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Beilage m Rr. 131 des „Amts- und Ameigeblattes." Cibenstoü, den 5. November 1892. Interesse Hervorrufen." „O, mein Fräulein," rief Herr MorrclS schwär merisch aus, „wenn ich mir in der Thal schmeicheln dürfte, daß meiner geringen Person auch nur ein klein wenig Interesse von Ihrer Seite sich zugewendet hätte, so wüßte ich wirklich nicht, was an meinem I darum, wie viel baareS Geld ich in meinem Lassen- schranke liegen habe. Sind Sie aber hierzu nicht iin Stande, so hätten Sie sich nicht als Commis ausgebcn dürfen." „Ihr Wille soll geschehen, Herr MorrelS," lautete die in etwas spöttischem Tone ertheilte Antwort Paul'S. „Ich werde mit dem ganzen Posten in der Gestalt von Actien die Firma Vandervelden belasten. Mein Nachfolger mag sich alsdann den Kopf darüber zer brechen, was aus den vorhandenen Baarbeständen ge worden ist, respektive wie cs kam, daß die Firma Alexan der Morrels mit einem Male kein Geld mehr in ihrem Cassenschranke hatte. Und eigentlich," fügte er mit einem Male rasch hinzu, als wäre ihm eben erst dieser Gedanke gekommen, „müßte sich doch wenig stens die von Herrn Rehberg gestellte Caution in demselben befinden." Der scböne und elegante Herr Morrels hatte für die letzte Bemerkung nur ein höhnisches Achsel zucken übrig. „Ihre Aeußerung ist zu kindlich naiv, als daß Sie mir eine Beantwortung derselben zumuthen könnten. Theilen Sie Ihrem Beschützer nur mit, daß ich bei Herrn Vandervelden ein Depot von 142,000 Francs hätte, und daun lassen Sie sich von demselben erklären, was gegenüber dieser Summe seine paar Hundert Francs zu bedeuten haben. Nun aber gehen Sie in Gottes Namen »ach Hause. Die Bureaustunde ist vorüber und schöne Worte haben Sie heute mehr wie genug gesprochen." 6. Capitcl. Als Herr Vandervelden sich am nächste» Mittag a»f den« Wege vom Burean nach seiner Wohnung nicht mehr weit von der letzteren befand, legte sich ihm pötzlich eine Hand auf die Schulter, und um sich blickend schaute er gerade in das freundlich lächelnde Antlitz des Herrn Morrels. „Ich wollte mich eben zu Ihnen begeben," sagte der Letztere, „und da fügte es ein glücklicher Zufall, daß ich Ihnen hier begegnete. Wenn Sie erlauben, werde ich Sie daher nach Ihrem Hause begleiten, wo es mir hoffentlich ganz bestimmt vergönnt sein wird, die persönliche Bekanntschaft Ihrer Fräulein Tochter zu machen." „Ja, kommen Sie nur, Eugenic ist auf Ihren Besuch vorbereitet," erwiderte Herr Vandervelden, der sich nicht in der besten Laune zu befinden schien, kurz. Ohne sich durch das mürrische Gesicht Vandervel- dens irgendwie zurückschrecken zu lassen, versuchte Morrels, ein heiteres Gespräch anzuknüpfen, aber alle Versuche dieser Art scheiterten an dem schweigsamen Ernste seines Begleiters. Der Letztere führte Herrn Morrels in das Em pfangszimmer und befahl hierauf einem Diener, seiner Tochter mitzutheilen, daß ihr Vater sie zu fprcchen wünsche. Wenige Minuten später trat Eugcnie in das Zimmer. Sie schien überrascht zu sein, als sie den fremden Herrn bei ihrem Vater erblickte, und auch Herr Morrels war nicht im Stande, sein Erstaunen über die außergewöhnliche Schönheit des jungen Mädchens ganz zu verbergen. Er machte eine sehr tiefe, aber nichts weniger als elegante Verbeugung vor Eugenie, während Vandervelden einfach sagte: „Ich stelle Dir hiermit den Herrn Alexander