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Tageszeitung für die deutsche Bevölkerung : 23.06.1945
- Erscheinungsdatum
- 1945-06-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id425384225-194506234
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id425384225-19450623
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-425384225-19450623
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Tageszeitung für die deutsche Bevölkerung
-
Jahr
1945
-
Monat
1945-06
- Tag 1945-06-23
-
Monat
1945-06
-
Jahr
1945
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Soldaten und Beamte im Laufe einer Reihe von Jahren und nicht nur in den besetzten Ländern, sondern auch in den sogenannten „verbündeten" Ländern! Nicht nur in Polen und Frankreich, auch in Italien und Bulgarien existierten Restaurants „nur für die Deutschen", wo deutsche Offiziere Brathühner aßen und aus erlesene Weine tranken zur selben Zeit, als die Bevölkerung mit einer Handvoll Makkaroni oder Grütze sich begnügen mußte. Nicht nur Slawen, Franzosen und andere, sondern auch ihre Verbündeten — die Italiener, Rumänen, Ungarn wurden von den Deutschen als „niedere Rasse" betrachtet und dement sprechend behandelt. Ist es zu verwundern, daß zu der Zeit, als Mussolini, Antonescu, Filow und andere Hitlerknechte den Deutschen die Stiefel leckten, die Völker dieser Länder einen glühenden Haß gegen die Deutschen hegten? Ist es zu verwundern, daß Hitlers „Bündnis system" in die Brüche ging? Das deutsche Volk wird jetzt begreifen, warum das Bündnis der Vereinten Nationen in den für sie schwersten Tagen entstand und sich festigte, während die Ftitlerachse bei der ersten Prüfung auseinander fiel. Die Deutschen werden nun auch ver stehen, warum die Sowjetunion, die aus so vielen verschiedenen Nationalitäten besteht, dennoch stärker wurde in den harten Tagen des Krieges, und warum das Hitlersche „Reich" wie eine Seifenblase platzte. Es ist jetzt wohl ver ständlich, daß die Völker ganz Europas die Rote Armee als ihre Befreierin begrüßen und Hitlerdeutschland verfluchen. Es gibt für Deutschland nur einen Ausweg aus der Isolierung, das ist der Weg, der in den Beschlüssen Stalins, Churchills und Roosevelts auf der Krimkonferenz gewiesen wurde: „Erst wenn der Nazismus und der Militaris mus ausgerottet sein werden, besteht für das deutsche Volk die Hoffnung auf eine würdige Existenz und einen Platz in der Gemeinschaft der Nationen." Dresdner Soldaten über Mazi-Greuel Augenzeugenberichte des großen Verbrechens an Rußland BII!lllllll![MI!IIHIIII!limt1[ini!!llllll|IIMlfllllll!!l!1ll!||l!ll!I1lllll[1R!lt!IIl!lll!lt!llilll!l|||l!IMIIII!||NI!||HI!llll^lilll|||||ni!l||lll!ll)||!linilll!llllll![n Wettkampf in Chimki Mm Am 17. Juni wurde in der Sowjetunion die Verleihung des Leninordens an den Kommu nistischen Jugendverband gefeiert. Den Feiern schlossen sich Sportfeste an, in denen die Sowjetjugend ihre Errungenschaften zeigte. Unser Bild zeigt einen Wettkampf in Chimki, deih Flußhafen von Moskau. Ein Sonnenstrahl fällt durch das Fenster herein auf meinen Notizblock. Von ungefähr geht mir das Wort durch den Sinn: „Die Sonne bringt es an den Tag!" Denn es ist Ungeheuerliches, was aus, dem Block spricht. Ich habe auf ihm niedergeschrieben, was um mich gesprochen wird . . . Kameraden sind wir, die wir hier zu sammensitzen; ehemalige Offiziere und Soldaten der deutschen Wehrmacht aus Dresden. Unsere Gedanken