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Sächsische Volkszeitung : 10.12.1940
- Erscheinungsdatum
- 1940-12-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-194012104
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19401210
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19401210
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1940
-
Monat
1940-12
- Tag 1940-12-10
-
Monat
1940-12
-
Jahr
1940
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 10.12.1940
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Uarl Hilty, ein freund Gottes Von I. Lortzing, GZttingen ni. Es ist eine für Hiltys Verehrer naheliegende Krage, wie er sich zn der grasten deutschen Umwälzung und überhaupt zum modernen sozialen und autoritativen Staat gestellt haben wurde. Kür seine soziale Seite hätte er ohne Zweifel ein gutes Verständnis gehabt. Im übrigen gibt uns der erste Ab schnitt des zweiten Bandes, der Erziehungs fragen behandelt, einige Fingerzeige. Zunächst war der völ kische Gesichtspunkt Hilty keineswegs fremd. Er bezeichnet sS. 17 obj die germanische Blutgemcinschaft und Vluttreue als „etwas Herrliches". Mit dieser Wertschätzung hängt sein Sinn für das Hewenmäßige zusammen. Ohne Heroismus ist für ihn ein großes Leben nicht denkbar. Es ist snach S. 18 ob.) „unser wahrer Lebenszweck, hier als Helden zu leben und zu sterbcn, und unseren germanischen Vorfahren kam sogar ein Himmel ohne Kampsesfrcudigkeit und Heldentum als eine sade und für rechte Leute ganz unmögliche Sache vor." Kür eine Mutter ist es »ach seiner Meinung „schöner, einen Adler ausgcbrütet zu haben als einen Haushahn" sS. 21). Auch für die hohe Be deutung des Vererbungsgesetzes hatte er schon einen merk würdigen Blick, der ihm die Ehe als „etwas furchtbares" er scheinen ließ, „aus dein Elend in der Anlage für Generationen von Nachkommen erwachsen kann; und niemals sollte man Kinder In eine Im echten Sinn geringere Kamilie hcirathen lassen" sS. 11). Sein Dringen auf Ordnung, Pünktlichkeit und Arbeitssamkeit sS. 14 ob.) sowie auf Befestigung im Cha rakter der jungen Menschen statt einer bloßen Ausstattung mit Kenntnissen sS. 22 unt.). ferner auch sein Kampf gegen die Erziehung zu einem allgemeinen Dnrchschnittsmast von Ci- vilisatlon sS. 20) darf als ganz modern angesprochcn werden. Beherzigenswert sind jedenfalls noch heut? seine speziellen Re geln und Ratschläge, die er für die Erziehung gibt, z. B.: „Tie Grundlage des Charakters muk in dem Kinde gelegt sein, ehe es zur Schule kommt" sS. 14 ob.: vgl. S. 18 ob). „Die Schuss sollte eine Krcude für den jugendlichen Menschen sein", die Schulzeit eine Quelle freudiger Erinnerung sür das ganze Le ben sS. 14 unt.). „Leicht ist das Leben nicht: das müssen auch die Kinder schon wissen und sehen, daß es Arbeit, Tapferkeit und Selbstüberwindung verlangt"; aber ebenso, „daß es schön sein kann für die tapferen und braven Leute" sS 17): Kapitu lationen smit den Bösen) sind schlimmer als Niederlagen iS. 16). Daß Hilty auch in diesem Kapitel seinen christlichen Standpunkt wahrt sS. 15 f.), versteht sich bei ihm von selbst. — Mit diesem ersten Kapitel des ziveiten Bandes hängt das zweite „Vom Umgang mit Menschen" insofern zusammen, als man in dieser Hinsicht ohne Wohlerzogenheit das Richtige nicht treffen kann. Kreilich bedarf es dazu auch der Menschen kenntnis sS. 24). zumal den Krauen gegenüber sS. 40 ff ). Die beste Anleitung hierzu gibt uns Gottes Geist, der allein aste Menschen vollständig kennt und die Liebe zn Ihm gibt uns die Kraft zur Liebe zu den Menschen sS. 42). Diese entfaltet sich in einer einfachen, natürlichen und aufrichtigen Freundlich- keit zu jedem, der uns begegnet, die den Eindruck des Frie- dens hinterläßt sS. 25) und letztlich „ein Abglanz der Gnade 'und