Morrels vor, der mit mir in geschäftliche Verbindung getreten ist. Herr Morrels hat auch um diese Vor stellung gebeten." Der schöne Herr Morrels setzte sein liebenswür digstes Lächeln auf und erwiderte: „Die Ehre, welche mir in diesem Augenblicke zn Theil wird ist eine so hohe und außerordentliche, daß ich mich im Bewußtsein derselben im höchsten Maße verwirrt und befangen fühle. Die Worte fehlen mir, um Ihnen dasjenige zu gestehen, was ich in diesem Momente empfinde, aber seien Sie darum nicht weniger überzeugt, mein Fräulein, daß nur die tiefste Hochachtung mich beseelt und daß ich diese Stunde, in der es mir vergönnt wurde, Ihre Bekanntschaft zu machen, für immer als die gücklichste und unver geßlichste meines Lebens betrachten werde." Daß diese schwulstigen Worte einen besonders vorthcilhaften Eindruck auf Eugenie gemacht hätten, ließ sich durchaus nicht behaupten, Ihre Miene wurde vielmehr eine noch zurückhaltendere als im Anfänge und in sehr kühlem Tone entgegnete sie: „Auch mir ist es angenehm, Sie kennen gelernt zu haben, Herr Morrels. Denn die Freunde meines MVatcrs müssen natürlich auch bei mir ein gewisses Gesühnte Schuld. Eine Schilderung aus dem Kaufmannsleben von G. Struder. (7. Fortsetzung.) „Der Tausend auch!" rief Herr Vandervelden erstaunt aus. „Sie sagen, 142,000 Francs wäre kein großer Betrag, ich dagegen halte dies für eine ganz respektable Summe, die man sorgsam aufbewahren muß. Bankhäuser, und zwar sehr vertrauenswürdige, bei welchen Sie die Werthe deponiren könnten, giebt es in Antwerpen mehr wie genug, und die meist»« werden Ihnen auch gern ein Bankconto auf ein solches Depot hin eröffnen." „Das letztere habe ich durchaus nicht nöthig," versetzte lächelnd Herr Morrels. „ES ist inir allein darum zu thun, die Papiere in Sicherheit zu bringen, und wenn ich nicht befürchten müßte. Ihnen hiermit zu viele Mühe zu machen, so würde ich Sie darum bitten, die Aufbewahrung derselben zu übernehmen und sie in Ihrem feuersicheren Geldschrank einzu schließen." „Machen Sie doch nicht so lange Redensarten, Herr Morrels, wegen einer solchen Kleinigkeit. Haben Sie die Papiere bei sich?" Herr Morrels überreichte Herrn Vandervelden die Werthe, welcher dieselben dnrchsah und sich dabei auf einem Stückchen Papier Notizen machte. „Es sind gerade für 142,000 Francs Actien der 0kÜ88s tinkmoitzrk in Paris," sagte er hierauf. „Ich werde Ihnen eine Empfangsbescheinigung über dieselben aus stellen und Sie können alsdann von jetzt ab in Be treff dieses Capitals ruhig schlafen, sollten Sie auch noch so weit von Antwerpen entfernt sich irgendwo anfhalten." „Herr Vandervelden, Sie beleidigen mich ja da durch, daß Sie mir eine Quittung anbieten!" rief Jener aus. „Das hört sich gerade an, als setzte ich nicht in Ihr bloßes Wort dasselbe Vertrauen wie in Ihre schriftliche Empfangsanzeige." „Ich bin Kaufmann, Herr Morrels," lautete die trockene Antwort, „und als solcher gebe ich weder »och nehme ich etwas ohne Quittung. Wenn meine Empfangsbestätigung Sic beleidigt, so nehmen Sie Ihre Werthe nur ruhig wieder mit, denn ohne eine solche zu geben, behalte ich die letzteren nicht." Trotz dieser Zurechtweisung und des schroffen Tones, in welchem ihm dieselbe ertheilt wurde, leuch tete es in den Angen des Herrn Morrels freudig auf. Er steckte die Quittung zu sich und verließ mit einem herzlichen Händedrucke und dem