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Beilage ;u Rr. 14V des „Amts- und Aiyeigeblattes." Eibenstvkk, den 26. November 1892. Gesühnte Schuld. Tine Schilderung aus dem Nausmannsleben von G. Struder. (10. Fortsetzung.) »Sie vergesse», um welche Summen cS sicb han delt", versetzte sie mit einem wehmiithigen Lächeln. »Doch wie heißt dieser große Unbekannte, den Sie aufsuchen wollen? Vielleicht ist auch mir sein Name bekannt." „Er heißt Rehberg und ist in der That ein Mann, der auf das Geld keinen solchen Werth zu legen scheint, daß er es unter allen Umständen verweigern würde, mit demselben bei einem unverschuldeten Unglück Hilfe zu bringen." „Den Namen kenne ich nicht nnd ich habe auch kein Vertrauen zu Ihrem Vorhaben, Herr Lindner. Zu oft und zu lange habe ich vergeblich darüber nach gedacht, wo die Aussicht auf Rettung sich bieten könnte, als daß die einmal völlig geknickte Hoffnung sich wieder emporzurichtcn vermöchte. Darum aber dennoch meinen innigsten Dank für Ihre frenndliche Absicht. Ich werde cs Ihnen niemals vergessen, wie redlich Sie mir in den Tagen meiner schwersten Bedrängniß zur Seile gestanden haben. Und nun leben Sie wohl, Herr Lindner, wir müssen uns trennen." „Darf ich Ihnen denn nicht wenigstens schreiben, welchen Erfolg meine Bemühungen hatten?" frug er erregt, worauf sie mit zu Boden gesenkten Auge» er widerte : „Wenn Sie wider Erwarten ein günstiges Resul tat mit Ihren Bemühungen erzielten sollten, so theilen Sie es meinem Vater mit. Mir dürfen Sic nicht schreiben, da ich ja die — Braut eines Anderen bin." Diese Worte versetzten Paul in die Wirklichkeit zurück, die ihn den schwärmerischen Combinationen, die in seinem Geiste cmporgestiegen waren, einiger maßen entrissen hatten. „Verzeihen Sie, mein Fräulein", versetzte er mit einem Anfluge von Bitterkeit, „daß der Wunsch, Ihnen zu helfen, mich zu einem Vergessen meiner selbst ver leiten konnte. Ich hätte niemals außer Acht lassen dürfen, daß ich nichts weiter als ein einfacher Commis bin, von dem ein selbst in der besten Absicht an Fräu lein Vandervelden gerichtetes Schreiben für dieses eine Beleidigung darstellen müßte." Das schöne Mädchen schlug seine Augen zu ihm empor und sah ihn niit einem Blicke so voll schmerz lichen Vorwurfs an, daß Paul seinen Kopf beschämt zur Seite wandte. „Herr Lindner," sprach sie zu ihm, „diese Aeußer- ung hätte ich von Ihnen nicht erwartet, denn sie war ungerechtfertigt nnd ungerecht im höchsten Grade. Seitdem ich Sie kenne, habe ich mit Ihnen wie mit einem Freunde verkehrt, um so tiefer aber habe» mich Ihre Worte verwundet, als gerade die lebens längliche Trennung von diesem Freunde, welche durch meine Verbindung mit einem Anderen nothwendigcr- weise entstehen muß, mir diese Verbindung so unsäglich verhaßt gemacht hat." „Eugenie, kann cs denn Wahrheit sein, was Sie soeben zu mir sagten?" kam cs in stürmischem Ent zücken von seinen Lippen. Er sah, wie ihre schlanke Gestalt leise erbebte und die wunderbaren Züge mit der Röthe holder, jungfräulicher Verschämtheit sich bedeckten, und da schlang er, seiner selbst nicht mehr mächtig, den Arm um ihren Leib und preßte einen innigen Kuß auf den nicht widerstrebenden Mund. Dann aber entwand sie sich seiner Umarmung und schaute ihm mit liebevoller Zärtlichkeit in die Augen. „Der Himmel wird es mir verzeihen, was ich soeben geduldet habe," sagte sie mit leiser, aber fester Stimme, „es war der Abschicdsgruß von meinem besten