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Beilage m Rr. 58 des „Amts- und Ameigeblattes". Eibenstolk, den 19. Mai 1894. Der zweite Mann. Crimmal-Erzählung von Ewald August König. (3. Fortsetzung.) Selbst wenn es wirklich gelang, den jetzigen Wohn ort Elisabeths zu erforschen, durfte man keine Hoff nung gründen, denn es war ja vorauszusehcn, daß sie ihr Vermögen gegen jeden Prozeß sichergestellt hatte. Im Laufe der nächsten Zeit meldeten sich noch andere Personen, die ebenfalls und zwar genau in derselben Weise betrogen worden waren; mit jener Annonce hatte Roderich Griesheim auf die Habgier und Leichtgläubigkeit der Menschen spekulirt und manches Opfer in die plumpe Falle gelockt. Jetzt erst stellte sich heraus, daß er und sein eben so ehrloser Schwager nur vom Betrug gelebt hatten, und aus den gemachten Erfahrungen durfte Gustav Barnah wohl den Schluß ziehen, daß Elisabeth von diesen Betrügereien genau unterrichtet, vielleicht an ihnen betheiligt gewesen war. Paula fügte sich mit größerer Ruhe in das Unab änderliche, als der Advokat erwartet hatte. Mit ihrem ersten Versuch auf dem literarischen Gebiet errang sie einen Erfolg, der sie befriedigen konnte; das Honorar, welches ihr bereitwillig gezahlt wurde, sicherte sie für einige Monate vor drückenden Sorgen und gab ihr Lust zu neuem Schaffen. Gustav hatte sic mit seinen Eltern bekannt gemacht; die Medizinalräthin nahm sich mit mütterlicher Theil- nahme ihrer an und auch er widmete ihr einige Stunden, wenn Zeit und Gelegenheit es ihm ge statteten. Er fühlte sich glücklich in ihrer Nähe und er ver hehlte dieses Glück nicht, leuchtete es doch auch in ihren Augen bei jeder neuen Begegnung freudig auf. Er intcressirte sich in hohem Grade für ihre geistige Arbeit, er gab ihr manchen Fingerzeig, für den sic ihm dankbar sein mußte, und sie war stolz auf jede Anerkennung, die er ihrem ernsten Streben zu Theil werden ließ. Da konnte eS nicht ausbleiben, daß die Beiden bald in ein vertrauliches Verhältniß zu einander traten, welches entweder fester und inniger geschlossen oder wieder gelöst werden mußte, wenn nicht der gnte Ruf Paulas Schiffbruch leiden sollte. So hatten die Dinge sich gestaltet, als gegen Ende des Winters der Bruder Paulas seine Schwester auf kurze Zeit besuchte. Der Premier-Leutnant Friedrich Hage» war ein ernster, ruhiger Mann mit verständigen Anschauungen, an ihm erwarb Gustav Varnah sich einen Freund, auf dessen Aufrichtigkeit und Treue er bauen durfte. Friedrich erkannte sofort die Gefahr, die dem guten Ruf seiner Schwester drohte; er hielt es für seine Pflicht, den Advokaten darauf aufmerksam zu machen, und, weit entfernt, ihm dies übel zu nehmen, war Gustav augenblicklich bereit, jene Gefahr zu be seitigen. Die Eltern fanden gegen die Verbindung ihres Sohnes mit dem schönen, liebenswürdigen Mädchen nichts einzuwenden, und da Paula schon längst die Liebe GnstavS erwiderte, so brachte schon am Tage nach der Warnung die Zeitung eine Verlobungsan zeige, die allein gehässigen Gerede ein Ende machte und manches Herz mit Neid erfüllte. Tage ungetrübten Glückes stossen nun dein jungen Paare dahin, kein Schatten drohte den Solmenglanz dieses Glückes zu verdunkeln. Da erhielt eines Tages Gustav einen Brief, in deni ein Freund ihin mittheilte, er habe Madame Griesheim im Laufe des Winters in Italien gesehen und sich mehrinalS mit ihr sehr angenehm