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Tageszeitung für die deutsche Bevölkerung : 15.06.1945
- Erscheinungsdatum
- 1945-06-15
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id425384225-194506153
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id425384225-19450615
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-425384225-19450615
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Tageszeitung für die deutsche Bevölkerung
-
Jahr
1945
-
Monat
1945-06
- Tag 1945-06-15
-
Monat
1945-06
-
Jahr
1945
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Alfred Hosenbeig Die Bauern bereiten die Ernte vor der „Theoreiiker"des F aschismus Einer der Hitler am nächsten stehenden Naziführer war „Reichsleiter" Alfred Rosenberg. Er spielte in der Hitlerpartei die Rolle des „Haupttheoretikers"i unter einer pseudophilo sophischen Maske tarnte er seine Gier nach Macht und Bereicherung. Als Leiter der zentralen Presseorgane der Hitlerpartei — des „Völkischen Beobachters" und der „Nationalsozialistischen Monatshefte" — und als Beauftragter Hitlers auf „ideologischem" Gebiet hat Rosenberg in seinen Schriften und durch seine gesamte Tätigkeit das Bewußtsein der Deutschen vernebelt. Rosenberg spielte immer heuchlerisch die Rolle eines Menschen, der nur an der Propa ganda nazistischer Theorien interessiert sei. Oft genug hat er in seinen Reden pathetisch aus gerufen, daß ihn keine materiellen Güter inter essierten. Doch seine vor der Oeffentlichkeit geheimgehaltene Tätigkeit steht in krassem Widerspruch zu diesen scheinheiligen Erklärun gen. Schon vor 25 Jahren beschäftigte sich Rosenberg mit Erpressungen. Durch Erpressun gen einiger Münchner Firmen mit Hilfe ge fälschter Papiere gelang es Rosenberg in den Jahren 1920/21, sich auf schmutzigste Weise ein ansehnliches Vermögen zu schaffen. Doch in kurzer Zeit hatte er diese Mittel wieder ver geudet und benutzte auch späterhin, als er schon einer der Führer der Nazipartei war, Hoffnungen, Sorgen und Arbeit der Landwirtschaft ivH'.y-'-' AW« nicht selten die Erpressung als ein Mittel zur Be reicherung. Ein Opfer Rosenbergs wurde u. a. sein Freund Hans Kellermann, Inhaber einer Süßwarenfabrik in Bayern, den Rosenberg in eine Sache mit gefälschten Wechseln verwickelte. Rosenberg gehört zu den Hauptkriegsver brechern. Er war ein eifriger Anhänger der Entfesselung des Krieges gegen die demokrati schen Staaten, insbesondere gegen die Sowjet union. Dabei verfolgte Rosenberg, wie sich 1941 nach seiner Ernennung zum Minister der be setzten „Ostgebiete" herausstellte, eigennützige Ziele. Als Minister für die besetzten „Ost gebiete" zeichnete sich Rosenberg nicht nur durch bestialische Gewalttätigkeit gegen die Bevölke rung und die Verwüstung blühender Gegenden aus, sondern auch durch grenzenlose Habgier. Mit Hilfe eines speziellen, ihm persönlich Unterstellten Apparates eignete sich Rosenberg riesige Reichtümer an. Er nahm alles, angefan gen mit Gold, Kunstwerken und Museumsstücken bis zum Zuchtvieh. Er wurde Inhaber großer Güter und Industrieunternehmungen. Diese Güter und Werke waren von jeglicher Steüerabgabe befreit. So ist es begreiflich, daß das Guthaben Rosen bergs in den deutschen Banken und im Ausland dauernd anwuchs. Während des Krieges zog es Rosenberg vor, sein