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Beilage m Rr. 182 des „Amts- und Ameigeblattes." Cibenstoä, den 15. Oktober 1892. Gesühnte Schuld. Eine Schilderung aus dem Kausmannsleben von G. Elender. (4. Fortsetzung.) Auf dem harten Gesicht Vandervelden's zeigte sich etwas, was mit einem zufriedenen Lächeln große Aehn- lichkeit hatte. Er erhob sich von seinem Stuhle und sagte: „Fern sei eS mir. Sic denjenigen Grundsätzen, welche ich selbst Ihnen eingeprägt habe, abspenstig machen zu wollen. Es gefüllt mir an Ihnen, junger Mann, daß Sic so verschwiegen sind, und schon ans diesem Grunde wünschte ich, daß Sic in meinem Ge schäfte geblieben wären. Aber da ich gerade daran bin. Sie zu loben, so fällt mir noch etwas weiteres ein, wegen dessen Sic sich cinen Anspruch auf mcine Anerkennung erworben haben: ich mcine den von Ihnen meiner Tochter erwiesenen Dienst. Kann ich Ihnen dagegen irgend einen Gefallen erzeigen, so sagen Sie es nur heraus. Ich werde mein Bestes thnn, um Sie zufrieden zu stellen." „Ich habe Ihr Fräulein Tochter schon gebeten, meine ganz selbstverständliche und weder mit irgend welcher Mühe noch Gefahr verbnndene Handlungsweise doch nicht zu einer förmlichen Heldenthat aufzubauschcn," erwiderte Paul mit einem verlegenen Lächeln. „Ich habe die einfachste und natürlichste Pflicht erfüllt, und dafür kommt mir ebensowenig eine Belohnung zu wie ich eine dafür beanspruche." „Hm, Sie sind sehr bescheiden, junger Mann!" brummte Vandervelden mürrisch vor sich hin. „Lieber wäre es mir gewesen, wenn Sie etwas von mir ge fordert hätten, denn ich stehe nicht gern in anderer Leute Schuld. — Doch halt, ich habe cS gefunden," unterbrach er sich plötzlich. „Morgen ist Sonntag! Wie wäre es, wenn Sie an diesein Tage mit uns Beiden, meiner Tochter und mir, zu Mittag speisten? Das hätte für Sie und Ihre zukünftige Carrivrc einen großen Werth, wenn Sie sich darauf berufen könnten, daß Sic von Johann Vandervelden, und dazu noch nach Ihrer Entlassung, in dessen. Privat wohnung zu Tische geladen worden wäre». Jeder mann würde darin den Beweis einer ganz besonderen Achtung vor Ihnen meinerseits erblicken." Bei der Erwähnung Eugeniens war Paul mit einem Male glühend roth geworden. Nur niit Mühe vermochte er wenigstens äußerlich seine Ruhe zu be wahren und unter einer höflichen Verneigung zu erwidern: „Die Ehre, welche Sic mir durch Ihre Einlad ung erweisen, ist eine so große, daß ich kaum weiß, ob ich dieselbe annehmen darf. Wenn ich dieser Ein ladung gleichwohl Folge leiste, Herr Bandervelve», so geschieht dies allein . . . ." „Unsinn, diese langen Redensarten!" antwortete dieser ihm barsch. „Kommen Sie nur morgen und zwar recht pünktlich, genau um ein Uhr. „Mcine Privatwohnung kennen Sie doch wohl?" „Gewiß, Herr Vandervelden." „Dann also bis morgen." In glücklichster Stimmung blieb Paul zurück. Morgen also sollte er das bewunderte und geliebte Mädchen Wiedersehen, und diesmal sogar eine längere Zeit in ihrer Nähe weilen und mit ihr verkehren dürfen! Sei» Herz klopfte stärker bei diesem Gedanken, aber seine Aufregung wurde noch eine weit größere, als er Betrachtungen darüber anstellte, daß er bereits morgen zum dritten Male innerhalb weniger Tage mit ihr Zusammentreffen würde. Sollte dies vielleicht ein Wink des Schicksals sein, als könnten derartige Begegnungen wohl noch öfters stattfinden und