gehen vier Jahre zurück, zu jenem schicksalschweren 22. Juni 1941, an dem wir, dem Befehl gehorchend, äuszogen, Rußland zu be siegen. In unserem Erinnern erstehen Siege, Strapazen, Not, Tod und Niederlage. Und es ist so, wo immer deutsche Soldaten zusammensitzen, da wissen sie von dem großen Verbrechen zu berichten, von dem Mord am Rande des Krieges, von dem Schlachten, das den Schlachten folgte. Wir sind ja die Zeugen dafür, wir, die Ueberlebenden. Wir selbst haben, verblendet, verführt, Handlangerdienste zu dem großen Verbrechen geleistet. Wir sprechen frei und offen über all das, was wir sahen und erlebten von dem großen Ver brechen, damit wir uns immer mehr unserer Mitschuld bewußt werden, und aus dem Wissen um unsere Schuld wollen wir die Kraft schöpfen, die wir brauchen zur Arbeit für die Tilgung der Schuld. So fing es an . . . Neben mir sitzt Georg Wyrsgalla vom r./St.-Rgt. 204/97. P.-D. Er spricht vom ersten Tag des Krieges gegen die Sowjetunion, vom 22. Juni 1941. „Ja, man hat uns schon richtig geimpft“, sagt er, „daß es Krieg mit Rußland gibt, hatte der Dümmste von uns spitz bekommen. Im Laufe der Wochen war zuviel aufgefahren um uns, und so ein alter Marschierer durch Polen und Frankreich wußte was das zu bedeuten hat. Da kam am Einundzwanzigsten der Befehl, in dem es hieß, der Krieg gegen die Bolschewisten sei ein anderer als gewöhnlicher Krieg. Das sei ein Krieg, in dem es nicht viel Pardon gebe und 'in dem alles über den Haufen geknallt werden kann und soll, was da irgendwie russisch quakt. Wir seien ja schließlich als Herren geboren und müßten uns allmählich die Knechte erzwingen. Unser Kommandeur legte gar keinen gesteigerten Wert darauf^ lange rumzufaseln, Rußland wolle uns unbedingt überfallen. Gleich nach dem Zweiundzwanzigsten be kamen wir eine neue Spritze, um uns reif für den Iwan zu machen. Man führte uns in Baracken, in (lenen man Russen zusammengetrieben hatte. Man hatte ihnen die Schädel kahl geschoren, man hatte ihnen keine Gelegenheit zum Rasieren und zum Waschen gegeben. So standen sie vor uns, verschreckt, verdreckt, verlaust. Da deutete einer mit den Fingern auf dieses Häufchen Elend und sagte: „Seht Jungs, das sind die, gegen die es jetz£ geht. Das ist keine Menschheit mehr, die sind gar nichts. Die sind nicht einmal wert, daß man sie lange gefangen nimmt und in die Heimat schickt zum Arbeiten. Das sind bloß unnütze Fresser. Nieder mit ihnen, mit diesen Teufeln aus der innerasiatischen Steppe!" Ja, so war es, man sagte uns, der Krieg gegen die Bolschewisten sei ein Krieg ohne Gesetze. Und so konnte es geschehen, daß der Führer unserer Funkstaffel, Feldwebel Schäfer vom I./204/97. P.-D., zwei wehrlose Russen umlegte, einfach ermordete. Ich hatte schon manchen fallen gesehen, manchen Polen, manchen Franzosen und auch manchen deutschen Kameraden. C'est la guerre! Aber daß man wehrlose Leute von hinten feig über den Haufen knallt, das sah ich nie zuvor. Die zwei Russen, von denen ich hier spreche, halten sich gefangen geben müssen. Ohne Waffen, mit erhobenen Händen, kamen sie auf uns zu. Feldwebel Schäfer befahl ihnen, weiter zulaufen. Als sie etwa 20 Meter hinter unserer Stellung waren, hebt er plötzlich den Karabiner. Zwei Schüsse — zwei Tote. Ich schreie „Feld webel . . .1" Da fährt er auf mich los: „Halt's Maul, sonst holt auch dich noch der Teufel". Da wußte ich, was gespielt wird, und mir grauste vor uns selbst . . Drei schaufeln sich das eigene Grab . . . „Mit Juden und sogenannten „Kommissaren" wurde vom ersten Tag an kurzer Prozeß ge macht", sagte der ehemalige Obergefreite Edwin Maseberg, 1. San.