzt den Agen ten durch die Stadt, deren Sehenswürdigkeiten er ihm zeigte, obgleich eS nicht das erste Mal war, daß Schüller sich in Luzern befand. Er wich ihm nicht von der Seite, er wollte jede Zusammenkunft mit dem Advokaten verhindern und ihn so lange überwachen, bis Schüller Luzern wieder verlassen hatte. Gegen Abend brachte er ihn in die Restauration, in der er täglich mit seinem Schwager zusammentraf. „Ich werde Sie vorstellen," sagte Gruner in war nendem Tone. „Sie können über alle möglichen Dinge mit ihm reden, nur Verratheu Sie mit keiner Silbe Ihr Mißtrauen, sein Jähzorn kennt keine Schranken." Sie fanden Griesheim im Gastzimmer. Der Agent wurde vorgestellt; Griesheim erzeigte ihm deu Gefallen, sich einige Minuten lang mit ihm zu unterhalten, dann entfernte er sich unter deni Vorwande, daß ein leichtes Unwohlsein seiner Frau ihn nöthige, heimzugehen. Der Agent blickte ihm starr nach, sein Mißtrauen schien eher zu- als abgenommeu zu haben. „Was sagen Sie jetzt?" fragte Gruner, spöttisch lachend, „hegen Sie noch immer Zweifel?" „Glauben Sie, daß diese Zweifel so rasch schwin den?" erwiderte der korpulente Herr. „Ihr verstor bener Schwager war oft in meinem Bureau, ich habe ihn zu genau gekannt —" „So werde ich Sic wohl in anderer Weise über zeugen müssen," sagte Gruner achselzuckend, während er ein Portefeuille aus der Tasche holte, aus dem er zwei Photographien nahm. „Betrachten Sie diese Bilder genau, dann sagen Sie mir, welches von ihnen da« Porträt meines verstorbenen Schwagers ist. 'Nur muß ich bitten, nicht auf die Rückseite zu scheu." Der Agent ließ den Blick lange auf den Bildern ruhen; war auch der Anzug auf beiden verschieden, das Gesicht war ganz dasselbe. „Ich denke mir, es ist der Verstorbene in zwei verschiedenen Toiletten," urtheiltc er endlich. „Werfen Sie jetzt einen Blick auf die Rückseite, dann werden Sie finden, daß eines der Bilder in Amerika angefertigt worden ist." Der Agent schüttelte den Kopf; dieser Beweis war freilich überzeugend, aber die Zweifel wollten noch immer nicht schwinden. „Ich verstehe das nicht," sagte er. „Ich kann nicht glauben, daß —" „Dann werden Sic überhaupt nicht zu überzeugen sein," sagte Gruner. „ES liegt mir wenig daran, zu erforschen, welche Vermuthungen Sic hegen, sicher ist es tolles Zeug, das Ihnen unnütz zu schaffen macht. Wollen Sic meinen Schwager besuchen, so steht Ihnen das frei, jetzt aber bitte ich, das Thema fallen zu lassen, es wird immer unerquicklicher." Schüller schwieg, was wollte er auch jetzt noch antworten. ES half ihm nichts, die Behauptungen Gruners anzufechten, das hatte er bereits eingcschen; er konnte sie ja nicht widerlegen, da ihm die erforderlichen Be weise fehlten. Der Advokat Barnah erwartete ihn wahrscheinlich schon, mit ihm wollte er berathen, ob und welche Schritte nun noch gethan werden konnten. Als er sich erhob, stand auch Gruner, der ihn scharf beobachtet hatte, von seinem Sitze auf. „Sie werden entschuldigen, wenn ich Sie jetzt verlasse," sagte der Agent; „ich habe wichtige Briefe, die ich heute Morgen hier vorfand, zu beantworten, und Geschäftssachen darf man nicht aufschieben." „Ich will Sie nicht stören," erwiderte