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mehr von der Erreichung seines höchsten Zieles trennte, als vielleicht die mit der Zeit auch noch zu besiegen den Einwendungen eines auf seinen Patrizierstolz pochenden Vaters. Die Ilhr hatte kaum fünf geschlagen, als er sich auch bereits vor dem Vandervelden'schen Hause befand und mit laut klopfendem Herzen die Klingel in Be wegung setzte. Der die Thür öffnende Diener erkannte Paul sofort als denjenigen Herrn wieder, der vor kurzer Zeit mit seiner Herrschaft zu Mittag gespeist hatte, und als daher Jener ihm erklärte, daß Herr Vander- velden selbst ihn aufgefordert hätte, Hierselbst auf dessen Rückkehr zu warten, führte er ihn sofort nach einem Salo» ebener Erde und bat ihn, dort Platz zu nehmen, bis Herr Vandervelden nach Hause kom men würde. Etwa eine Viertelstunde mochte er sich in dem Zimmer aufgchaitcn haben, als draußen leichte Schritte ertönten unv fast in demselben Momente die Thür geöffnet wurde. „ Fräulein Vandervelden!" „Herr Lindner!" Wie mit Purpur übergossen standen sich Beide gegenüber, ohne daß es eines von Beiden gewagt hätte, dem Andern in's Angesicht zu sehen. Eugenik war diejenige, welche zuerst die Sprache wiederfand. I» unbeschreiblicher Verlegenheit sagte sie mit kaum hörbarer Stimme: „Ich wußte nicht, daß Sie hier waren, Herr Lindner, sonst würde ich nicht so ungenirt und jeden falls nicht in dieser Toilette hier eingetretcn sein." Sie hatte die Augen noch immer zu Boden ge- richtet, als musterte sie ihr einfaches Hauskleid, welches jedoch eben durch seine Einfachheit ihre edle Schönheit um so mehr hervorhob, und nunmehr hielt Paul die Zeit für gekommen, wo auch er etwas sagen müßte. „Auf den ausdrücklichen Wunsch Ihres Herrn Vaters befinde ich mich hier, mein Fräulein," stam melte er. „Derselbe hat mir mittheilen lassen, daß ich mich um diese Zeit hierher begeben möchte, da ich wahrscheinlich meine frühere Stellung bei ihm wieder antreten könnte." „Da muß Papa allerdings etwas ganz besonders Wichtiges mit Ihnen vorhaben, wenn er Sie anstatt nach seinen» Bureau nach feiner Privatwohnung be stellt," entgegnete Eugenie, die einigermaßen ihre Fassung wiedergewonnen hatte. „Es freut mich übrigens aufrichlig, Ihnen hier zu begegnen, denn Papa erzählte niir, Sie wäre» mit die Veranlassung, daß ich die Werbung des schändlichen Herrn Morrels nicht mehr zu fürchten brauche und dafür möchte ich Ihne» hiermit meinen herzlichen Dank auösprechen." Auch jetzt wagte sie es noch nicht, ihn anzuschauen, aber sie streckte, ihm ihre kleine Hand entgegen, deren Berührung einen merkwürdigen Einfluß auf Paul ausübte. Alle Befangenheit war niit einem Male verschwunden und mit ungestümem Feuer rief er aus: „Selbst wenn ich, ohne meinen freien Willen und ohne eine selbstständige Handlungsweise von meiner Seite zur Entlarvung jenes Schurken behilflich gewesen wäre, dasjenige geleistet hätte, was Sie mir so hoch «»rechnen zu müssen glauben, so könnte ich dennoch keinen Anspruch auf Ihre» Dank erheben. Denn wenn ich auch alles dasjenige, was ich ver suchte, um Sic vou dem verhaßten Manne zu befreien, um Ihretwillen unternahm, so begeisterte mich doch hierzu noch ganz besonders der Gedanke, daß aus dem Gelinge» meines Strebens für mich selbst niit der Zeit vielleicht der herrlichste. Lohn erwachsen würde. Nicht nur für Sie habe ich gestritten, sondern auch für mich, und daher verdiene ich keinen besonderen Dank; nur um eine einzige Gunst möchte ich Sie in vielem Augenblicke, der, wie ich fühle, über mein ganzes zukünftiges Leben entscheiden wird, anflchen, Fräulein Eugenie: darf ich auch jetzt noch, wo Sie wieder ganz