unterhalten. Sie wohne in Luzern, habe aber mit ihrem Bruder den Winter in Italien zugcbracht und stehe ini Be griff, wieder zu heirathen und zwar den Zwillings bruder ihres ersten Mannes, der vor Kurzem mit einem namhaften Vermögen aus Amerika zurückge kehrt sei. Diese Nachricht bewog den Advokaten, die längst abgebrochenen Nachforschungen wieder aufzunchmen. Er schrieb an Madame Elisabeth Griesheim in Luzern und zugleich an die dortige Behörde, die ihin über die Verhältnisse dieser Dame Auskunft geben sollte. Der Medizinalrath bestätigte, daß Roderich Gries heim einen Zwillingsbruder hatte, der vor mehreren Jahren nach Amerika ausgewandert und seitdem ver schollen war; dieser Bruder sollte dem verstorbenen Gatten Elisabeths zum Verwechseln ähnlich sein. Die erbetene Auskunft ließ nicht lange auf sich warten; ihr zufolge mußte Fran Griesheim eine sehr vermögende Dame sein, sie bewohnte mit ihrem Bruder ein großes Hau«, verkehrte nur in vornehmen Kreisen und gab seit ihrer Rückkehr aus Italien in jeder Woche ein glänzendes Fest, zu dem stets eine große Gesell schaft geladen wurde. Madame Griesheim selbst antwortete nicht, nur ihr Bruder schrieb einige Zeilen, in denen er erklärte, daß ihm von der ganzen Angelegenheit nichts bekannt sei. Ob hier ein Betrug vorliegc, könne er nicht beurtheilen; er glaube nicht daran, so lange die Be hauptung nicht bewiese» sei — es sei ja leicht, einen Tobten zu beschimpfen und verleumderische Anklagen gegen ihn zu erheben. Der Advokat erwiderte darauf scharf und energisch, aber er erhielt keine Antwort. Einige Tage später entdeckte er bei seiner Braut eine Verstimmung, die ihn befremdete und deren Ur sache ihn persönlich berühren mußte. Paula wich Anfangs seinen Fragen aus, aber er ließ nicht »ach, bis sie ihm endlich einen Brief über reichte, den sie am Morgen dieses Tages empfangen hatte. Der Brief kam aus Brunnen in der Schweiz; die feine zierliche Handschrift ließ den Advokaten so gleich erkennen, daß eine Dame ihn geschrieben hatte. „Meine theure Paula!" las er. „Endlich einnial ein Lebenszeichen! wirst Du ausrufcn, wenn Du diese Zeilen empfängst. Aber wenn Du wüßtest, wie sehr mein Gewissen mich foltert, weil ich Dich so lange vernachlässigt habe, würdest Du mir gewiß keinen Vorwurf machen. „Hundertmal hatte ich mir vorgenommcn, an Dich zu schreiben, und nie kam ich dazu ; bald wurde ich durch häusliche Geschäfte, bald durch Besuch abge halten, und hatte ich einmal Zeit genug, dann war ich nicht in der richtigen Stimmung. „Also zürne mir nicht, ich verspreche Dir, mich zu bessern, und hoffe mit Zuversicht, daß Du mir recht bald antworten und Verzeihung senden wirst. „Seit einem Jahre habe ich nichts von Dir ge hört und gestern wurde ich plötzlich an Dich erinnert. „Seit acht Tagen befinde ich mich mit Papa in der Schweiz; wir haben uns hier in Pension be geben und machen täglich bei dem prachtvollen Wetter die herrlichsten Ausflüge; später wollen wir noch nach Interlaken, ins Berner Oberland und an den Genfer See — cs ist ein entzückendes Fleckchen Erde, die wunderbare schöne Schweiz! „Also gestern fuhren wir über den Bierwaldstädter See nach Luzern, um das berühmte, von Thorwald- sen modelirten Denkmal und den Gletschergarten zu besehen. „Schon auf dem Dampfboot knüpfte eine junge, in Trauer gekleidete Dame ein Gespräch mit mir an, wozu ja die Umgebungen des Sees so manchen An