-Komp. 112. I.-D., der aus rus sischer Kriegsgefangenschaft zurückkam. „Ich kann mich da noch gut an ein Beispiel entsinnen, an einen Septembertag 1941 bei Gomel. Ich war gerade beim Stab des Regiments 256, als zwei Juden und ein „Kommissar" eingebracht wurden. Nachdem die drei Gefangenen vernommen waren, gab Hauptmann Kraß dem Oberfeld Braun Befehl, die drei Gefangenen sofort zu erschießen. Der Oberfeld führtä die drei etwa hundert Meter vom Gefechtsstand weg ins freie Feld, ließ sie dort ein Loch schaufeln und, noch ehe sie mit dieser Arbeit fertig waren, knallte er sie mit seiner 08 über den Haufen. Die Leichen ver suchte er mit dem Fuß in das Loch zu schieben. Als ihm das nicht gelang, mußte ich sie hinein werfen. Ich wollte sie noch mit der aufgewor fenen Erde zudecken, da verjagte mich Oberfeld Braun. Ich solle bloß schaun, daß ich mich weg mache, schrie er mich an, diese Hunde seien keine Schaufel Erde wert! Ich habe mich dann auch weggemacht, und zwar gründlich. Wenige Tage später war ich in russischer Kriegsgefangenschaft. Ich kam mit einer Verwundung, die sich immer mehr ver schlechterte, und schließlich wurde eine Blut transfusion notwendig. Ich bekam große Befürchtungen, denn wer sollte die Transfusion durchführen? • Da geschah das Wunder! Nein, es ist kein Wunder, bei den Russen ist das eine Selbstverständlichkeit! Ich kam in ein russisches Lazarett, und ein Rot armist spendete für mich deutschen Soldaten sein Blut. So sind die Russen ..." Der Massenmord in Poltawa „Niemals würde ich es glauben, wenn ich es nicht selber mit eigenen Augen hätte sehen müssen", erzählte Walter Bergmann, 1./93/19. P.-D. „Deutsche Soldaten, Kameraden von uns also, haben in Poltawa 600, Zivilisten ermordet. Damals im Herbst 1943 flohen wir, ein ge schlagenes Heer, zurück. Heute kommt es mir erst recht zum Bewußtsein, was das bedeutete, was wir am Rande der Rückzugsstraßen sahen: verbrannte Getreidefelder, ausgebrannte Dörfer. Kein Haus stand mehr, kein Stück Vieh lebte mehr, alles vernichtet, erschossen . . . An den Straßen Leichen von Zivilisten. Ich kenne die Methode . . ., wenn sie nicht mehr laufen konnten, wurden sie erschossen. Es durfte ja keiner Zurückbleiben. Poltawa. Ich kam mit den allerletzten “durch. Es war keine Städt mehr, es war ein einziger Trümmerhaufen. Genau so wie es im OKW.- Bericht zu lesen war. Weniger durch Kriegs handlungen zerstört, sondern vielmehr von un seren Pionieren gesprengt. Vor dem Museum lagen sieben Leichen, zehri- bis fünfzehnjährige Kinder. Und da sah ich etwas, was ich in meinem Leben niemals für möglich gehalten hätte. Da lag die Leiche von einem etwa fünfzehnjährigen Mädchen, vollkommen nackt, und es war unverkennbar zu sehen, man hatte die Unglückliche vergewaltigt und dann erschossen. Am Abend des gleichen Tages sprach ich mit einem SS-Unterscharführer über das, was ich in Poltawa sah. „Ja, was glaubt ihr denn", sagte dieser Mensch zu mir, „die russischen Schufte wollten nicht evakuieren. Da war zum Beispiel eine Familie, die blieb stur wie ein T 4. Wir mußte» ein Exempel statuieren und legten vor den Augen von Frau und Kind den Mann um. Die zwei Weiber wollten noch immer nicht gehen. Sie warfen sich heulend über die Leiche, und dort