und liebsten Freunde, die freundschaftliche Be siegelung einer ewigen Entsagung. Nun wissen Sie, Paul, wie eS in meinem Herzen auSsicht, nur denken Sie deshalb nicht schlecht von mir, daß die Trenn ungsstunde mich dazu hinriß, Sie einen Blick in mein Inneres werfen zu lassen und mich auf eine Weise von Ihnen zu trenne», die meine Lage mir hätte verbieten müssen. Doch ich nehme wenigstens eine frohe Erinnerung für mein ferneres gebrochenes Leben mit, und für das, was ich gefehlt, werde ich ohnehin mehr wie genügend durch ein Dasein an der Seite eines solchen ManncS büßen müssen. Und nun, leben Sie wohl, für immer, Paul, vergessen Sie das soeben erlebte, wenn Sie aber einmal im Besitze einer treuliebenden Gattin so recht glücklich sein werden, dann denken Sie zuweilen auch ein wenig an Ihre unglückliche Eugenie und an deren frühzeitig geknicktes Dasein." Mit einer plötzlichen Bewegung entriß sie ihm ihre Hand, die er ergriffen hatte und eilte mit raschen Schritten von dannen. „Eugenie, Eugenie!" rief Paul zweimal mit gedämpfter Stimme ihr nach, aber sie hörte nicht auf ihn, sondern setzte ihren Weg, ohne sich umzusehen, noch rascher fort, so daß ihm zuletzt nichts übrig blieb, als auch seinerseits den Heimweg anzutreten. 8. Capitel. An dem Abend, da Paul mit Eugenie zusammen getroffen, war er sehr spät nach Hause gekommen. Das unerwartete, ihn mit grenzenloser Seligkeit er füllende Geständniß der Liebe des schönen Mädchens hatte das Verlangen Paul's, Eugenie aus ihrer trost losen Lage zu befreien, zu einem leidenschaftlichen, fast krankhaften Eifer angestachelt und sofort nach dem Abendessen war er aufgebrochen, um Herrn Reh berg zu suchen. Da er die Adresse desselben nicht kannte, so durchlief er rastlos die ganze Stadt in der Hoffnung, ihm irgendwo zu begegne», aber alle seine Bemühungen blieben vergebens. Enttäuscht und niedergeschlagen kehrte er endlich nach Mitternacht nach seiner Wohnung zurück. Am anderen Morgen begab er sich sofort nach dem Rathhause, um dort die Adresse Rehberg's zu erfahren, aber hier wurde ihm erklärt, daß in ganz Antwerpen kein Herr dieses Namens wohne und daß ihm jedenfalls der betreffende Herr einen falschen Namen angegeben haben müßte. Diese Mittheilung, welche Paul begreiflicherweise in hohem Maße befremdete und in Erstaunen setzte, war noch weit mehr geeignet, seine fieberhafte Un geduld zu erhöhen. Denn an wen sollte er sich jetzt wobl wenden, wo er außer Rehberg keinen wohl habenden Bekannten hatte, dieser aber nicht aufzn- findcn war ? In einer Art dumpfer Verzweiflung begab er sich endlich nach seinem Burean. Herr Morrels ließ sich nicht sehen, und da auch weiter keine Arbeiten zu erledigen waren, so hatte er dort die beste Zeit, um darüber nachzudenkcn, was nunmehr zu geschehen hätte. Doch er mochte so viel überlegen und grübeln wie er wollte, kein Ausweg wollte sich zeigen. Wenn er Herrn Rehbcrg nicht fand, so war das heißgeliebte Mädchen ihm unwiederbringlich verloren. Ein Stöhnen entrang sich Paul's Brust, dann aber sprang er mit einem Male auf und kleidete sich zum Ausgehen an. Hier war ja doch nichts zu ver säumen, während er draußen nach Herrn Rehbcrg suchen und vielleicht ein namenloses Unheil von einen, ihm über Alles theuren Wesen abwenden konnte. Er öffnete die Thür, um in demselben Augenblicke über rascht stehen zu bleiben und gleichzeitig einen lauten Ausruf der Freude auszustoßcn. Denn vor ihm stand der so sehnsüchtig Gesuchte, der