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Beilage zu Rr. 67 des.Amts- und Anzeigeblattes". Eibcnstolk, den 9. Juni 1894. Der zweite Mann. Criminal-Erzählung von Ewald August König. (8. Fortsetzung.) „Weißt Du das sicher?" „Ja, aber, wie gesagt, es ist zu schwierig, den Be weis zu führen, wenn mau nicht die Gelegenheit wahr nimmt, ihn auf frischer That zu ertappen." „Und das wäre doch leicht?" „Nicht so leicht, wie Du denkst; solche Leute sind stets auf ihrer Hut und jeden Augenblick auf einen Angriff vorbereitet. Griesheim wird diese Kunst drüben aus dem Grunde gelernt haben; ich kann mir jetzt denken, durch welche Mittel er in Amerika so rasch reich geworden ist. Und wird ein solcher Gauner er tappt, dann greift er ohne Bedenken znm Revolver, in Amerika ist das so Brauch." Theodore wiegte sinnend das Hanpt, ihr Blick ruhte voll fieberhafter Erwartung auf dem Vater, der seine Wanderung wieder ausgenommen hatte. „Du hast die Anklage mit solcher Zuversicht ge stellt, daß Du unzweifelhafte Beweise haben mußt," sagte sie. „Die habe ich auch, liebes Kind. Griesheim schlug das Spiel vor; ich hegte sofort Mißtrauen und sah ihm scharf auf die Finger; hätte ich das nicht gethan, würde ich wahrscheinlich nichts bemerkt haben." „Und Du hast ihm gegenüber keine Silbe davon erwähnt?" „Nein, ich habe ihm den Gewinn ausgezahlt und mich jeder Bemerkung enthalten. Er scheint mit seinem Zwillingsbruder auch die Neigung zur Schurkerei ge mein zu haben; ich glaube, wir thun besser, uns niit diesen Leuten nicht mehr zu beschäftigen." „Angenehm ist es freilich nicht," erwiderte Theo dore, „aber da wir die Leute kennen, so können für uns keine bösen Folgen daraus erwachsen, den kleinen Verlust wirst Du verschmerzen." „Und Deine Freundin hat keinen Vortheil davon." „Ich habe mir fest vorgenommen, ihr den Dienst, um den sie mich bittet, zu leisten; meinen Entschluß werde ich ausführen. Ich werde Frau Griesheim besuchen und ihren Bruder —" „Dieser Mann ist noch gefährlicher wie Griesheim!" „Ich will das nicht bestreiten, aber ich glaube auch, daß er kein Bedenken trägt, seine Schwester an den Pranger zu stellen, wenn dies in seinem eigenen In teresse liegt. Er ist jetzt schon auf dem besten Wege, um meine Hand zu werben; ich will ihn soweit kom men lassen, wie meine Ehre und meine Selbstachtung mir erlauben —" „Und dann?" fragte Hallstadt in sehr bedenklichem Tone. -„Dann soll Gruner beichten, wenn er es nicht vorher schon gethan hat; ich werde ihn zwingen zu einem Gestiindniß, mit dem ich diese Frau Griesheim vernichten kann." „Kind, Kind, wohin kann dieser Haß führen? Und ist eS denn bewiesen, daß die Frau sich wirklich an jenem Betrüge betheiligt hat? Kann nicht ihr ver storbener Gatte allein die Sache cingefädelt und das Geld vergeudet haben?" „Ihre verleumderischen Lügen —" „WaS thut man nicht, um sich von einem ent ehrenden Verdachte zu reinigen! Ich fürchte. Du hast ein gefährliches Mittel gewählt; Deine Absichten werden bald durchschaut werden und auf Dich allein fällt als dann Alles zurück. Ich will Dir ja gern heistehen, die Wahrheit zu erforschen und die Bande unschädlich zu machen, aber ich sage Dir noch einmal, wir be gehen eine Thorhcit, durch die wir uns selbst nur Unannehmlichkeiten