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Ein unbeschreibliches, selige« Gefühl durchströmte ihn, er wäre ihr ain liebsten entgegengcstürzt, um sobald wie möglich seinen Lohn von ihren Lippen zu ernten nnd ihre freundlichen Dankesworte zu hören, aber eine innere Scheu hielt ihn von dieseni Schritte zurück und mahnte ihn zu besonnener Ruhe. Erst als sie, die Augen fortwährend suchend auf den Boden gerichtet, neben ihn angelangt war, wagte er eS, sie anzureden. „Wenn ich mich nicht sehr irre, Fräulein Vandcr- vclden," brachte er mit ehrerbietiger Schüchternheit hervor, „so haben Sic etwas verloren. Vielleicht ist eS dieser Gegenstand, welchen Sie suchen?" Ueberrascht schaute sie bei der unerwarteten An rede auf, um sofort einen Hellen Ruf der Freude auszustoßen, als sie das Medaillon in seinen Händen erblickte. „Ja, das ist eS, was ich verloren hatte," sprach sie hastig, wobei Sie das Medaillon an sich nahm, „es ist ein werthvvlles Andenken von meiner Mutter, von welchem ich mich nm keinen Preis hätte trennen mö gen. Und wie dankbar bin ich Ihnen, daß Sie mir dasselbe zurückbrachten, Sie haben mir hiermit einen Gefallen erwiesen, den ich Ihnen so leicht nicht vergessen werde. Aber jetzt erkenne ich Sie erst wieder," unterbrach sic sich plötzlich, „Sie sind derselbe Herr, welchen ich gestern Nachmittag frug, ob mein Vater nicht auf seinem Bureau wäre! Ich werde ihm Alles mit- theileu, und er wird eS sich gewiß nicht nehmen lassen, Ihnen auch noch auf andere Weise seinen Dank für den großen Dienst, den Sic ihm nicht weniger wie mir durch das Finden des Medaillon geleistet habe», abzustatten." „Wenn ich überhaupt irgend welchen Dank dafür zu beanspruchen hätte, daß ein reiner Zufall mich in einer solchen Weise begünstigte, so würde mir derselbe durch Ihre freundlichen Worte bereits in überreichem Maße zu Thcil geworden sein," erwiderte Paul, welchem das junge Mädchen heute mit den lebhaften strahlenden Augen und den gerötheten Wangen noch weit schöner als gestern erschien und der sich die größte Mühe geben mußte, um wenigstens äußerlich unbe fangen zu erscheine». „Einen besonderen Dank von Seiten Ihres Herrn Vaters aber müßte ich schon um so entschiedener ablchncn, als durch das vortreffliche Zeugniß, welches er mir bei meiner gestrige» Ent lassung ausstellte, ich mich eigentlich noch in seiner Schuld befinde." „Papa hat Sie entlassen?" frug sic rasch. „Oh, dann werde ich mit ihm reden, daß er Ste wieder aufnimmt, denn er ist im Grunde genommen doch herzensgut und speciell mit Rücksicht auf den heutigen Vorfall wird er sich schnell wieder zu Ihren Gunsten stimmen lassen, wenn Sie vielleicht etwas gethan haben sollten, was sein Mißfallen oder seinen Zorn erregte." „Sie haben gar zu viel Wohlwollen nnd Güte für einen bescheidene» Commis, Fräulein Vander- velden, aber so aufrichtig dankbar ich Ihnen hierfür auch bin, so kann ich dennoch von Ihrer liebens würdigen, in Aussicht gestellten Vermittlung keinen Gebrauch mache». Denn einmal habe ich bereits eine andere Stelle gefunden und angenommen, nnd zweitens erfolgte meine Entlassung auf meinen aus drücklichen Wunsch, so daß cs sich doch höchst sonder bar ausnchmen würde, wenn ich heute bereits durch Ihre Vermittlung um eine gnädige Wiederaufnahme in meinen früheren Dienst nachsuchen wollte." „So haben Sic also freiwillig Ihre Stelle bei Papa aufgcgeben! Und darf man fragen, wodurch Sie sich hierzu bestimmen ließen?" „Eine kleine Mcinungsdifferenz niit Ihrem Herrn Vater bildete die Ursache meines Entschlusses," ent gegnete Paul, auf welchen das an den Tag gelegte Interesse des schönen Mädchens für seine Person förm lich