Volltext Seite (XML)
radt tief 'm den Kern der Sache eindringt. Nachdem Herr Lotze die Versammlung mit einem Hock auf Kaiser und König eröffnet hatte, begann der Redner de- Abend-, von den Anwesenden lebhaft begrüßt, seine Rede sofort mit dem lapidaren Satze, die wich tigste Frage sei die Judenfrage, auch die alten Par teien beschäftigen sich jetzt mit ihr au- Angst um die Mandate. Sehr drastisch schilderte er hierauf die einzelnen Fraktionen. Den Konservativen warf er vor, daß ihr jetzige« Eintreten gegen die Juden nur Spiegelfechterei sei, sie seien mehr auf parlamentarischen Diner- und Souper- zu finden, al- unter dem Bolle, sie hätten ja auch durch ihr halbe« Eintreten für die Handelsverträge Herrn von Caprivi zum Grafen ge macht. Die Nationailiberalen würden in der nächsten Wahl fast ganz verschwinden. Ihnen trauten weder die Antisemiten, noch selbst die Juden. Der Freisinn sei eine Partei der Juden 8»N8 >>Iirü8e, der .sanfte Heinrich Rickert" mache sich selbst zum Stiefelputzer der Juden. In der Besprechung der süddeutschen Bolk-parlei erwähnte Redner, daß seine Freunde dort die lebhafteste und eine wirklich Erfolg versprechende Agitation trieben. Weiter erörterte er die Verjudung der Sozialdemokratie, denen nur seine Partei die Vaterlandslosigkeit nehmen könne. Wenn seine Partei im Reichstage so selten das Wort verlange und noch seltener erhalte, so liege e« an der Geschäftsordnung, die den Antisemiten daS Wort verkümmere; aber die nächsten Wahlen würden ihnen 30 Mandate bringen, dann werde auch das anders werden. Jetzt sei die Agitation die Hauptsache. Im zweiten Theile seiner Rede begründete Herr Werner seine ablehnende Stell ung zur Militärvorlage. Zweifellos sei eine Ver stärkung des HeereS nothwendig, aber warum wolle man eine neue Grundlage schaffen. Zur Annahme einer solchen gehöre vor Allem Vertrauen zur Regier ung und daS habe man nicht. Wir bewunderten den alten Kurs, aber wir veruriheile» den neuen. Auch die Deckung der Militärvorlage sei ungenügend, ver- hängnißvoll, besonders die beabsichtigte Brausteuer. Luxus-, Champagner-, Börsen-, Erbschaft-- u. Kapital rentensteuer solle man sordern, dann könne man über die Vorlage verhandeln. BiSmarck'S Politik habe Deutschland groß gemacht (Tosender Beifall), jetzt solle die Militärvorlage die diplomatischen Fehler deS neuen Kurses decken. In der Besprechung der Han delsverträge griff der Redner besonders die Abgeord neten Giese, Heinpel und Ackermann an, die theilS für dieselben gestimmt, theil« durch Abwesenheit ge glänzt hätten. Er bedauerte lebhaft den Rücktritt BiSmarck'S, aber er wolle betonen, daß er und seine Partei heut' und zu aller Zeil streng monarchisch und rreue Unterthancn des Kaiser- seien. Lauter und anhaltender Beifall folgte der Rede. — Zwickau. Ein hiesiger Geschäftsmann wollte am Sonnabend einen Gel ddries mit über 3000 M. zur Post bringen, kam aber nach Schluß der Expedi- kion-zeit dort an. Er kehrte auf dem Heimweg in einer Restauration ein, woselbst er längere Zeit ver blieb, und besann sich erst Montag früh wieder auf seinen Geldbrief, den er nunmehr vermißte. Sofort machte er bei der Polizei Anzeige und da dort ange nommen wurde, der Mann könnte auch Nachts beim Nachhausekommen den Brief irgendwo verwahrt haben, suchte man nun zunächst in seiner Wohnung und fand auch den Brief mit Inhalt in einem Kleiderschranke, wohin ihn zweifellos der Betreffende vorsichtshalber gelegt hatte. — Grimma. Um Ferien zu bekommen, meldeten sich, wie eine durch die sächsischen Blätter gehende Mittheilung erzählt, zahlreiche hiesige Seminaristen krank, so daß der stellvertretende Direktor sich genöthigt sah, Lehrsäle als Krankenzimmer cinzurichten. Schließ lich lagen gegen 100 Schüler krank darnieder. Sie gaben sämmtlich Krankheits-Erscheinungen an, welche auf Influenza schließen ließen. Doch der Anstalls