Volltext Seite (XML)
2c9 „Eine neue politische Welt öffnet sich" Die Auslandspresse zu den englischen Parlamentswahlen London (TASS). Der politische Beobachter der Reuteragentur, Whiton, teilt mit, daß die eng lischen Beobachter den überraschenden Um schwung, der in den Parlamentswahlen in Eng land zum Ausdruck kam und die Labourpartei an die Macht brachte, dem deutlichen Kampfe beider entgegengesetzten ideologischen Strömungen, der Kon servativen und der Labourpartei, zuschreiben, einem Kampfe, bei dem die Oeffentlichkeit keiner lei Rücksicht auf Persönlichkeiten genommen hat. Zweifellos haben der Labourpartei Millionen von Wählern zum Siege verholten, die Churchill wohl als militärischen Führer schätzen, nicht aber für ihn als Führer der Konservativen ihre Stimme abgeben wollen. „Manchester Guardian" schreibt zu den Wahl ergebnissen: „Uns eröffnet sich eine neue politische Welt, und obwohl wir ebenso wie die Führer der Labourpartei bei dem Gedanken, was uns in Zukunft erwartet, er schaudern müssen, treten wir doch überzeugt in die neue Aera ein. Viel Böses ist geschehen. Man könnte die jetzigen Wahlen eine Gefühlsrevolu tion nennen, die in ganz Europa gegen das alte Regime und vermoderte Gedankengänge aus gebrochen ist." „Daily Telegraph and Morning Post” schreibt: „Der Beschluß der Wähler bedeutet selbstver ständlich nicht eine Abschwächung der Absicht, den Krieg zu Ende zu führen und die Einigkeit der Alliierten auf rechtzuerhalten. Diesbezügliche Zweifel werden sich zu gegebener Zeit zerstreuen." Die in militärischen Kreisen sehr verbreitete Zeitung „Daily Mirror" schreibt: „Die neue Re gierung wird Weisheit brauchen. Außerdem braucht sie Tapferkeit. Sie verfügt über das Mandat der ganzen Nation. Möge sie darum nie manden und nichts fürchten, wenn sie die ihr gegebenen Vollmachten in die Tat umsetzen wird." Keine Aenderung der englischen Außen politik zu erwarten New York (TÄSS). Die amerikanische Presse schenkt den Wahlergebnissen in England große Aufmerksamkeit. Viele Zeitungen prophezeien, daß die Außenpolitik Englands kaum wesentliche Aenderungen er fahren wird. Die Zeitungen nehmen an, daß einige, nicht allzu wichtige Aenderungen in der englischen Politik in bezug auf Südosteuropa stattfinden werden, aber keinerlei grundlegende Umorientierung. Die amerikanischen Ausländskorrespondenten äußern in ihren Mitteilungen verschiedene Mei nungen bezüglich der Auswirkung der Nieder lage der Konservativen auf die verschiedenen Länder Europas. So erklärt der Madrider Korre spondent der Agentur „United Preß", daß die ein flußreichen Kreise von den Ergebnissen der Wahlen überrascht sind und befürchten, der Sieg der Labourpartei in Eng land könne sich auch in anderen europäischen Ländern auswirken. Laut Mitteilung des römischen Korrespondenten Maßnahmen der provisorischen Regierung Oesterreichs Wien (TASS). Auf der Sitzung des öster reichischen Kabinetts wurde das Gesetz über die Wiedererrichtung der Arbeiter kamm er n angenommen. Im Gesetz heißt es, daß zum Schutze der wirtschaftlichen Inter essen der Arbeiter und Angestellten und zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage Kammern für die Arbeiter Und Angestellten geschaffen werden. Ihre Tätigkeit erstreckt sich auf Personen, die in der Industrie und im Berg werk, in Handel, Gewerbe, beim Eisenbahn transport und an den Banken beschäftigt