berauschend einwirkte. „Um ganz offen zu sein, will ich jedoch hinzufllgen, daß ich jenen Entschluß bereits tief bereut habe, und daß es mir weit lieber wäre, wenn ich, anstatt morgen meine neue Stelle anzutreten, noch recht lange auf dem Bureau Ihres Herrn Vaters hätte weiter arbeiten können." „Ja, es ist wirklich recht schade, daß Sie von nns gegangen sind," fügte sie nachdenklich hinzu, eine Bemerkung, welche die Wirkung hatte, daß Paul mit einem Male alles Blut jäh in s Gesicht schoß. „Sic bedauern es, daß ich von Ihnen gegangen bin," wiederholte er erregt. „Wenn Sie es wün schen, mein Fräulein, daß ich zu Ihrem Herrn Vater znrllckkehre, so will ich morgen bereits meine jetzige Stelle kündigen und mich nach Ablauf von vier Wochen bei Herrn Vanderveldcn wieder melden, wozu mir derselbe ohnehin seine Erlaubniß crtheilt hat." Die stürmische, fast begeisterte Sprache des jungen Mannes rief diesmal bei Eugenie eine unverkenn bare Verlegenheit hervor. Leicht erröthcnd entgeg nete sie: „Ich bedaure Ihr Weggehen nur deshalb, Herr . . ." „Paul Lindner ist mein Name, wenn Sie gütigst erlauben wollen, daß ich mich Ihnen vorstclle. „Also ich bedauere Ihr Weggehen au« dem Grunde, Herr Lindner, weil ich überzeugt bin, daß nach dem heutigen Vorfälle Sic zu nicincm Vater in ein ganz anderes Berhältniß getreten wären. Ich weiß es, daß er sehr heftig und jähzornig sein kann, und ein Ausbruch dieser Eigenschaften wird auch wohl die Veranlassung zu Ihrer Entlassung gebildet haben, aber besser als irgend einem anderen Nie» scheu ist eS auch mir bekannt, was für ein dankbares Gcmüth mein Vater besitzt und wie sehr er stets bestrebt ge wesen ist, sich für die kleinste Gefälligkeit erkenntlich zu zeigen." „Sie übersehen bei der ganzen Sache einen Um stand, mein Fräulein, nämlich den, daß eS mir aller Voraussicht nach unmöglich gewesen sein würde, das Medaillon wicderznfinden, wenn ich bei Ihrem Herrn Vater geblieben wäre. Denn in diesem Falle hätte ich diesen Morgen hinter dem Pulte gestanden, anstatt daß ich hier spaziren ging, und Ihr Herr Vater hätte mithin auch keine Veranlassung gehabt, mir etwas hoch anzurechnen, was Sie als eine viel zn verdienstvolle Thal zu betrachten scheinen." „Das sagen Sie, weil Sie den Werth des Me daillons für uns Beide nicht kennen!" rief sie ans, um gleich darauf über und über erröthcnd hinzuzu fügen: „Aber um deö Himmels Wille», wie konnte ich doch nur so vergeßlich sein! Die ganze Zeit über ging ich mit Ihnen spazieren, ohne daran zu denken, was die Leute wohl sagen würden, wenn sic mich in der Gesellschaft eines fremden jungen Herrn erblickten!" Es war in der That so, wie Eugenie gesagt hatte. Eine große Strecke hatten sic nebeneinander dahin schreitend znrückgelegt, ohne daß bei der lebhaften Unterhaltung, welche sic führten, eines von ihnen an das Auffallende und wohl auch Unpassende eines solchen Spazierganges gedacht hätte. Bei ihren letzten Worten jedoch war Eugenie stehen geblieben, und fuhr nunmehr in holder Verwirrung fort: „Hier müssen wir nnS trennen, Herr Lindner, zumal da ich mich nicht mehr weit von unserer Wohnung befinde. Ich danke Ihnen ebensowohl nochmals für das Wieder finden des mir so theuren Andenkens wie für die an genehme Art, mit der Sie mich unterhalten haben." Zaghaft streckte sic ihm ein allerliebstes Händchen entgegen, welches Paul noch schüchterner, als wagte er cs kam» zu berühren, erfaßte. (Fortsetzung folgt.) Aus schwerrr Zeit. Das „Soester Kreisblatt", veröffentlicht eine Reihe von Briefen von einem aus Soest stammenden jungen Arzte, Or. Gustav Hülsemann, der sich freiwillig in den Dienst der Humanität stellte und in so schlichter, von