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Beilage m Rr. 134 des „Amts- und Aiyeigeblattes." Eibenstvlk, den 12. November 1892. Gesühnte Schuld. Eine Schilderung aus den, Kaufmannslcbc» von G. Struder. (8. Fortsetzung.) Mit einem cordialen Händedrucke verabschiedete sich Herr MorrelS von Herrn Bandervelden, der, sowie der Erstere sich entfernt hatte, seine Tochter aufsuchte. Er fand dieselbe in dem Speisezimmer, wo sie in einem Schaukelstuhlc saß und nachdenklich vor sich hinstarrte. „Daß Dn gegen Herrn Morrels übertrieben höflich gewesen wärest, kann ich nicht sagen," redete ihr Vater sic finster an. „Ich sollte meinen. Du hättest bedenken können, daß Herr Morrels in red licher und achtungswcrthcr Absicht Deine Bekannt schaft zu machen- wünschte, und wenn er sich auch zu einigen übertriebenen Complimenten hinreißen ließ, so hättest Du es doch nicht nöthig gehabt, ihn sein Versehen in dieser Weise fühlen zu lassen." „Wie, Du kannst diesem dreisten Menschen noch beipflichtcn, Papa!" rief Eugenie empört aus. „Hast Du denn nicht selbst empfunden wie unpassend sein Benehmen mir gegenüber war, und fühlst Du nicht, daß man Dich selbst beleidigt, wenn man vor Deiner Tochter die nöthige Achtung außer Augen setzt?" „So schlimm war die Sache noch lange nicht, wie Du sie darstellen willst," versetzte der Erstere etwas kleinlaut. „Außerdem aber versicherte mir Herr Morrels, in England sei es Sitte, den Damen, welchen man vorgcstcllt wird, alle möglichen Artig keiten zu sagen, und er läßt Dich ausdrücklich um Verzeihung dafür bitten, daß er in seiner Unkcnntniß der hiesigen Verhältnisse glaubte, jene Sitte bestände auch in Antwerpen." „Welch' eine grobe Unwahrheit ist dies von Seiten deö Herrn Morrels! Ich bin doch in einem englischen Pensionate erzogen worden und muß daher wisse», was in England Sitte ist, aber ich kann Dir er klären, Papa, daß in England die gebildeten Herrn den Damen gegenüber eine weit größere und respekt vollere Zurückhaltung zu beobachten pflegen, als hier in Antwerpen. Mehr noch als die Worte des Herrn Morrels haben mich übrigens seine Augen beleidigt, deren dreister, ja sogar frecher Blick zu sagen schien: ich, der Besitzer einer Million, betrachte mich hereits als den für Dich bestimmten Bräutigam, und daher darf ich mir Dir gegenüber Aeußerungen hcrausuch- nien, wie sie sonst allerdings nicht statthaft sind, welche Du indessen von nur, dem um Dich werbenden Millionär, schweigend hinnehmen mußt." „Ju dieser Hinsicht irrst Du Dich, Eugenie," bemerkte ihr Vater eifrig. „Herr Morrels hat eine solche Neigung oder vielmehr eine Leidenschaft zu Dir gefaßt, daß er eher an Alles andere denken würde, als daran, Dir in protziger Weise gegcuübcr- zutreten und sich hierdurch Dir vielleicht unsympa thisch zu machen." „Sei dem, wie ihm wolle, jedenfalls hat dieser Herr Morrels einen Eindruck auf mich gemacht wie er ungünstiger kaum sein könnte. Für mich existier derselbe überhaupt nicht mehr, wenigstens werde ich jedem Zusammentreffen mit ihm streng aus dem Wege gehen." „Aber Kind, ich verstehe nicht, wie Du so reden kannst! Herr Morrels mag sich allerdings etwas zu frei benommen haben, wie auch ich zugestehen will, aber abgesehen hiervon ist er doch jedenfalls ein sehr unterhaltender und dabei schöner Mann. Das letztere wird auch Dir schwerlich entgangen sein." „So genau habe ich mir ihn überhaupt nicht angesehen, und außerdem ist die Schönheit bei dem