Einkommen in ausländischer Valuta und in Wertsachen anzulegen. Hierbei bediente er sich der Schwarzen Börse. Sein Hauptagent in dieser Sache war der Kapitän zur See Lüth, der eigentlich kein Flottenoffizier, son dern Börsenspekulant war. Dieser Kapitän Lüth Im Winde wogen Roggen und Weizen rechts und links un seres Fahrtweges. Auch frischgrüne Kartoffel Schläge, Futterrüben- und Oelfruchtäcke’ eilen an unserem BJicl vorüber, während sic unser Wagen westlich Dresden nach den so genannten „Oberdör fern" hinauf schraubt Ein fruchtbares Stück Land liegt vor den Toren der Stadt. Schwer tragende Kirschbäume säumen die Straßen und Feldwege. Der regnerisch bewölkte Himmel hängt wie eine Verheißung über den saftigen Wiesen und Aeckem, die dieses Jahr nicht ausgedorrt sind, sondern das rechte Wachstumswetter hatten, jene Mischung von Wärme und Nässe. Ueberall auf den Feldern werden Kartoffeln „ge häufelt", Unkraut geeggt, Rüben gehackt, Heu ge- fudert, dem freilich heute die Sonne fehlt. — Die Höfe sind leer zu dieser Nachmittagsstunde, nur die Oma hütet das Haus. Alle Hände werden draußen gebraucht. Gute Ernte zu erwarten Der alte Bauer P. führt uns zum Ortsbürger meister, der sich aller Sorgen und Wünsche seiner Bauern annimmt und sie auch dem Land rat und dem Ernährungsamt gegenüber vertritt. Bauer P. erzählt uns, was für die Ernte not wendig ist. Wir sitzen in der niedrigen, gemüt lichen Stube des Ortsbürgermeisters, der sich er läuternd und klärend ins Gespräch einschaltet, denn der alte P. rutscht gern mal vom Thema ab, aber er ist einer der ältesten Bauern hier im Bezirk und kennt jede Wiese und jeden Hafer schlag. Es gibt eine gute Brotgetreide ernte dieses Jahr, sagt er. Roggen und Weizen stehen gut, wenn auch nicht gerade mit einem Rekorderträgnis zu rechnen ist, aber gott lob doch so, daß man zufrieden sein kann. Er spricht bedächtig. Er sagt lieber mal etwas weniger als zuviel. Nur der Raps, die kost bare Oelfrucht, ist in diesem Bezirk schlecht ge raten. Einige Bauern haben ihn wieder um geackert. Wie es mit dem Einbringen der Ernte sei, frage ich, ob genug Arbeitskräfte da seien? Hände hätten sie gShüg, antwortet der Orts bürgermeister, nur Pferde fehlen und Zugmaschinen. Der Krieg habe ihnen zu viele Gespanne und Geschirre weggeholt. Sie hoffen, daß der Zweckverband von Cossebaude, zu dem sich die Bauern dieses Bezirkes nach dem Zusammenbruch zusammenschlossen, für Ab hilfe sorgen werde. Denn die Ernte müsse gerade in diesem Jahre bis auf den letzten Halm unter Dach., .Sie haben sich schon einen Trak tor beschafft, der zur Erntezeit bei den Bauern umschichtig benutzt wird und beim Einfahren deponierte Rosenbergs Reichtümer im Ausland. Nachdem die Rote Armee die Hitlertruppen aus der Sowjetunion vertrieben und somit Rosen berg seines Ministerpostens enthoben hatte, ver schwand er auf einige Zeit vom politischen Schauplatz. Er stellte sogar seine Artikel und Reden ein. Das Ende des Nazisystems in Deutsch land vor Augen, ging Rosenberg jetzt eifrig an die Sicherung der von ihm zusammengeraubten Reichtümer. Er fuhr inkognito ins neutrale Aus land, wo er seine Kapitalien unterbrachte. Zu sammen mit Kapitän Lüth war er in der Schweiz, in Spanien und in Portugal. Erst kurz vor Beendigung des Krieges wandte