frei sind, die Einzelheiten jener letzten unvergeßlichen Stunde, die wir zusammen znbrachten, als wirklich einmal vorgefallen ansehen, oder muß ich sie in Zukunft als eine Eingebung meiner Phan tasie betrachten, — soll ich für immer zu vergesse» suchen, was vielleicht nur eine, durch die damaligen Unistände natürliche Erregung Ihren Lippen ent schlüpfen ließ? Nur ein einziges Wort sprechen Sie zu mir, Fräulein Eugenie, und wenn cs dann einmal sein muß, soll mein Anblick Sie nie mehr an einen für Sie möglicherweise peinlichen Moment in Ihrem Leben erinnern." Zum ersten Male schlug sie bei seinen letzten, mit leidenschaftlicher Erregung hcrvorgestoßenen Wor ten voll und offen ihre Angen zu ihm auf, und mit zärtlichem Vorwurfe in die seinigen blickend, erwiderte sie leise: „Und Sie konnten in dieser Weise an mir zweifeln, Paul, Sie, dem ich mein ganzes Innere enthüllte, konnten auch nur einen Moment dem Gedanken Raum gebe», als wäre ich im Stande, nachdem ich wieder frei und mein Opfer zur Rettung des Vaters un- nöthig geworden, jemals einem Anderen als Ihnen anzugehören? Ach Paul, mein Glaube au Sie war fester begründet als Ihr Vertrauen zu mir." „Eugenie, können Sie mir verzeihen?" rief er beschämt und doch grenzenlos glücklich aus. Sie antwortete nichts, aber sie wehrte ihm auch nicht, als er jetzt im Uebermaße des Entzückens den Arm um sie schlang und sie stürmisch an seine Brnst preßte. „Das ninß ich sagen, hier gehen nette Dinge in meiner Abwesenheit vor sich!" ertönte neben ihnen mit einem Male eine rauhe Stimme. „Daß die Geschichte schon so weit gediehen wäre, hätte ich doch nicht geglaubt, trotz der Versicherungen dieses mir immer scharfsichtiger vorkommendcn Herrn Winkler." Erschreckt fuhren die Liebenden auseinander und blieben in unbeschreiblicher Verlegenheit vor dem alten Vandervelden stehen, dessen Kommen sie über ihrer Unterhaltung ganz überhört hatten, und der sie ernst aber nicht unfreundlich betrachtete. „Die Sache ist wirklich nicht übel," fuhr er nach einer Pause, während eine wahre Grabesstille in dem Zimmer herrschte, fort. „Wie lange besteht denn schon eigentlich dieses Verhältnis zwischen Euch Beiden, und wo soll dasselbe hinsührcn?" Auch diesmal erhielt der alte Herr keine Ant wort, wohl aber fing Eugenie, die sehr blaß geworden war, merklich au zu beben, ein Anblick, welcher den AuSdrnck licbvollstcr Zärtlichkeit-und Bcsorgniß auf dem Gesichte Baudcrvelden's hervorrief. Er schritt auf seiue Tochter zu, und ihre Hand erfassend sagte er mit einem verschmitzten Blick auf den etwas muth- igcr in die Welt schauenden Paul: „Hör einmal, Kind, kannst Du diesen jungen Menschen wirklich etwas besser leiden als den liebenswürdigen Herrn Morrels? Ich habe es mir nun einmal in den Kopf gesetzt. Dich zu verheirathen, und wen» Deine Ab neigung gegen Herrn Lindner nicht gar zu groß ist, bin ich fest entschlossen, Dich recht bald zu einer Heirath mit demselben zu zwiugcu. Renne mir also unumwuudeu Deine Gründe, welche Du gegen diese Verbindung etwa vorzubringen hast, damit ich sie nöthigenfalls der Reihe nach widerlegen kann." „Papa, ist das Dein Ernst?" stammelte Eugenie, die zweifelnd zu ihrem Vater emporblickte, um sich gleich darauf mit Thräncn der Freude in den Augen jubelnd an seine Brust zu werfen. (Schlich folgt.) Der alte Dessauer. Ein Original auf dem Fürstenthrone. Von Karl Funk. Fürst Leopold von Anhalt-Dcssan wurde am 3. Juli 1676 geboren. Nach des Vaters Befehl sollte der junge Prinz in keiner Art Zwang erleiden. Weil nun seinen Neigungen, Wünschen und Launen stets nachgegeben werden mußte, so entwickelte sich Leopold zu einem Original. Zugleich