ihm mit lächeln der Miene die Hand cntgegcnstrcckte und ihm dann mit sich in das Bureau zurückzog. „Ich scheine gerade im richtigen Momente hierher gekommen zu sein, mein junger Freund," sagte Reh berg in herzlichem Tone zu Paul. „Denn wenn mich nicht Alles trügt, so standen Sie eben im Be griff auszugehen, und wenn ich nur eine Minute später cingetroffcn wäre, so hätte ich das Nachsehen gehabt." „Ich wollte ausgehen, um Sie zu suchen," er widerte Paul lebhaft, „und ich danke dem Himmel dafür, daß ich Sie jetzt endlich gefunden habe. Denn ich habe Ihnen etwas sehr Wichtiges mitzutheilen, wovon das ganze LcbenSglück einer — eines Men schen abhängt, der mir sehr theuer ist." „Das scheint ja ein schrecklich ernster Fall zu sein," versetzte der Erstere lächelnd, „denn sonst würden Sie wohl schwerlich diesen feierlichen Ton angeschlagen haben. Aber warum nannten Sie nicht auch gleich den Name» des Ihnen so theuren Menschen und sagten mir, daß derselbe Eugenie Vandervelden hieße?" „Wie, Sie wußten dies bereits?" stammelte Paul, der glühend roth geworden war, worauf Rehbcrg mit derselben heiteren Miene fortfuhr: „Ich wußte nichts, sondern ich dachte mir nur, daß die Betreffende keine Andere als diese junge Dame sein könnte. Erblickte ich Sie doch gestern Abend in einer so lebhaften Unterhaltung mit derselben, daß ich sofort daraus schließen mußte, allein ihr gälte dieses anßerordentliche und leidenschaftliche Interesse von Ihrer Seite. Aber ich will Sie nicht weiter in Verlegenheit setzen, vielmehr bin ich bereit, die Mit- thcilungen anzuhören, welche Sie mir zu machen haben, und bin ich vielleicht irgendwie im Stande zu helfen, so soll eS recht gern geschehen." Paul warf erst einen zögernden Blick auf Reh berg, als er jedoch die ernste und wohlwollende Miene desselben bemerkte, begann er diesem alles dasjenige zu erzählen, was Eugenie ihm über die Lage ihres Vaters und das Verhältniß des Herrn Morrels zu dem Letzteren und zu ihr mitgethcilt hatte. Er ver schwieg auch nicht, daß Eugenie den ihr anfgezwunge- nen Bräutigam verabscheue, nur darüber, daß dieselbe ihm ihre Liebe gestanden hatte, ließ er kein Wort verlauten. Erwartungsvoll blickte er, nachdem er geendet hatte, Rehberg an, der ernst und bedenklich den Kopf schüttelte und hierauf mit langsanier Be tonung sagte: „Für das schöne Fräulein ist dies allerdings eine recht traurige Geschichte, nur weiß ich nicht, wie ich demselben aus dieser Lage forthelfen kann. „Ich dachte, Sie würden Herrn Vandervelden vielleicht die 200,000 Francs leihen, welche er nöthig hat, um sich halten zu können," entgegnete Paul mit Ängstlicher Spannung, worauf Rehberg erstaunt und mit leiser Ironie erwiderte: „ Das wäre den» doch sehr viel von mir verlangt, daß ich einem Manne, der mir ganz fern steht und den ich kaum von Ansehen kenne, in seiner Verlegen heit ohne Weiteres mit einer solchen Summe bei springen sollte. Dazu würde ich mich nicht verstehen, wenn ich ein mehrfacher Millionär wäre, anstatt des bescheidenen Privatmannes, der froh sein muß, wenn er mit den Zinsen seines Capitals am Ende des JahreS ausgekommen ist. Ich hätte geglaubt. Sie als Kaufmann würden den Werth des Geldes zu hoch schätzen, als daß Sie ein derartiges Ansinnen an mich richten könnten!" „Aber das Geld geht Ihnen ja nicht verloren," rief Paul erregt aus, „Herr Vandervelden kann es in kurzer Zeit zurückerstatten, wie er seiner Tochter erklärt hat, und er ist doch ein