Gruner, „aber wenn Sie erlauben, begleite ich Sie bis zu Ihren, Hotel." Schüller nickte zustimmend, schweigend traten sie ihren Weg an. „Werde ich morgen das Vergnügen haben, Sie wiedcrzusehen?" fragte Gruner nach einer Pause. „Ich weiß es noch nicht; wahrscheinlich schlage ich mir die ärgerliche Geschichte aus den, Kopfe und reise ab." „Sic wollen von hier nach Bern?" „Jawohl." „Ich werde mir das Vergnügen machen. Sic zur Bahn zu begleiten." „ Sie sind sehr freundlich, aber mein Entschluß ist noch nicht gefaßt." Sie standen vor deni Hotel, als der Agent das in kühlem Tone sagte; Gruner erwiderte nichts, er nahm mit einer leichten Verbeugung Abschied. Der korpulente Herr verließ schon nach einigen Minuten den Gasthof wieder und ging mit raschen Schritten über die Brücke, die zur anderen Seite der Reuß hinüberführt. Er ahnte nicht, daß Gruner ihm in geringer Ent fernung folgte und doch hätte er, der selbst spioniren wollte, die Spionage seiner Gegner fürchten müssen. In der Restauration des Hotels St. Gotthard er wartete der Advokat ihn schon ; Gruner warf einen Blick durch die GlaSthür und sah die Beiden im eif rigen Gespräch. Rasch trat er zurück, ein böser Zug umzuckte seine Lippen. Jetzt wußte er, daß der Agent ihn belogen hatte. Die Vermuthung lag nahe, daß Schüller durch den Advokaten zur Uebernahme dieser Rolle vcraulaßt worden war. In diesem Falle hatte Elisabeth sich täuschen lassen, Varnah hegte nicht die freundlichen Gesinnungen, die er ihr gegenüber zur Schau trug. Im ersten Augenblick wollte Gruner nach Luzern zurückkehren, um Elisabeth zu warnen, aber nach kurzem Nachdenken besann er sich eines Anderen. Er ging ins Theater-Cafä, das auf derselben Fluß seite lag, und speiste hier zu Abend. Inzwischen sandte er einen Boten in die Wohnung seines Schwagers, der nach Verlauf eiuer Stunde, der erhaltenen Auf forderung Folge leistend, sich cinfand. „Die Sache ist richtig," sagte Gruner, nachdem sein Schwager Platz genommen hatte; „die Beiden sind miteinander verbündet, sie sitzen augenblicklich in der Restauration des Gotthardhotels und berathen." „Und was weiter?" fragte Griesheim barsch. „Wir müssen ihre Pläne durchkreuzen." „Sehr wohl, vorausgesetzt, daß wir eS noch können! Du hättest mich dem Manne nicht vorstellen sollen! Wozu war das überhaupt nöthig." „Weil er Luzern nicht eher verlassen wollte, bis j er Dich gesehen hatte." „Und nun?" „Nnn wird er nicht abrcisen!" „So reise ich." „Ich wiederhole Dir, das wäre Thorheit. Die Beiden würden Dir folgen —" „Meine Frau wird mich begleiten." „Hat sie es Dir zugesagt?" „Bah, ich werde sie zwingen," sagte Griesheim spöttisch; „sie muß gehorchen, wenn ich befehle." In den Augen Grunerö blitzte es zornig auf. „Du nimmst Dir zu viel heraus," erwiderte er; „von Deinen Launen wollen wir, meine Scbwester nnd ich, nicht abhängcn." „So lange Ihr von meiner Kasse abhängt, müßt Ihr Euch diesen Launen wohl fügen." „DaS geht zu weit! Bedenke wohl, was —" „Ich habe Alles bedacht, wir reisen ab. Du magst hier bleiben, es ist mir sogar lieb, wenn Du uns nicht begleitest." „Liegen die Dinge so? Du bist meiner überdrüssig?" „Ereifere Dich nicht," erwiderte Griesheim, ihm in die Rede