haltepunkt bieten. „Sie war sehr liebenswürdig und auch die beiden Herren, die sie begleiteten, erzeigten niir und Papa die größten Aufmerksamkeiten. „Einer dieser Herren war ihr Bruder, der andere ihr zweiter Gatte, mit dem sie erst seit einigen Tagen verheirathet ist. „Wir sprachen über Dies und Jenes und endlich kani die Rede auch auf die Stadt, in der Du wohnst. „Ich nannte Deinen Namen und was ich jetzt erfuhr, das erfüllte mich mit Schrecken und Ent rüstung. Die Dame sagte mir. Du habest gleich nach dem Tode ihres ersten Gatten eine schwere Anklage gegen diesen erhoben und ihn sogar beschuldigt, Dich um Dein ganzes Vermögen gebracht zu haben. „Du habest diese Anklage nicht beweisen können, gleichwohl aber einen Advokaten beauftragt, das Geld von ihr zurückzufordern und ihr mit einem ganzen Arsenal von Waffen zu drohen. Sie könne das nur als einen Erpressungsversuch bezeichnen, da sie in dem Nachlaß ihres Gatten nichts gefunden habe, was nur auf die Möglichkeit eines solchen Betruges hindeute. „Wie gesagt, theure Paula, ich war empört über diese Mittheilnng. Weshalb machte die fremde Dame sie mir? Sie wußte ja, daß ich Deine Freundin war, und ich habe ihr das noch klarer gemacht, als ich Dich vcrtheidigte. „Sie zuckte nur die Achseln und ihr Bruder er klärte mir, ferne Schwester habe nur die Wahrheit gesagt und sie würde mir diese Mittheilungen gewiß nicht machen, wenn sie nicht von der Ehrlichkeit ihres verstorbenen Mannes fest überzeugt wäre. Aber das Beste kommt noch. Der Advokat, an den Du Dich in dieser Sache wandtest, war früher mit dieser Frau verlobt — statt Dein Interesse zu vertreten, hat er sie noch an demselben Tage gewarnt und ihr gerathen, Alles, was sie besitze, zu verkaufen, ihre Forderung an eine Lebensversicherungs-Gesellschaft dem Bruder zu übertragen und selbst sofort die Stadt zu verlassen. „Erst dann, al« die Dame abgereist war, hat er, um den Schein Dir gegenüber zu wahren, das bereits verkaufte Mobiliar versiegeln lassen und Du hattest das Nachsehen. „Du kannst Dir denken, mit welchem triumphircn- den Hohn man mir das Alles erzählte! „Ich bezweifle keinen Augenblick, daß Du schänd lich betrogen worden bist, und ich bitte Dich nun, mir die Geschichte recht ausführlich mitzutheilen. Viel leicht treffe ich noch einmal mit der Dame zusammen, dann kann ich ihren Behauptungen entgegcntreten und ihr möglicherweise den Hohn mit Zinsen zurückzahlen. Dir wird das freilich nichts nützen, die Frau ist wieder verheirathet und ihr jetziger Gatte rückt mit dem Gelde sicher nicht heraus. „Sie hat mich eingeladen, sie in Luzern zu be suchen, aber ich werde nicht hingehen. Ihr Bruder begleitete uns und zeigte uns alle Sehenswürdigkeiten der Stadt; ich wäre lieber mit Papa allein gewesen, aber unhöflich durfte ich nicht sein und so mußte ich mir die Begleitung gefallen lassen. „Ich mache mir jetzt recht schwere Sorgen um Dich, theure Paula. Ich bitte Dich, schreibe mir recht bald, damit ich erfahre, wie Du lebst. Könntest Du hierher kommen zu mir! Aber nein, ich darf Dir das nicht zumuthe» — die Begegnung mit jener Frau würde für Dich nur mit großen Aufregungen ver knüpft sein. „Ich erwarte sehnsuchtsvoll Deine Antwort und bleibe mit tausend Grüßen Deine treue, nochmals um Verzeihung bittende Freundin Theodore Hallstädt." Gustav Varnah ließ den Brief sinken und heftete die blitzenden Augen forschend auf das blasse