Freundlichkeit Gottes" ist. Auch die Höflichkeit ist ein Ausdruck derselben sS. 27). H. empfiehlt S. 28 die vier Regeln schen zufällt. Nach S. 70 ff. kann die Liebe nicht aus unseren eigenen Kräften entspringen; sie wurzelt in der Liebe zu Gott, und diese ist ein Gesä-enk der Gnade <S. 82). Eg bedarf eines anderen Herzens sdieses „andere Herz", das allein dem Egois mus überlegen ist, hat kein Mensch von Natur), „das Gott über alles liebt" und dann auch allen Geschöpfen wohlwollend zugeneigt ist" sS. 180). „Alle sogen. Menschenliebe ist ohne die Wurzel einer starken Liebe zu Gott s„Aus der Gottesliebe entsteht unfehlbar die wirkliche Liebe zu allen Geschöpfen", S. 50 unten) ein Selbstbetrug". Dio echte Liebe aber ist ein Lebensstrom, der sich wieder durch die Menschheit ergießen muß. Denn „ohne Liebe ist die Welt mit all ihre» Natur schönheiten, Künsten und Wissenscixrften nur ein sehr arm seliges Ding" sS. 81). Das Christentum ist Liebe zu Gott und den Menschen sS. 60). Die Liebe gestaltet sich zur Treue sS. 61). sie überwindet die ihr entgegcnstehenden Hindernisse <S. 62 ff ), vor allein die Furcht, die Sorge, die Eitelkeit, aber auch Neid, Geiz und Zorn <S. 63). Sie entfaltet sich in der Gewöhnung zur Freundlichkeit, die selbst im Gesichtsausdruck zu erkennen sein und sich besonders den Armen und Kleinen gegenüber zeigen soll. s.H. empfiehlt die Befreundung mit den fog. „kleinen Leuten". Auch Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit find Aeußerunaen der Liebe. Die Liebe lehrt die Menschen neh men, wie sie sind sS. 70), und sie individuell behandeln sS. 72). Sie verleiht „die Kraft zur Ueberwindung aller Nebel"; gegenüber den Gefühle» der Schwäche, des Bedrncktseins, der Enttäuschung. muß sie durch eiuen Entschluß erneuert werden sS. 73). Ihr größtes und bestes Teil ist das Mitleid, und hier mit mache mau den Anfang. Ein Hilfsmittel zu der schwierigen Hebung der Fe in desliebe ist n. a die Erwägung, „daß Feinde meistens wirksame Werkzeuge Gottes sind", so daß sie manchmal mehr nützen als Freunde iS. 65). Vollkommene Liebe ist „nach allen Seiten unseres Erdenlebens letztes Ziel, wohin wir aclangen müssen, um zu einer richtigen Fortsetzung desselben fähig zu sein" sS. 70). lNach dein 3 Gesang von Dantes Paradisa. den H S. 60 anführt, erglänzt „der Liebe Kraft" im Antlitz der Seligen: ihr Sein ist ein „Sein in Liebe", V 58 77.) — Bewußte Anlehnung an Dante kenn zeichnet den fünften Abschnitt „vom Werden und Wachsen" ss. S. 87 unten 88 Mitte. 01 oben, 104 oben). Die Entwicklungsstufen des menschlichen Lebenslaufs cntsvre- chen deutlich den drei Stufe» bei Dante: Hölle sInferno). Rci- nigungsort sPurgatorio) und Paradies sParadiso). Wie bei Dante beginnt der Mensch „im Mittelvunkt des Menschenle bens" lin den 30er Jahren) im dunklen Wald des Wrltgetriebes seine Wanderung, die ihn zunächst durch die „Nachtgebiete der Menschheit", durch den ..Rauch und Dunst eines falsä»eii Lo bens", durch die Hölle der Verzagtheit in das Stadium der Reinigung, des Purgatorio, führt sS. 00). Die Versuchungen zum Aufgeben des Ausstiegs müssen als Ausruf Gottes zu einem „Vorwärts" betrachtet werde» Das Lebe» wird ein beständiger Kampf in einer neuen Gotteskrast mit den, „na türlichen Menschen", -der ein Egoist und Genußmensch ist nnd bleibt. Es ist die subjektive Seite der „Erlösung", daß die Gotteskrast den Mensche» — oft sogar in einem Augenblick — von den angeerbten, bisher vergeblich bekämpften bösen Nei gungen frei macht. Hüte» inuß man sich aus diesem Wege „höher hinaus" vor Selbstqunlerci: man tut sogar gut, in einer gewissen Periode des Lebens die menschliche Natur als gut (doch ist H. iveit von einer optimistische» Auffassung entfernt. Sagt er doch geradezu, daß der Mensch als Tier, aber mit «inen» Funken