liegen sie jetzt noch und werden liegen Vedotett — uuiicketobed ~ auf gebaut! Das «neue Wasserkraftwerk Enso nahm seine erste Turbine in Betrieb Leningrad. Am 19. Juni wurde die erste Tur bine von 25 U00 Kilowatt des Wasserkraftwerkes Enso auf der Karelischen Landenge in Betrieb gesetzt. Die Turbine ist dem Leningrader Strom versorgungssystem angeschlossen. Abends nach Inbetriebsetzung der Station fand eine feierliche Versammlung statt, auf der dem Kollektiv der Erbauer die Wanderfahne des Staatlichen' Verteidigungskomitees über reicht wurde. * Das Wasserkraftwerk Enso am Fluß Wuoksa ist eines der jüngsten in der Sowjetunion. Der Bau begann im Frühling 1940 und ist der wich tigste Schritt zur wirtschaftlichen Erfassung der Karelischen Landenge. Die sich stürmisch entwickelnde Industrie Leningrads verlangte Strom. Millionen Kilowatt noch unausgenutzter Wasserkraft enthielten die Kaskaden des stürmischen Flusses Wuoksa, der zwei große Seen miteinander vereinigt — den Saimasee und den Ladogasee. Im Plan war die Errichtung dreier Wasser kraftwerke auf dem Flusse Wuoksa vorgesehen: Das 15 Kilometer vom Saimasee entfernte Enso, das 7 Kilometer weiter liegende R o u h i a 1 a und das Unter-Wuoksinsche Wasser kraftwerk. Das Wuoksa-System mit seinen zwölf Wasserturbinen von je 25 000 Kilowatt Stärke (auf jedes Kraftwerk kommen vier solche Tur binen) kann die Leningrader Industrie jährlich mit 1600 bis 1700 Millionen Kilowattstunden Strom versorgen. Im Jahre 1940 wurde dem Leningrader Stromversorgungssystem das erste Wasserkraft werk auf dem Flusse V/uoksa—Rouhiala an geschlossen. Es wurden zwei Wasserturbinen von je 25 000 Kilowatt in Gang gesetzt. Gleich zeitig begann man den Bau des Wasserkraft werks Enso. Das Kollektiv der Erbauer arbeitete mit großer Begeisterung. Im Sommer 1941 überquerte schon ein Damm das Bett des Flusses Wuoksa; die Hälfte des Maschinensaales war erbaut und die Montage des ersten Aggregats in vollem Gange. Im Juni 1941, gleich in den ersten Tagen des Vaterländischen Krieges, befand sich der Bau in der Frontlinie. Als letzte verließen ihn zu sammen mit der Grenzwache seine Erbauer . . . Sie kehrten im Herbst 1944 zurück, gleich nachdem die Rote Armee die Karelische Land enge vom Feind gesäubert hatte. An die Spitze des Bauwerks stellte sich wieder der junge ener gische Ingenieur Neporoshny. Ihm zur Seite stand auch wieder der mit dem Leninorden aus gezeichnete Hauptmechaniker Kartaschow, der schon am Bau von Wasserkraftwerken auf dem Wolchow und Swir teilgenommen hatte. Mit verdoppelter Kraft machte sich das Kol lektiv der Erbauer an die Wiederherstellung und Vollendung der Wasserkraftstation auf dem Wuoksafluß. Viele Mühe kostete es, die schweren, von den Eindringlingen zugefügten Schäden zu tilgen. Die von den Finnen fortgebrachte Ausrüstung wurde wieder zurückgestellt, doch es fehlten viele wich tige Teile. Man begann von neuem mit der Mon tage der Turbinen, Generatoren, Transformatoren und der übrigen Apparatur. Im Dezember 1944 und Januar 1945 wurden kurz nacheinander zwei Aggregate von je 25 000 Kilowatt auf dem Wasserkraftwerk Rouhiala in Gang gesetzt. Mitten im kalten Winter wurde auf eine Entfernung von 160 Kilometer eine neue Hochspannungslinie nach Leningrad gelegt. Gleichzeitig ging der Bau auf der Enso weiter. Man säuberte die halbzerstörte Station von den Trümmern, entfernte die durch das Feuer defor mierten Eisenbetonteile, beendete