sind; große Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft mitsamt ihren Neben- und Hilfsunternehmen unterstehen gleichfalls ihrer Aufsicht. Die Arbeiterkammern sind gesellschaftliche Kontroll organe. Das Gesetz bestimmt auch ihre Be ziehung zu den Regierungsorganen und sieht die Teilung der Kammern in Arbeiter- und Ange stelltensektionen vor. Ferner bestimmt das Ge setz die Zusammensetzung der Kammern und die Grundsätze, nach denen ihre Mitglieder einbe rufen werden. Kurznachrichten Die amerikanischen Besetzungsbehörden in Deutschland entdeckten in einem bayrischen Schlosse zwei Bilder von Rembrandt. Diese Bilder wurden im Jahre 1942 von den Deutschen geraubt und auf Hitlers Befehl nach Deutschland gebracht. * Der in Ankara internierte ehemalige japani sche Geschäftsträger in Portugal, Z i b a , hat seine Gattin getötet und sein Leben durch Selbstmord beendet. der Agentur „United Preß" hat der italienische Außenminister de Gaspari der Hoffnung Aus druck gegeben, daß die neue englische Regierung der Demokratie Italiens bei ihrer Wiedergeburt helfen wird. Eine Reihe von Zeitungskommentatoren spricht die Meinung aus, daß die Ergebnisse der eng lischen Wahlen die Hoffnungen der Monarchisten in Spanien, Italien, Griechenland usw. verringern oder ganz zunichte machen werden. Solchen Ge sichtspunkt vertrat der Londoner Korrespondent der Zeitung „New York Times" Sulzberger und auch der Beobachter der „P. M." und „New York Post". In demselben Geiste treten die Rundfunk sprecher Sergio, Kingdon, Walsh, Still, Haymlor, Brooks und Combes auf. Manche Zeitungen bemerken bei ihren Be sprechungen der englischen Wahlergebnisse, daß das englische Volk nach Beendigung des Krieges die Durchführung einer inneren Reform anstreben wird. Der Washingtoner Korrespondent der „P. M." schreibt, die amerikanischen Konservativen hegen Befürchtungen, daß im Falle, wenn es der Labour partei gelänge, das Problem der industriellen Um stellung günstig zu lösen und nach dem Kriege alle Bedürftigen mit Arbeit zu ver sehen, hingegen die Bemühungen der USA in dieser Richtung nicht zufriedenstellend ausfallen würden, in den Vereinigten Staaten eine ernste Neigung nach links hervortreten könnte. Eröffnung des englischen Parlaments London (TASS). Ergänzend zu der Mitteilung, daß die Eröffnung des Parlaments vom 8. auf den 15. August vertagt ist, berichtet die Reuter agentur, daß das neue Unterhaus sich bereits am 1. August versammeln wird, um einen Vor sitzenden zu wählen. Im Laufe der nächsten Tage werden die neuen Parlamentsmitglieder vereidigt. An unsere Leser Vor zweieinhalb Monaten begann das Kommando der Roten Armee die „Tageszeitung" herauszugeben, um das brennende Bedürfnis der Bevölkerung von Dresden und ganz Sachsen nach laufender Information zu befriedigen und die Ereignisse des täglichen Lebens in Stadt und Land zu beleuchten. Im Zusammenhang damit, daß vom Oberkommando der Roten Armee in der sowjetischen Besetzungszone nur noch eine Zeitung herausgegeben wird, stellt die „Tageszeitung" vom 2. August an ihr Erscheinen ein. Damit die Bevölkerung in Stadt und Land nicht ohne tägliches Presseorgan bleibt, wird in Dresden und in ganz Sachsen die in Berlin erscheinende „Tägliche Rundschau" verbreitet werden. Gleichzeitig werden Maßnahmen getroffen, die in Dresden er scheinende „Volkszeitung“, die von demokratischen, antifaschistischen Kräften herausgegeben