besaß er aber auch eir en eisernen Willen und eine ungemeine Thatkraft. Beweise dafür liefert uns die Geschichte seiner Zeit sehr viele. Allgemein bekannt sein dürste wohl die Neigung Leopolds zu einem schönen, edlen Mädchen, Anna Luise Föse, die Tochter eines Apothekers in Dessau. Trotz ter Mißbilligung seiner Mutter und der Ein wendungen anderer Höfe erhob er seine Geliebte doch zn seiner rechtmäßigen Gemahlin, als er selber zur Regierung gelangte. Diese Ehe bewährte sich als eine durchaus glückliche, und beide Gatten waren bis aus Ende ihres Lebens Muster der zärtlichsten und aufrichtigsten Zuneigung. Seine Soldaten betrachteten ihn als ein Wesen höherer Art, und der Glaube, daß er durch Zauberei hieb- uud schußfest sei, war bei ihnen tief eingewurzelt. Anders schien es ihnen gar nicht erklärlich zu sein, wie Leopold, der 22 Schlachten und 27 Belagerungen mitgemacht und sich stets mit der größten Unerschrocken heit und Rücksichtslosigkeit dem Feuer ausgesetzt hatte, so mit heiler Haut davon gekommen war, denn nur einmal hatte er durch einen Streifschuß eine leichte Blessur erhalten. Wenn von ihm gesprochen wurde, hieß er gewöhnlich der alte Dessauer oder der alte Fürst, zum Unterschiede von seinen fünf Söhnen, die auch in dem preußischen Heere dienten; in der Regel wurde er kurz uud gut der Schnurrbart oder der alte Scknvercuöther genannt. Jenen Beinamen führte er wegen seines schwarzen Zwickelbartes, letzteren hatte er sich von seinem gangbarsten Fluchworte er worben, vielleicht auch deshalb, weil er die Soldaten oft unbarmherzig plagte. — Daß sein Bart auch in den höheren Graden der Armee Gelegenheit zum Scherz gab, geht daraus hervor, daß Friedrich der Große ihm zum Andenken an die Schlacht von Kessels dorf einen schönen und reichverzierten Plan derselben zum Geschenk machte, auf dem als Schildhaltcr des Titels ein alter Kater mit einem ungeheuren Schnurr barte angebracht war. Beim Beginn der Schlacht von Kesselsdorf stellte sich Leopold an die Spitze dreier Grenadier-Bataillone und betete mit lauter Stimme: „Lieber Gott, steh mir heut gnädig bei, willst du mir aber dieses Mal nicht beistchen, so hilf wenigstens auch dem Schurken vom Feinde nicht, sondern sieh, wie's kommt!" — Dann kommanvirte er mit dem Ausruf: „In Gottes Namen, marsch!" zum Angriff. Da« Lied „Ein' feste Burg ist unser Gott" schätzte er besonders hoch und glaubte das große Wohlge fallen, welches er an demselben hatte, nicht besser ausdrücken zu können, als wenn er es unseres Herr gotts Dragonermarsch nannte. UebrigenS wäre, ihm nur eine Melodie geläufig, und das war die des Dessauer Marsches, nach welcher er sogar in der Kirche alle Choräle zur nicht geringen Verwunder ung der Gemeinde sang. Dieser sogenannte „Dessauer marsch" war ein Andenken ans dem spanischen Erb folgekriege. Räch der Schlacht von Casiano hatten nämlich die Einwohner der Umgegend den Siegern einen Marsch gewidmet, welcher den Soldaten und dem Fürsten so wohl gefiel, daß er ihn zu seiuem Leibmarsche erhob, lieber hundert Jahre hat sich der selbe bei den preußischen Truppen in Ansehen erhalten und sic zu Kampf und Sieg begeistert. Als seine Tochter Louise, die an den regierenden Fürsten von Anhalt-Bernburg verheirathet war, so gefährlich krank lag, daß jede Hoffnung auf Genesung geschwunden war, äußerte sie den Wunsch, ihren Vater noch einmal vor ihrem Ende an der Spitze seines Regiments zn sehen. Kaum war dieses Verlangen seiner Lieblingstochter dem Fürsten hinterbracht, als er auch schon Anstalt traf, es zu erfüllen. Er brach von Halle, wo sein Regiment in Garnison lag, mit demselben nach Bcrnburg auf; hier angekommen, warf er