Manne lediglich Geschmacksache." „Willst Du denn einer eigensinnigen Laune zu Gefallen Dein ganzes zukünftiges Glück mit Füßen treten!" brauste Bandervelden auf. „Einem reichen und angesehenen Herrn, der sich rechtschaffen und wie es sich gebührt um Deine Hand bewirbt, zeigst Dn Dich von Deiner «»liebenswürdigsten Seite, kommt dagegen so ein armer Hungerleider von einem Eonmiis in unser Haus, der nichts besitzt als ein hübsches Gesicht, dann weißt Du Dich vor Freundlichkeit kaum zu lassen und dann fühlst Du Dich sogar durch »och weit dreistere Blicke, als Herr Morrels sie Dir zuwarf, ganz und gar nicht beleidigt. Aber ich sage Dir, Mädchen, schlage Dir alle Gedanken an einen solchen Burschen nur aus dem Sinne! Meine Tochter soll keinen haben, der nicht wenigstens ebenso viel Vermögen mitbringt, wie sie einmal erben wird, und ehe ich meine Zustimmung zu einer Heirath mit einem Lumpe» gäbe, wollte ich lieber mein gan zes verfügbares Vermögen dein ersten besten Bettler schenken." Eugenie war bei den Worten ihres Vater« erst glühend roth, dann aber sehr blaß geworden. Sie erhob sich von ihren. Stichle und ihrem Vater gegen über tretend, sprach sic mit mühsam erzwungener Fassung: „Gegen den Vorwurf, als hätte ich von dem be scheidenen und höflichen jungen Mann, der kürzlich unser Gast war, unehrerbietige Blicke mit einer Art Vergnügen ertragen, will ich mich nicht vertheidigen, da ich dies unter meiner Würde halte. Ich bin gegen Herrn Lindner nicht liebenswürdiger gewesen, als es jeder anständige Herr von mir verlangen kann, und ich würde mich auch gegen Herrn Morrels nicht anders benommen haben, wenn derselbe eS verstanden hätte, sich in denselben Grenzen eines respektvollen Anstandes zu bewegen wie jener arme Commis, welchem Du den durchaus unverdienten Titel eines Lumpen beilegst. Herrn Lindner achte ich einfach, Herr Morrels dagegen ist mir mit einem Worte im höchsten Grade zuwider, und wenn mir auch in Be zug auf den Ersteren nichts ferner liegen kann, als solche Gedanken, wie Dn sie mir soeben deutlich genug unterstelltest, so bin ich deshalb doch nicht weniger fest entschlossen, allen weiteren Bemühungen des Letzteren um meine Person eine entschiedene Abweisung zu Theil werden zu lassen." Die Stimme des jungen Mädchens zitterte so stark, daß ihre letzten Worte kaum verständlich waren, und zugleich begannen unaufhaltsam die Thränen die bleichen Wangen herabznfließcn. Als schämte sic sich dieses Gefühlöausbruches, eilte sic nach der Thüre, um ihr thränenllberströmtcs Antlitz vor ihrem Vater zu verbergen, da jedoch trat dieser ihr in den Weg. Er erfaßte ihre Hand und hob sachte ihren Kopf in die Höhe, und als sie jetzt sah, mit welcher liebevollen Zärtlichkeit die eben noch so zornigen Augen auf sie niederschauten, da schlang sie ihre Arme nm ihn und sank schluchzend au seine Brust. „Ich habe Dir Unrecht gcthan, mein gutes, liebes Kind," sprach er bewegt, „aber dieses Unrecht ging allein aus dem Bestreben hervor, Dein Lebensglück fest und dauerhaft zu begründen, und darum wirst Du mir auch wohl verzeihen können. Gegen meine frühere Betheuerung suchte ich Dich zu einer Hei rath mit Herrn Morrels zu dränge», damit Du aber diese meine Handlungsweise richtig beurtheilen lernst, will ich Dir den Grund hiervon nennen. Ich stehe nämlich vor einer schweren Krisis, mein Kind. Diesen Morgen erhielt ich die Nachricht, daß ein Bankhaus, bei welchem ich über 400,000 Francs