göttlichen Geistes und Wesens, der entwickelt werde»» muß, geboren werde; S. 105. vgl. 108 unten: 165 oben) und als für ein höheres Leben bestimmt anzusehen lobivohl der Mensch nur durch die Gnade gerettet werden kann) nnd sich dadurch zu einen» enetschiedene» Vorwttrtsdrinaen antrcibcn zu lassen. Zwar wechseln auch jetzt noch die Stimmungen der Freudigkeit und der Dunkelheit, aber der aus Gott gerichtete Wille laßt eine letzte große Schmelzung siegreich überdauern, und so führt die Wanderung aus dein Puraatario zum Para disa. in welchem das Aufhöreu des „Ich" erreicht wird, und der Geist, dem Feuer gle-ch, unaufhaltsam in die Höhe zu Galt strebt. Der Weg zu diesem Neuland ist „Gottcsaehorsam bis sn die kleinsten Dinge hinein" lS. 04). Das Unangenehme wird dabei in größerer Fülle als bei anderen Menschen eriebt. aber es muß zum Ueberwinden, als göttliches Erziebnngsni'Itel benutzt werden. Es bedarf nur noch des einfachen Vertrauens ans die Führung Gottes, der sich fortan am Menschen sogar freuen kann lS. 06 f). Tas Leben nach den Reaeln der Berg predigt ersärcint jetzt dem Menschen natürlicher als das ge wöhnliche. Das Ganze ist die Wiedergeburt lS. 07). das Wer den des neuen Mensche»» iS. 100) Man muh. »veil die innere Entwicklung stufenweise erfolgt. Geduld auch mit lick leibst haben lS. 08), nnd man darf nickt vergessen, daß all's Gute, was man hat nnd weiß. Gnade ist lS. 100». Tie notwendige Scl)eidung von der Eigenliebe »st eine "listige .Tadec-nackl", non der auch die Mnstiker zn sagen willen: ist man sie los nnd haßt sie „ivie den leibhaftige» Tcvb'l", dann ist mau der Gnade gewiß Das Entscheidende ist der Entschluß, Gottes Misten vastständig, nnd ihn allein zn tun: hat man seinen Misten, die einzige Gabe, die man ibm geben kann nnd anf die allein er Wert legt, ihm nanz acsch->>kt. daun darf inan die an Dante sPurgatorio 27 110 112) gerichteten Morte auf sich anwenden, an deren Schluß es beirt' „Nicht meines Worts noch meines W'"ks mehr harre, Denn frei, gernd' ist und gesund dein Wille jetzt. Und Fehler wärs. nicht seinem Sinn zu folgen: Drum über dich verleib' ich K-on' und Mitra dir". Auf diesem Höhepunkt möchten »vir Halt machen und die fol genden praktischen Ratschlage, unter denen die der letzten Blätter eigentlich nicht zum Thema gehören, beiseite lassen, uin zum folgenden Abschnitt übrrzugehcn. Forts, folgte Römische Türme des sei. H. Geuse: „Jeden freundlich empfangen, kurz mit ihm reden, ihn getröstet entlassen, sein Herz nicht an ihn hängen." Zwar darf man sich von den Menschen, insbesondere von den sogenannten „Pfiffigen" unter ihnen nicht übertölpeln lasten, muß ihnen vielmehr zeigen, daß man sie durchschaut: im übri gen iedoch tut man besser daran, „die Menschen von ihrer gu ten Seite zn nehmen und Gutes in ihnen bestimmt vorauszu setzen sS 20). Eine besondere Kunst ist die des freuiid- licken Widerstandes: nur wirklich ungerechten Dingen ge genüber ist entschiedene Abweisung am Platze lS. 31). Gegen über den naiv Unverschämten ist Humor besser als Grobheit und Kälte. Bei dem Umaang »nit Feinden darf nicht ver gessen werden, welchen Nutzen sie uns bringen, sofern sie über unsere schwachen Selten im Großen nnd Ganzen das richtige Urteil haben; das „er hatte, keine Feinde" ist kein Lob: Ein tüchtiger Mensch geht nicht durch das Leben, ohne Feinde zn bekommen (S. 32 f.) und .mitunter haben auch die Gegner Recht". Oder es ist wenigstens ein richtiger Kern in ihrem Urteil; man lost daher darauf hören, aber «s nicht zu hock anschlagen. Die Möglichkeit, daß sie versöhnt werden, darf man nicht aus den Augen verlieren: bis dahin ist es eine Re gel der Klugheit, mit arundsätzlicl^n Gegnern der eigenen Le bensauffassung nicht häufig oder unnötig zusammen zu kom men lS. 35): „Man würde