sich Rosenberg an die Deutschen mit einem Aufruf, den Truppen der Antihitlerkoalition er bitterten Widerstand zu leisten. Doch zu dieser Zeit waren schon seine eigenen Koffer gepackt. Es ist Rosenberg jedoch nicht gelungen, irgend wo unterzutauchen. Am 18. Mai wurde er von den amerikanischen Behörden in einem Flens burger Krankenhaus entdeckt. Auch dieser Nazibandit wird der gerechten Strafe nicht entgehen. J. Kastrow Schädlinge müssen bekämpft werden — Auf den Feldern von Podemus Aufnahme Chanow eine große Hilfe bedeutet. Mitte Juli etwa wird man mit dem Schnitt beginnen. Augenblicklich sind alle beim Distelziehen, da mit das Schmarotzergewächs der Frucht nicht zu viel Wachstumskraft wegnimmt. Nein, aus der Stadt brauchten sie keine Ar beitskräfte. Der alte P. schmunzelt, die Leute meinten es ja ganz gut, aber sie verstünden zu wenig von der Landarbeit und könnten auch durchweg nicht kräftig zupacken. Manche böten sich nur an, weil sie glaubten, sie könnten sich mal gut durchfuttern. Ja, wenn er einen er fahrenen Großknecht 'bekommen könnte, einen der für drei anpacke! Den könnte er schon gut gebrauchen. So aber arbeite man günstiger, mit den Frauen aus dem Dorf. Die wüßten, worauf es ankäme. Ob übrigens wie bei den Nazis alles abgeliefert werden müsse? Ob sie gar nichts für sich behalten dürften? Nein, nein, das sei nicht die Absjcht, sagt der Ortsbürgermeister. Sie würden nicht auf Lebensmittelmarken gesetzt, und auch die Buttermaschinen würden nicht be schlagnahmt. Die neue Zeit appelliere an das Gewissen und die Selbst* erziehung der . Bauern, wolle sie aber nicht bevormunden. .Wer gut und gewissenhaft abliefexe (und das sei in diesem Jahre lebens notwendig!), der solle auch für sich zu leben haben. Das alte Bauernsprichwort, dem Ochsen, der da drischt, soll man das Maul nicht ver binden, habe heute wie je seine Gültigkeit. Traktoren und Pier de sind nötig Wir. fahren ins nächste Dorf. Die Straßen liegen wie ausgestorben. Alle Landleute sind draußen bei der Feldarbeit Auf dem größten Hof treffen wir die Altbäuerin. Sie ist hier auf gewachsen, sie weiß, was nottut. Ihr Sohn, der Jauer, liegt krank im Bett. Sie muß sich um alles kümmern. Ja, das Getreide verspreche recht gut zu werden, auch der Hafer, sagt sie. Nur das Gemüse habe gelitten, weil der schlimme .chädling, der Erdiioh, des vielen Regens wegen habe nicht genug bekämpft werden können. Die Kartoffelernte verspreche mittelgut zu werden, wenn es gelänge, das Unkraut wegzueggen. Leider habe man das einige Wochen nicht tun .önnen, weil Pferde fehlten. Für das Ein bringen der Ernte seien* Traktoren nötig, sonst könne man es nicht schaffen. 240 Morgen Land, die ihr Sohn bewirtschafte, verlangten eben Gespanne, kräftige Fäuste, Zug kraft. Die Kirschen seien dieses Jahr erfreu lich reichlich, auch Birnen und Aepfel haben bei dem ausgezeichneten Wachstum weiter gut angesetzt. Auch hier sei leider der Raps schlecht geraten. Der Schädlingskäfer konnte nicht genug bekämpft werden. Ueber- baupt sei das letzte Kriegsfrühjahr für die. Bauern schwer gewesen. Glücklicherweise habe das Wetter viel wieder gut gemacht. Dünge mittel könnten sie noch gebrauchen für Kartoffeln, Runkelrüben und Gemüse. Wenn die rasch in die Erde kämen, gäbe das noch eine gesteigerte