alö sei es kleinmiithig und verkehrt von ihm gehandelt, allen Hoffnungen auf den dereinstigen Besitz der Geliebten von vornherein rcsignirt zn entsagen? Die Brust drohte ihm zu zerspringen, es war ihm unmöglich, länger auf dem engen Bureau zu bleiben. Er mußte hinaus in die freie Luft, um zur Ruhe und Klarheit mit sich selbst zu gelangen, und da ohnehin die Stunde des Geschäftsschlusses nicht mehr fern war, so schloß er das Bureau ab und be gab sich auf die Straße. ES war bereit- völlig dunkel geworden und nur die flackernden Straßenlaternen verbreiteten ein schwaches Licht. Ein eisiger Wind, vermischt mit feinem Sprüh regen, wehte Paul gerade ins Gesicht, weshalb er seinen Uebcrzieher fester zuknöpfte und den Kragen in die Höhe schlug. Der Wind ließ zwar allmählig etwas nach, dafür fiel jedoch der Regen immer stärker her nieder, und da er keinen Regenschirm bei sich hatte, der Weg bis zu seiner Wohnung aber noch ein ziemlich weiter war, so blieb ihm zuletzt nichts übrig, als in dem nächsten Cafe Schutz gegen das Unwetter zu suchen. Außer der Wirthsfrau befand sich Niemand in demselben, kaum saß jedoch Paul hinter einem der Tische, als zwei mit alter fadenscheiniger Eleganz gekleidete Herren eintratcn, die sich sofort ganz dicht in seiner Nähe niederließcn und sich sehr laut und vergnügt unterhielten. „Ein wahres Hundewetter," sagte mit einem Male der Eine, „aber das Schlimmste ist doch, daß das selbe vielleicht noch Stunden lang anhalten kann. Wenn man nur wüßte, Ivie man sich so lange die Zeit ver treiben könnte." „Sollen wir ein Spielchen machen?" frug der Andere. „Zu zweien spiele ich nicht gerne Karten, es ist zu langweilig." „Vielleicht übernimmt dieser Herr die Rolle des dritten Mannes?" wandte sich jener direkt an Paul. „Die Zeit geht uns auf diese Weise angenehm vor über, und sobald der Regen nachläßt, hören wir ein fach auf." „Ich danke Ihnen für Ihre Einladung," erwiderte dieser, „indessen muß ich dieselbe ablchncn, da ich keine Zeit zum Spielen habe." „Ein einziges Spielchen wollen wir machen, und um einen ganz geringen Einsatz? Man weiß ja wirk lich nicht, was man während dieses Wetters anders anfangcn soll." „Ich bedanre," entgegnete Paul fest, „aber ich spiele keine Karten." „Wenn Sie nicht wollen, so müssen wir freilich auf das Vergnügen verzichten," versetzte der erste Sprecher, indem er mit seinem Stuhle noch näher an Paul heranrllckte, so daß dieser die Berührung seines Armes fühlte. „Wir können uns statt dessen aber vielleicht ein wenig unterhalten, sofern nicht auch eine solche Unterhaltung Ihnen etwa unange nehm ist." „Ganz im Gegentheil, meine Herren. In einer solchen Lage wie der meinigen, ist eine liebenswürdige und unterhaltende Gesellschaft das Willkommenste, was ich mir denken kann." „Kaufen Sie nichts, meine Herren? Schöne Kämme und Seifen, Taschenmesser, Hcmdknöpfe, Portemonnaies, Streichhölzer, Cigarrenspitzen, Alles, was Sic haben wollen, und gut und billig. Kaufen Sic etwas ab einem armen alten Manne, meine Herren." Alle drei schauten auf und erblickten neben sich einen sehr schäbig gekleideten Mann mit weißen Haaren und einem lange» weißen Barte sowie einem von der Last der Jahre gebeugten Rücken. An einem nm die Schnltern laufenden Riemen trng er vor sich cinen großen Kasten, in welchem alle die von ihm »»gepriesenen Herrlichkeiten zur Schau ausgestellt