jeder Tendenz freien Weise seine Erlchnisse in Hamburg schildert, daß die vom wärmsten mensch lichen Mitgefühl getragenen Briefe mehr als spalten lange Berichte ein erschütterndes Bild von dem durch die Cholera verursachten Elend entrollen, aber auch — eine furchtbare Anklage gegen das von den Ham burger Behörden Anfangs beliebte System bilden. Hamburg, 26. August 1892. Geld und Brief in Kiel erhalten. Kurz darauf nach Hamburg abgefahren. Hamburger Acrzte wand ten sich telegraphisch nm Hülfe nach Kiel. Hatte zugesagt und mochte nicht zurück. Schreibt mir bitte nicht! Wenn ich noch Vorwürfe bekomme, gehe ich vollends auö dem Leim; Elend hier groß. Habe die ganze Nacht gearbeitet. Näheres später. Hamburg, 28. August 1892. Bin wohl und munter. Hamburg, 29. August 1892. Bin versetzt. Habe jetzt eigene Station bekom me». Sonst gehtS mir noch gut. Hamburg, 81. August 1892. Es geht mir »och gut, habe stets Theermantel an, desinficirc mich gehörig und bin Herr über zwei Baracken. Großer Mangel an Aerzten und Wärtern. Einer meiner bisherigen Wärter hat sich vcrgestern hinter der Thür aufgehangen. Habe jetzt einen jungen Pfarrer und vier Leute aus dem Jünglingsvereine als Personal, die in vorzüglicher Weise ihr schweres Amt verrichten. Es stinkt hier, Ihr habt gar keinen Begriff davon, und das Gestöhn der Kranke» ist fürchterlich. Die Hälfte ca. stirbt nach einigen Stunden. Es liegen ca. 3000. Zeitungen dcmentiren. Hoffentlich geht cs bald besser. Bin furchtbar müde. Auf der Anatomie liegen die Leichen sechsfach überein ander. C. hat nebenan zwei Baracken, ihm geht cs auch noch gut, er steht seinen Mann in anerkcnnnngSwcrthcr Weise. Schreibt mir nicht. Lasse Euch öfter Nach richt znkommen. Soeben meldet sich ein Referendar als Wärter. Hier liegt jetzt alles nackt, da Hemden nach zwei Minuten naß und unsagbar unsauber sind. Hamburg, 2. Septbr. 1892. Bin noch gesund. Hoffentlich nimmt die Cho lera bald ab. Bis jetzt habe noch nichts von einem Zurückgehcn gemerkt, im Gegentheil, die letzteren Fälle sind viel akuter als die der ersten Tage. Die Mei sten lagen gestern und heute todt im Wagen. Hier sicht'- fürchterlich aus. Mein Pastor ist ein Pracht mensch, er wacht Tag und Nacht. Ich bin jetzt immer 18 Stunden auf den Beinen, 6 Stunden schlafe ich dann in einem Vorraum der Baracke wie eine Ratte. Zuerst war natürlich an Schlaf nicht zu denken, aber die Statur verlangt schließlich ihr Recht. Mein schönster Gedanke ist der Tag, an dem ich wieder aus meiner Isolation unter Bäume und Menschen komme. Lange läßt eS sich so nicht auS- halteu. Jeden Tag sterben meine beiden Baracken halb aus und werde» mir immer wieder voll gelegt. Meine Karten und Briefe verbrennt sofort, legt sie nicht auf den Eßtisch. Ich habe sie in Sublimat getaucht, Ihr werdet sic wohl lesen können. Depesche, ü. September 1892. Bin abgelöst, ganz gesund, liege vorläufig in Quarantäne. Kiel, 6. September 1892. C. und ich wurden gestern Nachmittag nach zehn tägiger Isolation durch Stabsärzte abgelöst. Wir fuhren nach Kiel zurück. Unterwegs erkrankte C. und wurde i» Kiel in die Klinik geschafft. Ich war eben bei ihm, es geht ihm besser. Er hat wohl nur durch Ueberanstrcngung und Erschlaffung sich diese Erkrankung zugezogen. In seinen Stühlen sind keine Cholerabazille» gefunden worden. Hier angekonnncn, konnte ich die Quarantäne ungehindert passiren. C. wurde, wie gesagt, zur Klinik gefahren. Ehe ich zu meiner Wohnung ging, hatte ich in der städtischen Desinfektionsanstalt ein Dampfbad genommen, C. W. hatte meinen Corpus nut Jodoformseife gründlich gewaschen und außerdem hatte ich mein Gepäck und meine Kleidung in Dampf