wird, in eine tägliche Zeitung zu verwandeln. Die Schriftleitung der „Tageszeitung" Zustimmung zur belgischen Regierungserklärung Debatten in der belgischen Deputiertenkammer beendet Brüssel (TASS). In der belgischen Depu tiertenkammer wurden die Debatten über den König abgeschlossen. Die Deputiertenkammer nahm mit 95 gegen 68 Stimmen den Beschluß an, der gemeinsam von den Liberalen, den Sozia listen, den Kommunisten und dem „belgischen demokratischen Verband" (Gruppe der linken Katholiken) vorgeschlagen war. In diesem Be schluß heißt es: „Nachdem sie die Erklärung der Regierung zur Kenntnis genommen hat, spricht die Deputiertenkammer ihre unbedingte Zustimmung aus und bestätigt der Regierung ihr volles Vertraue n," Der Premierminister van Acker trat zum Schluß der Debatten auf und wies kategorisch den Vorschlag der rechten Deputierten zurück, die zur Entscheidung über den König die Durch ¬ führung eines Referendums und neue Parla mentswahlen verlangten. Van Acker wies darauf hin, daß solche Neuwahlen der Rechten unangenehme Ueberraschungen bringen könnten. Unter stürmischem Beifall der Mehrzahl der Deputierten gab van Acker die Ergebnisse der englischen Wahlen bekannt und bemerkte dabei, daß die Labourpartei die absolute Stimmenmehr heit erhalten hat. Der Kommunist Lao, der Verfasser der Interpellation, sagte zum Abschluß: „Die öffent liche Meinung ist jetzt darüber unterrichtet, daß Leopold III. sich nicht nur von der- Regierung losgelöst hat, son dern auch vom kämpfenden und duldenden Volk. Der König hat einem fremden Eroberer einen politischen und mili tärischen Wechsel auf sein Land' ausgestellt." In einer Pause der Berliner Konferenz Im Vordergründe von links nach rechts: Stalin, Truman, Burns und Molotow Die Arbeitskarte Wer nicht arbeitet — sofern er dazu imstande ist —, soll auch nicht essen. Diesem uralten Grundsatz, der die Basis jeder gesunden mensch lichen Gemeinschaft bildet, verhilft die Arbeitskarte, die jetzt vom Arbeitsamt Dresden ausgegeben wird, endlich zu ihrem Recht. Alle männlichen Einwohher zwischen 14 und 65 und alle weiblichen zwischen 14 und 45 — bis auf bestimmte Ausnahmen — müssen im Besitz einer Arbeitskarte sein. Nur unter dieser Voraussetzung bekommen sie ihre Lebens mittelkarten. Die Arbeitskarte aber steht nur dem zu, der tatsächlich arbeitet. Geld, gesellschaftliche Stellung, „rassische und völ kische Belange" spielen hier keine Rolle mehr. Dadurch gewinnt die Arbeitskarte einen hohen erzieherischen Wert. Was Aufrufe, Mah nungen; Beschwörungen, selbst Drohungen nicht erreicht haoen, das bringt sie zustande: Mit einem Male drängen sich auch die Menschen zur Arbeit, die ihr sonst ängstlich aus dem Wege gegangen sind. Angesichts der Trümmer, die der Zusammen bruch des Hitlerregimes auf allen Gebieten 'hinterlassen hat, wagt wohl niemand die Gültig keit des Satzes zu bestreiten, daß nur Arbeit, angestrengteste Arbeit das deutsche Volk vor dem Untergang bewahren und es allmählich wieder aufwärts bringen kann. Aber unklar war bis jetzt anscheinend manchem, was heutzutage unter Arbeit zu verstehen ist — und wer sie zu leisten hat. Von den Tausenden, die sich in diesen Tagen zum Arbeitseinsatz drängten, um die Arbeits karte und damit das Anrecht auf die Lebens mittelkarten zu erhalten, hätten sicher die meisten noch vor wenigen Tagen heftig pro testiert, wenn ihnen der Vorwurf gemacht worden