zuziehen können." „Doktor Varnah wird ja auch iu den nächsten Tage» eintrcffcn. Papa; bis dahin wollen wir uns darauf beschränken, die Leute zu beobachten und über ihre Verhältnisse uns die genaueste Auskunft zn ver schaffen." „In ihre Verhältnisse habe ich schon so tief hinein geschaut, daß mich nicht danach verlangt, »och tiefer zn blicken. Und mich von diesen Bauernfänger» noch weiter rupfen zu lassen, dazu habe ich auch keine Lust," sagte Hallstädt. „Das kann ja verhindert werden," entgegnete Theodore. „Hin, wer weiß, welchen Plan sie schon ausgebrütet haben, um ihre Börsen aus meiner Tasche zu füllen! Ich werde ihnen freilich nicht den Gefallen thun; aber ist man einmal in den Händen solcher Gauner, dann kann man sich vor Betrug nicht mehr schützen." „Ich sehe das Alle« nicht so schwarz an," scherzte Theodore; „und auf halbem Wege will ich nun auch nicht stehen bleiben; da« einmal Unternommene muß zu Ende geführt werden." „In Gottes Namen," nickte der alte Herr, „aber giebt'S ein schlimmes Ende, dann wasche ich meine Hände in Unschuld. Und nun gute Nacht, mein Ktnd; ich will Dir das Weitere überlassen und inzwischen Wache halten, damit Du nicht selbst in Gefahr kommst." Er küßte sie auf die Stirn und Theodore kehrte in ihr Zimmer zurück. Es entging ihr am nächste» Morgen nicht, daß Gruner sie und ihren Vater forschend beobachtete; offenbar wollte er sich überzeugen, ob wegen des falschen Spieles irgend ein Verdacht auf seinen Schwager ge fallen Ivar. Die Freundlichkeit Theodoren« mußte ihn beruhigen; er war wieder der heitere, liebenswürdige Gesellschafter, als der Wagen von Andermatt nach Fluelen zurück fuhr. Er sprach seiu Bedauern aus, daß der schöne Aus flug nun zu Ende und die Zeit der Trennung nun so nahe sei, aber an dieses Bedauern knüpfte er die Hoffnung, daß ihm ein baldiges Wiedersehen vergönnt sein werde. Elisabeth bat so lange, bis Theodore ihr das feste Versprechen gab, sie an einem der nächsten Tage in Luzern zu besuchen; den Tag selbst konnte sie noch nicht bestimmen. „Papa will morgen oder übermorgen noch einmal auf deu Rigi," sagte sie; „nach seinen Wünschen muß ich mich richten." „Dann bitte ich in jedem Fall um eine kurze Be nachrichtigung, wann ich Sie erwarten darf," ant wortete Elisabeth; „es wäre doch zu unangenehm, wenn Sie uns nicht zu Hause träfeu." „Könnten wir nicht die Tour gemeinschaftlich machen?" fragte Gruner. „Sie sind sehr liebenswürdig," erwiderte Theodore init einer leichten Verbeugung; „aber ich kann Ihnen den Tag nicht angeben; mein Papa liebt es, erst am Abend vorher zu bestimmen, was am nächsten Tage geschehen soll. Sie demnach zu benachrichtigen, wäre wohl zu spät." „Aber wir könnten eine andere gemeinsame Tour verabreden," sagte Gruner. „Waren Sie schon auf dem Pilatus?" „Nein, Papa fürchtet, die Tour werde zu beschwer lich für mich sein." „So groß sind die Beschwerden nicht," fuhr Gruner fort, „und in dem Gasthofe oben auf dem Pilatus ist man vortrefflich aufgehoben. Ich werde Ihrem Herrn Vater diese Parthie «»empfehlen; sie hinterläßt eine sehr angenehme Erinnerung." Theodore nickte zustimmend, achtete aber nicht weiter auf die Worte Elisabeths, die jetzt die Schön heiten der in Vorschlag gebrachten Tour ausführlich beschrieb; in