aseptisch mache» lassen. Trotzdem also keine Spur von Infektionsgefahr mehr an mir haften konnte, machte das ganze HanS bei meiner Wirthin eine Demonstration gegen mich, und ich schob wieder ab wie ein Verpesteter und saß auf der Straße. Ich entschloß mich, einige Tage im Hotel zn wohne», wurde aber auch da abgewicsen, und ich glaube, die Leute haben den Hausflur mit Carbol hinter mir gewaschen. Was sollte ich nun machen? — ich ging freiwillig in Quarantäne, Prof. Hoppe-Seyler gab mir die Aufsicht über letztere. Da sitze ich nun wieder in einer Baracke, habe aller dings gute Verpflegung und reiße dann und wann einmal aus, um C. zu besuchen. Im klebrigen herrscht hier in der Quarantäne ein ganz fideler To». Hoffent lich aber entschließt sich meine Wirthin, mich bald in Gnaden wieder aufzunehmen. Im klebrigen bin ich herzlich froh, daß ich mit heiler Haut davonge- kommeu bin, eine solche Zeit werde ich wohl nie im Leben wieder erleben. Es kann jetzt kommen was will, etwas Schrecklicheres kann eS nicht geben, als eine Cholera - Epidemie, die eine Stadt überraschte. Hamburg hatte nichts in Ordnung für eine solche Epidemie, 8 bis 10 Stunden hatte ich meine Leichen daliegen, ehe sie abgeholt werden konnten, und ich glaube, manchem Menschen hat der Schrecken das Lebenslicht einige Stnnden früher anSgeblasen. Sinn lebt wohl, schreibt -mir, bitte einmal, Adr. alte Wohn ung, hier zur Quarantäne wird nichts bestellt. Ich bin zum Umfallen müde und habe das Lachen ziem lich verlernt, werde cs hoffentlich aber bald wieder haben. Kiel, 8. Septbr. 1892. Mamas Brief habe soeben erhalten. Ihr habt Euch wirklich mehr geängstigt als nöthig war; so an steckend ist die Cholera, wen» man sich richtig des- inficirt und vorsichtig ist, nicht. Mama fragt nach dem Honorar. Wir haben Assistentengchalt und freie Verpflegung (vorzüglich mit Champagner re.) bekom men. Wen» man die Reise, Wagenfahrten, Desin- fcktionSgebühren und den Verlust an Kleidern be rechnet, so haben wir das Doppelte gebraucht. Das ist aber sicher, wenn man in Hamburg Belohnung für die Aerzte ausgesetzt hätte, wie für die Wärter, so wäre keiner von den Männern, die sich leider so spärlich in Hamburg cingefundcn, dort zu finden ge wesen. Wir sind nur hingegangcn um zu helfe», nicht um Geld zu verdienen. C. geht cs leidlich. Cholera hat er, Gott sei Dank, nicht. Die Eindrücke der letzten Zeit haben ihn so deprimirt, daß er gegen Alles gleichgültig geworden ist, er hat sein Geld ver schenkt re. und ist kaum zu bewegen, für ihn eingc- gangcnc Briefe zu öffnen. Mir gings in den Ba racken ähnlich. Die Gegenstände verlieren, wenn man die Menschen wie die Fliegen um sich her in ihrem Koth sterben sieht, vollständig ihren Werth. Hätte ich eine Million gehabt nnd einem Menschen damit das Leben erhalten können, ich hätte mich keinen Augenblick besonnen, sic hinzugebcn. Von solchen Stimmungen kann sich aber keiner einen Begriff machen, der nicht einmal 10 Tage in einer Cholera baracke mit Kranken u. Sterbenden eingcspcrrt gewesen ist. Ihr werdet hoffentlich die Schrift lesen können, ich liege hier in Quarantäne auf einem Feldbett und schreibe. Ende der Woche werde ich in meine Wohn ung zurückkönncn. Hoffentlich hört die schwarze Cholera nun bald auf, hier in Kiel ist kein Fall mehr. Wenn Ihr in Soest vernünftig lebt, laßt die Cholera nur ruhig kommen, Ihr braucht keine Angst zu haben. Kein ungekochtes Wasser (auch nicht zum Waschen) benutzen, Hände immer rein waschen in Sublimat oder Carbol, und man ist ziemlich geschützt. Anstiegen thut sie nicht, sonst hätten wir Alle längst ins Gras gebissen. Druck und Verlag von S. hannebotzn in Sibrnflock.