wäre, sie drückten sich vor der Arbeit. Wieso? Sie arbeiteten ja! Der Agent saß, wie er es vor dem Kriege getan hatte, in seinem Büro und erwartete Aufträge; daß sie nicht kamen, war doch nicht seine Schuld. Und ebenso warteten der „Vertreter", die Maniküre, die Stenotypistin, der Kaufmann ohne Waren, der Uebersetzer aus dem Englischen und Franzö sischen und viele, viele andere mehr. S i e flohen nicht die Arbeit, sondern die Arbeit floh sie. Das wenigstens war ihre Ansicht. Dabei aber meinten sie nicht Arbeit schlechthin, sondern das, was früher einmal ihre Tätigkeit gewesen war und was den Ehrentitel Arbeit jetzt nicht mehr verdient, da er überflüssig oder durch die Verhältnisse unausführbar ist. Sie sahen, daß Straßen vom Schutt zu säubern, defekte Rohr leitungen auszugraben und Häuser wiederherzu stellen waren — sie hörten, daß das Land überall Hände brauchte, um zu helfen, die Ernte vom Feld in die .Scheunen zu bringen — aber vor dieser wirklichen, nützlichen, in Hülle und Fülle vorhandenen Arbeit drückten sie sich. Manche mochten gar nicht das Bewußtsein haben, daß sie Tagediebe waren — aber viele waren es bewußt, weil sie die Muskel schmerzen und die Schwielen fürchteten. Zu kaufen bekam man nicht mehr viel, nur das Notwendigste, und das war so billig, daß man dank seinem Ersparten auf Verdienst nicht an gewiesen war und ruhig noch ein ganzes Weil chen den Scheinarbeiter hätte spielen können, wenn nicht — ja wenn nicht plötzlich diese ver flixte Arbeitskarte gekommen wäre, die dem be schaulichen Dnsoin ein iähes Ende bereitete. Sehr viele Nazis haben es verstanden, sich auf die geschilderte Weise den Aufräumungs arbeiten in der Stadt zu entziehen. Die berech tigten Klagen der Aufbauwilligen darüber, daß so etwas möglich sei, werden nun ein Ende haben. Die Arbeitskarte wird auch d i e eines besse ren belehren, die, obschon unbeschäftigt, sich entschieden weigerten, Notstandsarbeiten zu leisten, weil s i e ja nicht schuld wären an den heutigen trostlosen Zuständen. Ob es sich darum handelte, das Schnittgerinne am Fahrdamm zu reinigen, die Aschekästen auf das Feld zu schaffen und den Abfall zu vergraben, der Straßenbahn den Weg freizumachen oder Panzer sperren abzubauen — in all diesen Fällen kam auf die Aufforderung, mit Hand anzulegen, häufig die Antwort: Warum denn wir? Dazu sind doch die Nazis da! — Nach einer solchen Auf fassung ist also die Arbeit des Aufräumens eine Strafe, während sie doch in Wahrheit ein Dienst am Volke ist und schon deswegen nichts Entwürdigendes sein kann. Es ist nicht schimpflich, zu hacken und zu schippen, wohl aber, untätig dabei zu stehen. Und besonders schimpflich ist es, seine Faulheit mit einem poli tischen Mäntelchen zu umkleiden. Nicht das macht den guten Antifaschisten, daß man auf die Nazis schimpft und ihnen alles Unangenehme und Beschwerliche aufhalst, um selbst faulenzen zu können; der wirkliche Antifaschist ist aktiv, wo es sich um aufbauende Arbeit handelt. Wer sich einer Arbeit entzieht, obwohl er weiß, daß die Arbeit geleistet werden muß im Interesse der Erhaltung des deutschen Volkes und seines Wiederaufstieges, der versündigt sich an der Demokratie und an dem neuen Deutsch land und letzten Endes auch an sich selbst. Die Arbeitskarte, die solches verhindert, ist also auch ein politisches Erziehungsmittel ersten Ranges und daher durchaus zu begrüßen. Paul Mochmann