Versprechen, sich am nächsten Tage kurz nach 12 Uhr ganz bestimmt ein- zusinden, den alten Herrn. Am Nachmittage desselben Tages, kurz vor Schluß der Burcaustunde, sagte Herr Morrels in nachlässigem Tone zu seinem Commis: „Nehmen Sie sich einmal das Hauptbuch zur Hand und dann machen Sie in demselben folgende Aenderungen: Den Posten „an Actien und Baarbe ständen in der Casse" löschen Sie und schreiben dafür einen Posten aus, welcher lautet „Actiendcpot bei der Firma A. I. Vandervelden hicrselbst 142,000 Francs", womit diese Firma natürlich zu belasten ist." Paul vermochte nur mit Mühe sein Erstaunen über diese Nachricht zu verbergen. Wie ein Blitz durchzuckte ihn der Gedanke, daß eine ganz besondere Absicht seinen Principal dazu bestimmt haben müßte, gerade bei Herrn Vandervelden, welcher doch sonst keine Bankgeschäfte betrieb, jene Summe zu deponiren. Wie, wenn der unverheirathete und reiche Herr MorrclS am Ende auf Eugcnie sein Augenmerk ge richtet hätte, und diese geschäftliche Verbindung nur als Einleitung zu weiteren familiären Beziehungen zwischen ihm und der Familie Vandervelden herbei geführt hätte? Von diesem Momente an haßte Paul seinen Principal. In grimmigem Schweigen blickte er vor sich auf das aufgeschlagene Buch, als jener ihm zurief: „Nun, warum schreiben Sie denn nicht? Haben Sie mich vielleicht nicht verstanden, daß Sic das Buch anstarren, als wollten Sie aus diesem das mangelnde Verständniß ergänzen?" „Verstanden habe ich Sie sehr wohl," erwiderte er gereizt. „Nur ist mir etwas in Ihrer Aeußerung ausgefallen. Der betreffende Posten lautete früher „an Werthpapicrcn und Baarbeständen 142,000 Francs", während er jetzt mit einem Male den Titel „an Wcrthpapieren 142,000 Francs" führen soll. Entweder waren also früher keine Baarbestände vor handen oder daS baare Geld wurde zum weiteren Ankäufe von Aktien verwandt, und in diesem Falle wäre dann jetzt kein Geld mehr in der Casse. Wie soll daher unter solchen Umständen die Buchung lauten, welche Sie mir vorzunehmcn befahlen?" „Zum Henker, genau so, wie ich eS Ihnen sagte, Herr," bemerkte zornig Herr Morrels. „Uebertragen Sie den Posten auf das Conto der Firma Vander velden und bekümmern Sie sich im übrigen nicht Glücke noch fehlen könnte. Denn für einen Mann kann es nichts Schmeichelhafteres geben, als daö Interesse von Seiten einer Dame, welche in dieser Vollkommenheit, wie Sie, mein Fräulein, alle nur denkbaren äußeren und inneren Vorzüge besitzt." Ter etwas dreiste Blick, welcher die letzten Worte begleitete, rief eine leichte Röthe auf den Wangen Eugenie'S hervor, aber mit vollkommener Ruhe ver setzte sie: „Ihre Absicht, mir ein Compliment zu machen, verleitet Sie zu Uebertreibungen, Herr Morrels. Wenig stens kennen Sie mich seit einer viel zu kurzen Zeit, um mich für ein in jeder Hinsicht vollkommenes Wesen erklären zu können." „Was bedarf es einer näheren Bekanntschaft," lautete die feurige Antwort, „wenn ein Blick des Auges hinreicht, uni sofort die herrlichsten Eigen schaften in Ihnen zu entdecken! Unter einer so wun derbaren äußeren Hülle kann nur der vortrefflichste Kern sich verbergen; daS würde ich sofort gewußt haben, wenn auch nicht der Ruhm von Ihren zahl losen Tugenden bereits an mein Ohr gedrungen wäre und schon längst eine glühende Sehnsucht nach dem Augenblicke in mir hervorgerufcn hätte, den zu ge nießen mir jetzt