arzt merkte bald, daß den meisten Kranken im Grunde genommen nichts fehlte, als die Lust zum Studium. Man wendete die berühmte Methode an, welche auf- rallende Ähnlichkeit mit der berüchtigten .vierten Form" der Militär-Lazarethe hat, nämlich — eine regelrechte Hungerkur. Die dünne Mchlsuppe ver fehlte ihre Wirkung auch nicht. Einer nach dem An deren wurde plötzlich gesund, so daß die interimistischen Ärankensäle sich bald leerten. — Die „Auerbacher Ztg." schreibt: Wie uns zu verlässig mitgetheilt wird, reduzirt sich der in Nr. 24 d. Bl. aus Raute nkranz gemeldete „HauSeinsturz" auf da« Zusammenbrcchen der zum dortigen Gasthofe gehörigen, von Herrn Schuster baulich zu unterhalten den .offenen, altersschwachen Kegelbude" — ein nettes ..Hau»." Da der Einsender der betreffenden Korre spondenz Herr Schuster selber war, so wird Jeder mann den Zweck derselben errathen. — Was die neue Bahnlinie SauperSdors- WilzschhauS anlangt, so ist dieselbe bereits voll ständig abgesteckt und in einzelnen Theilstrecken bau lich schon weit vorgeschritten. Dieselbe windet sich im Thal re- Rödelbaches von Sauper-dorf über Hart- mannSvorf aufwärt- nach Bärenwalde, macht dort von der Mitte de« Dorfe« au- einen weilen Bogen nach Westen und gewinnt in der Höhe bei den an der Walvlisiüre gelegenen Kie-gruben die Nähe von Ober- crinitz, führt von dort nach Rothenkirchen o. Th. und von dort nach Oberstützengrün, Neulehn, Neuseida, Mittel-Schönheive, Ober-Schönheide nach WilzschhauS. Diese neue Linie wird reich sein an landschaftlichen Schönheiten. — Eine Anzahl sächsischer Städte bemüht sich bekanntlich bei einer eventuellen Genehmigung der Militärvorlage um eine Garnison. Daß diese Be mühungen inkeß wenig Aussicht auf Erfolg haben, geht daraus hervor, daß die neu zu errichtenden 12 Bataillone als 4. Bataillone den 12 sächsischen Jn- santerieregimentern zugetheilt, also bei dem betreffen den Regimente oder in unmittelbarer Nähe desselben untergebracht würden. Für Infanterie ist demnach eine Garnisonsfrage eigentlich gar nicht vorhanden; ob für Kavallerie, Artillerie oder Train, ist ebenfalls noch eine offene Frage. Ilmtlichr Mittheiiungen aus dc» Sitzungen -es Staotraths )u Eibenstock. Sitzung vom 16. Januar 1893. Vorsitzender: Bürgermeister Vr. Körner. An wesend: 4 Rathsmitglieder. 1) Man nimmt Kenntniß u. von einer Miltheilung der Königl. General- Direktion der sächs. Staatseisenbahnen, raß ein Frachtnachlaß von 33'/,"/,, für die aus den sächs. StaalSeisenbahnen geförderten Bau- materialien-Senbungen der durch den Brand im Crottensee geschädigten Grundstücksbesitzer im Wege der Rückvergütung bewilligt wor den sei; 1>. von den Kassenübcrsichten der Stadt- und Sparkasse auf den Monat Dezember 1892; r. von rer Erkrankung des RathSdieners Reibekan z. 2) Frau Hulda verw. Dörffel hier hat zum bleiben den Gedächlniß an ihren Ehemann, den Kaufmann und Startrath Karl Gottfried Dörffel, gelegentlich der Wiederkehr seines Todestages der Stadtgemeinde ein Vermächtniß von 5000 Mark zur Erbauung eines neuen, den Verhältnissen der jetzigen Kranken pflege entsprechenden Krankenhauses mit der Be stimmung überwiesen, daß bis zur stiftungsgemäßen Verwendung dieses Betrags die hiervon erwachsen den Zinsen alljährlich 2 hiesigen armen Kranken zu Gute kommen sollen, die Stiftung wird mit großem Danke angenommen und erhält den Namen „Karl Gottfried Dörffel-Stiftung". Die Stadt verordneten sind um Beitritt zu diesem Beschlüsse zu ersuchen. 3) Die Zinsen der Ferdinand Dörffel-Stiftung sollen fernerhin in Uebereinstimmung mit der Stiftungs- Urkunde nur an 10 Personen vergeben und hierbei Almosenempfänger nicht berücksichtigt werden. 