sich vielleicht nie mehr über einen Meuscl-e» erzürnen, wenn man den Tag iin voraus genau kennte, an dem er eine Handvoll Staub sein wird." (S. 36) Wir schließen hier noch einige weitere Lebensreqeln an: .,Dankbar keit muß man anerkennen, aber niemals darauf rechnen." „Man beurteilt die Menschen ganz anders und allein rickilg. wenn man nichts von ihnen haben wist" sS. 38). In das rechte Verhältnis zn asten Geschöpfen kommt man nur durch beständiges gut Handeln (S. 38). „Das letzte Wort der Men schenkenntnis muß Liebe zu asten sein" sS. 43); daher lernt man den Umgang mit ihnen am besten durch denjenigen mit Gott, während Menschenkenntnis ohne Liebe stets ein Unalück ist fS. 42) — Den eigentlichen Kernpunkt der H'schen Welt anschauung gibt uns das dritte Kapitel „Gottesnähe und Gattesfreundschast". Seine ganze Denkweise wird zusammen gefaßt in folgenden Sätzen: „Die höchste Freundschaft, wie das Höchste überhaupt, was der Mensch auf Erden erreichen Kan», ist die Freundschaft mit Gott" (S 53). .^viese Freundschaft ist eigentlich alles, was wir im Leben notwendig haben" (S. 54) Und zwar geht der Weg zu ihr ohne Zweifel durch das Christentum »ebenda). „In dieser Anschauung von der Möglichkeit einer Gnttesnähe und einer Freundschaft mit Gott liegt eigentlich das Geheimnis der Religion" sS. 53). Sie ist «ine Teilnahme am göttlichen Wesen, durch die allein wir glück lich werden können sS 44). „Das wahre Glück wohnt in Gottes Nähe, und das Böse ist nichts anderes als „die Abbre chung und Aufgabe der Freundschaft mit Gott durch unseren eigenen freien Willen" sS. 46). „Gottesferne Ist das einzige große Unalück. das uns. aber nie durch unseren Witten, treffe»» kann " Freilich, „wenn wir Gottesnähe motten was eigentlich der Inbegriff des wahren Glückes ist, so müssen wir auch etwas Trübsal wollen", weil wir In der Trübsal Gott näher komnien als sonst auf irgendeine andere Weise lS. 47). Dieses Näher kommen führt zu einem Verkehr mit Gott, zu einer herzlichen Weise des Umganges mit ihm. „dem allmächtigen Herrn über Leben »ind Tod" wie er uns in den Psalmen begegnet. Diese Mottesnähe ist nicht nur eine Möglichkeit, sondern eine von vielen Menschen schon erlebte „herrliche Tatsache", die einen Immer zunehmenden inneren Frieden zur Folge ha». „Das Wunderbarste in dieser Verbindung des ewigen Gottesgeistes mit der gleichfalls ewigen Menschenseele, die das Wesen der Religion und von der das Christentum die beste irdisclw Aus gestaltung ist. Ist die Verriniauna der Gerechtigkeit nnd Wahr heit Gottes mit Gnade und Nachsicht." — Dieser Abschnitt bil det zugleich eine gute Ueberleitung zum vierten, ..Mottes liebe und Menschenliebe". Menn H. zu Anfang sagt, daß man zur Liebe durch einen großen Entschluß zu einer völlig anderen Lebensauffassung, zum vossein von sich selbst gelange, daß man sich üben müsse slleber Entschluß und Urbung siehe auch S. 67; Liebe Ist »ach S 85 „Immer ein schwerer Ent- schlnß"), sich stets „auf die Seite Gottes" zu stellen, konsegurnt „Partei gegen sich selbst" zu nrhinen. so könnte man alauben, er halte die Liebe für etwas rein natürlich Menschliches, das man aus sich selbst erzeugen könne aber In dieser Annahme würde man fchlgehcn. Das »st nur der Anteil, der dem Men Rom, im Dezember 1340. Wer Ron» von oben betrachtet, sei es nun von der Höhe eines seiner Hügel, des Ianikulus oder des Monte Mario, sei cs von den marmornen Stufe»» des Viktor-Emanucl-Denk- mals oder von der Kuppel von St. Peter, nimmt innerhalb des großartigen Gesamtbildes manche Auge und Herz entzückende Einzelheit wahr. Vor allein fesselt den Beschauer das schon geivölbte Rund so mancher Kuppel, die sich über eine der zahlreichen Kirchen der Ewigen Stadt spannt. Das heldische Rom des ersten Imperiums, das prunkvolle der Renaissance