Antlitz seiner Braut. „Konnte dieser Brief Dich so sehr verstimmen?" fragte er mit leisem Vorwurf. „Ich brauche Dir wohl nicht zu sagen, daß Frau Griesheim Deiner Freundin gegenüber Behauptungen geäußert hat, die jeder Begründung entbehren und die ich, mit Ausnahme einer einzigen, als aus der Luft gegriffene Lügen be zeichnen muß." „Und welche Behauptung nimmst Du aus?" fragte Paula, in deren Zügen angstvolle Erwartung sich spiegelte. „Nur diese, daß ich mit jener Frau verlobt ge wesen sei." „Ist diese wahr, dann —" „Dann, meine Geliebte, berechtigt das keineswegs zu jenen meine Ehre beleidigenden Schlußfolgerungen, die Frau Griesheim gewissennaßen als naturgemäß bezeichnet. Unsere beiderseitigen Familien waren mit einander befreundet; so kam cs, daß ich häufig mit Elisabeth Gruner verkehrte, und wenn hieraus sich vertrauliche Beziehungen entwickelten, so trug daran wohl hauptsächlich der innige Verkehr die Schuld. „Als ich zur Universität abreiste, war ich heim lich mit der Jugendfreundin verlobt, und als ich heim kehrte, fand ich sie schon an der Seite eines Anderen. Ich gestehe, daß mich dieser Betrug tief geschmerzt hat, aber niemals dachte ich daran, ihr deshalb einen Vorwurf zu machen; ich gewöhnte mich daran, jene Verlobung als eine Jugendthorheit zu betrachten, von der ich kaum ein anderes Ende erwarten durfte. Hätte ich diese Frau warnen und schützen wollen, so würde ich Dich an einen Kollegen verwiesen und wahr scheinlich nicht durch eine schmachvolle Doppelrolle meine eigene Ehre in den Staub getreten haben. Wenn Du darüber nachdenken willst, dann wirst Du mir recht geben, und im Uebrigen darf ich wohl hoffen, daß Du in meinem Charakter hinreichende Bürgschaft für die Wahrheit meiner Worte findest." Paula hatte das Haupt auf den Arm gestützt, sie war in Nachdenken versunken. „Was aber könnte die Frau bewogen haben, diese Behauptungen meiner Freundin gegenüber aufzuwer fen?" fragte sie nach einer Weile. „Diese Frage ist leicht zu beantworten," erwiderte er, während er auf- und niederwanderte, um seinen Groll zu bemeistern. „Entweder hat Frau Griesheim vermuthet, Deine Freundin werde die Geschichte aus Deinen Schilderungen kennen und dann mußte ihr daran liegen, sie in anderem Lichte zu zeigen, oder sie hat vorausgesetzt, diese Freundin werde Dir ihre Mit theilungen sofort berichten." „Und was hätte sie damit bezwecken wollen?" „Nichts weiter, als die Auflösung unserer Ver lobung. Ihre Absicht liegt sonnenklar vor mir und je tiefer ich in das Gewebe hineinschaue, desto klarer wird cS mir, daß jene Frau die Früchte der schlimmen Saat ihres Gatten geerntet hat." „Und welches Interesse sollte sie an der Auflösung unserer Verlobung haben können?" fragte Paula, noch immer zweifelnd. „Was kümmert sie unser Geschick?" „Sehr wenig, darin gebe ich Dir recht," erwiderte der Advokat; „eS kann ihr ja außerordentlich gleich gültig sein, ob wir auf unseren Pfaden Dornen oder Blüthen finden. Aber betrachte diese Angelegenheit einmal von einer anderen Seite. Wenn sie auch im Gespräch mit Deiner Freundin nichts davon erwähnt hat, so muß sie doch aus der Zeitung erfahren haben, daß Du meine Braut bist. Sie wird auch mit Per sonen, die hier wohnen, in Briefwechsel stehen, und diese können ebenfalls eS ihr mitgctheilt haben. Nun habe ich vor Kurzem an sie, an ihren Bruder und an die Behörde in Luzern geschrieben; das muß ihr