4) Es ist wiederholt darum nachgesucht worden, die Nordstraße ist öffentliche Unterhaltung zu über nehmen und sie in ordnungsmäßigen Zustand zu setzen. Der Rath ist hierzu bereit, falls die an grenzenden Grundstücksbesitzer hierzu die Hälfte der Kosten beitragen. Es soll in dieser Richtung mit den Betheiligten verhandelt werden. Außerdem kommen 9 innere Verwaltungsan gelegenheiten, 1 Armen-, 2 Bau-, 2 Sparkassen sachen und 1 Straferlaßgesuch zum Vortrag und zur Beschlußfassung. Sitzung vom 23. Januar 1893. Vorsitzender: Bürgermeister vr. Körner. Anwesend: b Rathsmitglieder. 1) Von der Ministerialverordnung, welche die von den städt. Collegien beschlossene Verwendung des Sparkassenreingewinns au« dem Jahre 1891 ge nehmigt, nimmt man Kenntniß. 2) In theilweiser Abänderung des früheren Beschlusses wird die Expeditionszeit für die Volksbibliothek in der Weise festgesetzt, daß Mittwochs Nachmittag« von 5—6 Uhr nur Kinder au« der ll. Bürger schule, Nachmittags von 6 -7 Uhr ausschließlich Erwachsene und Kinder au« der I. Bürgerschule abzufertigen sind. 3) Der Vorsitzende wird ermächtigt, den HauShaltplan nunmehr zu vollziehen. Derselbe schließt unter Berücksichtigung einiger nachträglich vorgenommener Abänderungen mit einem Fehlbeträge von in-ge- sammt 61,399 M. 69 Pf. gegen 62,409 M. 52 Pf. im Vorjahre ab. Der HauShaltplan Hal zur Mitvollziehung an die Stadtverordneten zu ge langen. 4) Nachdem Seiten de« städt. Bausachverständigen der Kostenanschlag von Ludwig u. Hülßner bezüglich de- Schulhausbaue- im Allgemeinen al- richtig und zutreffend bezeichnet, auch erklärt worden ist, daß die Ausführung der Bauten zu dem veran schlagten Aufwande möglich sei, hält der Stadtrath e« nicht für nothwendig, noch einen anderweiten Anschlag von einem praktischen Baumeister herbei zuziehen, man verwilligt vielmehr auf- Neue den erforderlichen Bauaufwand, einschließlich der Kosten der Vervielfältigung der Blankett«, und beschließt auf Grund der vorliegenden Pläne, Kostenanschläge und Blankett- nunmehr mit der Ausschreibung de« Baue« vorzugehen. Die Mittel sollen durch Anleihe beschafft werden. Die Stadtverordneten sind um ihre Zustimmung zu ersuchen. Hierüber werden 3 innere Berwaltung-ange- legenheiten, I Bau-, I Steuer- und 3 Sparkassen-- fachen erledigt. »us vergangener Zeit — für »userr Zeit. Die „schönen" Zeiten des deutschen Bundestages sind »war längst vorüber und es giebt heute schon Leute genug, die kaum noch den Namen des Institutes kennen: allein mancherlei von dem, was in dieser Körperschaft geschehen und nicht geschehen, ist auch in unserer Zeit noch interessant und der Erinnerung Werth. Wir greift» deshalb ab und zu eine Phase dieser bun- dcstagliwen Thätigkeit heraus, zu Rutz und Frommen der Mit welt und vor Allein derer, die unsere Zeit und ihre Einricht ungen siir gar so schlecht kalten: sie werden erkennen, daß in der vergangenen Zeit es denn doch viel schlechter gewesen. Im Jahre 1881 war der sächsische Minister von Beust mit dem Plane einer sogenannten Reorganisation des Bundestags her ausgerückt; dieser Plan hatte nicht Hand, noch Fuß, er beließ so ziemlich Alles bei»! Alten, machte die ohnehin komplizirte Maschinerie des Bundestages noch verworrener und kümmerte sich um „Volksrechte" gar nicht. Oesterreich war niit dem Plane nicht unzufrieden, da sich dessen Spitze gegen die mächtig aus strebende Macht Preußens richtete; Preußen antwortete kühl, daß eine Reform der Bundesverfassung auf dem bundesläglichen Wege schon deshalb nicht möglich sei, weil sie Einhelligkeit sämmtlicher Bundesglieder voraussetze und diese niemals zu erreichen sei; eine engere Vereinigung der Bundcstaßsgliedcr sei nur aus dem Wege freier Vereinbarung zu suchen. Da ermannten sich am 2. Februar 1882 die Staaten Bayern, Würt temberg, Hannover, Hessen-Darmstadt, Nassau unter Oester reichs Führung zu einer Note gleichen Wortlautes, indem sie ziemlich energisch gegen Preußens Auffassung protestirte» und die organische Entwickelung der bestehenden Bundesverfassung betonte». Das bedeutete ins Deutsche übersetzt: wir gehen mit Oesterreich gegen Preußen, weil wir letzteres mehr fürchten, als ersteres. Man kann, um gerecht zu sein, das auch heute noch sehr Wohl verstehen: es bestand eben immer noch die Furcht, daß Preußen gewaltsam aus Annexionen, selbst befreundeter Staaten, ausgehe und erst späterer Zeit war es Vorbehalten, diese Furcht als unbegründet zu erweisen. 