waren. „Kaufen Sic mir etwas ab, mein schöner Herr," fuhr er zn Paul gewendet fort. „Die Zeiten sind so schlecht rind es ist doch hart, wenn man in meinen Jahren noch in einem solchen Wetter herninlaufen muß, nm sich die paar Centinies für das Nachtlager zu verdienen." Der gntmüthigc Paul kaufte in der That einige für ihn ganz überflüssige Gegenstände, worauf sich der Alte, nachdem er sich in überschwänglichen Worten be dankt hatte, an die beiden Gesellschafter des Ersteren wandte. „Wir können nichts gebrauchen," erwiderte der Eine lachend. „Wären Sie aber fünf Minuten früher eingetreten, ehrwürdiger Greis, so hatten wir Sic vielleicht eingcladcn, an Stelle dieses Herrn, der sich dessen hartnäckig weigerte, ein Spielchen mit uns zu machen." „Warum wollen denn die Herren dies nicht jetzt noch thnn? entgegnete zum allgemeinen Erstaunen der Alte. „Ich verdiene immer gerne Geld, ob mit Hausircn oder Kartenspielen ist mir ganz einerlei." „Ihr habt wenigstens Courage, Alter," versetzte der Erstere, anscheinend im höchsten Grade belustigt, „eine andere Frage dagegen ist die, ob Ihr auch das erforderliche Geld zum Spielen besitzt. Denn um eine Nuß oder um Zündhölzchen zu spielen ist nicht unsere Gewohnheit." Diesmal lachten Beide zu gleicher Zeit hell auf, der Hausirer dagegen zog ruhig eine Hand voll Silber- und Kupfermünzen aus der Tasche und sagte einfach: „Wenn Ihnen dies genügt, so bin ich gern bereit, ein Spiel mit Ihnen zu wagen." Mit großer Heiterkeit wurde dieser Vorschlag von den beiden Herren angenommen und man setzte sich zum Spielen zusammen. Anfangs lachte das Glück dem Alten. Der Geldhaufe» vor ihm wurde immer größer, während diejenigen der beide» Mitspieler in demselben Verhältnisse abnahmen, dann aber änderte sich mit einem Male die Sache. Der Hausirer sing an zu verlieren, und zwar ununterbrochen in einem solchen Maße, daß er bald nicht niehr als einige Kupfermün zen vor sich zu liegen hatte. „Die Geschichte ist zu Ende, würdiger Herr," rief der eine seiner Mitspieler auS,°> indem er ver gnügt sein gewonnenes Geld einstrich. „Wenn Sie aber gelegentlich Revanche haben wollen, so sind wir Beide mit großer Freude hierzu bereit. Nur müssen Sie sehen, daß Sie sich bis dahin das »öthige Geld zum Spielen wieder zusammengeschachert haben." Der Alte, welcher bis dahin mit einer für Paul unbegreiflichen Rübe alle Wandlungen des Spieles mitgemacht hatte, hob jetzt den Kopf in die Höhe und schaute den Letzteren eine Weile mit eigenthiim- licher Miene an. Jetzt, da Paul demselben zum ersten Male direkt in die Augen sah, kamen ihm diese Augen bekannt vor, ohne daß er sich indessen zu be sinnen vermochte, wo und wann er sic jemals gesehen hätte. „Sie haben unserem Spiele von Anfang bis zu Ende beigewohnt, junger Herr," frug er ihn, „ist Ihnen denn bei demselben nichts ausgefallen?" „Ihr beständiges Verlieren kam mir allerdings etwas seltsam vor." „Seltsam war dieses Verlieren keineswegs, sondern durchaus natürlich," fuhr der Alte mit einem höhn ischen Lachen fort. „Denn wenn man zwei Mitspieler hat, die sich fortwährend in die Hände arbeiten, indem sie sich heimlich Zeichen machen und sich sogar unter dcm Tische Karten znstecken, so muß man schließlich verlieren. Diese beiden eleganten Herren, welche die Niedertracht besaßen, einem armen, alten Manne sein bischen Geld abznnehmen, sind nämlich