Ehrenmann, dessen Worten Sie vertrauen dürfen." „Das mag Alles gut und schön sein," lautete die gelassene Antwort, „indessen verläßt sich ein vorsich tiger Mann, wenn er Geld hergcben soll, nicht auf so ehrlich gemeinte Versicherungen, sondern er ver langt Sicherheit für sein Capital, diese aber ist Herr Vandervelden nicht im Stande zu geben. Außerdem aber wird ja Herr Morrels ihm helfen, und ich sehe eigentlich auch nicht ein, was Vandervelden gegen einen solchen Schwiegersohn und was seine Tochter gegen einen solchen Bräutigam könnte einzuwenden haben. Er ist ein schöner, reicher und liebenswürdiger Herr..." „O, er ist ein roher Mensch ohne alle Manieren," unterbrach Paul ihn zornig, „ein Mann, der niit den nichtswürdigstcn und verkommensten Subjekten ver kehrt und diese seine Freunde nennt, und einem solchen Menschen soll ein Wesen wie Fräulein Van- dervcldcn aufgcopfert werden! Das darf und das kann nicht geschehen, so lange ich noch am Leben bin, eher bin ich im Stande, etwas Schreckliches zu begehen, ehe ich das Zustandekommen einer solchen ungeheuer lichen Verbindung geschehen lasse." „Ruhiges Blut, junger Mann, nnd sprechen Sie vor Allem nicht in jener frevelhaften Weise, die Ihnen unmöglich zur Ehre gereichen kann. Auch das kann ich Ihnen nicht wohl glaube», daß ein Mann von der Stellung des Herrn Morrels nut nack> Ihrer Aeußerung geradezu verdächtigen Subjekten Verkehr haben sollte. Sie werden jedenfalls allzu leicht Behauptungen Glauben geschenkt haben, welche wahrscheinlich von Feinden Ihres Vorgesetzten auSge- streut wurden." „Meine letzte Aeußerung bedaure ich lebhaft, Herr Rehberg, was dagegen die erstere anbelangt, so muß ich die Richtigkeit derselbe» unbedingt auf recht erhalten, denn ich selbst habe gestern ein der artiges Individuum kennen gelernt, welches auch die Veranlassung gewesen ist, daß ich später Fräulein Vandervelden ans ihrem Heimweg begleiten durfte." Dem jetzt folgenden Berichte über das gestrige Abenteuer Paul's hörte Rehberg mit der größten Spannung zu. Er ließ sich das Aussehen des Un bekannten genau beschreiben und bat alsdann Paul, ihn auch de» Brief einmal sehen zu lassen, welchen Jener abgefaßt und dessen Schrift mit derjenigen des Londoner Correspondenten eine so große Aehnlichkeit hätte. Nachdem er denselben aufmerksam betrachtet hatte, sagte er zu Paul: „Ich war eigentlich hierhergekommen, um mit Herrn Morrels zu reden, da derselbe aber abwesend ist, so werde ich ihn in dem Locale, in welchem er um die Mittagszeit regelmäßig verkehrt, aufsuchen müsse». Wollen Sie mir den Brief »»vertrauen, so werde ich denselben bei dieser Gelegenheit Herrn Morrels persönlich übergeben." „ Ich bin gerne mit dem Vorschläge einverstanden, und danke Ihnen dafür, daß Sie sich der Mühe unterziehen wollen. Bevor Sie mich jedoch verlassen, ninß ich nochmals auf unser früheres Thema zurück kommen und Sie fragen, ob Sie denn wirklich gar nichts für jene unglückliche Familie thnn können. Sie haben mich früher einmal Ihrer aufrichtigen Freundschaft versichert und mir erklärt, daß, wenn ich jemals in eine Lage käme, wo ich Geld nöthig hätte, ich mich nur an Sie zu wenden brauchte: nun wohl, in einer solchen Lage befinde ich mich jetzt, denn das Loos des Fräuleins Vandervelden und ihre» Vaters geht mir näher, als wenn mir selbst ein der artige« Schicksal zugestoßen wäre. „Wenn Ihre damaligen Worte nicht wirklich ein leerer Schall waren, so flehe ich Sic an, Herr Reh