3. Februar. Es war vor fünf Jahren, als die wichtige Kundgebung, die gleichzeitige Veröffentlichung der deutsch-österreichischen Bünd- nißurkundc durch die Regierungsorgane zu Berlin, Wien und Pest erfolgte. Diese Veröffentlichung, am 3. Februar 1888 geschehen, war von eminenter Bedeutung für ganz Europa; denn sie gab den Friedensstörern, die damals wieder einmal mit den, Säbel raffelten, kund, daß man im Herzen Europas für den Kriegsfall wohl vorbereitet und nicht gewillt sei, sich den Frieden stören zu lassen, ohne für alle Fälle gehörig ge wappnet zu sein. Diese Kundgebung gab vor Allem den Nach bar» im Osten und im Weste» kund und zu wissen, daß zwischen Oesterreich und Deutschland und auch in Italien gewisse soli darische Interessen bestehen, deren Antastung alle drei Staaten in Mitleidenschaft ziehen müssen. Und anscheinend hat man, auch an der Newa, wie an der Seine den Wink verstanden und wenn es auch ein schwer bewaffneter Friede ist, den wir genießen, so ist cs doch der Friede, zu dessen Erhaltung bis heute jene bedeutsame Kundgebung nicht wenig beigetragen hat. Der Fels des Verfluchten. Historische Erzählung von W. Grothe. (7. Fortsetzung.) „Und Weißt Du nicht, wer jener Knabe war?" fragte Jemeljan Pugatschew den Greis. „Er war der Lieblingspage des großen Manne- gewesen," erwiderte Seinem mit einem Seufzer. „Er stammte mit ihm aus einem Dorfe und hing an ihm, der ihm das Leben gerettet halte." „Wie Ihr mir," fiel Jemeljan ein. „Was be deutete das Zeichen mit dem Tuch?" „Ich habe Dir gesagt, daß Marsas Tochter von Stenka Rasin geflüchtet war," erklärte Semeni. „Nie mand wußte ihren Aufenthalt, Niemand außer jene« Knaben. Als Alle flohen, war er es allein, der sich zu seinem Meister drängte, um ihn zu retten oder mit ihm zu sterben." „Das war brav!" rief Jemeljan aus. „Stenka wies ihn zurück. Du bist jung. Du mußt leben, leben für Feodora. Bringe sie in Sicher heit, und ist Dir vaS geglückt, kann gieb mir irgend ein Zeichen, und ich werde beruhigt sterben. Da war der Auftrag und der Knabe Hal ihn treu erfüllt." „Feodora heißt Euer Weib und so hieß auch JlgaS Tochter," bemerkte Jemeljan und heftete forschende Blicke auf Semeni. Dieser mochte die Worte nicht gehört haben; er schaute vor sich nieder und schien mit seinen Gedanken der Gegenwart entrückt zu sein. Pugatschew wagte ihn während der ersten Augenblicke nicht zu stören. Endlich schlang er seinen Arm um den Greis. „Väterchen, Du bist noch nicht zu Ende," sagte er mit einem so weichen Tone, wie man sonst an ihm nicht gewohnt war. Der Alle strich mit der Hand über die Stirn. „Du fragst, wie der Herr rer astrachanischen Lande endete," sagte er. „Er starb wie ein Mann unter den entsetzlichsten Qualen, welche das Menschenbirn nur zu erfinden im stände ist. DaS Volk schauderte vor den Martern zurück und schien mitleidig vergessen zu haben, daß Stenka Rasin Moskau bedroht hatte. Zar Alexei Michajlowitsch feierte aber da« SiegeSfest mit großem Pomp, und an seiner Seite saß der Fürst Dolgorucki." „Wie?" ries Pugatschew, „er, der Jlga mordete, lebte in Lust und Freude, während der Rächer unter Qualen endete? Giebt e« denn keine Gerechtigkeit auf Erden? Geht da- Laster ungestraft durch die Welt?" Semeni legte die Hand aus da» Haupt Jemel- jan«. „Kind, richte nicht mit der ewigen Weisheit; sie geht ihren Pfad, und wer sich gegen sie auflehnt, sündigt. Der himmlische Vater gebraucht den Men schen nicht, um da- Unrecht zu bestrafen, den Frevel