stehen habe, heute oder morgen seine Zahlungen ein stellen wird und daß ich froh sein darf, wenn ich von jener Summe überhaupt fünf Procent zurücker halte. Dieser Verlust hätte indessen noch immer keine gefährlichen Folgen für mich, wenn ich nicht augen blicklich in verschiedenen kaufmännischen Unternehm ungen mit bedeutenden Summen engagirt wäre, welche herbcizuschaffeu mir bei dem Falliment jenes Hauses kaum möglich sei» wird. Meine kaufmännische Ehre steht ans dem Spiele, und nur eines kann dieselbe unbedingt aufrecht erhalten: Deine Heirath mit Herrn Morrels, der als mein Schwiegersohn sicherlich keinen Augenblick zögern würde, mir das nöthige Geld so lauge vorzuschießen, bis ich alle jene Geschäfte abgc- wickelt hätte. Nun weißt Du Alles, Eugenie, und nun handle so, wie Du cö mit Rücksicht auf Deinen Vater, dein in seilten alten Tagen vielleicht der Bettel stab und die Schande winken, für ani besten findest." Dem alten Manne, der bis dahin die gewaltige in ihni tobende Aufregung hinter einer finsteren und ärgerlichen Miene zu verbergen gewußt hatte, ver sagte hier die Stimme. Wie gebrochen ließ er sich ans einen Sessel niederfallen und bedeckte sich mit beiden Händen das Gesicht. Eine Weile betrachtete Eugenie schweigend ihren Vater, und daun beugte sie sich zu ihm nieder, leichen blaß und mit dem Ausdrucke verzweifelter Entschlossen heit in ihren Augen. „Tröste Dich, Papa," flüsterte sie ihm zu, „ich bin bereit zu Allem, sogar das Weib des Herrn Morrels zu werden. Kein Makel soll auf Deinen Namen fallen, durch mein Opfer sollst Du gerettet werden, Du darfst den Kopf wieder in die Höhe heben und Jeden« offen in's Angesicht sehen. -Nur erlaube, daß ich mich jetzt zurückziehe. Einen solchen Entschluß faßt man nicht, ohne daß die Nerven bedenklich in Aufregung gerathcn und daher zu ihrer Beruhigung ein längeres Alleinsein erfordern." Mit schwankenden Schritten ging sie der Thür zu, während Bandervelden ihr wie geistesabwesend, als könnte er das Vorgcfalleue überhaupt noch nicht ganz erfassen, nachschautc. Bereits ain nächsten Tage erhielt Herr Morrels einen Brief, in welchem Bandervelden die Aufforder ung an denselben richtete, ihn auf seinem Bureau zu besuchen. Herr Morrels, der beim Empfange des Schreibens eben daniit beschäftigt war, verschiedene auf die Firma Best u. Co. in London ausgestellte Wechsel mit seiner schwungvollen Unterschrift zu ver sehen, übergab seinem Commis die unterzeichneten Wechsel und zog hierauf seinen Ueberzieher an. „Wenn Sic die Briefe fertig geschrieben haben," sagte er zu Paul, „so packen Sie die Wechsel ein und tragen Alles zur Post. Hierher zurückkehren brauchen Sie heute nicht mehr, denn es ist ohnehin bald fünf Uhr." „Aber Sie müssen die Briefe doch erst unter schreiben," wandte Paul ein. „Daß ist nnnöthig. Lasse«« Sie die Unterschrift einfach ganz weg oder schreiben Sic Ihren Namen unter die Briefe mit dem Zusatze: in« Auftrage der Firma A. Morrels." „Da ziehe ich eS doch lieber vor, die Unterschrift ganz wegzulassen, als ohne ausdrückliche Vollmacht im 'Namen der Firma einen Brief zu unterzeichnen." „Halten Sie das, wie Sie wollen, nur sorgen Sic dafür, daß die Briefe sobald wie möglich fort kommen." „Noch etwas, Herr Morrels," rief Paul dem sich bereits Entfernenden zu, die Portocasse ist leer." „So legen Sic doch die Paar Centimes für Briefmarken vor," versetzte jener ungeduldig. „Sie sehe«« doch, daß ich weg muß und keine