und das spielerische des 18. Jahrhunderts sind die Epochen, die man der Urbs aeterna immer noch aus den ersten Blick anmerkt. Nur wenigen zeigt sich Rom noch von einer anderen Seite, die doch sicherlich zu seinen bemerkenswerten gehört, nämlich voi» seiner mittelalterlichen. Das „dunkle Mittelalter", wenigstens insofern dunkel, als der Hader beständiger Kämpfe de» Glanz seiner vielen bewnndcrnswerten Schöpfungen zu verdüstern drahte, herrschte auch zwischen den römischen Mau ern und vielleicht hier stärker als anderswo, denn während es erst im Jahre 1511 Papst Julius 1l. gelang, die streitenden Parteien der Orsini und der Colonna in der Pax Romana zu befrieden, hatte Florenz schon die glänzende Zeit eines Lorenzo il Magnifico hinter sich. Von dieser bewegten Zeltepoche wahrt Rom heute noch einige wenige, aber vielleicht gerade in ihrer Seltenheit uin so beredtere Spuren: seine mittelalterlichen Türme, denen man noch heute den Charakter der Festung ansieht, und von wo aus die Bewaffneten der mächtigen Adelssainilien aussielen, um ein morgen vielleicht schon fragwürdiges Uebergcmicht unter den städtischen Parteien zu erkämpfen. Gregorovius zu folge besaß Rom im 11. nnd 12. Jahrhundert etiva 000 solcher Türme, heute hat es deren nur noch 26, die entweder ganz oder teilweise erhalten sind, entweder ihren ursprünglichen Charakter bewahrt oder im Laufe der Jahrhunderte manche Restauration und Umgestaltung erlebt haben. Die Zeit und die Verlassenheit haben an vielen das Werk der Zerstörung fortgesetzt, das die Menschen in blinder Gewalttat gegen einander begonnen hatten. Aber auch das Erdbeben des Jahres 1348, das uns Petrarca beschrieben hat, war an der Vernichtung eines Großteiles der römischen Türme mit schuldig; besonders von den kleineren Festungsbanten über lebten nur wenige diese Naturkatastrophe. Stark mitgenommen wurden in diesem Erdbeben auch zwei Türme, die würdig gewesen wären, in ihrer einstigen Gestalt erhalte»» zu bleiben: la Torre bei Conti und la Torre delle Milizie. Der Erstere mar nicht nur eine fast uneinnehm bare Festung, sondern »nutzte auch architektonisch eine hervor ragende Schöpfung sein, wenn ihi» Petrarca als den „einzig artigen Turn» der Stadt" rühmen konnte. Der Letztere verlor damals sein gesamtes drittes Stockwerk, von dem man heute nur noch ein paar auseinandcrgetürmte Steine sicht, die jene leichte seitliche Neigung haben, die für den Turm so charak teristisch Ist. Beide Türme gehörten ursprünglich der mächtigen Adelsfamilie der Conti, die durch sie den Abhang des Ouirinals nnd die Foren beherrschte. Diesen Festungswerken fast genau gegenüber lagen diejenigen der Frangipani, die sich an das Kolosseum anlehnten und den Colle Oppio beherrschten, wo sie während des im 13. Jahrhundert langsam erfolgenden Niedergangs der Familie nach und nach verschwanden und dein Erdboden gleich wurden. Den beiden vorerwähnten Familien feindlich gesinnt war das mächtige Geschlecht der Colonna. Auch aus diesem so weit nach Süden vorgeschobenen Schauplatz deutscher Thronstreitig kelten standen Guclsen und Ghibestinen unversöhnlich gegen über. Die Colonna waren glühende Anhänger des Kaiser gedankens und Verteidiger der Volksinteressen. Sie beherrsch ten die heutige Piazza Monteitorio und ihre unmittelbare limgcbung, halten Ihre Kühnheit jedoch soweit geführt, dein Turm der guclsischen Conti in der Torre Colonna eine eben bürtige Festung gcoenüberzustettcn. Als schätzenswerte Biindes- genossen standen Ihnen die Carboni zur Seite, die die heute noch stehende Torre del Gritto besaßen. Auch dir Orsini und die beiden durch Blutsbande und durch mancherlei Interessen mit ihnen nerknüvften Familien der Pierleoni nnd Anguistara waren Herren so mancher mittelalterlichen Festung. Weitaus am besten