Nachdenken versunken, blickte sic sinnend in die Ferne — sie erinnerte sich der Warnungen ihres Vaters, über die sie doch nicht so leichtfertig hinweggehcn konnte, wie sie es Anfangs gewollt hatte. Man langte bald darauf in Fluelen an; Hallstädt wollte mit seiner Tochter zu Wage» über die Axen- straße nach Brunnen zurückkehren, während die Ueb- rigen die Heimreise nach Luzern mit dem Schiff zu machen gedachten. Noch einmal nahm Elisabeth den Beiden das Ver sprechen ab, sie an einem der nächsten Tage in Luzern zu besuchen, dann trennte sich die Gesellschaft, um auf verschiedenen Straßen die Heimreise fortzusetzen. V. Oben auf Rigi-Kulm war cs heute außerordent lich lebhaft. Sowohl von Vitznau wie von Arth kamen in kurzen Zwischenpausen die Eisenbahnzüge und in den Waggons war kein Platz unbesetzt. Das prächtige Wetter stellte einen herrlichen Sonnenuntergang in Aussicht; man mußte einen solchen Tag wahrnehmen, wenn man den Rigi be suchen wollte. Auch Hallstädt befand sich mit seiner Tochter unter de» Passagieren, die am Nachmittag von Vitznau, also von der Seite de« Vierwaldstädter Sees, kamen; dem Schwarm der übrigen Passagiere folgend, gingen sie ins Hotel Schreiber, wo sie zu übernachten gedachten. Nachdem sie in der Restauration sich erfrischt und auf der höchsten Kuppe des Berges die entzückende Aussicht genossen hatten, kehrten sie ins Hotel zurück, um in den prachtvollen Konvcrsationssälen die Zeit bis zum Sonnenuntergang zu verbringen. Sie hatten sich kaum niedergelassen, als ein junger Herr auf sie zutrat. „Irre ich nicht, so habe ich wohl die Ehre, Herrn Hallstädt zu begrüßen," sagte er mit einer leichten Verbeugung. „Ich bin der Rechtsanwalt Varnah." „Seien Sie uns herzlich willkommen," nahm Theo dore sichtbar erfreut das Wort; eine angenehmere Ueberraschung hätte uns hier nicht werden können." „Meine Tochter Theodore," stellte Hallstädt das Mädchen vor, das mit prüfendem Blick den Advokaten verstohlen musterte; „sie hat Sie bereits erwartet. Jetzt bin ich gespannt, welche Pläne nun geschmiedet werden." Er hatte die letzten Worte in scherzendem Ton gesprochen, während Gustav in einem Sessel Platz nahm. „Nun, wir werden unser Möglichstes thun," er widerte der Letztere und ein Schatten glitt dabei über seine Stirn; „ich ruhe nicht, bis ich die Betrüger entlarvt und unschädlich gemacht habe." „Und in diesem Bestreben sollen Sie an mir eine treue Verbündete finden," sagte Theodore. „Ja, ich habe Sie schon seit einigen Tagen erwartet; Paula schrieb mir, Sie würden kommen." „Ich komme heute von Zürich; um das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, hatte ich diese Route gewählt. Ich wollte vou Arth über den Rigi nach Luzern." „Und Sie sind eben erst angekommcn?" fragte Hallstädt. „Heute Mittag; ich hatte keine Ahnung davon, daß ich hier schon mit Ihnen zusammentreffen würde. Als Sie vorhin eintrafen, glaubte ich Anfangs meinen Augen nicht trauen zu dürfen; ich erkannte Sie augen blicklich, indeß man begegnet gerade in der Schweiz so manchem Bekannten, daß ein solches Zusammen treffen in keiner Weise befremden kann." „Ich würde Sie nicht erkannt haben," sagte Hall städt kopfschüttelnd, „ich erinnere mich. Sie früher nur flüchtig gesehen zu haben." „Und was macht meine