Zeit habe, in diesem Augenblicke mich mit einer solchen Bagatelle zu befassen." „Ich fühle mich durchaus nicht verpflichtet, für die Firma Alexander Morrels Vorlagen zu machen," lautete die kühle Antwort. „Wenn Sie es wünschen, bin ich jedoch mit Vergnügen bereit, die Briefe un- frankirt zur Post zu geben." „Hol' der Henker Ihre ewigen Widerreden!" rief Herr Morrels zornig aus. „Hier sind fünf Francs, für welche Sie Briefmarken kaufen können, und nun machen Sie, daß die Briefe fertig geschrieben und cx- pedirt werden. Oder haben Sie noch etwas vorzu bringen?" „Ja, Herr Morrels. ES wäre mir nämlich sehr erwünscht, wenn Sie mein Gehalt, soweit ich bis jetzt Anspruch darauf habe, mir auszahlen wollten." „Warum nicht gar!" bemerkte der Erstere spöttisch, „Ich bezahle meine Leute stets monatlich, d. h. nach Ab lauf eines Monats, und es fällt mir im Traume nicht ein. Ihnen gegenüber eine Ausnahme von dieser Regel cintreten zu lassen." „Von diesem vortrefflichen Grundsätze könnten Sic in gegenwärtigem Falle um so leichter eine Aus nahme machen, als Sic ja überhaupt keine Leute mehr beschäftigen, sondern nur eine einzelne Person, während dies alle sonstigen Bedenken bezüglich der von Herrn Rehberg gestellten Caution zu verscheuchen geeignet sein dürfte." „Schlechte und unpassende Witze haben auf meine einmal gefaßten Entschlüsse ebenso wenig Einfluß, wie irgend eine andere überflüssige Bemerkung," er widerte Herr Morrels, worauf er die Thüre hinter sich zuschlug und sich mit dröhnenden Schritten ent fernte. „Der Mann hat in der That ausgezeichnete Grundsätze, wo cs sich darum handelt, das baare Geld so lauge wie möglich in der eigene«« Tasche zu behalten," murmelte Paul ingrimmig vor sich hin. „Welch' eine erbärmliche Knauserei, mir nicht einmal mein vierzehntägiges Gehalt auszahlen zu wollen, wo er doch durch die Caution gegen ein Weglaufen von meiner Seite vollständig geschützt ist! Gottlob, daß ich das Geld vorläufig noch nicht nöthig habe, denn sonst könnte ich durch die Grundsätze «»eines liebenswürdigen Principals in eine sehr üble Lage gerarhen. Nun, jedenfalls hatte meine Anfrage den Erfolg, daß er meine Kenntnisse in Betreff des Cha- racters und der eigenthümlichcn kaufmännischen Ge flogenheilen des Herrn Morrels wiederum uni eii« Erhebliches bereicherte." Herr Morrels setzte seinen Weg nach dem Bureau des Herrn Bandervelden weiter fort. Der Letztere sah aus, als wäre er seit gestern um wenigstens zehn Jahre älter geworden. Sein Gesicht war blaß und verfallen und in den Augen lag ein müder, apathischer Ausdruck, der auch dann nicht verschwand, als er sich beim Eintreten des Herrn Morrels zu einem Lächeln zu zwingen suchte. „Nehmen Sie Platz, Herr Morrels", sagte er nach der ersten Begrüßung, „denn ich habe wichtige Dinge mit Ihnen zu besprechen, die vielleicht eine längere Zeit für sich in Anspruch nehmen werden." Herr Bandervelden schöpfte einige Male tief Athein und fuhr hierauf mit ersichtlicher Anstrengung fort: „Um lange Umschweife zu vermeiden, will ich Ihnen gerade heraus sagen, daß Eugenie eingewilligt hat, Ihre Hand anzunehmcn." „So rasch hat sie sich anders entschlossen!" rief Herr Morrels mit freudigem Erstaunen aus. „Wahr lich, das hätte ich «nir nicht träumen lassen, daß mein höchster irdischer Wunsch sobald schon in Erfüllung gehen könnte, und wäre eS ein Anderer, der mir dies versicherte, so vermöchte ich ihm überhaupt keinen Glauben zn schenken."