sich auf die Kniee und betete laut schluchzend und voll Inbrunst: „Herr, ich bin kein solcher Lump, der Dir bei jeder Hundsfötterei mit Gebeten beschwerlich fällt. Ich komme nicht oft, will auch sobald nicht wieder kommen, so hilf mir denn auch jetzt und laß meine Tochter gesund werden!" Hierauf führte er das Regiment unter Kriegsmnsik auf den Schloßhof und ließ unter den Augen der Fürstin, die man an ein Fenster gebracht hatte, verschiedene Uebungen aus führen, wobei er unter lautem Weinen konnnandirte. Die Fürstin bezeugte viel Freude über den Anblick dieses militärischen Schauspiels und ließ die Gemeinen mit Brod, Fleisch und Bier, die Offiziere aber an der fürstlichen Tafel bewirthcn. Leopold aber hielt es nicht im Schlosse aus; er schlich sich auf die Brücke der Saale, setzte sich aufs Geländer und ließ hier seinen Thräncn freien Lauf. Tief bekümmert führte er die Truppen nach Halle zurück, und wenige Tage daranf verschied seine Tochter. Nach Verlauf ewiger Jahre lud ihn der Fürst von Anhalt-Bernburg zu einem Besuche bei sich ein; Leopold machte sich zwar auf die Reise, aber als er in der Nähe von Bernburg angekonnnen und des Schlosses ansichtig geworden war, kehrte er wieder nm, indem er ausrief: „Ich mag den Ort nicht Wiedersehen, wo meine Louise hat sterben müssen!" Der alte Dessauer schrieb gern und viel, aber seine Handschrift, die sich sonderbar genug ausnahm, war schwer zu lesen, und manche Eigenheiten seiner Orthographie trugen nicht wenig dazu bei, sie noch unlesbarer zn machen. So hatte er unter Anderem die Gewohnheit, fast in jeder Silbe ein H. anznbringen. Einst sandte er einem seiner Unterbefehlshaber eine schriftliche Ordre zu, die derselbe aber trotz allen Kopf zerbrechens nicht entziffern konnte. Ein Adjutant mußte also zum Fürsten eilen, um sich Erklärung auszubitten. Leopold besieht sein Schreiben, aber wie sehr er auch flucht, so will es ihm doch nicht gelingen, das, was er erst vor wenigen Stunden aufgesetzt hatte, zu enträkh'eln. Endlich wirft er voll Unwillen das Papier in das Feuer des Kamins und ruft naiv genug aus: „Aber Schwercnoth! Ich habe es auch nicht ge schrieben, daß ich es, sondern daß Ihr es lesen sollt!" Der Adjutant wurde darauf mit einem mündlichen Bescheide abgefertigt. Seine Sekretäre hatten bei ihm keinen leichten Posten und wurden desselben gewöhnlich bald über drüssig. Dieses war auch der Fall niit dem Dichter Gleim, welcher ihm einst als Stabssekrctär beigcgcben worden war. Als Gleim dem Fürsten seine erste Aufwartung machte, fand er denselben iin Hemde, sich am Ofen wärmend. Mit seiner Löwcnstinnne fuhr Leopold den Eintretendcn an: „Ist er der Kerl?" Gleim war zwar gewaltig überrascht, behielt aber doch Fassung genug, um ziemlich barsch in demselben Tone zu antworten. Dieses machte den Fürsten stutzig. Als aber der Sekretär ihm seine Papiere zur Unter schrift vorlegte, hieß Leopold ihn sich damit zum Teufel scheren, weil er jetzt nicht dazu aufgelegt sei. Gleim verließ auch bald diesen Posten, indem er Kränklichkeit vorschützte, da er das rauhe und auf brausende Wesen des Fürsten nicht vertragen konnte. Leopold hatte zn Dessau viele Lieblinge aus den unteren Ständen, meist wunderliche Käuze, mit denen er auf einem seltsamen Fuße lebte und denen er oft die tollsten Streiche spielte und den ärgsten Schaber nack authat. Daneben ließ er sich aber auch wieder von Anderen gefallen, was er selber auSgeübt hatte. Am 7. April 1747 machte ein Schlagfluß seinem thatenreichen Leben ein plötzliches Ende, aber sein Andenken hat sich noch lange Zeit beim Heere wie beim Volke erhalten. Druck und Verlaz von E. tzannrbohn in tjidenslock.