den Ziegelbau des Maschinensaales und baute Säge- und Kies werke. Große Arbeit verursachte die Wieder herstellung der Stromversorgung und der Eisen bahnlinien. Am 1. Juni wurde im Maschinensaal auf dem Turm des Generators eine rote Flagge mit dem Stern gehißt. Das bedeutete — der Generator ist aufmontiert und kann Leningrad bald Strom geben. Auf dem Bau begannen fieberhaft die Vorbe reitungen zur Inbetriebsetzung. Pünktlich war die Montage der Empfangszelle auf der Station Rou hiala beendet, über welche zeitweilig der Strom aus Enso nach Leningrad gehen wird. Die Lei tung Enso—Rouhiala wurde in 15 täqiqer Frist erbaut. Die Turbine wurde in Gang gesetzt, doch die angestrengte Arbeit auf dem Bau hörte nicht auf. In der abgegrenzten Hälfte des Maschinen saales fing schon die Montage des zweiten Aggregats an. Es wird gegen Ende des Jahres 1945 in Gang gesetzt werden und nach ihm die übrigen Aggregate von Rouhiala und Enso. Der eigenartige Wasserstand des Flusses Wuoksa, der das riesige Bassin des Saimasees reguliert, gestattet eine gleichmäßige Belastung des Kraftwerks zu jeder Jahreszeit, was beson ders wichtig ist. Auf diese Weise wird für die Industrie Lenin grads eine ergiebige Stromversorgungsquelle er schlossen. bleiben bis zum Jüngsten Tag. Denn lebend lassen wir dem Iwan keine russischen Arbeits kräfte. Sechshundert Poltawaer weigerten sich heute zu evakuieren, sechshundert haben ihre Sturheit mit dem Leben bezahlt . . Frauen und Kinder lebendig verbrannt Der ebenfalls bereits aus russischer Kriegs gefangenschaft entlassene Ernst Herrmann, 5. Lds.-Schtz.-Komp., 591. Batl., 304. Sich.-Div., erzählt: „Das Schlimmste, was ich persönlich erlebte, ereignete sich in eihem kleinen Dorf bei Tschemigow. Wir mußten das Dorf räumen. Die Russen waren so schnell angerückt, daß uns nicht einmal Zeit blieb, die Zivilisten zu eva kuieren. Da bekanntlich der Befehl vorlag, der Roten Armee dürften keine Zivilisten in die Hände fallen, gab der Kommandant des Dorfes, ein blutjunger Oberleutnant, den Befehl, alle Zivilpersonen, soweit man ihrer habhaft werden konnte, gewaltsam in ein bestimmtes Haus zu schleppen. 48 Frauen, Kinder und alte Männer waren schließlich in dem Haus zusammen gepfercht. Da gab der Oberleutnant, vier Stunden vor unserem Abrücken, den ungeheuerlichen Befehl, das Haus anzuzünden. Angehörige der Kommandantur kamen diesem ungeheuerlichen Befehl wirklich nach. Niemals werde ich die schauderhaften Szenen, den furcht baren Anblick, niemals die Verzweiflungs schreie, das Todesgewimmer vergessen. Eine Frau erschien plötzlich mitten in Rauch und Qualm am Fenster und warf einen Säugling mitten auf die Straße. Dann wollte sie nach- springen. Sie wurde abgeschossen, ihr Körper hing halb zum Fenster heraus. In mir ist an jenem Tag etwas zusammengestürzt. Ich konnte nicht mehr bei der Wehrmacht bleiben. So versteckte ich mich in einer Haus ruine und machte die nächste Absetzbewegung nicht mit. Als die Unseren weg waren, kam es mir erst in den Sinn, daß ich ja auf nichts anderes als auf den Tod warte, wenn ich mich den Russen gefangengebe. Es fiel mir ein, daß der Haß gegen alles Deutsche bei den Russen doch ein furchtbarer sein müsse. Es gab jedoch kein Zurück mehr für mich. Als ich mich dann den Rotarmisten stellte, erlebte ich die erste große Ueberraschung in russischer Kriegsgefangenschaft. Man behandelte mich nicht nur „gemäß den internationalen