blieb von Ihnen der Turm erhalten, an den sich heute das römische Dantehaus beim Zugang nach Trastcvcr« anlchnt. Nicht die Freude ai» Prunk und Größe, die die Kaiser» Paläste des Palatins schuf, noch die an der edlen architekto nische»» Linie, aus der die Baute»» der Renaissance entstanden, machte die Adclssamilien des mittelalterlichen Rom zu Bau« Herren, sondern der Haß und Hader der in gefährlicher Span nung miteinander lebenden Nachbarschaft. Es ist daher kein Wunder, daß sie ihre von der Not geforderten Festungen mit so wenig Aufwand wie nur möglich errichten wollten und gern« Stein und Marmor der antiken Bauten ai» ihren Türmen verwandten. Die Eavelli nahmen einen Großteil ihres Bau materials aus dein Marzellusthcater und ließen aus ihm durch Balthasar Peruzzi ihre Festung bauen. Die Crescenzi und die Colonna bedienten sich der Steine des Grabmals Kaiser Hadrians, dein man eben den Namen „Engelsburg" bcigclcgt hatte, und des Mausoleums des Augustus, so daß man sich nicht wundern darf, auch nach seiner endlichen Freilegung von dem gewaltigen Grabmal des großen Kaisers nicht mehr er halten zu sehen. Selbst der Bogen des Scptimius Severus am Forum muhte als Fundament für einen Turm dienen, den die Crescenzi hier erstehen ließen Alle diese römischen Türme bergen ein Stück Geschichte in sich; viele von ihnen waren der Schauplatz heroischer Kämpsc. andere wiederum der Tatort schaudervoller Gescheh nisse. über die die Geschichte heute ihre Schleier breitet. Der römische Dolksmund hat manche Legende an die hochragenden Festungen der alten Adclsgcschlcchtcr geknüpft und sich dabei um de»» Faktor Zeit wenig gekümmert. So verbindet »na»» mit mit der- Torre delle Milizie noch heute die Erinnerung an Kaiser Nero, der das aus sprühenden Flammen langsam zu Asche werdende Rom hier mit den Klängen seiner Leier beglei tet haben sott. Die Erzählung, die sich an die Torre della Seimmia knüpft, ist weniger unglaubwürdig: ein Afie soll ein mal ein Neugeborenes aus seiner Wiege genommen, es auf die höchste Spitze des Turmes getragen und dort mit ibm auf dem Mauerrand gespielt haben. Die schreckensbleichen Eltern. Das Aähneputzcii am Abend vor dem Schlafengehen ist noch wichtiger als am Morgen? ettl.0KO00tt7 s die dem gefährlichen Beginnen hilflos zuschauen mußte», taten damals ein Gelübde, falls ihr Kind ihnen wieder zurückgegebcn »oerdcn würde, und noch heute brennt in seiner Erfüllung Tag und Nacht ein Licht vor den» Bilde der hilfreichen Mutter gottes an der Turmmaucr. — Einzigartig stand unter den römischen Festuiigstürmen und steht noch heute la Torre bei Mellini. Im Gegensatz zu den übrigen Adelsgcschlechtcrn ihrer Zeit gehörten die Mellini keiner Partei an und hielten sich den Kämpfen geflissentlich fern. Der Bau des Turmes geschah nicht zum Zwecke der Verteidigung oder zur Erleichterung de» Angriffs, sondern vielmehr, um ein Wahrzeichen von der Größe nnd Macht der Familie aufzurichte». An manchem der römischen Türme hat die Zeit manches verändert Das bcst« Beispiel von ihrer charakteristische»» Bauart gib« uns heut» noch der Turm der Capocci. der der gleichnamigen Familie gehörte, die im Mittelalter den ganzen römischen Stadtbezirk der Monti beherrschte. Nus mächtige», viereckigen Grundmgueri» errichtet, reckt er seine glitten, von keinem Sims nnd keiner Konsole geschmückten Mauern zum Himmel. Die hier und dort angebrachten Oeffnungei» sind gerade groß genug, das tödliche Geschoß auf die heranstürmenden Angreifer zu schleudern. In seiner ernsten und düsteren Gestalt gibt der Bau von einer Epoche Zeugnis, die die nachfolgenden Jahrhunderte gerne ver gaßen. weil nicht die srcuiidlichc Muse, sondern der düstere Mars sie beherrschte. Dr. Frhr. Raitz v. Jrentz.
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