Ernte. „Bauernarbeit ist schwere Arbeit", sagt sie, als sie uns zum Abschied die Hand reicht. „Aber , wir kennen es nicht anders und wollen es nicht anders. Hauptsache, es gedeiht. Und gottlob, wir bekommen ein gutes Erntejahr." Während wir zur Stadt zurückfahreri, sehen wir überall auf den Feldern den Segen der Erde. L T nd wir nehmen die Gewißheit mit heim, daß der Bauer alles tut, unsere Ernährung zu sichern. Bringen wir seiner nicht leichten Aufgabe Ver ständnis entgegen und helfen wir ihm, wo wir es nur können! ‘ Lutz Dresdner Polizei im neuen Geiste Der neue Kommandant der Dresdner Ord nungspolizei, Hermann Vogt, hat ein unvor stellbares Chaos in seinen Dienststellen vor gefunden. Nicht nur schriftliche Unterlagen, auch die Einrichtung der Geschäftszimmer und Unterkünfte für die Männer der Polizei waren vernichtet oder unbrauchbar. In diesen Augias stall nazistischer Erbschaft Ordnung zu bringen, war nicht einfach. Obwohl in der Hinsicht noch viel zu tun ist, hat die Ordnungspolizei ihren schweren Dienst sofort auf genommen und arbeitet Tag und Nacht. Vermißtenanzeigen, Diebstähle, Todes anzeigen laufen stündlich ein und werden sach gemäß erledigt. Unberechtigte Beschlagnahmun gen werden rückgängig gemacht. Von den Pro viantämtern zwar freigegebenes, aber in unver antwortlichen Mengen gehamstertes Gut wird Fürsorgestellen, Kinderheimen, Durchgangsstätten für KZ-Entlassene usw. zur Verfügung gestellt. Die Ordnungspolizei versieht den Streifen dienst, nächstens wird der Verkehrs schutzmann an wichtigen Straßenkreuzun gen zu sehen sein. Das Publikum muß sich wie der an eine vorschriftsmäßige Verkehrsdisziplin gewöhnen. Das Meldewesen wird neu aufgezo gen, Hauswarte eingesetzt und neuartige Haus tafeln eingeführt. Zu der bereits bekannten Uniform mit gelb- schwarzer Armbinde bekommt der Polizist eine Kokarde in gleichen Farben an die Mütze. Dienstgradabzeichen für den Wachtmeister, Oberwachtmeister, Hauptwachtmeister, Melder der Ordnungspolizei und die Uniform für Polizei offiziere sind vorgesehen. Diese rein äußerlich uniformen Merkmale sind notwendig. Der Geist der neuen Polizei und der Ton im Verkehr mit dem Publikum wird im Gegensatz zu früher ein grund legend anderer sein. Der berüch tigte Feldwebelton und der Gummi knüppel gehören der Vergangen heit an! Die Polizei will Freund und Helfer der Bevölkerung sein. Aber auch das Publikum soll der Polizei helfen. Fort mit dem „Ich mag mit der Polizei rlichts zu tun haben!" Wird man Zeuge irgendeines Vor falls, so hat man die Pflicht, seine Aussage zu machen, aber nur dann natürlich, wenn man wirklich Positives weiß. Haussuchungen und Festnahme verdächtiger Per sonen werden nur durch die mit Aus weis versehenen Po1 i z e i organe vorgenommen. Andere, die dies vornehmen wollen, soll die Bevölkerung festnehmen lassen. Dresdner! Meldung machen, wo es notwendig ist! Kleinkram, etwa Hauszänkereien, der Polizei fernhalten. Hütet euch vor Falschmeldungen! erst nachdenken, dann handeln. Nachstehend ein Verzeichnis der Polizei reviere: ,1. bis 5. ausgebombt 6. Theaterstraße, Dresden A 1 7. Flensburger Straße 96, Stetzsch 8. Roquettestraße 59, Briesnitz 9. Löbtauer Straße 2, Friedrichstadt 10. Tharandter Straße 5, Löbtau 11. Reichsstraße 2, Räcknitz 12. Bernhardstraße 62, Plauen 