fallend; „unlösbar sind die Bande, die uns aneinander fesseln, niemals gewesen. Wir können ja Beide unseren Weg allein finden und auf Deinen Rath lege ich keinen Werth." „Und wenn ich mich nun mit jenen Beiden ver bündete?" „Bah, das zu wagen, bist Du zu feig! Du würdest in Dein eigenes Verderben hincinrennen." „Es geschähe Euch recht, ließe ich Euch hinein rennen," sagte Gruner verächtlich, „und ich würde es ohne Bedenken thun, wenn Deine Frau nicht meine Schwester wäre!" „Oder richtiger gesagt, wenn dadurch nicht Deine eignen Pläne in die Brüche gingen!" spottete Gries heim. „Nicht auf uns nimmst Du Rücksicht, sondern auf Fräulein Hallstädt; aber gelingen wird Dir dieses Projekt doch nicht." „DaS sind meine Sachen, ich fordere Deine Hilfe nicht und darf mir also auch alle Glossen darüber verbitten. Wie gesagt, ich sollte die Dinge ihren Gang gehen lassen, aber ich will, trotzdem ich weiß, daß ich nur Undank ernten werde, mein Möglichstes thun, um die Gefahr von Euch abzuwenden." „So? Und was soll geschehen?" „Könnte man die Beiden verschwinden lassen, so wäre das wohl das Einfachste —" „Ich danke, an solchen Geschichten betheilige ich mich nicht." „Ich denke auch nicht daran, ich glaube, ein besseres Mittel gefunden zu haben, den Agenten unschädlich zu machen. In einer Stunde reise ich mit dem Nacht zuge nach Basel, morgen in aller Frühe bin ich wieder hier." „Und was willst Du dort?" „Nur dieses Telegramm aufgeben." Gruner holte sein Notizbuch aus der Tasche und schrieb einige Zeilen nieder, die er darauf seinem Schwager zeigte. „Was willst Du damit bezwecken?" fragte Gries heim achselzuckend. „Kannst Du eS nicht errathen?" „Ja doch, aber helfen wird es nichts, und ist die Sache fehlgeschlagen, dann fällt der Verdacht auf uns." „Diesem Verdachte sollst Du vorbeugen. Das Dienstmädchen muß glauben, daß ich die Stacht über zu Hause gewesen bin, damit sic es im Nothfalle be schwören kann. Du wirst dafür wohl sorgen können." „Wenn es sein muß, allerdings, aber ich sehe keinen Bortheil darin." „Versuchen wir es wenigstens." „Advokat Varnay wird für den Agenten in die Schranken treten." „Er soll für sich selbst sorgen; wer für einen Ver dächtigen eintritt, der macht sich selbst verdächtig." Griesheim schüttelte zweifelnd das Haupt. „Ich rathe Dir entschieden ab," sagte er, „Du bringst nur uns selbst in Ungclegcnheitcn, denn auf uns wird Alles zurückfallen. Wir steigern nur dadurch das Mißtrauen und den Verdacht, und sobald den Beiden wieder die Hände frei geworden sind, werden sie nur um so schärfer gegen uns vorgehen." „Bis dahin haben wir weitere Mittel und Wege gefunden —" „Bis dahin bin ich längst über alle Berge," unter brach Griesheim ihn; „zu Deinen Mitteln und Wegen habe ich kein Vertrauen." Gruner zuckte verächtlich die Achseln und erhob sich. „Darüber wollen wir morgen weiter reden," sagte er, „jetzt ist es Zeit, daß ich zum Bahnhof gehe." Er nahm seinen Hut und trat an« Buffett, um seine Zeche zu berichtigen; ohne den Schwager, der vor der Weinflasche sitzen blieb, noch eines Blickes zu würdigen, ging er hinaus. VII. Elisabeth ging über die Mittheilungen, die ihr Bruder ihr den nächsten Morgen über seine Entdeck-