nichts anderes, als zwei abgefeinite Halunken. „Sie armseliger Lump, was unterstehen Sie sich?" brauste der eine der beiden Elegants auf, der ebenso wie sein Kamerad auffallend die Farbe gewechselt hatte, aber mit unerschütterlicher Ruhe versetzte der Alte: „Ich wiederhole es. Sic sind zwei Schwindler und Betrüger, und Sie werden jetzt auf der Stelle mit mir zu dem nächsten Polizeiburean gehen, uni sich dort zu verantworten und vor Allem niir das ge stohlene Geld zurückzngcben." „ Sie sind verrückt, alter Landstreicher, der Verlust der paar zusammengebctteltcn Francs wird Ihnen das bischen Verstand geraubt haben," schrieen die zwei Freunde höhnisch, ohne jedoch im Stande zu sein, ihre außerordentliche Verwirrung hinter diesem Hohn zn verbergen. „Die Sache muß ein Ende nehmen," sagte der Hausirer einfach. „Wollt Ihr Burschen gutwillig initkommen oder nicht?" „Nein Kerl," brüllte der eine, „aber wenn Du nicht endlich mit Deinem albernen Geschwätz aufhörst, so erhältst Du von uns einen Denkzettel, an welchen Du noch lange denken sollst." „So bleibt mir also kein anderes Mittel als Ge walt übrig," entgegnete jener, während er gleichzeitig mit einer blitzschnellen Bewegung jeden der Beiden am Handgelenke erfaßte. Mit einer für sein Alter unbegreiflichen Kraft drückte er dieselben so stark, daß Beide gleichzeitig einen Ruf des Schmerzes ausstießen, und dann flüsterte er Jedem von ihnen etwas in's Ohr. Beide wurden leichenblaß und ließen den Kopf auf die Brust sinken. Jeden Gedanken an Wider stand schienen sie ganz nnd gar aufgegeben zu haben. „Verwahren Sie mir meinen Kaste», bis ich"zuriick- kehre," rief der Hansirer der vor Bestürzung ganz sprachlos gewordenen Wirthsfrau zu, worauf er, die beiden falschen Spieler noch immer fest am Handge lenk haltend, das Local verließ, ohne sich von Paul auch nur durch einen Blick zu verabschieden. „Was war das?" frug der Letztere, der ebenfalls in hohem Grade überrascht und aufgeregt war, die Wirthi». „Ich verstehe cs nicht, daß die beiden kräftigen jungen Leute dcni alten Manne so gutwillig folgten! Fast sollte man meine», daß sich hinter diesem Hansirer eine ganz andere Persönlichkeit verbirgt. „Wissen Sie, was ich glaube?" fragte die wür- oige Frau mit geheimnißvoller Miene. „Nun?" „Ich glaube, daß dieser Hausirer in Wirklichkeit ein Beamter der geheimen Polizei ist. Schon von verschiedenen Seiten habe ich erzählen gehört, es wäre ein Geheimpolizist in Antwerpen, der eine ganz merk würdige Schlauheit besäße und unter allen möglichen Verkleidungen schon manche» Verbrecher dingfest ge macht hätte, welcher bis dahin allen Nachforschungen der Polizei entgangen wäre. Bleiben Sie hier, bis er seinen alten Kasten abholen kommt, dann will ich ihn einmal gründlich über seine Person anSfragen." „Ich fürchte sehr, daß, wenn dieser Mann wirk lich das ist, was Sie in ihm vermnthen, er schwer lich sein Geheimniß vor Ihnen enthüllen wird," versetzte Paul, indem er sich erhob. „Außerdem aber ist es noch sehr zweifelhaft, ob derselbe schon so bald wieder zurückkehren wird, und eine unbestimmte Zeit zu warten, ist mir unmöglich." Er bezahlte seine unbedeutende Zeche und verließ das Wirthszinnner. Der Regen hatte aufgehört, und so konnte er denn ungehindert den Weg nach seiner Wohnung wieder fortsctzcn, wobei ihn das eben erlebte Abenteuer aus's lebhafteste beschäftigte.