13. RoßmäßlerStraße 14, Mickten 14. Trachenberger Straße 6, Trachenberge 15. Hechtstraße 30, Albertstadt 16. Erfurter Straße 1, Neustadt 17. Königstraße ff, Neustadt 18. Bautzner Straße 109, Neustadt 19. Hechenbergerstraße 34, Weißer Hirsch 20. Bodenbacher Straße 52, Gruna 21. Augsburger Straße 91, Striesen 22. Tauernstraße 14, Laubegast 23. Herbert-Norkus-Straße 1, Leuben 24. Tornaer Straße 28, Reick 25. Lockwitzer Straße 4, Leubnitz 26. Holbeinstraße 145, Striesen. H. M. Vertreter von Kunst und Wissenschaft haben das Wort Zum Beginn des Neuaufbaues Vor über einem Monat nahm der blutigste aller Kriege sein Ende. Die Besetzung begann. Es ist verständlich, wenn unter der Fülle der Er eignisse, der Leiden und Lasten, die ein solches Geschehen für jeden von uns bringt, der Blick für die Bedeutung und den Inhalt dieses schick salschwersten Monats im Leben unseres Volkes zunächst getrübt bleibt. Und doch ist mehr denn je gerade jetzt Klarheit nötig, um den Weg weiter nach vorwärts zu finden. Ziehen wir des halb, so kurz die/Spanne Zeit auch sein mag, un voreingenommen und ehrlich eine erste Bilanz. Rückblickend erscheint es uns Deutschen, und um wieviel mehr noch der Welt, fast unerklär lich, wieso wir den Weg von 1933 bis 1945 gehen konnten, was wir durchlebten und was wir er litten. Und doch sind die tiefsten Wurzeln der Macht und Gewalt Hitlers heute klar erkennbar. Hitler mißbrauchte die Unzufriedenheit weiter Kreise, denen die Gesundung des deutschen Volkes zu langsam ging. Ihnen warf er seine Verheißungen und Versprechungen entgegen, die um so mehr Glauben fanden bei den aufgereiz ten Massen, je toller und verstiegener sie waren, denn er hatte von Anfang an die Lüge bewußt seiner Propaganda zugrunde gelegt. Es ist nicht wahr, daß mit Hitler ein un geheurer Aufschwung der Wirtschaft eingesetzt hatte. Was kam, war nur eine Scheinblüte, ähn lich der Inflation. Denn das, was die Wirtschaft „belebte", war ausschließlich Rüstung, Vor bereitung für den Krieg, also wirtschaftlich ge sehen unproduktiv. Man sage nicht, daß wir von den anderen Völkern bedroht gewesen wären. Sie hatten die ungeheure Ausweitung der Macht Hitlers, die allgemeine Wehrpflicht, die Rheinlandbesetzung, die Besetzung Oesterreichs und der Tschecho slowakei hingenommen. Auch das Problem- Danzig und die Korridorfrage hätte sich auf friedlichem Wege bereinigen lassen. Hitler aber lehnte von Anfang an eine friedliche Lösung ab. Er führte seinen Krieg und verlor ihn. Er hat mit dem von ihm angezettelten Krieg unendliche Leiden über das deutsche Volk und darüber hin aus über die ganze Welt gebracht. Man darf des halb nicht erwarten, daß nach dem Ende eines solchen Krieges und dem Sturze der Hauptver antwortlichen, der Hitlerclique, nun ohne wei teres wieder da angeknüpft werden könnte, wo wir 1933 standen. Die Schuld, die wir in den letzten zwölf Jahren als Deutsche auf uns ge laden haben, läßt sich nicht wieder mit einem Federstrich auslöschen. Wir müssen ganz von neuem anfangen mit dem Wenigen, was uns ge blieben ist. Das mag uns fast hoffnungslos erscheinen und doch ist es das nicht. Dessen sollen wir un: mit aller Deutlichkeit und Klarheit in diesei Stunde erstmaliger Rechenschaft bewußt werden. Freilich, der Weg ist weit, und die Lasten, die auf uns