endlich vergönnt wurde." Eugenie richtete sich mit einem Male stolz empor. „Vis dahin ist es mir noch nicht vorgekommen, Herr Morrels, daß ein Herr, und obendrein sofort, nachdem er mir vorgestellt worden war, mich mit derartigen Schmeicheleien zu überschütten wagte, die in der wenig zurückhaltenden Art, wie sic vorgebracht werden, für mich etwas sehr Peinliches haben. Solche Complimente setzen eine gewisse Vertraulichkeit voraus, zu der ich mich jedoch nicht erinnern kann, Ihnen irgend welche Veranlassung geboten zu haben. Da aber für mich die Fortsetzung eines solchen vertrau lichen Tones höchst nnangenehm, ja sogar beleidigend wäre, so werden Sie mir wohl gestatten, daß ich mich, um diese Art von Unterhaltung nicht weiter anhören zu müssen, vorläufig zurückziehe." Sie nickte kaum merkbar mit dem Kopfe und war im nächsten Momente, ehe einer der beiden Herren etwas zu erwidern vermocht hatte, verschwunden. „Der Tausend, das Fräulein scheint ja sehr leicht verletzt zu sein," bemerkte endlich Herr Morrels nicht ohne Ironie. „Ich hatte geglaubt, ihr etwas recht Schmeichelhaftes zu sagen, wie es junge Mädchen stets sehr gern zn hören pflegen, und statt dessen ist sie über meine Worte erzürnt! Wenn ich davon auch nur soviel verstehe, so will ich nicht mehr Alexander Morrels heißen." „Mir scheint cs so, als hätte Eugenie doch nicht so ganz Unrecht gehabt," entgegnete Vandervelden rauh. „Ein junges Mädchen, und zumal wenn es aus einer Familie wie der unserigen stammt, will vor Allem von den Herren respcktirt sein, und eS hat Anspruch darauf, daß man ihm bei der ersten Begegnung nicht gerade so gcgenübertritt, als ob man cs schon Jahre lang kenne, und als ob man berechtigt wäre, ihm im Grunde genommen recht triviale Schmeicheleien ins Gesicht zu sagen." Herr Morrels, der überhaupt nicht leicht aus der Fassung zu bringen war, versetzte auf diese derbe Aeußerung init vollkommener Ruhe: „Mein ganzer Fehler wird wohl darin gelegen haben, daß ich glaubte, die englische Sitte, wonach man vor einer jungen Dame, sobald man ihr vorgestellt wird, seinen ganzen Vorrath an Liebenswürdigkeiten zu erschöpfen sucht, bestände auch hier in Antwerpen. Daß dem nicht so ist, davon habe ich mich allerdings soeben sehr gründlich überzeugt, und ich kann Sie daher nur bitten, in meinem Namen bei Ihrer Fräulein Tochter darum anzuhalten, daß sie meinem erklärlichen Verstoße ihre Verzeihung nicht vorent- haltcn möge. Ich habe Ihnen bereits gesagt, Herr Vandervelden, daß ich Ihre Tochter tief und aufrich tig liebte, noch bevor ich dieselbe persönlich kannte, aber seit dem Zusammentreffen mit ihr fühle ich, daß mein Dasein von jetzt ab nur mehr dem einen Zweck geweiht sein kann, nicht eher zu ruhen und zu rasten, bis ich bei Fräulein Eugenie eine gün stigere Meinung über meine Person hervorgerufen haben werde und sie eingewilligt haben wird, für immer die Meine zu werden. Wann darf ich meinen Besuch wiederholen, Herr Vandervelden?" „Nicht zu bald, damit ich Eugenie vorher auf andere Gedanken in Ihrer Hinsicht bringen kann. Ich werde Ihnen schreiben, wenn ich den richtigen Zeitpunkt für gekommen halte." „Also abgemacht, Herr Vandervelden, nur lassen Sie mich nicht gar zu lange warten. Sie haben keine Vorstellung davon, wie meine liebende Sehnsucht dem bloßen Anblicke Ihrer unvergleichlichen Tochter entgegendürstet." (Fortsetzung folgt.)