theure Paula?" fragte Theodore. „Ich sehne mich wirklich danach, sie wieder zusehen, und hoffe, daß dieser Wunsch bald in Erfüll ung geht." „Ich bringe Ihnen einen Brief und die herz lichsten Grüße," erwiderte Gustav, während er sein Portefeuille aus der Tasche holte und ihr den Brief überreichte. „Sie hat als Schriftstellerin sich bereits eine Bahn gebrochen; jedoch fürchte ich, sie wird nur noch wenige Blätter in den Lorbeerkranz flechten können —- sobald sie meine Gattin ist, wird sie die Feder niederlegen." Der scherzende Ton, in dem er das sagte, klang etwas gezwungen. Betroffen blickte Theodore ihn an; dann öffnete sie langsam den Brief, dessen Inhalt sic ebenfalls zu befremden schien, spiegelte sich doch dieses Befremden zu sichtbar in ihren hübschen Zügen. „Wir haben unterdessen Madame Griesheim nebst Gatten und Bruder gründlich kennen gelernt," sagte Hallstädt; „wir waren drei Tage mit ihnen zusammen." „In Luzern?" fragte Gustav überrascht. „Nicht doch, wir machten eine gemeinschaftliche Tour zum Rhonegletscher; sie war das Resultat eines zufälligen Zusammentreffens mit jenen Leuten in Fluelen." „Gruner spielte sofort den angenehmen Schwere- nöther," fuhr Hallstädt fort, „er warf sich zum Reise marschall auf, und eine Ablehnung unserseits wäre auf eine Grobheit hinausgelaufen. UcbrigcnS wollte Theodore die willkommene Gelegenheit benutzen ; sie hat das auch redlich gethan." „Und wie urtheilen Sie?" fragte der Advokat erwartungsvoll. „Ich zweifle nicht daran, daß Gruner und Gries heim Gauner erster Sorte sind, über die junge Frau möchte ich mir noch kein Unheil erlauben." „Also auch ihr zweiter Gatte ein Gauner?" „Wie er im Buche steht! Er wird das Handwerk drüben in Amerika gelernt haben, und daneben scheint er ein verzweifelter Bursche zu sein, dem es nicht darauf ankommt, einen Menschen niederzuschicßen." „Sie scheinen ihn allerdings sehr genau kennen gelernt zu haben." „Er hat mich beim Kartenspiel betrogen." „Sich' da, darin soll auch der verstorbene Roderich Griesheim stark gewesen sein, wie ich nachträglich er fuhr. Uebrigens ist die Frau in keiner Weise besser, ich habe dafür sichere Beweise erhalten, und ein anderer, weit schlimmerer Verdacht ist in mir aufge- sticgen, für den ich jetzt noch die Beweise suche. Ich gebe Ihnen die Versicherung, wir haben'- mit einer Gaunerbande zu thun, die um jeden Preis unschädlich gemacht werden muß." Theodore schob den Brief in das Kouvert zurück und blickte eine Weile gedankenvoll vor sich hin. Hallstädt forderte sie auf, ihre Unterhaltung mit Elisabeth und Gruner zu berichten. Sie kam bereit willig dem Verlangen nach und Gustav folgte ihrem Bericht mit gespannter Aufmerksamkeit. Ein Ruf der Entrüstung entfuhr unwillkürlich seinen Lippen, als Theodore ihm die Aeußerungen Gruners über die Absichten mittheilte, die Paula be wogen haben sollten, mit einem gefälschten Dokument den Advokaten zu betrügen. Immer drohender zogen seine Brauen sich zusammen, als er nun vernahm, daß auch Madame Griesheim dieser Ansicht beigepflichtct hatte; ein harter, strenger Zug umspielte seine Mundwinkel. „Wie schade ist cS, daß Paula diese Mittheilungen nicht mit eigenen Ohren gehört hat," sagte er, als Theodore schwieg. „Sie würde nun nicht länger zwei-