liegen, sind groß. Die Deklaration der alliierten Mächte vom 5. Juni zeigt uns das aufs deutlichste. Aber am Ende dieses Leidensweges steht als Zukunft und Hoffnung doch wieder Deutschland, ein neues, freies, schaffendes Deutschland als geachtetes und gleichberechtig tes Mitglied unter den Völkern der an sich so reichen, allen Nahrung gebenden Erde. Wann dieses Ziel Wirklichkeit wird, hängt zum wesentlichen Teile von uns selbst ab. Viele unserer besten Kräfte sind nicht tot. Sie sind trotz des brutalen Seelen- und Gewissenszwanges der vergangenen zwölf Jahre schöpferisch geblieben. Daran hat auch die Selbstvergötterung Hitlers, der denjenigen an Freiheit, Existenz und Leben strafte, der diese Anbetung verweigerte, nichts zu ändern ver mocht. Die Götzen sind gefallen, die Bahn ist wieder frei. Wir dürfen uns der Kräfte unseres Geistes wieder bewußt werden, dürfen frei von dem sprechen, was unsere innerste Seele bewegt, dürfen die Achtung der Welt wie dergewinnen für das wirkliche Deutschland, wie es in einem Mozart, Bach, Beethoven, Goethe, Schiller, aber auch in den großen Leistungen von Wissenschaft und Wirtschaft sich, gezeigt und bewährt hat. Wir wissen aber auch, daß die Welt diese Neugestaltung Deutschlands, die unser Werk sein muß, erwartet. Wir sehen es in allen Dingen, daß uns die Besatzungsmacht hilft und unseren Neuaufbau fördert. Nicht trotz, sondern gerade mit Hilfe der Besatzung geht es überall vorwärts. Wir sehen Fas an unserem Dresden. Die Ernährung ist verbessert und gesichert. Der Verkehr beginnt sich wieder zu entwickeln. Die Verwaltung bringt Ordnung in das chaotische Erbe diabolischer Zerstörungswut. Schule, Kunst, Wissenschaft rüsten sich zu neuer Arbeit. Die Wirtschaft baut für dpn Frieden wieder auf. Jeder Vernünftige und Einsichtige muß be stätigen, daß schon im ersten Monat mehr ge schaffen worden ist, als wir hätten erwarten dürfen. Aber gerade das zeigt uns die Größe der Auf gabe, die noch vor uns steht. Alle die hoffnungs vollen Ansätze des Neuaufbaues müssen er weitert, gesichert werden. Die Organisation der Verwaltung wird immer größere Gebiete zu um fassen haben. Die Rechtspflege bedarf eines gründlichen, vollständigen Neuaufbaues Ent scheidend ist in dem allem die Auswahl wirk lich geeigneter Persönlichkeiten. Wir haben mit Schaudern gesehen, wie unter Hitler eine Fülle unfähiger, sogar korrupter Menschen, hohe und höchste Aemter bekleidet und durch Unfähig keit und Eigensucht unsägliches Elend ver schuldet haben Damit ist es heute endgültig vor bei. Leistung und Charakter dürfen allein ent scheidend sein. Mit Ernst und gerechter Härte muß ausgeschieden werden, was untragbar ist. Das erfordert Zeit, Geduld und Verständnis. Was also ist die Bilanz dieser ersten Wochen? Einmal offenbart sie uns die ungeheure Größe der Katastrophe, in die das deutsche Volk unter der von ihm geduldeten verbrecherischen Hitler führung ging, und für das es nun als mitverant wortlicher Teil nach Möglichkeit die Schuld ab- »ragen muß. Es erweist sich aber weiter, und das ist das Entscheidende, daß die Krise überwunden ist. Wir mußten erst wieder innerlich frei wer den. Das aber ist der Anfang des Weges auch zur äußeren Freiheit. Prof. Dr. jur. Kästner
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