Be stimmungen über die Kriegsgefangenschaft", man war sogar ausgesprochen freundlich zu mir. Am meisten fiel mir auf, mit welcher Fürsorge sich die russischen Offiziere erkundigten, ob ich auch schon gegessen habe, ob die Verpflegung ausreichend sei. Dann kam der Marsch ins Lager. Es würde sich allein stundenlang über die gutorganisierte Lagerordnung, über die Sauberkeit im Lager, die gute, ausreichende Verpflegung, die vorbildliche ärztliche Betreuung und über die nach Möglich keit allen persönlichen Wünschen entsprechende Einteilung zur Arbeit erzählen lassen . . „Erschießt die Schweine!“ Der ehemalige Feldwebel Hans Schneider von der Kr.-Kw.-Komp., 112. I.-D. berichtet ein Erlebnis: „Es war an der Dnjeprschleife bei Iwankowo. Ich war erst kurz zum Stab des 285. Regiments kommandiert. Kommandeur war der berüchtigte Oberst Viebich. Als man eine Gruppe gefangener russischer Fallschirmjäger gebracht hatte, gab dieser Oberst nach der Vernehmung den Befehl: „Erschießt diese Schweine!" Zwei Kameraden aus meiner Einheit sollten den Befehl ausführen. Der Gefreite Michael Datz weigerte sich. Oberst Viebich tobte.' „Ihr Feiglinge! Ihr Memmen!" schrie er, „da werde ich Männer von meinem Stab nehmen, wenn ihr zu feig seid!" Und wahrhaftig, unter diesen Schjreiber- fritzen, die sonst nie einen Schießprügel in die Hand nahmen, fanden sich zwei Kreaturen, die die Russen etwa 300 Meter vom Regimentsstand entfernt erschossen und auf freiem Feld liegen ließen. Ich war zutiefst über diesen Mord erschrocken und unterhielt mich mit Feldwebel Pilz von der 13. Kompanie des 258. Regiments. Der sagte mir, daß dies nicht der erste Mord im Regiment 253 sei, und — solange ein Oberst Viebich mit seinen Kojoten lebe — auch wahrscheinlich nicht der letzte sein werde . . ." * So ersteht Erlebnis um Erlebnis in unserem Kreis. Noch lange erzählen die Kameraden, die sich auf Einladung der Schriftleitung der „Tages zeitung" zu einer Aussprache zusammengefunden haben. Ein Schriftleiter der Redaktion der „Tages zeitung" wies auf die zahllosen Verbrechen hin, die von Angehörigen des SD, der SS und der Wehrmacht in allen besetzten Gebieten, vor allem aber in der Sowjetunion vollbracht worden sind. Es sei eine der wichtigsten Aufgaben in der Neuerziehung des deutschen Volkes, den Fa schismus restlos zu entlaßen und allen Deut schen die Augen zu öffnen, damit sie sehen lernen, was wirklich geschah. Dabei mitzuhelfen, sei moralische Pflicht jedes Deutschen.- Gerade die ehemaligen Angehörigen der Wehrmacht seien meistens Augenzeugen der großen Ver brechen geworden, und sie könnten Einzelheiten und Beiträge zu diesem Thema liefern. Heute wisse jeder Deutsche, daß die Rote Armee nicht gekommen sei, um Rache zu nehmen. Aber es müßten die negativen Seiten des deutschen Volkes beseitigt werden. Dazu aber sei es unbedingt notwendig, daß das deutsche Volk diese negativen Seiten in seinem vollen Umfange und seiner furchtbaren Trag weite erkennen lerne, und deswegen müsse es die Wahrheit erfahren, die ungeschminkte Wahr heit, so wie sie der deutsche Soldat selbst erlebt habe. Die Schriftleitung der „Tageszeitung" ruft jeden pflichtbewußten ehemaligen Offizier und Soldaten der Wehrmacht auf, durch Beiträge über eigenes Erleben mitzuwirken an der großen Aufgabe der Entlarvung des Faschismus und der Neuerziehung des deutschen Volkes. Fritz Sigl
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